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Nicht jede Mutter ist ein Engel

London 1989

Katherine rannte und rannte. Sie durfte sich nicht verspäten, es war von mordsmäßiger Dringlichkeit, dass sie heute einmal nicht zu spät war. Es handelte sich aber nicht ums Training oder um eine Aufführung. Das, was sie tun musste, hatte ausnahmsweise rein gar nichts mit Ballett zu tun. Es war eine ganz private Angelegenheit und sie wusste, dass sie mindestens zwei Menschen mit ihrem Handeln glücklich machen konnte.

Doch gleichzeitig plagten sie auch Gewissensbisse. Sie hatte Miranda versprochen, nichts zu sagen. Aber wer hätte denn gedacht, dass sie so handeln würde? Wäre Katherine an ihrer Stelle, sie hätte alles anders gemacht! Wie konnte man nur so hart und herzlos sein?

Obwohl sie inzwischen seit Jahren befreundet waren, war ihr Miranda doch immer wie eine Fremde vorgekommen. Nie hatte sie ihr ihre Gefühle freiwillig offenbart, noch war es Katherine gelungen, sie anhand ihrer Mimik oder Gestik zu erahnen. Aber was ihre Freundin nun vorhatte, brachte das Fass endgültig zum überlaufen. Hatte sie denn überhaupt keine Gefühle?, fragte sich Katherine nicht zum ersten Mal, während sie durch den Hyde Park rannte. Sie hätte es ja noch verstanden, würde sie aus finanzieller Not so handeln, doch Katherine war sich sicher, dass Geld in diesem Fall einmal nicht das Problem war.

Endlich sah sie die Jungs. Sie hatten sich wie jeden Dienstagnachmittag im Park getroffen. Der Dienstag gehörte ihnen allein. Keine Frauen gestattet. Dies war auch der Grund dafür, dass die vier sie nun kritisch musterten, als Katherine auf sie zugelaufen kam.

Jonathan war der Erste, der sich regte.

»Was ist denn los, Kate?«, fragte er, während er ihr entgegenlief. Doch Katherine hatte keine Zeit für große Erklärungen.

»Muss mit Jamie reden«, hechelte sie ganz aus der Puste und lief an ihrem Verlobten vorbei, schnurstracks auf die verbliebenen drei jungen Männer zu.

»Jamie!«, rief sie nach Luft ringend.

»Was ist denn los, Kitty?«, erkundigte sich Henry, während James mit besorgtem Blick aufstand und auf Katherine zukam. Diese ignorierte Henry, welcher erst seit Kurzem zu ihrem Freundeskreis gehörte, packte James am Arm und zog ihn um die nächste Ecke.

»Jamie, du musst unbedingt mit mir mitkommen!«

»Beruhig dich erst mal, Kate, und dann erzähl mir, was los ist«, sagte James mit seiner sanften, tiefen Stimme.

»Dafür ist keine Zeit. Wir müssen los. Jetzt!«, sprach Katherine nun klar und deutlich und zog ihn weiter mit sich in Richtung U-Bahn.

James konnte kaum fassen, was Katherine ihm auf dem Weg zum Grenforce Waisenhaus erzählt hatte. Wie hatte Miranda ihm verheimlichen können, dass sie ein Kind erwartete? Dass sie ihr gemeinsames Kind erwartete?! Er würde Vater werden. Seine kaltblütige Freundin Miranda hätte ihm kein schöneres Geschenk machen können als einen kleinen Sohn oder eine Tochter, die er verwöhnen und liebevoll großziehen könnte. Aber warum um alles in der Welt hatte sie es ihm verschwiegen? Sie hatte ihm wirklich verheimlichen wollen, dass er ein Kind bekommen würde.

Es lag einige Wochen zurück, da hatten sie einen heftigen Streit gehabt, der ihre Beziehung zerstört hatte. In diesem Streit war es um genau jenes Thema gegangen. James wünschte sich Kinder, eine Hochzeit, ein Heim, eine perfekte kleine Familie. Doch Miranda hatte nichts davon hören wollen. Sie lebte nur für das Ballett. Das hatte James an diesem schrecklichen Abend verstanden. Alles was in ihrem Leben zählte, war der Erfolg. Sie wollte Solotänzerin werden, vom Publikum bejubelt werden, auf Tourneen durch ganz England oder durch andere Länder gehen und dabei so wenig feste Bindungen wie möglich eingehen, die sie von ihrem Ziel abbrachten. Wahrscheinlich hatte sie ihn nie wirklich geliebt. Hatte sich nie für die Dinge interessiert, die er ihr erzählte oder überhaupt für irgendetwas an ihm und an seiner Person. Er war eben da gewesen. Der Zufall hatte es gewollt, dass sie beide sich vor Jahren beim Ballettunterricht kennengelernt hatten. Und auch er war Tänzer am Royal Ballet geworden. Ein Kollege, der womöglich denselben Traum verfolgte, wie sie selbst. Doch da hatte sie sich getäuscht, denn James war nie hinter der großen Karriere als Solotänzer her gewesen, obwohl er eindeutig das Talent dafür besäßen hätte. Nicht zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass Miranda sich ihm nur aufgrund seiner Fähigkeiten hingegeben hatte. Langsam konnte er wirklich nicht mehr verstehen, was er je an ihr gefunden hatte. Konnte nicht verstehen, wie er sie jemals hatte lieben können. Aber wie er jetzt herausgefunden hatte, hatte es doch etwas Gutes gehabt, sich auf sie einzulassen. Obwohl Miranda ihm eben dieses Glück wieder einmal verwehren wollte.

