Читать книгу Rakna - Josephine Becker - Страница 10
Zwei Neuankömmlinge
ОглавлениеIn der Mitte des, im Vergleich, kleinen Raumes, stand ein langer, hölzerner Tisch. Auf ihm lagen unzählige Pergamente und Schriftrollen. Hier und da waren Kerzen aufgestellt, die ihren warmen Schein auf der Oberfläche verbreiteten. An der Decke darüber hing ein weiterer Bernstein, aus dem ein pulsierendes Licht hervortrat. Doch die Form glich in keiner Weise den Steinen, die sie in dem langen Gang hierher, entdeckt hatte. Während die ersten Edelsteine spitz und eckig waren, wirkte dieser geschwungen. Aus seiner runden, breiten Mitte entsprangen wellenförmige Spitzen, die alle am unteren Rand endeten. Tatsächlich ähnelte er mehr einer orangenen Krone. Jetzt fiel Raknas Blick auf die steinernen Wände. Bis auf ein paar wenige Landkarten und einen einzigen großen Waffenhalter wirkten sie leer und kahl. Um den Tisch herum standen reich verzierte Stühle aus massivem Kastanienholz. Wie schon in den vorherigen Räumen waren hier mehrere goldene Details eingearbeitet und ließen die Sitzmöbel wertvoll aussehen. Thuriell und Fenrick unterhielten sich ausgelassen, während Rakna es kaum schaffte, alle neuen Eindrücke zu verarbeiten. Erst als Thuriell zu ihr sprach, lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Herrscherin.
„Ich werde Euch die einmalige Gelegenheit bieten, unter meinem Volk zu wandeln und gemeinsam mit unseren Junglingen zu trainieren. Falls Ihr Euch gut anstellt, habt Ihr sogar die Chance, ein Teil dieses Volkes zu werden. All das stelle ich in Aussicht, jedoch verlange ich dafür eine Gegenleistung. Wenn wir Eure Unterstützung brauchen, dann bekommen wir sie bedingungslos.“ Ein Moment der Stille trat ein. Rakna sah von Thuriell zu Fenrick und wieder zurück. Jetzt war der Augenblick gekommen, in dem sie sich entscheiden musste. Sie fühlte sich furchtbar verwirrt. Ihr war bereits vorher bewusst gewesen, dass es eine Bedingung geben würde und da war sie. Aber hatte sie überhaupt eine echte Wahl? Entweder weigerte sie sich und verbaute sich damit die Chance vorerst in Sicherheit zu sein, oder sie stimmte dem Deal zu und einem Schicksal, welches sie von hier an nicht mehr bestimmte. In ihrem Kopf tobte es und sie war hin und her gerissen. Unweigerlich suchte sie den Blick Fenricks und da war es wieder. Sein warmes, gewisses Lächeln, welches ihre Bedenken hinweg wehte. Er hatte eine Art an sich, die ihr jeden Zweifel nahm. Eigentlich hatte sie ihre Wahl schon getroffen. So streckte sie Thuriell entschieden ihre Hand entgegen. Diese packte sie fest und schüttelte sie. Der Griff der Herrscherin war hart und schwielig, aber warm.
„Also gut, jetzt sind wir einen Schritt weiter. Ich kann Euch nicht sagen, ob es leicht werden wird. Schon seit hunderten von Jahren hatten wir keine Menschen mehr um uns und es ist bereits nahezu tausend Jahre her, als ich einen ausgebildet habe.“ Bei diesen Worten wurde es Rakna ganz anders. Hatte sie da richtig gehört? Seit tausend Jahren? Wie ist das möglich? Doch es blieb keine Zeit um darüber nachzugrübeln, denn Thuriell steuerte schon wieder auf die Tür zu. Sie sprach im Gehen weiter:
„Aber ich glaube, es ist besser, wenn Ihr es mit eigenen Augen seht.“ Dann rief sie einen Namen:
„Echna! Bitte führe doch unseren Neuankömmling ein bisschen herum. Am besten du beginnst mit den Lehrräumen, denn da wird sie euch bald Gesellschaft leisten.“ Dann wandte sie sich um.
