Читать книгу Rakna - Josephine Becker - Страница 4
Prolog
ОглавлениеDer Tag neigte sich dem Ende, als ein finster dreinblickender Mann eilig seine letzten Geschäfte abwickelte. Die Menschen dieses Dorfes, welches direkt an einem großen See errichtet worden war, bereiteten sich auf die laue Sommernacht vor. Viele trafen, bei den verbleibenden Strahlen der Abendsonne, alle nötigen Sicherheitsvorkehrungen für den dunklen Tagesabschnitt. Denn Sicherheit stand hier an oberster Stelle. Die Menschen, die am Rande des Waldes wohnten, verriegelten ihre Häuser sogar mehrfach, da von dort einst das Übel gekommen war. Genau an diesem Ort lebte der Mann namens Burk, welcher sich nun schnellen Schrittes dorthin aufmachte. Er wohnte zusammen mit seiner kleinen Tochter in der alten Langhütte. Sie hatte kaum zehn Winter durchgemacht, doch war schon jetzt mutig wie fünf Männer. Er liebte diese Wesensart an ihr. Aber genau jene Eigenschaft, übermäßig mutig zu sein, erschwerte ihm sein Leben oftmals. Es war damals ohnehin kompliziert für ihn gewesen, eine Erklärung für den plötzlichen Tod seiner Frau zu finden. Die Menschen des Dorfes hatten ihm lange Zeit nicht geglaubt, aber es war ihm in den letzten Jahren gelungen, sich eine gleichrangige Position unter den Leuten zu erarbeiten. Es war hart und die Bewohner tauschten ihre Ernte nicht so reichlich mit ihm, wie mit Anderen, aber es bewahrte sie vor dem Hungertod. Das gesamte Dorf war gläubig und den Sternengöttern wurden regelmäßig Feste und Opfergaben dargebracht. Jedem einzelnen Sternbild, zu jener Zeit, wenn es am höchsten am Himmel stand. Oft hatte er zu den Göttern gebetet, ihm einen Aufschub zu gewähren und Nahrung und ein warmes zu Hause zu senden. Aber nachdem ihre Situation jedes Mal nur noch unerträglicher wurde, hatte Burk den Glauben an sie verloren. Seine Tochter wusste von all den Schwierigkeiten nichts und nach einem weiteren Geschäft mit dem Dorfältesten, war es den Menschen, die in den unzähligen Langhäusern lebten, verboten worden, das Kind darauf anzusprechen. Ihr Oberhaupt war ein gescheiter Mann, auch wenn er die Angewohnheit besaß, sich vom Hauptmann vorschnell fehlleiten zu lassen. Burk war der Meinung, und dies dachte er erneut grimmig, dass Farghas ohne den Anführer der Wache besser dran wäre. Natürlich war es dienlich, dass man in seiner Position unnachgiebig und bedrohlich wirkte, doch der Hauptmann übertrieb es ein wenig damit. Als vor einigen Jahren das Schwert des Oberhauptes verschwunden war und es bei dem Sohn der Kräuterfrau gefunden wurde, stimmte er dafür, das Kind zu verstoßen. Es war so alt gewesen, wie Burks Tochter jetzt. Der Junge war dem Verlangen nachgegangen, die Klinge einmal in den Händen zu halten und beging damit den schweren Fehler. Noch heute erinnerte sich Burk an die mit Tränen gefüllten Augen des Kindes und wie er erzählt hatte, wie hell das Metall in der Sonne glänzte. Nur deshalb habe er es an sich genommen. Damals hatte Farghas den Hauptmann abgewiesen und ein faires Urteil gefällt. Burk empfand die Strafe des Ältesten sogar als lehrreich, denn der Junge war von nun an verpflichtet, das Schwert zu bewachen, damit so etwas nicht noch einmal geschah. Bis heute trat der Bursche von damals, jeden Tag die Wache an, obwohl er jetzt ein Erwachsener war. Seither war er nie wieder in krumme Machenschaften verwickelt worden.
