Читать книгу Rakna - Josephine Becker - Страница 9
Das Erdreich
ОглавлениеFenrick und der Wachmann marschierten im schnellen Schritt schweigend nebeneinander her. Doch letztlich unterbrach die Wache die Stille.
„Wer ist sie Fenrick? Sie ist keine Elfin, oder?“
„Ich sagte dir bereits Tamlyn, dass ich es dir erst sage, wenn ich mit Thuriell gesprochen habe.“ Der Wachmann sah ihn finster an, doch erwiderte nichts. Nachdem sie durch weitere steinerne Gänge gehastet waren, erreichten sie endlich ein großes, hölzernes Tor. Es war reich verziert mit vergoldeten Schnitzereien, welche wunderschöne Landschaften mit hohen Baumkronen und weiten Feldern zeigten. Doch die Beiden beachteten es kaum. Achtlos liefen sie durch das spitz verlaufende Tor. Dann hob der Wachmann die Hand, und bedeutete Fenrick, dass er stehen bleiben sollte. Fenrick kannte das Verfahren des Erdreiches. Schon früher hatte er viele Stunden damit verbracht, auf Thuriell, die Herrscherin dieses Reiches, zu warten. Oft hatte sie sich mit Absicht Zeit gelassen, bis sie ihn endlich empfangen hatte, doch das war Fenrick egal. Die kleinen Machtspielchen der Anführerin waren ihm bekannt und er wusste, dass sie ihr Gegenüber damit prüfte. Sie testete, wie geduldig der Gast war und wie seine Gepflogenheiten sind. Fenrick hatte von Bewohnern des Erdreiches gehört, dass manche gar nicht erst empfangen wurden. Es gab Besucher, die tagelang auf eine Audienz warteten, bis ihnen der Kragen platzte. Doch Thuriell war ihre größte Hoffnung und so war er gezwungen, ihre Eigenheiten in Kauf zu nehmen. Fenrick ärgerte sich, dass er Rakna nicht darauf vorbereitet hatte, sich auf eine lange Wartezeit einzustellen. Jetzt blieb ihm nur zu hoffen, dass sie einen kühlen Kopf bewahrte und nichts Dummes anstellte. Zu seiner großen Überraschung dauerte es jedoch nur einen Augenblick, bis die Anführerin in Erscheinung trat. Zielstrebig schritt sie auf ihn zu. Ohne ihn zu begrüßen, rief sie im Vorbeigehen:
„Wir haben schon auf Euch gewartet, wo ist sie?“
„Woher wisst Ihr von Rakna?“, erwiderte Fenrick verdutzt. Doch sie sah ihn nur spöttisch an.
„Früher hast du mich charmant begrüßt, Fenrick. Was ist nur aus deiner guten Erziehung geworden?“ Auf ihre Anspielung erwiderte er nichts. Stattdessen sah er sie weiter fragend an.
„Ach ... Also gut. Von wem werde ich es wohl wissen? Von Lynthriell natürlich.“
„Lynthriell? Wie habt Ihr ...?“ Das Entsetzen war Fenrick ins Gesicht geschrieben. Wie hatte sie es geschafft, mit ihr zu reden? Das war unmöglich!
„Sie war vor einer Ewigkeit hier und hat mir erzählt, dass du mit einem Menschenkind kommen würdest. Es sei von größter Wichtigkeit, dass wir sie trainieren.“, sagte Thuriell leichtfertig, als wäre es selbstverständlich. Ihr angegrautes Haar war zu vielen kleinen Zöpfen entlang ihres Kopfes verschlungen und im Nacken elegant verknotet. Ein paar Strähnen des dunkelgrauen Schopfes fielen ihr locker ins Gesicht, was sie deutlich jünger erscheinen ließ. Nicht nur ihr Aussehen trügte, ihre ganze Art wirkte jugendlich, freundschaftlich aber auch bestimmend und streng.
„Sie trainieren?“ Mit allem, was die Herrscherin sagte, hatte Fenrick das Gefühl weniger zu wissen. Was war hier los? Wieso wusste Thuriell mehr als er selbst?