„Fenrick .... mit dir muss ich noch etwas besprechen.“
Somit verschwand sie mit dem Elfen im Zimmer. Die Tür schloss sich geräuschvoll hinter ihnen und Rakna blieb mit tausenden Fragen zurück. Abermals hatte sie keine Zeit, um über das eben Besprochene nachzudenken, denn es löste sich eine junge Elfe von einem Wachposten an der Wand und kam im schnellen Schritt auf sie zu. Sie trug, wie alle anderen Wachen, eine schwarze Rüstung mit vielen goldenen Riemen und Verzierungen, mit dem einzigen Unterschied, dass auf dem Brustpanzer ein junger Vogel in goldener Farbe prangte. Während sie auf Rakna zuschritt, nahm sie ihren Helm ab und klemmte ihn sich unter den Arm. Ihr Blick war sanft und ihr schmales Gesicht war wunderschön. Die hohen Wangen wirkten rosig und ihr kurzes, braunes Haar stand wild in alle Richtungen, was sie draufgängerisch wirken ließ. Doch am beeindruckendsten waren ihre großen, blauen Augen, die Rakna an Schnee und Eis erinnerten. Die langen Wimpern verliefen in einem leichten Schwung und verliehen ihr einen neugierigen Ausdruck. Aber es war kein Lächeln auf ihren vollen Lippen zu sehen. Stattdessen reichte sie ihr steif die Hand und sprach mit überraschend rauer Stimme.
„Ich bin Echna. Ich führe dich ein bisschen herum.“ Von dem achteckigen Saal, mit den vielen Elfen, liefen sie schnurstracks über das hinterste Areal, in einen weiteren steinernen Gang. Hier waren die Wände ebenfalls mit Gold verziert, aber anders als vorher breitete sich, entlang der gesamten Fläche, eine zusammenhängende Abbildung aus. Rakna erkannte grüne Bäume mit prächtigen Blüten und vollen Baumkronen, wie sie es von zu Hause kannte. Es ließ die kalten Wände heimelig wirken. Hier und da waren Elfen zu entdecken, die ebenfalls grünbraune Roben trugen, aber auch welche in roten, weißen, gelben und blauen Gewändern. Bis hier her war das Bild in bunten Farben gehalten. Dann plötzlich erschienen Heerscharen von Elfen in Rüstungen und dunkle Gestalten wurden zwischen ihnen sichtbar. Das gesamte Wandgemälde wurde düster und Rakna erblickte etwas Seltsames. Es war, als wäre das Bild in tausend Teile zerrissen. Doch während sie stehen blieb, um sich das genauer anzusehen, ertönte Echnas Stimme hinter ihr.
„Wenn Ihr bei uns bleibt, dann werdet Ihr diese Malerei noch lange genug anstarren. Kommt, es gibt viel zu sehen.“ Mit sanfter Gewalt drängte sie Rakna in den nächsten Raum. Hier wirkten die Wände seltsam fleckig. In einer Ecke stand ein massiver Steintisch. Auf ihm lagen einige Schriftrollen ausgebreitet. In der Mitte des Bodens prangte ein riesiges Gemälde, welches an manchen Stellen schon leicht verblasst war. Unterschiedlichste Landschaften wurden auf den Grund gezeichnet. Rakna erkannte eine Berglandschaft, weite Felder und Wiesen, dunkle Wälder und ein raues Meer. Während sie den Raum durchstreifte, stellte sie fest, dass die Flecken an der Wand gar keine waren, sondern Bücher die bis unter die Decke aufgereiht wurden. Jeder Zentimeter wurde von ihnen bedeckt. Mit einem Finger fuhr sie über die Buchrücken. Seltsame, in Leder eingebrannte Zeichen, die sie nicht kannte, prunkten darauf. Mit einem dumpfen ‚klonk‘ stieß sie gegen Etwas zu ihren Füßen. Es klirrte laut, als es umfiel. Das Geräusch kam von vielen kleinen Figuren aus Stein, die wahllos in die Ecke gestellt worden waren.
„Hier lernen wir Taktiken und Vorgänge, die uns im Kampf helfen. Teamarbeit ist oberstes Gebot. Was du draußen als Malerei gesehen hast, ist die Geschichte unseres Elfenvolkes. Wir analysieren sie, um nicht die gleichen Fehler erneut zu machen.“ Dies sagte sie unbeeindruckt und mit leerer Stimme. Rakna erkannte, dass es nicht gerade das Lieblingsfach von Echna sein konnte.
„Es unterrichtet uns Bahar und wenn du mich fragst, dann glaubt er selbst nicht an das, was er sagt. Wenn es nach ihm geht, ist keine Taktik die Richtige. Ständig verstrickt er sich in seinen eigenen Vorgehensweisen. Ich glaube, er ist einfach zu alt für den Job. Aber er hat immer die besten Geschichten auf Lager. Ich denke, er ist der Letzte, der den großen Kampf selbst miterlebt hat.“ In diesem Moment huschte Echna das erste Lächeln über ihre Lippen. Doch so schnell wie es aufgetaucht war, verschwand es wieder. Ihre unergründlichen Augen musterten Rakna eingehend. Dann nickte sie in Richtung Tür und sagte:
„Na los, lasst uns weiter gehen.“ Rakna gehorchte wortlos. Gemeinsam verließen sie den Raum durch die enge, einfache Holztür und liefen den über und über bemalten Gang entlang. Nach wenigen Schritten folgte eine weitere Tür, welche aussah wie die vorherige. Hinter ihr verbarg sich ein langer, schmaler Raum. Am anderen Ende befanden sich Zielscheiben in unterschiedlicher Entfernung und Höhe. An der Wand lehnten Bögen und Köcher, darin waren einige Pfeile zu erkennen. Doch sie schienen nicht sonderlich spitz zu sein.
