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I 1907–1918 Eine unruhige Zeit

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Ich wurde 1907 geboren in einer für das Judentum und die Judenheit denkwürdigen und geschichtlich hochinteressanten Epoche. Man kann es nicht gerade einen glücklichen Umstand nennen, wenn man zu Beginn des Jahrhunderts in einem jüdischen Städtchen Ostgaliziens zur Welt gekommen ist. Nicht etwa, weil es dort Antisemitismus gab, sondern weil das Leben dort für Juden grau und hoffnungslos war, auch wenn wir Kinder das nicht so empfunden haben. Wir lernten und spielten wie andere nichtjüdische Kinder auch. Je älter wir aber wurden, desto heftiger spürten wir den Unterschied. Unglücklich war der Umstand auch für die Nichtjuden, denn es warteten auf uns alle der Zerfall der alten Welt und zwei Weltkriege, die Millionen von uns dahinrafften, weil wir Deutsche, Franzosen, Engländer, Österreicher, Italiener oder Russen waren und auf uns Juden ganz besonders, weil wir eben Juden waren.

Die alte Welt lag in Agonie, und eine neue Welt, die das Leben der Juden umkrempeln sollte, erschien am Horizont. Etwa zehn Jahre vor meiner Geburt wurde die zionistische Bewegung gegründet, die das Leben der Juden veränderte. Ein knappes Jahrzehnt nach meiner Geburt begann der Erste Weltkrieg, der das alte Europa zerstörte und seine Trümmer umgestaltete.

Für meinen Großvater war die Emanzipation ein Irrtum und Zionismus ein Götzendienst. Die Entwurzelung der Juden aus dem Judentum bedeutete für ihn eine Katastrophe. Für mich freilich war die Judenfrage keine Frage der Juden allein, sondern eine Frage der Nichtjuden, der Christen, und damit eine Frage der ganzen Menschheit.

Die Lebensbedingungen der Juden am Ende des 19. Jahrhunderts unterschieden sich – wenigstens was ihre große Mehrheit betrifft – kaum von den finstersten Zeiten des Mittelalters. Die Mehrheit der russischen und der galizischen Juden, unter denen ich aufgewachsen war, lebte in wirtschaftlicher, sozialer und geistiger Not. Viele diskriminierende Gesetze, deren Liste sich kontinuierlich erweiterte, entzog den Juden eine wirtschaftliche Existenzmöglichkeit nach der anderen. Derart repressive Verhältnisse ließen unter Juden den Aberglauben aufblühen. Sie waren fruchtbarer Boden einer sich verbreitenden Mystik des Chassidismus. Die ständige Furcht vor blutrünstigen Verfolgern eliminierte das aufrechte und selbstbewusste Judentum. Besonders für Russland konnte man, auch ohne ein Prophet sein zu müssen, voraussagen, dass sich eine wirtschaftliche, geistige und moralische Katastrophe in Richtung auf die Judenheit Bahn brach, die es in ihren Grundfesten erschüttern sollte. Die Verzweiflung hatte noch einen weiteren Grund. Die modernen Verkehrsverhältnisse, die den Volksmassen Beweglichkeit ver­schaff­­te, schienen zu Beginn auch den Juden zugute zu kommen. Viele von ihnen glaubten, die Auswanderung in die Fremde könne ihnen Freiheit, Sicherheit und Brot verschaffen. Aber abgesehen ­davon, dass Massenauswanderung kaum geeignet sein kann, die ­Lösung des Problems von Millionen zu sein, begann sich auch das gelobte Land der Freiheit, Nordamerika, und mit ihm die alte Hochburg der Toleranz, England, gegen den Zuzug der Ostjuden energisch zu wehren. Auch diese Länder machten die Einwanderungserlaubnis von Bedingungen abhängig, denen nur ein kleiner Teil der Auswanderer genügen konnte. So wurde die Emigration als ein möglicher Weg zur Rettung aus miserablen Lebensverhältnissen erschwert oder gar versperrt.