„Du bist überrascht? Lynthriell hat mich eindringlich darum gebeten. Hat sie mit dir nicht darüber gesprochen? Weißt du, woher das Menschenkind kommt?“ Es dauerte einige Augenblicke, bis Fenrick sich wieder gesammelt hatte und die Konzentration auf die eben gestellten Fragen richtete.
„Ich habe sie mit Hilfe des Ringes gefunden, sie hat mich aus ihrer Welt heraus gerufen.“
„Ah ja, eines von Lynthriells legendären Schmuckstücken, selten und mächtig. Aber das heißt, dass der Mensch den anderen, den Zwilling, bereits besessen hat? Wie ist das nur möglich?“ Das war ebenso eine Frage, auf die Fenrick keine Antwort wusste. Ihm wurde klar, dass er so gut wie nichts über Rakna in Erfahrung gebracht hatte. Als Lynthriell ihn um diesen Gefallen bat, hatte er einfach zugesagt, ohne wirklich darüber nachzudenken. Jetzt war es zu spät, er war nicht in der Lage, ihr irgendwelche Fragen zustellen. Ihm kam ein schrecklicher Gedanke und je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm bewusst, wie viel Lynthriell damals bereits gewusst hatte. Also wovon hatte sie noch Kenntnis gehabt, dass sie zwei in ihr Geheimnis einweihte. Und wieso war Rakna für sie so wichtig? Was hat sie in ihr gesehen, was er nicht sah? All das waren Fragen, auf die er Antworten brauchte, doch er war sich nicht sicher, woher er sie bekommen sollte. Zuerst einmal würde er mit Thuriell sprechen und vielleicht wusste Rakna mehr, als sie bisher zugegeben hatte. Ein Anliegen hatte sich jedoch von selbst bereinigt. Nun war klar, warum Lynthriell das Erdvolk als sicheren Ort für Rakna auserwählt hatte. Es war geplant und ausgemacht, dass sie hierher kommen würde.
„Hat sie Euch gesagt, wieso es so wichtig ist, Rakna zu unterrichten? Hat sie irgendetwas erzählt?“, fragte Fenrick verzweifelt, in der Hoffnung irgendeine Erklärung zu bekommen.
„Ich dachte, das wüsstest du? Habt ihr nicht darüber gesprochen, als du den Auftrag angenommen hast?“ Das wurde immer kurioser, fand der Elf und schüttelte nachdenklich seinen prächtigen Kopf. Fenrick war derart in Gedanken verstrickt, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie weit sie bereits gegangen waren. Plötzlich vernahm er laute Stimmen. Das ließ nichts Gutes verheißen. Sie bogen um eine letzte Ecke und würden jeden Moment Rakna erreichen. Mit jedem Schritt wurden die Klänge stärker und als sie endlich zu dem Eingang gelangten, hatte sich eine Traube aus Elfen um Rakna und die Wache gebildet. Fenrick sah, dass der Wachmann verzweifelt versuchte, einen Elf von ihr fernzuhalten. Dieser stürmte aber immer wieder auf ihn zu, um an Rakna heranzukommen. Einige Umstehende forderten ihn auf, sich zu beruhigen. Andere brüllten ihn zur Verstärkung an und wieder Andere standen einfach nur da und beobachteten das Treiben.
„Seid ruhig.“ War die dröhnende Stimme Thuriells zu vernehmen. Mit einem Mal stoben die Elfen auseinander und stellten sich der Reihe nach an den kahlen Steinwänden auf. Nur der Unruhestifter und die Wache blieben in dem Gang aus Elfen stehen und blickten in die Richtung, aus der die Herrscherin gekommen war.
„Was ist hier los?“, fragte sie mit gebieterischer Stimme. Sofort stürzte der impulsive Elf auf sie zu und die Wache hatte endlich einen Augenblick Zeit zum Verschnaufen.
„Ein Menschenscheusal hat sich unter uns gemischt Herrin und dieser Wachmann gibt sie nicht frei.“ Mit drohendem Finger zeigte er auf die erschrockene Rakna und den atemlosen Elfen. Doch Thuriell sah ihn nur abschätzend an und sagte:
„Das hat seine Richtigkeit, Solas.“ Fenrick sah, wie der Mund des Mannes aus der Verankerung sprang und vor Entsetzen aufklappte.