„Hier lernst du, mit Schusswaffen umzugehen.“, vernahm Rakna, Echnas tiefe Stimme. Aber dieses Mal drehte Rakna sich nicht zu ihr um, stattdessen nahm sie einen der Bögen und stellte sich schussbereit in Position. Der Pfeil war am Ende mit einer Feder geschmückt, welche Rakna nicht kannte. Sie war rotorange und verlief in einer langen Krümmung. Die gesamte Struktur war anders, feiner. Erwartungsvoll, wie der Pfeil sich verhalten würde, spannte sie ihn in den Bogen, welcher wunderbar leicht erschien. Es gelang ihr mühelos, die Sehne bis zum Anschlag zu spannen. Sie wählte das oberste Ziel aus, hob den Bogen auf Höhe ihres Gesichtes und hielt die Luft an. Der Pfeil surrte rasend schnell an ihrer Wange vorbei und traf genau ins Schwarze. Dabei durchstieß er die Scheibe. Hoch erfreut über ihren Schuss, drehte sie sich zu Echna. Diese wirkte weiterhin unergründlich, keine Spur des Beeindruckens lag in ihrem Gesicht.
„Das war nicht schlecht, aber ich habe einen gravierenden Fehler entdeckt. Man darf niemals die Luft anhalten, wenn man schießt. Im Kampf hast du nicht die Zeit über das Atmen nachzudenken, es entscheidet also über Leben und Tod.“ Überrascht von Echnas detailreichem Blick und etwas enttäuscht aufgrund der Kritik, nickte sie der Elfin missmutig zu und legte den Bogen weg. Rakna begriff, dass es nicht einfach werden würde. Es war ein fremdartiges Volk und sie hatte dessen Kraft schon an Fenrick und den Windelfen erlebt. Sie waren schnell, berechnend und lautlos. Ganz anders als ihr eigenes Volk. Nun nicht mehr so euphorisch, ging sie weiter. Es folgten drei weitere Räume auf diesem Gang. Sie verteilten sich mal zur linken und mal zur rechten Seite. Der erste war komplett mit Moos überwachsen, sonst waren dort nur seltsam geschwungene Holzstäbe in unterschiedlichen Längen und Formen. Echna erklärte ihr, dass sie hier das Fechten mit Stäben lernten. Später würden sie dann zu Schwertern übergehen. Auf Raknas ungläubigen Gesichtsausdruck erwiderte sie scharf:
„Du lernst, mit den schlechtesten Waffen zu kämpfen. Alles ist auf dem Schlachtfeld möglich und darauf wirst du hier vorbereitet.“ Im nächsten Raum waren wieder Zielscheiben angeordnet und zu Raknas großer Freude, Äxte in den verschiedensten Varianten und Ausführungen. Auch Wurfhammer, wie Fenrick einen trug, gab es hier. Aber keiner von diesen war so prächtig und einmalig wie der, den sie bei dem unergründlichen Elfen entdeckt hatte. Der letzte Raum war für Rakna ein Rätsel. Als sie ihn das erste Mal betrat, war es für sie einfach nur eine leere Kammer. Es dauerte einige Minuten, bis sie bemerkte, dass auf dem Boden verschiedene Schrittfolgen aufgezeichnet waren.
„Was ist das für ein Raum?“, fragte Rakna an Echna gewandt, während sie den aufgemalten Fußspuren folgte.
„Das ist die Königsdisziplin der Kampfkunst, genannt der waffenlose Kampf. Körperkontrolle ist hier von größter Wichtigkeit. Es unterrichtet uns Solas und ich sage dir, es gibt keinen Besseren als ihn. Wie er sich bewegt, so schnell, so grazil ...“ Echna stockte, etwas bereitete ihr Unbehagen, denn sie wandte ihren Blick plötzlich verlegen zu Boden. Das Wenige, was man von ihrem Gesicht sah, war feuerrot. Vollkommen durcheinander verließ sie schweigend den Raum und vergaß dabei ganz und gar Rakna mitzunehmen. Erst als diese keuchte, weil Echna im Sturmschritt den nächsten Korridor betrat, bemerkte die junge Wache ihren Fehler und blieb stehen. Plötzlich redete sie weiter über den Unterricht, als wäre nichts geschehen.