Um dieselbe Zeit machten sich auch in den westlichen Ländern bedenkliche Entwicklungen bemerkbar. Der politische Liberalismus, der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, besonders in Deutschland, tonangebend geworden war, hatte Juden die politische Gleichberechtigung gebracht. Er versprach ihnen die gesellschaftliche Inte­gration und eine verheißungsvolle Zukunft. Umso härter traf darum vor allem die deutschen Juden der zunächst schleichende, aber dann immer weitere Kreise der Gesellschaft und des öffentlichen Lebens erfassende Machtgewinn reaktionär-konservativer Kräfte. Ohne das verfassungsmäßig gewährte Recht der Gleichberechtigung formal anzutasten, entwickelte sich zunehmend eine diskriminierende Verwaltungspraxis. Freiheiten und Rechte, die die Juden erst wenige Jahrzehnte zuvor errungen hatten, wurden in der gesellschaftlichen Praxis sukzessive wieder eingeschränkt. Posten, die sie mit Eifer ausgefüllt hatten, nahm man ihnen weg. Demütigungen von Westjuden wurden zur alltäglichen Realität, die von denen umso erdrückender empfunden werden musste, die am Erblühen und Erstarken der westlichen Gesellschaften nicht unwesentlich beteiligt waren. Es traf sie ins Mark, dass sie nicht mehr für würdig gehalten wurden, ihrem Kaiser als Offizier zu dienen. Sie, die sich als Deutsche verstanden und deutsch fühlten und die sich im Ersten Weltkrieg bewährt und mit Begeisterung mehr als nur ihre staatsbürgerliche Pflicht getan hatten.

Genauso entsetzt waren sie, dass antisemitische Agitatoren ihr Haupt frei erheben durften und dass Verhöhnung und Beschimpfung von Juden in gewissen Kreisen üblich wurden. Und wenn deutsche Juden in ihrer Verzweiflung sich umschauten, mussten sie zur Kenntnis nehmen, dass es anderswo nicht besser war. In Frankreich hatte die Dreyfus-Affäre geradezu erschreckende Einblicke in die Tiefe antisemitischer Vorurteile eröffnet. In Österreich waren die beiden wichtigsten miteinander konkurrierenden Parteien, die Christlich-Sozialen und die Deutschnationalen, sich nur dann einig, wenn es gegen die verhassten Juden ging. In jeder jüdischen Seele, die noch eine Spur von Feinfühligkeit und Stolz bewahrt hatte, tauchte die verzweifelte Frage auf, ob es denn überhaupt einen Nichtjuden gebe, der kein Antisemit war. Wer diese Zeiten selbst erlebt hatte, wird für diese Übertreibung wohl Verständnis aufbringen können.

Im Osten wie im Westen bedrohte auch die Gesamtsituation die einzelnen Juden. Gleichzeitig war die innere Verfassung des europäischen Judentums von einem Zustand der spirituellen Schwäche und internen Zerstrittenheit gekennzeichnet. Von der belebenden Frische eines aktiven religiösen Lebens, die das kollektive Gefühl der Stärke und Begeisterung hätte erwecken können, war nichts mehr zu spüren. Es gab nichts, was dem dahinschleichenden Judentum und seiner heranwachsenden Jugend eine inspirierende spirituelle Kraft hätte verleihen können. Politisch spaltete der Widerstand des orthodoxen Judentums gegen den aufkommenden Zionismus in zunehmenden Maßen die europäischen Juden.

Das Interesse an religiösen Themen hatte in weiten Kreisen des Judentums abgenommen. Es machte sich sogar eine atheistische Tendenz bemerkbar. Religionsfeindschaft wurde nicht selten als ein kultureller Fortschritt betrachtet. Der post-napoleonische Erhalt allgemeiner Bürgerrechte in weiten Teilen Europas sowie die Entwicklung eines aufgeklärten Reformjudentums hatten einen Prozess der Säkularisierung in Gang gesetzt, der manchen sogar befürchten ließ, dass die Vermittlung von jüdischer Religiosität an die junge Generation durch elterliche Erziehung und staatliche Schulbildung immer mehr vernachlässigt werde. Ein ausgeprägtes Desinteresse an Religion bemächtigte sich breiter jüdischer Kreise, das das Weltjudentum in kurzer Zeit obsolet machen würde.

