Читать книгу Das Phantom der Kate Summer - Josephine Katharina Groß - Страница 12
ОглавлениеDas Geheimnis der Familie Summer
Seit einigen Monaten lebte die Familie Summer nun wieder in London. Nach dem Tod von Mr Summer vergangenen Frühling hatte die Familie etwas Zeit für sich gebraucht und war aufs Land gezogen. Doch eines heiteren Morgens, als die vor kurzem fünfzehn gewordene Faye Summer sich mit ihren Freunden am Teich zu einem Picknick verabredet hatte und ihre Zwillingsschwester Elizabeth sich mal wieder mit einem guten Buch auf den Dachstuhl zurückziehen wollte, hatte ihre Mutter, Katherine Summer, alles Nötige zusammengepackt und hatte die Schwestern mit zurück in ihr Stadthaus in London genommen.
Faye hatte ihr noch immer nicht ganz verziehen, dass sie sich nicht einmal auf anständige Weise von ihren Freunden hatte verabschieden können, und auch Elizabeth, welche von den meisten ihrer Mitmenschen Lizzy genannt wurde, vermisste die idyllische Atmosphäre auf dem Land. Doch Katherine versicherte ihren Töchtern, dass sie bald mit anderen Dingen beschäftigt sein würden und sich dann wieder ganz wie zu Hause fühlen könnten.
Bevor Katherine vor einigen Jahren ihren geliebten Jonathan kennengelernt hatte, war sie auf dem Weg gewesen, eine große Balletttänzerin zu werden. Er hatte sie immer liebevoll Kate, seine kleine Ballerina genannt. Doch wie es das Schicksal wollte, machte ihr die Liebe einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Bald schon wurde sie schwanger und Kindeserziehung trat an die Stelle von Ballettschuhen und Tutus.
Da es nun für sie zu spät war, war es ihr sehnlichster Wunsch, dass ihre Töchter schon bald eine große Ballettkarriere vor sich hätten, denn beide besaßen ihre Stärken, die für sie sprachen.
Während Faye das Publikum mit ihrem Temperament und ihrer Leidenschaft in ihren Bann ziehen konnte wie keine Zweite ihres Alters, war Elizabeth in der Technik und Ausführung geradezu perfekt und hatte einen enormen Ehrgeiz, alles zu erreichen, was sie sich in den Kopf setzte.
Irgendwie musste es Katherine gelingen, die Stärken ihrer Töchter zu vereinen. Denn an der Spitze war bekanntlich nur ein Platz frei und keine ihrer Töchter sollte im Schatten der anderen stehen. So kam sie zu dem Schluss, nur eine Tochter an die Royal Ballet School in London zu schicken. Und diese wurde Kate Summer genannt.
Katherine war bewusst, dass ihre Töchter zusammen alles erreichen konnten, was sie sich für sich selbst immer gewünscht hatte. Und da sich die beiden wie ein Ei dem anderen glichen, entwickelte sie gemeinsam mit ihrer langjährigen Freundin und Vertrauten Miranda Brooks einen Plan.
Miranda Brooks war die Leiterin der Royal Ballet School und dafür bekannt, dass sie vielversprechende Talente auf den rechten Weg brachte und ihnen meist zu einer großen Karriere verhalf.
Auch Katherine selbst besaß noch immer außergewöhnliche Fertigkeiten im klassischen Ballett und hatte sich auch bereits als Lehrerin versucht.
So beschlossen die beiden, sich mit den Mädchen abzuwechseln. Einen Tag ging Elizabeth zur professionellen Ballettschule, während Faye ihren Unterricht zu Hause erhielt; am nächsten Tag wurde getauscht. Beide sollten von nun an das Leben der Kate Summer leben.
Mit trüber Miene saß ein zierliches – für sein Alter doch sehr kleines – Mädchen mit blonden Locken auf einem klassischen roten Sofa, das in der Ecke eines Erkers stand und blickte durch die alten, schmutzigen Fenster nach draußen auf die Straße. Der Morgenverkehr hatte gerade begonnen und zahlreiche Autos fuhren durch die grauen Pfützen. Mit ihren roten Lackschühchen tippte das Mädchen im Rhythmus der in die Regenrinne herabfallenden Tropfen auf den alten Dielenboden. Die Straße war voller Getümmel und die Abgase der ganzen Autos ließen die Luft grau und kalt wirken, was von den dunklen Regenwolken am Himmel nur noch verstärkt wurde.
Ganz anders als auf dem Land, dachte sich das Mädchen und überlegte sich, was es jetzt wohl machen würde, wenn seine Mutter es nicht wie aus heiterem Himmel hierher verschleppt hätte. Vielleicht wäre es jetzt gerade mit seinen Freunden auf Charlies Heuboden oder würde mit den Katzen in Emmas Gewürzladen spielen und etliche Süßigkeiten naschen.