„In diesem Flur lehrt man uns die defensiven Lektionen. Wir haben hier die Kunst des Blockens ...“, sie zeigte ihr einen vollkommen grün bemoosten Raum.
„... gefolgt von Schleichen und Sprint.“ Hier gefiel es Rakna besonders. Als sie ihn betraten, war es, als befänden sie sich an der Oberfläche. Hier standen Bäume, Büsche, Felsen und Mauern aus massivem Stein. Sogar ein Flusslauf und mehrere Gräben waren zu erkennen. Weiter hinten umsäumten Bäume eine Lichtung, die von einem orangenen Bernstein ausgeleuchtet wurde. Der folgende Raum war nicht weniger beeindruckend. Auf mehreren steinernen Tischen standen verschiedenste Schalen, Gläser, Schüsseln und Flaschen. Die Wände waren reihum mit Blumen und Blättern, Wurzeln und Gräsern bemalt. Unter jedem Bild war etwas in fremdartiger Sprache geschrieben.
„Echna? Was ist hier niedergeschrieben?“, fragte Rakna zaghaft.
Echna zuckte bei dem Klang ihres Namens zusammen, als wäre sie aus ihren Gedanken gerissen worden.
„Die Bezeichnungen und die Wirkungsweise der Pflanze. Warte kurz!“ Dann lief sie zu einem blauen Stein, der in eine Wand eingelassen war. Sie strich sanft über die glatte Oberfläche und er begann zu leuchten. Mit einem Mal blitzten alle Worte in demselben Farbton auf und verwandelten sich in andere Symbole. Echna wiederholte diesen Vorgang, bis Rakna laut aufschrie.
„Das ist es, das sind unsere Schriftzeichen!“ Jetzt war es ihr möglich, die Inschrift zu lesen. Zum Beispiel hieß es, in dünnen Buchstaben unter einem büschelig aber weich aussehenden Strauch:
Cotinus obovatus oder auch Rauchbusch, wächst meist in Gruppierungen als kleiner Baum oder großer Busch. Er liebt die Gesellschaft und kann mit vielerlei anderen Pflanzen kombiniert werden. Er hat folgende positive Eigenschaften: Wird verwendet um Angstzustände zu lindern und in einen angenehmen Zustand der Ruhe zu versetzen. Achtung! Bei einer Überdosierung neigt der Einnehmende zu maßloser Überschätzung oder zu starken Rauschzuständen mit Halluzinationen.
Rakna berührte sanft die weiße gezeichnete Blüte und fuhr mit einem Finger über die Rispen der Pflanze. Auf einmal machte sie vor Schreck einen Satz rückwärts. Durch ihre Berührung schob sich etwas Weiches unter ihren Fingerspitzen hervor. Es wirkte, als würde das Gewächs direkt aus der Wand wachsen. Mit einem leisen Rascheln fiel sie zu Boden und das Bild im Gestein verblasste.
„Oh ... Der Cotinus ist leer, wir müssen das Lager auffüllen lassen.“, sagte die Elfin, während sie die Pflanze aufhob. Schließlich zückte sie eine Feder und kritzelte etwas auf ein Stück Pergament.
„Hier lernen wir Kräuter und Pflanzen erkennen und anzuwenden, für Heiltränke und Heilungsrituale. Tränke mit negativer Wirkung oder Angriffskraft sind leider verboten. Völliger Schwachsinn, wenn du mich fragst.“ Mit diesen Worten verließ Echna den Raum und Rakna war gezwungen, sich erneut zu beeilen, um mit ihr schrittzuhalten. Nun waren nur noch zwei Zimmer übrig. In dem Zimmer, das folgte, befanden sich unzählige steinerne Tische, wie Rakna sie schon gesehen hatte. Auf ihnen lagen nur Pergamentbögen und Federkiele, sowie hier und da, ein Stück Kohle. Vorne an der Zimmerfront stand in großen Buchstaben etwas geschrieben, das Rakna nicht zu entziffern vermochte.
„Feindeslehre, langweilig aber wichtig.“, hieß es nur von Echna.
„Hier kannst du auch unsere Schriftzeichen erlernen. Es ist eine tote Sprache, sie wird von fast niemandem mehr gesprochen. Nur, wenn seltene Magie gewirkt wird. Du bist also nicht verpflichtet, sie zu studieren, nur falls du möchtest.“, fügte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue hinzu, ganz als ob jetzt schon klar war, dass Rakna das tat. Zum Schluss betraten sie den ungewöhnlichsten Raum. Hier herrschte eine alles umfassende Dunkelheit. Außer einer brennenden Kerze im Zentrum des kleinen Zimmers, war hier nichts.