In meiner Kindheit habe ich von all dem nichts mitbekommen, denn in meinem beschaulichen Galizien war die alte jüdische Traditionswelt noch sehr lebendig. Dort bestimmten nach wie vor die Gemeinderabbiner, wie Juden zu leben hatten. Ich wuchs im Hause meines Großvaters unter einer streng jüdischen Erziehung auf. Im Grunde kannte ich nur die jüdische Welt, ihre Gebote und strengen Verbote.

Im Gegensatz zu unserer Welt hatte sich in den urbanen Zentren Ost- und Westeuropas ein säkular geprägter Modernisierungsprozess entwickelt. Gerade junge Juden hatten längst angefangen, sich von den Bindungen der Tradition und der von ihnen so empfundenen Fesseln eines autoritär-repressiven Rabbinertums zu lösen.

Die Lage der europäischen Judenheit um die Wende zum 20. Jahrhundert war also äußerst grenzwertig. Für den geschichtsbewussten Beobachter seiner Zeit war dies jedoch nichts wirklich Ungewöhnliches. Schon oft in ihrer Geschichte hatten sich die Juden in einer vergleichbaren oder gar noch kritischeren Lage befunden. Bisher jedoch hatte unsere Gemeinschaft solche Perioden des Niedergangs immer überwinden können.

Eine große Zahl jüdischer Intellektueller verstand die Judenfrage in ihrer vollen Tragweite und empfand ein deutliches Unbehagen ob ihrer erniedrigenden Lage. Befreiungsversuche aufgrund wohlgemeinter und trotzdem schlecht durchdachter Ratschläge schossen in der jüdischen Welt wie Unkraut aus dem Boden. Wenn diesen nicht ein sich stetig ausbreitender Antisemitismus Vorschub geleistet hätte, hätte der Zionismus nie zu einer derartigen Massenbewegung werden können.

Es war eine nervöse und überreizte Zeit, Überlegungen verschiedenster Art wurden angestellt und diskutiert, wie und was zu tun sei, um eine grundlegende Besserung der Lebenssituation für die europäischen Juden herbeizuführen. Viele fühlten sich berufen, ihre mehr oder überwiegend weniger nützlichen Vorschläge dazu öf­fentlich vorzutragen. Darunter waren auch solche, die kaum etwas anderes darstellten als wirre, mystisch-religiöse Phantastereien. Typisch für solche kritischen Phasen jüdischer Geschichte waren End­zeitvorstellungen. Weite Kreise erfasste eine Sehnsucht nach dem Erscheinen des Messias. Die messianische Bewegung des Schabatai Zvi im 17. Jahrhundert wäre hierfür ein Beispiel.

Als Rettung aus aller Gefahr trat Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Zionismus eine Bewegung auf den Plan, die von sich behauptete, für die so weit verbreitete Not der Juden die Ursache gefunden zu haben: alles Elend komme daher, dass die Judenheit sich als Nation auflöse. Sie behauptete, das Judentum sei stets eine Nation gewesen und die Assimilation an die Kultur anderer Nationen sei eine Verschwendung und Vernichtung der besten jüdischen Kräfte. Dies stelle einen schmählichen Verrat am Wesen und der Zukunft des Judentums dar, was schon in der Vergangenheit zu nichts anderem als zu Unglück und Niedergang geführt habe. Gerade weil der jüdischen Nation ein territorialer Mittelpunkt fehle, gelte es diesen zu schaffen. Die Judenheit könne nur dann ein erträgliches Schicksal finden, wenn alle nationalen Kräfte zusammengeführt würden. Auf dem geheiligten Boden der Väter könne eine Zuflucht geschaffen werden, die einerseits dem verfolgten Judenvolk eine sichere Heimstätte gewähre, wo es seiner Eigenart gemäß leben könne, und von der andererseits eine geistige Belebung aller jüdischen Werte ausgehen werde. Theodor Herzl war es, der der neuen Bewegung mit seinem Buch Der Judenstaat einen entscheidenden Impuls zur Verwirklichung dieser zionistischen Vision gab.