Plötzlich bemerkte er, wie Katherine, welche neben ihm in einem kleinen Warteraum saß, zusammenzuckte. Er wollte sie gerade fragen, was los sei, als er den Grund auch schon selbst erkannte, beziehungsweise hörte. Mirandas Stimme war klar und deutlich vor der Tür zu hören und näherte sich gleichzeitig mit ihren gleichmäßigen Schritten auf dem alten Parkett.

Als sich die Tür öffnete und Miranda ihre beste Freundin und ihren Ex erblickte, verdüsterte sich ihre Miene schlagartig.

»Katherine …«, atmete sie aus und warf ihr einen düsteren Blick zu. »Du sagtest doch …«

»Ich weiß, was ich gesagt habe, Miranda!«, unterbrach sie Katherine, welche den Tränen nahe schien. »Ich weiß, was ich dir versprochen habe, aber ich konnte einfach nicht anders! Ich musste James von deinem Vorhaben berichten.«

»Ach, musstest du das?«, sagte Miranda mit einem verächtlichen Unterton in der Stimme.

»Kate hat nichts falsch gemacht, Miranda«, meldete sich nun James zu Wort. »Ich hatte immer gedacht, du seist der vernünftigste Mensch, den ich kenne. Aber was du jetzt vorhast, ist alles andere als vernünftig. Mich so eiskalt zu hintergehen, Miranda, das hätte ich nicht einmal dir zugetraut.«

»Und ob es die richtige Entscheidung war!« Miranda fiel es anscheinend schwer, ihre sonst so kühle Maskerade aufrecht zu erhalten. »Ich habe getan, was ich tun musste. Nicht nur für mein Wohl, sondern auch für das deine, James! Wir müssen uns beide auf unsere Karrieren konzentrieren, da hätten wir ohnehin keine Zeit für ein Kind.«

»Miranda, das hatten wir doch schon mal«, fuhr James nun mit beruhigender Stimme fort. »Ich bin nicht wie du. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als eine Familie. Und nachdem ich schon dich verloren habe, willst du mir nun auch noch mein Kind verwehren? Willst es in einem Waisenhaus aufwachsen lassen? Wie kannst du nur so herzlos sein, Miranda, es ist doch auch dein Kind! Dein eigen Fleisch und Blut.«

»Oh James. Gib dir doch keine Mühe, mein Herz zu erweichen. Es ist sinnlos, denn ich werde jede Hürde, die sich zwischen mich und meinen Traum stellt, aus dem Weg schaffen. Ganz gleich, welche Verluste ich damit deiner Meinung nach riskiere. Du kannst froh sein, dass ich das Ding nicht auf andere Weise entfernen lassen konnte. Es war leider schon zu spät, als mir bewusst wurde, was ich da in mir hatte. Schlimm genug, dass ich jetzt die nächsten Monate nicht so hart trainieren kann, wie ich es normalerweise tun würde. Geschweige denn an Aufführungen teilzunehmen! Wer will denn auch schon eine Ballerina mit Babybauch sehen?«

James hatte es die Sprache verschlagen. Miranda hatte also tatsächlich vorgehabt, sein Baby einfach abzutreiben, ohne ihm je davon zu erzählen.

»Verschwinde!«, schrie er nach einer Weile und Miranda konnte nicht verhindern, dass sie zusammenzuckte. »Ich will dich nie wiedersehen, Miranda! Wehe dir, du trittst mir noch einmal absichtlich unter die Augen!«

Mitfühlend legte Katherine ihm eine Hand auf die Schulter.

»Nun, Katherine, da siehst du ja, was du angerichtet hast«, sagte Miranda nur und verließ das Waisenhaus. Jedoch nicht, ohne James vorher noch einen letzten, verächtlichen Blick über ihre knochige Schulter zuzuwerfen.

Dieser ließ sich, wie ein Luftballon, aus dem auf einmal alle Luft gewichen war, zurück auf das Sofa fallen und begann zu schluchzen. Beinahe wäre sein Kind gestorben, noch ehe es das Licht der Welt erblickt hätte. Nur der glückliche Zufall, dass Miranda bis zuletzt nicht einsehen wollte, dass sie womöglich schwanger war, hatte das Leben seines Sohnes oder seiner Tochter gerettet.

»Hey«, sagte Katherine mit ihrer sanften Stimme und fuhr ihm durch sein zerzaustes, rotes Haar. »Wir kriegen das schon hin. Du weißt doch, ich kenne da ein paar wirklich fantastische Anwälte, die dir sicher helfen werden. Du bekommst dein Baby, Jamie, das verspreche ich dir.«

Oh, wie sehr er hoffte, dass sie recht behalten würde. Er hatte sein Kind schon fast verloren. Nun wollte er es unter allen Umständen zu sich nehmen.

Er würde Vater werden.

Das Phantom der Kate Summer

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