„Da ist der Magieunterricht.“ Echna schmunzelte, als sie das vollkommen verdatterte Gesicht von Rakna sah, dann sagte sie belustigt:
„Hier wirst du lernen, Magie zu wirken und wie du sie in die richtige Bahn lenkst.“
„Glaubt ihr, dass ein Mensch zu so etwas überhaupt imstande ist?“, erkundigte sich Rakna skeptisch.
„In jedem ach so kleinem Lebewesen und wenn es nur ein Schmetterling ist, steckt ein bisschen Magie, man muss sie nur finden und nutzen.“ Rakna fragte sich, was ein Schmetterling mit Zauberei zu tun hatte, während sie den letzten aller Lehrräume verließen. Es graute ihr schon jetzt vor dem Magieunterricht. Sie sah bereits vor ihrem inneren Auge, wie sie sich lächerlich machte. Rakna stellte sich vor, wie alle Anderen, wunderschöne Dinge hervorbrachten und sie Stunde um Stunde kein einziges Anzeichen von Magie aufweisen würde. Eine laute Stimme riss Rakna aus ihren düsteren Gedanken.
„Da seid ihr ja! Ich habe alles nach euch abgesucht. Wie ich sehe, habt ihr die Besichtigung beendet. Gut ... Sehr gut.“ Es war Thuriell. Hinter ihr trat eine kleinere, zerbrechlich wirkende Elfe hervor.
„Darf ich vorstellen, ein neues Mitglied für diesen Jahrgang. Das ist Tears, sie hat sich soeben dazu qualifiziert, an den Lehrstunden teilzunehmen.“ Die Elfin wirkte unglaublich jung. Ihr Blick war ängstlich aber neugierig. Ihre blonden, gelockten Haare reichten nicht mal bis zu den Schultern. Eine einzelne Locke hing ihr über die hellblauen Augen. Die vollen, roten Lippen verzogen sich zu einem nervösen Lächeln, welches sie noch hübscher aussehen ließ. Insgesamt erschien sie so zart, dass es nicht vorstellbar war, dass sie mit einem Schwert oder gar einen Hammer kämpfen sollte. Dann erhob sie ihre Stimme und Rakna war sich nicht sicher, ob es eine kluge Entscheidung von Thuriell war, Tears unterrichten zu lassen. Mit hoher, dünner Tonlage sagte sie:
„Hallo Echna.“, dann wandte sie sich an Rakna.
„Und du bist bestimmt Rakna? Ich bin Tears, sieht so aus, als wären wir jetzt beide neu hier.“ Es war nicht unangenehm, wie sie sprach, doch es erweckte unwillkürlich den Drang, sie zu beschützen.
„Ich denke, es ist in Ordnung, wenn Rakna die Kammer neben Tears bekommt. Nur bitte achte darauf, dass die Herren weiter abseits ihre Schlafplätze haben.“, sagte Thuriell an Echna gewandt und sie wollte schon davonrauschen, als sie sich noch einmal an Rakna wandte.
„Ich soll von Fenrick eine angenehme Zeit bestellen. Er ist wieder gegangen. Ist immer in Eile dieser Elf.“
„Fenrick ist weg? Wohin ist er?“
„Mein liebes Kind, glaubt ihr wirklich, Fenrick sagt mir, wo er hingeht? Ihr solltet Euch auf Euch selbst konzentrieren. Ihr habt jetzt eine Aufgabe hier, der Ihr Eure ganze Aufmerksamkeit widmen solltet, wenn ihr mithalten wollt. Schon bald waren die Schritte von Thuriell verklungen und Rakna stand da, allein gelassen mit all ihren Fragen, ohne zu wissen, was jetzt mit ihr geschah. Sie fühlte sich furchtbar einsam. Erst nach einigen Sekunden bemerkte sie, dass Echna und Tears auf sie warteten. Die kleine Tears erhob die Hand, welche von fein gewobenem, grünem Stoff umhüllt war und diese deshalb nur halb offenbarte. Sie klopfte Rakna auf die Schulter und sah sie tröstend an.
„Er kommt schon wieder. Fenrick ist immer zurückgekommen.“ Erstaunt schaute sie die kleine Elfe an.