Es ist schon verwunderlich, dass eine pseudomessianische Mission, wie man die zionistische Bewegung in ihrer Zielrichtung auf einen separaten jüdischen Staat verstehen kann, sich ausgerechnet auf das Prinzip eines säkularen Nationalstaates berief, der dem religiös-orthodoxen Judentum absolut fremd war. Einer zweitausendjährigen Entwicklung, die nur Religion und immer wieder Religion gefordert und gefördert hatte, wurde grundsätzlich widersprochen. Wie konnte es zu diesem Widerspruch kommen?

Hat der nationale Gedanke vielleicht doch eine unbewusste Grundlage in jüdischen Anschauungen? Gibt es irgendein Analogon oder einen zionistischen Vorläufer in der jüdischen Geschichte? Die Strenggläubigen pflegten sich auf die Sprüche Salomons im Alten Testament zu stützen und sagten: »Es gibt nichts neues unter der Sonne.«

Man könnte auf manche Bewegungen hinweisen, welche sich die Rückkehr in das Heilige Land ersehnten, aber keine war je vom prophetischen Wege abgewichen. Nie hatte man etwas anders erträumt als die Wiedererrichtung des Tempels und den Sieg der Religion! Mit dem Zionismus war etwas völlig Neues und Fremdes aufgetreten. Er appellierte nicht an religiöse Gefühle, und es ging ihm nicht um die Errichtung des Tempels und die Herbeiführung des Gottesstaates, sondern um den Aufbau eines nationalen Staatswesens, so wie andere Nationen sich ebenfalls zu Nationalstaaten entwickelt hatten. Die Judenfrage war somit zu einem ausschließlich politischen und wirtschaftlichen Problem mutiert – für jeden mit der jüdischen Geschichte Vertrauten ein völliges Novum.

In diese bewegte, von Zweifeln und Hoffnungen geprägte Zeit wurde ich hineingeboren, in ihr bin ich aufgewachsen. Wenn mein Vater mich in die Arme der zionistischen Bewegung in Deutschland warf, wie noch zu berichten sein wird, dann nicht, weil er ein glühender Zionist war, sondern weil er froh war, dass die zionistische Bewegung ihn von der Sorge um die Ernährung seines Ältesten entlastete. Auch ich war kein glühender Zionist, und der Gedanke, nach Palästina auszuwandern und dort beim Aufbau eines jüdischen Gemeinwesens zu helfen, wäre mir von selbst nie in den Sinn gekommen.

Wie jede andere Weltanschauung hielt sich auch der Zionismus für unfehlbar. Er wurde zur neuen Religion für viele Juden. Aber nur die wenigsten merkten, dass der Zionismus an der falschen Front kämpfte und gemeinsame Sache mit den Antisemiten machte, indem er propagierte, dass die Juden nach Palästina gehörten. So wurde uns unsere deutsche Identität von zwei Seiten abgesprochen, von der antisemitischen und nicht weniger von der zionistischen Seite her. Vom Standpunkt des Zionismus als einem extremen Nationalismus war der Antisemitismus durchaus legitim. Er war für die zionistische Bewegung ein willkommenes Hilfsmittel.

Im Übrigen bin ich der Meinung. dass es nicht nur der Zionismus war, der später entscheidend dazu beitrug, den jüdischen Staat zu gründen, sondern allem voran der deutsche Nationalsozialismus, der Hunderttausende Juden, die sich vor der Vernichtung durch die Nazis retten wollten, als Flüchtlinge nach Palästina trieb. Wäre Adolf Hitler 1933 nicht an die Macht gelangt und hätte seine nationalistische und rassistische Politik nicht bis zur Vernichtung von sechs Millionen Juden und der Zerstörung halb Europas geführt, dann würde die Welt heute ganz anders aussehen. Ich wäre mit ­absoluter Sicherheit in Deutschland geblieben. Es waren also die Nazis, die mich in die Arme der Zionisten getrieben haben. Die deutschen Juden waren zuallererst Deutsche, viele auch deutsche Nationalisten, die 1870 und 1914 für Deutschland gekämpft und teilweise sogar das Eiserne Kreuz erhalten haben. Einige wären sogar gerne Nazis geworden, wie ich später erzählen werde, wenn die Partei sie nur aufgenommen hätte. Es stimmt, was mein Freund Bruno gesagt hat, dass die Juden Hitler nicht so gehasst haben wie Hitler sie. Und diejenigen, die sich als Juden identifiziert haben, waren auch gegen den Zionismus, weil sie in ihm eine Ideologie erkannt haben, die ihr Deutschtum in Frage stellte und im Grunde dasselbe wollte, was die Nazis propagierten, nämlich die Juden aus Deutschland vertreiben. Und so wuchs ich auf, ohne eine realistische Wahl zu haben. Den Zionismus mochte ich nicht, und die Deutschen mochten mich nicht.