Doch so schön diese Zeit auch gewesen sein mochte, sollte sie nun ein Ende haben. Stattdessen war sie wieder hier in London, obwohl das Stadtleben ihr doch eigentlich gar nicht guttat. Als sie noch sehr klein gewesen war, hatte ihr der Arzt sogar einmal verschrieben, eine Auszeit auf dem Land zu nehmen, da dort ein besseres Klima herrschte.
Nun sah das Mädchen unter den vielen Leuten da unten eine Frau in einem langen, schwarzen Regenmantel. Ihre kastanienbraunen Haare trug sie in einem legeren, tiefen Dutt und einzelne Strähnen, die sich durch den tosenden Wind, der draußen tobte, aus ihrer Frisur gelöst hatten, fielen in ihr blasses Gesicht. Vor der Haustür, unmittelbar unter den Erkerfenstern versteckt, hielt sie schließlich an, klappte ihren Regenschirm zusammen und schloss auf. Gleich darauf hörte das Mädchen auch schon die Haushälterin Betty, wie sie – zuvorkommend wie sie war – der Madame ihren Mantel abnahm und ihr einen heißen Tee anbot.
»Es geht doch nichts über eine gute Tasse Tee bei diesem grausigen Wetter!«
Doch die Frau verneinte und eilte schnellen Schrittes die alte, hölzerne Treppe hinauf.
»Faye, mein Schatz, bist du schon auf?«, hörte das Mädchen ihre Stimme aus dem Treppenhaus rufen. Doch es antwortete nicht, da es doch immer noch etwas wütend war, von dieser Frau hierher verschleppt worden zu sein. Kurz darauf klopfte es an der hohen, weißen Tür, welche zum Kinderzimmer führte. Langsam öffnete sie sich; erst einen Spalt und schließlich ganz.
»Warum antwortest du nicht, Liebes?«, fragte die Frau. Doch das Mädchen wandte den Blick nicht vom Fenster ab. Langsam trat die Frau auf ihre Tochter zu, setzte sich auf das Sofa und nahm sie liebevoll in den Arm.
Während Faye weiterhin schweigend protestierte und ihre Mutter damit zum Verzweifeln brachte, stand ihre Zwillingsschwester in einem geräumigen, alten Ballettsaal. Der glänzende Boden reflektierte die Sonnenstrahlen, welche sich golden durch die dicken Wolken und die großen, goldbesetzen Fenster bargen, und blendete sie in ihren strahlend blauen Augen. Die gegenüberliegende Wand der Fensterfront bestand aus mehreren hohen Spiegeln, in welchen sich nun dreizehn fünfzehnjährige Mädchen in verschiedenfarbigen Trikots spiegelten. Mehrere kleine Gruppen hatten sich gebildet.
Die meisten sammelten sich jedoch um ein Mädchen namens Georgiana Fitzgerald.
Sie war ein hübsches, wenn nicht sogar außergewöhnlich schönes Mädchen mit kastanienbraunem Haar und veilchenblauen Augen. Sie trug ein dunkelblaues Trikot, welches an einigen Stellen mit Glitzersteinchen besetzt war und eine zur Zierde eine kleine blaue Blume neben ihrem ordentlich gesteckten Dutt.
Abseits der Gruppen stand Elizabeth in dem hellblauen Trikot, das ihr noch etwas zu groß war, da es ihrer Mutter gehört hatte, als diese zwei Jahre älter gewesen war als Lizzy jetzt.
Dann traten zwei Frauen in den Saal und die Mädchen hörten mit einem Mal auf zu quatschen. Die eine der beiden Frauen war ziemlich klein und pummelig, trug eine gigantische Brille und einen bunten Stoffmantel. Die andere war etwas größer gewachsen, hatte eine extrem schlanke, knochige Figur und einen strengen Dutt aus dunklem, leicht ergrautem Haar.
Während Erstere sich mit einem breiten Lächeln auf ihrem runden Gesicht hinter einen schwarzen Flügel setzte, begrüßte Letztere die Kinder.
»Guten Morgen, Ms Brooks«, antworteten diese im Chor und warteten gespannt, was ihre Lehrerin ihnen zu sagen hatte.
»Wie Ihr vielleicht mitbekommen habt, haben wir ab heute eine neue Schülerin. Ihr Name ist Kate Summer und sie wohnt seit Kurzem wieder hier in London. Ich hoffe, ihr behandelt sie wie jede andere von euch mit Respekt, sodass es zu keinerlei Streitigkeiten kommt.« Bei dem letzten Satz war ihr Blick insbesondere auf Georgiana gerichtet, welche sich allerdings nichts anmerken ließ.
Als Lizzy nach ihrem ersten Schultag nach Hause kam, wurde sie von ihrer Zwillingsschwester Faye bereits gespannt in ihrem gemeinsamen Zimmer erwartet. Äußerlich versuchte Faye, gelassen und uninteressiert zu wirken, da sie sich geschworen hatte, sich nicht so schnell weichklopfen zu lassen, was die Sache mit der staatlichen Ballettschule anging. Sie wollte tanzen, um glücklich zu sein und ihre Gefühle auszudrücken. Mit strengen Autoritätspersonen, wie die Schulleitung Ms Brooks eine sein sollte, hatte sie allerdings so ihre Probleme.