„Was ...? Das ist nicht Euer Ernst, Gebieterin? Wisst Ihr nicht, was ihr Volk uns angetan hat? Habt Ihr vergessen, dass wir wegen ihrer Missgunst hier festsitzen? Wie könnt Ihr so jemanden in unsere Reihen lassen?“
„Das ist mir durchaus bewusst Solas ...“ Unbeeindruckt wandte sie sich von dem bestürzten Elfen ab. Doch als er noch immer keine Ruhe gab, riss ihr der Geduldsfaden.
„Aber Herrin wie könnt Ihr dann ...?“
„Es reicht Solas, du wirst jetzt wieder an die Arbeit gehen. Und kommt mir irgendetwas zu Ohren, dass unser Gast wegen dir Schaden genommen hat, egal ob von deiner Hand oder von der eines Freundes, dann bekommst du ein ernstes Problem. Haben wir uns verstanden?“ Das kurze, schwarze Haar hing dem aufgebrachten Elfen leicht über die weit aufgerissenen Augen. Er war groß und schlank und seine Haut war besonders blass gegenüber der der anderen Elfen. Sein genauso dunkler Kinnbart war fein säuberlich gestutzt. Jetzt war Solas Blick nicht mehr bestürzt oder überrascht. In jenen Augen stand die blanke Wut. Doch er unterdrückte diese Gefühle und verließ, wie ihm geheißen, den Ort des Geschehens. Thuriell wandte sich zum Rest ihres Volkes, welches noch immer reglos an den Wänden Spalier stand, und fragte laut in die Menge:
„Hat sonst noch jemand ein Problem mit meinen Entscheidungen?“ Niemand rührte sich, obgleich sie einverstanden waren oder einfach nur keinen Ärger wollten. Aber Thuriell reichte der Gehorsam und sie fuhr fort, als sei nichts geschehen. Jetzt richtete sie erstmals ihre Worte an Rakna, welche mit erhobener Waffe an einer der hintersten Wände gedrängt stand. Von dort aus hatte sie hilflos zugesehen.
„Sei gegrüßt Rakna von den Menschenkindern, ich heiße Euch im Namen aller ...“, sie ließ eine kurze Pause, um die Umstehenden streng anzusehen, dann sprach sie weiter:
„... hier in unserer Mitte willkommen. Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich Euch gern unter vier Augen sprechen.“ Als Thuriell ihre Worte direkt an Rakna richtete, ließ diese ihre erhobene Waffe zögerlich sinken und schaute fragend zu Fenrick. Er nickte ihr besänftigend zu. Daraufhin steckte Rakna ihr Schwert in die Scheide und marschierte an den immer noch aufgebrachten, aber regungslosen Elfen vorbei. Die Meisten machten ihr Platz, doch einige verharrten stur in ihrer Stellung, sodass sie sich zwischen ihnen hindurchzwängen musste. Es war sofort klar, dass diese Elfen auf Solas Seite standen und nicht erfreut über ihren neuen Gast waren. Als sie Fenrick und Thuriell erreichte, liefen sie gemeinsam tiefer ins Innere des Reiches und in die Halle der Herrscherin.
„Ich gehe davon aus, dass du unter sechs Augen meintest, Thuriell.“, sagte Fenrick mit fragendem Unterton.
„Tust du das? Ich dachte, eigentlich ich hätte mich klar ausgedrückt.“ Strenge lag in ihrer Stimme, doch Fenrick kümmerte das nicht, er kannte sie und er würde sich nicht zurückweisen lassen.