Tatsächlich waren auch die Gründer der zionistischen Bewegung säkulare und zum Teil antireligiöse Juden. Man darf auch nicht vergessen, dass Herzl zwar einen Staat für die Juden forderte – keinen jüdischen Staat –, aber grundsätzlich war es ihm egal, wo dieser Staat liegt. Er war sogar bereit, die britische Kolonie Uganda als Staat der Juden zu akzeptieren. Das Angebot wurde 1903 vom britischen Kolonialsekretär Joseph Chamberlain an Theodor Herzl ausgesprochen. Der Vorschlag war eine Reaktion auf die Pogrome gegen die Juden in Russland und auf die aussichtslose Situation für jüdische Besiedelungspläne im damals noch osmanischen Palästina. Herzl besaß sogar die Naivität, diesen Plan auf dem sechsten Zionistenkongress von 1903 in Basel zu präsentieren. Es löste unter den Delegierten eine heftige Debatte aus. Nach Uganda in Zentralafrika wollte kein Jude auswandern. Zwar wurde der Plan sehr bald auf Druck der traditionellen Ostjuden annulliert, die sich nur »Eretz Jisroel« vorstellen konnten, aber ein Misstrauen blieb, und der Judenstaat blieb das Steckenpferd einer Minderheit von Idealisten und Träumer. Selbst als die britische Regierung durch ihren Außenminister Lord Balfour ankündigte, dass sie bereit sei, eine »Heimstätte« für die Juden in Palästina zu gewähren, hat das keine Masseneinwanderung ins Heilige Land verursacht. Und wenn am Ende der Zionismus stark und stärker wurde, dann ist es nicht zuletzt der antijüdischen Propaganda zu verdanken, und insofern hatten auch die Zionisten nichts dagegen, dass der Antisemitismus wuchs, denn er zwang die Juden, sich mit den zionistischen Ideen zu identifizieren. So zum Beispiel auch mich. Ganz besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Katastrophe des europäischen Judentums bekannt wurde. Viele Juden, besonders in Amerika, fühlten sich schuldig und verantwortlich für das Schicksal ihrer Schwestern und Brüder und verpflichteten sich, den Überlebenden zu helfen, und diese Hilfe konzentrierte sich auf den Staat Israel. Es war aber weniger eine Identifikation mit dem Zionismus als eine Beruhigung des schlechten Gewissens, weil sie die Shoah nicht verhindert haben, nicht verhindern konnten. Nichtdestotrotz war es eine gewaltige Unterstützung der Zionisten, die schließlich zur Gründung des Staates Israel führte.

Wenn ich auf mein Leben zurückschaue, muss ich feststellen, dass es immer vom Schicksal, aber nicht von mir bestimmt war. Wie es verlief, war kaum je meine eigene Entscheidung gewesen. So aber ist das Leben anderer Juden auch gewesen. Sie waren nicht, wie Joseph Roth es in seinem Roman beschrieb, auf der Wanderschaft, sondern waren Getriebene und Vertriebene. Wer Geld und Wertsachen hatte, nahm sie mit, und wer wie ich nichts hatte, nahm dieses Nichts mit, das bei mir aus der Liebe zum Buch bestand. So konnte ich diese Liebe, die in Berlin begann, auch nach Jerusalem mitnehmen, von dort dann nach Paris und sodann wieder »Jerusalem« und schließlich zurück nach Deutschland.

Aber ich möchte dem Leser meine Geschichte von Anfang an erzählen.



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