Innerlich war sie dennoch gespannt, was ihre Schwester zu erzählen hatte und konnte es ehrlich gesagt kaum abwarten, endlich alles berichtet zu bekommen.
»Und?«, fragte Faye betont gleichgültig, als Lizzy das Zimmer betrat.
»Was und?«, fragte Lizzy, um ihre Schwester zu necken, und räumte ihre Ballettsachen in eine Kommode neben ihrem Bett.
»Du weißt genau, was ich meine«, entgegnete Faye etwas gereizt. »Wie war die Schule? Was habt ihr gemacht? Sind da einigermaßen interessante Leute, mit denen ich mich verstehen könnte? Erzähl schon.«
»Der Unterricht war sehr anstrengend. Ms Brooks ist eine wirklich gute Lehrerin«, sagte Lizzy und setzte sich an ihren Schminktisch, um ihre blonden Locken aus ihrem ordentlich gesteckten Dutt zu befreien.
»Hab ich dich nach der Lehrerin gefragt?«, entgegnete Faye und ließ sich auf ihr Bett fallen. »Erzähl mir von den anderen Mädchen! Bitte sag nicht, dass das alles nur eingebildete Zicken sind, das könnte ich nicht ertragen.«
»Nicht alle«, sagte Lizzy gemächlich, während sie eine Spange aus ihren Haaren friemelte.
»Das heißt?«, hakte Faye nach. Sie verlor langsam die Geduld, was Lizzy wirklich zu genießen schien. Endlich konnte sie ihre Schwester mal an der langen Leine zappeln lassen. Doch mitfühlend, wie sie von Natur aus war, wollte sie dann doch nicht so hart zu ihr sein und fuhr fort.
»Es gibt mindestens zwei. Georgiana Fitzgerald und Lucinda Backford. Georgiana scheint so eine Art Anführerin von einer Clique zu sein und Lucinda ist ihr Schoßhündchen, das ihr auf Schritt und Tritt folgt.«
»Na das kann ja heiter werden«, meinte Faye und vergrub ihr Gesicht theatralisch unter einem Kissen. »Eine in deinen Augen wirklich gute Lehrerin, was bedeutet, dass sie autoritär und streng unterrichtet, und eine Clique aus eingebildeten Zicken. Also kann ich mich wohl auf ein wahres Schlangennest gefasst machen.«
Damit war das Gespräch vorerst beendet.
Luke war immer noch außer sich. Eben hatte er diese kleinen Ballerinen noch mit all seiner Kraft verachtet und plötzlich war dieser Hass wie weggeschmolzen. Immer wieder ging es ihm durch den Kopf: Kate Summer, Kate Summer, Kate Summer. Das hübscheste Mädchen, das er je zu Gesicht bekommen hatte. Und nun würde sie jeden Tag hier in die Ballettschule kommen. Ob sie ihn wohl auch bemerkt hatte? Sie war immerhin rot geworden, das hatte er genau gesehen! Luke spürte, wie sich die Hoffnung in seinem Inneren auftürmte. Morgen wollte er sie ansprechen und schauen, wie sie reagierte. Vorfreude, Kate wiederzusehen und Angst, dass sie ihn nicht mögen würde, plagten Luke den ganzen Tag, bis hin zum nächsten Morgen.
Nicht nur Luke wurde die Nacht über durch seine Gedanken wachgehalten. Auch die Zwillinge Faye und Lizzy machten sich Sorgen, was die nächsten Tage für sie bereithalten würden. Über allem lag die Befürchtung, dass ihr Geheimnis auffliegen könnte und sie als Betrügerinnen dastehen würden.
Besonders Lizzy hatte Angst, dass den anderen Mädchen auffallen würde, dass Kate von heute auf morgen viel selbstbewusster und offener werden und den darauffolgenden Tag wieder das kleine, schüchterne Mädchen von nebenan sein würde.
Faye hatte andere Sorgen. Sie vermisste ihre Freunde auf dem Land und ihre Aktivitäten, denen sie dort nachgegangen war. Sie konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass das alles auf einmal ein Ende hatte und von nun an das Ballett ihr ganzes Leben ausfüllen sollte, war es doch bislang nur eine Art Hobby für sie gewesen.
Bei Lizzy war das anders. Sie hatte sich schon als kleines Mädchen alte Tanzvideos von ihrer Mutter angesehen. Katherine war immer ihr großes Vorbild gewesen, und Lizzy war dankbar, so eine einzigartige Chance zu bekommen, an der Royal Ballet School unterrichtet werden zu können. Nichts wünschte sie sich im Leben mehr, als eine klassische Balletttänzerin zu werden. Und sie war bereit, hart dafür zu trainieren und zu kämpfen, um sich ihren Traum zu erfüllen.