Abrupt hielt Burk in seinem schnellen Marsch inne. Etwas hatte ihn aus der Erinnerung gerissen. Ein schriller Frauenschrei durchbrach die Stille. Erschrocken fuhr er herum. Der Aufschrei war direkt aus dem offenen Fenster des Langhauses gekommen, vor dem Burk jetzt stand. Einen Moment verharrte er und seine Gedanken rasten, während er überlegte, ob es klug war, einzuschreiten. Auch Andere warfen neugierige Blicke in die Richtung, aus welcher der Lärm kam. Als ein zweiter noch markerschütternder Jammerlaut erklang, fühlte sich Burk gezwungen, nach dem Ursprung des Geschreis zu sehen. Die Laute kamen aus dem Langhaus, in dem die Familie Eisenfuß lebte. Ihre älteste Tochter war im selben Jahr wie seine eigene geboren worden und sie spielten oft zusammen. Burk klopfte drei Mal an die Tür, als sich eine barsche Männerstimme unter die Rufe mischte.
„Sei endlich still oder du bringst uns ins Grab.“, schrie Peadair, doch wen er damit meinte, wusste Burk nicht. Die Tür wurde aufgerissen und ein kreidebleicher Mann sah ihn an. Als er Burk erblickte, schien sich seine Anspannung merklich zu verringern.
„Du bist es! Um ehrlich zu sein, ist das heute nicht der richtige Tag für einen Besuch.“ Ohne die Worte abzuwarten, trat Burk ein und schloss die Tür hinter sich.
„Was ist hier los Peadair? Die Leute denken, bei euch wird ein Schwein geschlachtet. Sie sind schon ganz unruhig.“
„Es ist meine Gattin, irgendetwas stimmt nicht.“ Alarmglocken schellten in Burks Kopf. Peadairs Frau Maidread war schwanger. War etwas mit dem Kind?
„Ist was mit dem Baby? Währe es besser, wenn ich Slaine hole? Sie hat schon vielen Säuglingen bei der Geburt geholfen!“
„Nein, das ist nicht das Problem. Komm und sieh selbst!“ Peadair führte ihn mit zitternden Knien in das Schlafgemach. Dort lag Maidread mit ihrem Neugeborenen auf dem Arm. Als sie die Kammer betraten, ertönte von Neuem das Geschrei.
„Lasst mein Baby! Verschwindet! Ich lasse nicht zu, dass ihr unserem Kind etwas antut!“ Sie hatte die Bettdecke über das Neugeborene gezogen und es war nur noch ihr angstverzerrtes Gesicht zu sehen. Peadair verfiel bei diesem Anblick in Rage und schrie nun aus Leibeskräften. So hatte Burk seinen alten Freund noch nie erlebt.
„Wir dürfen es nicht behalten! Es ist nicht lebensfähig. Es wird niemals akzeptiert.“ Diese Worte aus dem Mund von ihm zu hören, war erschreckend. Peadairs Nachwuchs war sein ganzer Stolz und er hatte sich so auf die Geburt ihres dritten Kindes gefreut. Doch jetzt war er nur noch ein Nervenbündel, das herum schrie und wild mit den Armen fuchtelte.
„Zeigt es mir! Zeig mir dein Baby.“ Sagte Burk, doch sein Freund wurde bei diesen Worten zornig. Aber Maidread beruhigte sich etwas. Als Burk näher an das Bett herantrat, erwartete er schon das Schlimmste. Er stellte sich ein verkrüppeltes Kind vor, mit einem Arm, mit vollkommen verzerrtem Kopf oder Gliedmaßen. Aber als sie die Bettdecke hob, um es ihm zu zeigen, war er überrascht. Das kleine Mädchen, welches sie in den Händen hielt, war hübsch. Es hatte gesunde Arme und Beine und einen normal geformten Körper. Nur ihr Haar war anders. Der dicke, kurze Flaum, war vollkommen weiß.
„Wir haben eine alte Frau geboren! Sie ist eine Missgeburt. Sie kann nicht bleiben!“, schrie Peadair erneut. Er hatte endgültig die Fassung verloren. Sein Blick war wahnsinnig und er raufte sich dicke Büschel blonden Haares heraus. Seine Verzweiflung ließ er an dem Schrank aus und schlug auf ihn ein, bis seine Hände blutigrot wurden. Burk zog ihn nach draußen in den Flur, doch sein Freund wehrte sich heftig. Als Peadair sich nicht beruhigte, verpasste Burk ihm eine saftige Ohrfeige. Für einen Moment war Peadair zu perplex, als dass er in der Lage war, zu reagieren. Er war gebändigt. Burk nutzte den kurzen Augenblick um sorgsame Worte an seinen Freund zu richten.