„Ihr kennt Fenrick?“
„Na klar! Alle kennen ihn. Er ist der Übermittler zwischen unseren Völkern. Schon lange versucht er, Frieden zu stiften.“
„Nur, dass ihm das bis jetzt nicht wirklich gelungen ist.“, meldete sich Echna wieder zu Wort. Rakna hörte deutlich die Skepsis in ihrer Stimme und insgeheim stimmte sie ihr zu. Sie hatte das Luftvolk gesehen, sie sahen nicht gerade aus, als wären sie zu einem Friedensgespräch bereit. Aber Fenrick kannte Lynthriell, welche ebenfalls ein Mitglied der Windelfen war, also gab es vielleicht doch Hoffnung? Letztendlich war Rakna froh, als Echna die Unterhaltung beendete und sie zu ihren Schlafplätzen brachte.
Dazu mussten sie einige Gänge durchqueren. Immer wieder bogen sie ab und nahmen einen anderen Weg. Hier und da gab es einen Torbogen oder einen besonderen Bernstein an der Decke, an denen Rakna sich hätte orientierten können, doch sie war zu müde, um sich die Abfolge zu merken. Mit einem Mal verließ sie die Kraft. Sie wusste nicht, wie lange sie schon auf den Beinen war. Hier unten gab es ja kein Tageslicht. Der Drang zu schlafen übermannte sie. Nach einer halben Ewigkeit stillem, nebeneinander her Laufens, erreichten sie endlich ein großes Tor mit zwei riesigen Flügeltüren. Es war unschwer zu erkennen, dass es sich hierbei um den Eingang zu den Schlafsälen handelte. Auf der Tür waren Schnitzereien von Elfen abgebildet, die unter einem Sternenhimmel schliefen. Manche hielten ein Buch in der Hand oder trugen ein Licht vor sich her. Als sie sich näherten, öffneten sich die Türen wie von selbst und offenbarten hinter sich weitere steinerne Wände. Der Schlafsaal sah aus wie ein riesiger Korridor. Doch diesmal gab es sonderbare, ovale Fenster, die in das Gestein eingelassen worden waren. Als plötzlich ein Elfenkopf aus einem der Löcher hervorschaute, erkannte Rakna, dass diese in Wirklichkeit den Zugang zu winzigen Kammern bildeten. Vor manchen Öffnungen hingen zugezogene Vorhänge. Aber in andere konnte sie hineinsehen. Als die drei ungleichen Frauen vorbeigingen, legten die Meisten ihre Arbeit beiseite, die sie gerade in den Händen hielten, und betrachteten die Neuankömmlinge. Mit lautem Ratschen wurden Vorhänge weggezogen, um eine bessere Sicht auf sie zu haben. Rakna fühlte sich unwohl. Sie war zwar Aufmerksamkeit gewohnt, aber meistens kannte sie die Leute, die sie begafften. Sie liefen bis zum Ende des Ganges, als Echna wieder von Neuem zu erklären begann.
„Die letzten vier Schlafplätze sind frei. Wenn Thuriell möchte, dass du weiter abseits schläfst, dann solltest du den letzten Platz auf der linken Seite nehmen, Tears. Ist das für dich in Ordnung? Rakna nimmt dann den dazwischen. Ich habe den Schlafplatz direkt neben dir. Die Gegenüberliegenden sind frei. Außer, es kommen noch ein paar unerwartete Gäste dazu.“ Sie lächelte Tears kurz zu, danach sprach sie weiter.
„Macht es euch erst einmal bequem und richtet euch ein, wenn ihr Fragen habt, dann kommt zu mir.“ Somit schlüpfte sie elegant durch eines der ovalen Fenster und schloss den Vorhang hinter sich. Auch Rakna kletterte, etwas ungelenk, durch den Zugang. Sobald sie mit einem Fuß den Boden berührte, erleuchteten winzige, in der Decke eingelassene Steine, das kleine Zimmer. Der Raum wurde augenblicklich von hellem, weißem Licht durchströmt. Es wirkte wie das echte Himmelszelt, so wie die Edelsteine an dem hohen Gemäuer glitzerten. Das Schlafgemach war winzig. In der Länge passte geradeso ein großer Elf hinein. Ausgestreckt auf dem Boden liegend, konnte Rakna die Wände des Raumes mit Zehen- und Fingerspitzen oben und unten berühren. In der Breite war er noch enger. Rakna konnte geradeso zwischen dem Bett und der Wand hindurchgehen. Streckte sie ihre Arme zur Seite aus, dann berührte sie mit den Handflächen das Gestein. Die Schlafstatt war ein einfaches, steinernes Podest, in dessen Mitte eine Mulde eingelassen war. Darin lag ein weiches Moospolster, überzogen mit Leinenstoff. Ihr