„Ich bin nicht Euer Feind Thuriell. Wäre ich sonst hier? Ich brauche nur Gewissheit, dass Rakna hier in Sicherheit ist.“
Thuriell blieb abrupt stehen, sodass Rakna fast mit ihr zusammenstieß. Sie hatte den beiden Streitenden kaum zugehört. Zu großartig war das, was sie hier erblickte. Der anfängliche schmale Gang war aus gewöhnlichen grauem Stein, so wie sie es aus Bergwerken in ihrem Land kannte. Doch umso weiter sie vordrangen, umso außergewöhnlicher wurde alles. Sie waren durch einen hohen Torbogen aus massivem Gold gegangen und als wäre das nicht schon genug, schloss sich ein größerer Gang mit einem Boden aus schwarzen Marmor an. Glatt und glänzend, dass man sich darin spiegelte. Die Decke verlor sich in einem scharf verlaufenden Bogen, wie ein spitzes Gewölbe. Alle zehn Fuß erhoben sich rechts und links filigran verzierte Säulen, welche sich zur gegenüberliegenden Seite erstreckten. In der Mitte hing ein akkurat geschliffener Bernstein, der aus dem Inneren heraus orange leuchtete und sein Licht an die Wände warf. Sie gingen einige Schritte und jener Gang endete in einem geschwungenen Tor. Zu beiden Seiten standen Wachen. Die Tür war mit einem gusseisernen Riegel verschlossen, welcher sich wie von Zauberhand öffnete, sobald sie näher herantraten. Die Wachmänner verbeugten sich tief vor ihrer Gebieterin, während sie durch das Tor hindurch schritten. Die Halle, die sich dahinter verbarg, war noch größer und schöner. An jeder ihrer Acht Ecken befand sich eine weitere spiralförmige Säule, die mit vielen feinen goldenen Adern durchzogen war. Auch hier sah man eine vollkommen runde Decke. Rakna erkannte keine einzige Ungenauigkeit. Überall standen Elfen, die in grüne, transparente, schimmernde Gewänder gekleidet waren. Darunter trugen sie eng anliegende braune Kleider. Mal Hose und Oberteil, mal mit langen oder kurzen Ärmeln. Auch wunderschöne Kleider und Röcke waren dabei. Aber immer schimmerten sie in bräunlicher Farbe. Manche der weiblichen Elfen trugen aufwendig geflochtene Zöpfe, die mal über den ganzen Kopf verliefen, mal nur im Nacken verflochten wurden oder von der Stirn ausgehend, wie der Kamm eines Hahns, am Hinterkopf endeten. Es herrschte ein buntes Treiben, manche unterhielten sich miteinander, tauschten Dinge aus oder gingen nur ihrer Wege. Überall waren lustige und aufgeregte Stimmen zu hören. Doch als die drei sehr unterschiedlichen Personen den Raum betraten, wurde es plötzlich still. Die Elfen hielten, bei dem, was sie gerade taten, inne und sahen interessiert zu dem kleinen Grüppchen. Rakna wurde es mulmig zu Mute. Immer mehr drang es in ihr Bewusstsein, was für eine Besonderheit es war, dass sie hier unter ihnen wandelte. Sie verstand, dass es von äußerster Großzügigkeit zeugte, was Lynthriell für sie getan hatte, was Fenrick für sie tat oder was Thuriell gerade im Begriff war für sie zu tun. Doch jetzt mischte sich eine leise böse Stimme unter ihre Gedanken. Wieso nehmen sie das für dich auf sich? Niemand bringt sich in Gefahr, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen? Wenn sie wollten, könnten sie diese Leistung jederzeit einfordern. Noch während sie das dachte, fasste Fenrick sie zart an der Schulter, beschwichtigend und schützend zu gleich. Bei dieser sanften Berührung seinerseits, war sie nicht länger in der Lage zu glauben, dass er etwas Böses im Schilde führte. Sie sah keine Hinterlist in seinen Augen oder straff gespannte Muskeln, die auf gezwungene Mimik hinwiesen. Nein, sie hatte sich schon dazu entschlossen ihm zu folgen, es gab keinen sinnvollen Grund jetzt damit aufzuhören. Er hatte sie gerettet, er brachte sie hier her und er setzte sich immer noch für sie ein. Er war ihr Fels in der Brandung und wo er hinging, dahin würde sie ihm folgen. Der Gedanke ein Ziel, einen Sinn in ihrem Leben zu haben, ermutigte sie und baute sie auf. Fenrick, der noch immer seine Hand auf ihrer Schulter hatte, bemerkte ihre Veränderung. Verwundert sah er sie an, dann lächelte er ebenfalls und gemeinsam durchschritten sie die Tür, die in die Räumlichkeiten Thuriells führte.