„Hör zu! Auch wenn es anders aussieht, so ist es dennoch dein Kind. Du bist der Vater! Falls du nicht kühlen Kopf bewahrst, wird diese Familie zu Grunde gehen. Sicher hast du recht damit, dass es nicht akzeptiert werden wird. Deshalb ist es deine Aufgabe, es irgendwie zu ermöglichen. Reiß dich zusammen.“ Peadair sah Burk fassungslos an. Dann senkte er den Blick demütig. Er schien sein Schicksal zu akzeptieren.
„Ich bin mir nicht einmal sicher, ob das Kind von mir ist!“, sagte er und ließ den Kopf hängen. Es war nicht undenkbar, aber letztendlich kam es nicht darauf an.
„Selbst wenn es das nicht ist, wird es zu dem werden, mit jedem Tag, an dem es sich in deiner Gegenwart aufhält! Los jetzt, geh zu Maidread!“ Burk wandte sich ab, um die Familie zu verlassen. Als er die Eingangstür hinter sich schloss, wurde er von jemandem unangenehm überrascht.
„Kein Wunder, dass ich Euch hier antreffe! Was ist hier los?“, fragte eine scharfe Stimme. Es war der Hauptmann. Er war der Letzte, den er jetzt zu sehen beliebte.
„Maidread ist krank. Sie fühlt sich nicht wohl. Ich war gerade auf dem Weg zur Kräuterfrau, um Hilfe zu holen!“, antwortete Burk. Er wollte weitergehen, aber der Hauptmann hielt ihn zurück.
„Sie ist krank? Was ist mit ihr?“, fragte er mit zusammengekniffenen Augenbrauen. Eine seltsame Aura der Nervosität umgab ihn. Wusste er vielleicht etwas?
„Sie hat eine Wochenbettdepression!“, schwindelte Burk, ohne richtig darüber nachzudenken, was er da von sich gab. Er musste ihn unbedingt davon abhalten, in dem Langhaus der Eisenfuß herumzuschnüffeln.
„Eine Wochenbettdepression? Ich sollte nach dem Rechten sehen!“, antwortete der Hauptmann überraschend besorgt für seine sonst so harte Art.
„Nein!“, warf Burk etwas zu laut ein, doch der Hauptmann schien es nicht merkwürdig zu finden, als er hinzufügte:
„Sie reagiert nervös auf Männer. Deshalb hole ich die Kräuterfrau. Sie kann sicher zu ihr durchdringen.“ Wieder sah der Hauptmann ihn skeptisch an, doch dann glätteten sich seine Gesichtszüge.
„Nun gut, ich werde Slaine holen. Ihr solltet jetzt Euren eigenen Geschäften nachgehen Burk, das ist ein Befehl!“ Widerwillig nickte Burk und begab sich auf den Heimweg. Er hoffte zutiefst, dass die Kräuterfrau kühlen Kopf bewahrte und den Hauptmann nicht mit ins Haus nahm. Sie war eine kluge Frau. Außerdem hasste sie den Anführer der Wache, nach dem, was er ihrem Sohn antun wollte. Doch irgendwann würden die Leute erfahren, was mit der jüngsten Tochter der Familie Eisenfuß nicht stimmte. Hoffentlich hatte sich Peadair bis dahin einen guten Plan einfallen lassen. Jetzt drängte sich seine eigene Tochter in sein Bewusstsein und er bereute es, sich eingemischt zu haben. Wieder war er in seltsame Geschehnisse verwickelt, die keiner zu erklären vermochte. Das würde ein ungutes Licht auf seine ohnehin nur geduldete Familie werfen. Zu allem Übel war das älteste Kind der Eisenfuß-Familie, die beste Freundin von Burks Mädchen. Warum war ausgerechnet sie mit seiner Tochter befreundet? Dabei hatte er die letzten Jahre nur daraufhin gearbeitet die Schmach, die auf ihrer Familie lag, endgültig auszumerzen. Er würde es nicht zulassen, dass dies irgendjemand wieder zerstörte. Vor allem durfte seine Tochter nichts von dem Geheimnis ihrer Mutter erfahren! Niemals!