Kissen und eine dünne Decke fand sie in dem eingebauten Regal in der Wand, gegenüber des Bettes. Es sah so aus, als wäre der Stein per Hand aus der Mauer gehauen worden, um die Ablagefächer zu schaffen. Sonst war da nur der Vorhang aus grünem Stoff, den Rakna nun ebenfalls zuzog, um die restliche Welt von sich abzuschirmen. So ausgebreitet vor ihr hängend, erkannte sie ein Wappen von brauner Farbe auf dem dunkelgrünen Leinenstoff. Ein geschwungenes Schild prangte in der Mitte, auf das ein knorriger Baum in voller Blüte gestickt war. Unter ihm hatte sich der Boden aufgetan und hunderte Elfen schienen aus dem Spalt hervor zu stürmen. Gerade als sie ihre Decke ausbreitete und sich schon fragte, was sie heute Nacht zum Schlafen tragen sollte, purzelte ihr ein sehr dünnes, grünes Gewand entgegen. Es reichte bis über die Knie, an den Schultern war es gerafft und entblößte somit das gesamte Mal. Die Ärmel verbargen dafür sogar die Hände. Unter anderen Umständen hätte Rakna es wirklich schön gefunden, doch hier fühlte sie sich schutzlos mit solch einem offenherzigen Nachtgewand. Nichtsdestotrotz streifte sie ihre Lederrüstung ab und zog es über. Sie freute sich bereits auf das weiche Bett. Die Nacht in der Höhle war vielleicht sicher, aber trotz der Felle nicht sonderlich bequem gewesen. Sie setzte sich auf die Bettkante und überlegte, wie sie die Sterne am Zimmerhimmel verdunkelte, als es leise klopfte. Echna schaute neugierig herein.
„Dein Licht hat noch gebrannt. Darf ich rein kommen?“ Rakna wollte eigentlich lieber schlafen, doch sie verkniff sich einen Kommentar und rutschte ein Stück zur Seite, sodass sich Echna zu ihr aufs Bett setzen konnte.
„Ich möchte dir nur sagen, dass ich dir meine Hilfe anbieten will. Zwar gibt es Elfen unter uns, die es nicht gutheißen, dass du hier lernst. Aber ich glaube, ein neuer Gedankenanstoß ist nicht falsch. Tatsächlich denke ich, dass du ein guter Mensch bist und wir uns gar nicht so sehr unterscheiden. Wenn Thuriell dir vertraut, dann tue ich das ebenfalls. Ich bin auf deiner Seite.“
„Einige sind nicht besonders froh darüber. Falls es nach ihnen ginge, wäre ich jetzt nicht hier.“, sagte Rakna matt.
„Du meinst Solas, oder? Na ja, er ist manchmal etwas jähzornig, aber er ist ein wirklich fairer Lehrer. Zeig ihm einfach, was du kannst und dann wird er sich schon beruhigen.“ Rakna war dankbar für die aufmunternden Worte. Eine Freundin zwischen all den Fremden zu haben, war tatsächlich ermutigend.
„Wieso bist du eigentlich nicht mehr bei deinem Menschenvolk?“ In diesem Moment klopfte es wieder und der Vorhang wurde erneut zur Seite gezogen. Tears schaute herein.
„Ich habe Stimmen bei euch gehört, kann ich rein kommen?“ Auch Tears hatte ihr grünes Nachtgewand angezogen. Bei ihr war es deutlich länger als bei Rakna, aber es stand ihr trotzdem ausgesprochen. Als sie Rakna ansah, wurden ihre Augen groß.
„Du bist gebissen? Oh, das tut mir leid ...“ Und in ihren riesigen blauen Augen schwammen plötzlich Tränen.
„Es gehört jetzt seit vielen Monden zu mir. Ich habe mich daran gewöhnt.“ Zum ersten Mal sprach Rakna offen über ihr Mal und das ohne Wut oder Trauer. Nach all den Jahren durfte sie ehrlich sein. Dann wandte sich Echna an Tears.
„Wie kommt es, dass du schon lernen darfst? Bist du eine Indoles?“
„Was ist denn das?“, fragte Rakna, während sie von Tears zu Echna schaute.
„Ein Indoles ist jemand mit einer besonderen Begabung. Nur in diesem Fall darfst du bereits als Kleinling lernen, so wie Tears.“, antwortete Echna, wie auf Kommando. Dann hakte sie weiter nach.
„Nun sag, bist du eine? Was ist deine Begabung?“
„Magie.“ Kaum, dass die kleine Elfe das ausgesprochen hatte, wurde erneut der Vorhang bei Seite gerissen, dieses Mal, ohne anzuklopfen.
„Hab ich richtig gehört? Ein Indoles lernt mit uns?“ Ein Elf hatte den Kopf herein gestreckt. Augenblicklich zog Rakna die Decke bis unters Kinn, wobei sie Tears beinahe von der Bettkante gestoßen hätte.
„Was ist mit dem Menschenkind?“, fragte der Elf argwöhnisch. Irgendwoher kannte sie den Kerl. Rakna war sich sicher, dass sie ihn schon einmal gesehen hatte.
„So zeigt man sich nicht vor dem anderen Geschlecht!“, fuhr Rakna den Elfen empört an. Doch der reagierte unbeeindruckt, geschweige denn, dass er sich für sein ungezogenes Verhalten entschuldigte.
„Ihr Menschen habt komische Angewohnheiten ...“, damit setzte er sich neben Rakna auf das Bett. Der winzige Raum war jetzt übervoll. Nun, da der Elf so nahe bei ihr saß, erkannte sie ihn wieder. Es war der Wachmann, der Fenrick bei ihrem Eintreffen zu Thuriell gebracht hatte.
„Du bist Rakna. Alle sprechen über dich. Es ist eine Sensation, einen Menschen hier zu haben. Aber hab ich da richtig gehört, haben wir noch ein zweites Wunderkind unter uns?“
„Ach, halt die Klappe Tamlyn! Mach dich nicht wieder wichtiger als zu bist.“, wehrte Echna die eindringlichen Fragen des Elfen ab.
„Darf man nicht einmal mehr nachfragen?“ Doch Echna schwieg. Stattdessen wandte sie sich wieder Tears zu, die dem Treiben belustigt zugesehen hatte.
„Es tut mir leid Tears, ich möchte nicht unhöflich sein, aber du siehst so jung aus. Ist es möglich, dass du normalerweise nicht einmal im nächsten Jünglingsdurchgang gewesen wärst? Ich meine, du bist so zart?“ Echna schaute sie entschuldigend an, doch es schien der schüchternen Elfe nichts auszumachen, auf ihre Größe angesprochen zu werden.
„Ich hätte eigentlich noch zwei Durchgänge abwarten müssen. Aber ich trage zu viel Magie in mir und um ehrlich zu sein, ist es dringend notwendig, dass ich lerne, sie zu kontrollieren. Erinnerst du dich an den Einsturz im östlichen Gang vor ein paar Tagen?“ Bevor Echna reagierte, unterbrach Tamlyn sie.
„Ja, der Erdrutsch! Wir haben ewig gebraucht, um den Durchgang wieder freizuräumen. Zum Glück war zu der Zeit niemand anwesend, es hätte sonst in einer Tragödie geendet.“
„Das war kein Erdrutsch. Ich wollte etwas ausprobieren, aber es ist irgendwie nach hinten losgegangen.“ Beschämt sah Tears zu Boden.
„Du hast etwas ausprobiert? Was kannst du getan haben, um solch ein Chaos anzurichten?“, schnauzte Tamlyn sie an.
„Ich habe nur versucht, den Gang zu verschönern. Irgendetwas ist schief gelaufen. Ich wollte wirklich keine Umstände machen.“, sagte Tears flehentlich. Tamlyn setzte zu einer hämischen Erwiderung an, aber Echna warf ihm einen eisigen Blick zu und prompt blieb ihm das Wort im Halse stecken.
„Ist schon in Ordnung Tears. Jetzt bist du ja hier, um zu lernen. Und ich freue mich, dabei an deiner Seite zu sein.“ Sie legte ihr den Arm um die Schultern, was Tears wieder strahlen ließ. Rakna war froh, dass sie über die kleine Elfe sprachen, und somit die Aufmerksamkeit nicht länger bei ihr weilte. Denn ihre Gedanken schweiften zu Fenrick, obwohl ihr die Müdigkeit die Sinne schon vernebelte. Wieso war er ohne jegliche Verabschiedung gegangen? Wie konnte sie glauben, dass sie ihm am Herzen lag? Raknas Rettung war für ihn nur ein Auftrag. Was jetzt mit ihr geschah, war Nebensache. Sie fühlte sich hilflos und reingelegt. Vor wenigen Augenblicken vertraute sie ihm noch blind, und nun hatte er sie im Stich gelassen. Vollkommen Fremde waren ihre letzte Hoffnung und ihr blieb keine andere Wahl, als ihnen zu vertrauen. Außerdem hatte sie einen Eid abgelegt. Aber Rakna würde nicht aufgeben. Es gab viele Momente, in denen sie hätte sterben können, doch sie war hier! Sie war nicht tot. Rakna hatte schon immer selbst über ihr Leben entschieden und damit würde sie jetzt nicht aufhören. Insgeheim schwor sie sich, ab sofort ihren eigenen Weg zu gehen.