Читать книгу Das Phantom der Kate Summer - Josephine Katharina Groß - Страница 25
ОглавлениеZwei schicksalhafte Momente
London 2006
»Du warst großartig!«, begrüßte Faye ihre Freundin Lucy, als diese durch den Bühneneingang von ihrem Auftritt zurückkehrte. Mit einer Energie, die die Chinesische Mauer zum Einsturz hätte bringen können, fiel sie ihr um den Hals.
»Längst nicht so großartig und fantastisch wie du, aber ich denke, ich habe gute Chancen, in die engere Auswahl zu kommen«, entgegnete Lucy mit einem breiten Lächeln.
Lucy war die letzte Teilnehmerin gewesen und so dauerte es nicht lange, bis alle Mädchen wieder auf die Bühne gerufen wurden und die Jury ihr Urteil verkündete.
Der Hauptjuror hieß Vladimir Nieradkov, ein ehemaliger – besonders in Russland sehr bekannter – Solotänzer. Inzwischen war er Intendant und künstlerischer Leiter am Bolshoi Theater in Moskau und zusammen mit seinen Kollegen vom Mariinsky Theater in St. Petersburg und von der dazugehörigen Waganowa-Ballettakademie verantwortlich dafür, die Mädchen zu bestimmen, die in die engere Auswahl kämen.
Sobald das Publikum verstummt war und sich eine gigantische Anspannung im Saal breitgemacht hatte, begann er, mit einem harten, russischen Akzent, zu reden.
»Kommen wir nun zur Entscheidung der Jury. Von den dreizehn Teilnehmerinnen der Altersklasse vierzehn bis sechzehn werden wir genau fünf in die engere Auswahl nehmen.
Der Wettkampf wird dann in einer Woche um dieselbe Zeit fortgeführt werden. Es wird keine Rangfolge bekannt gegeben, so haben alle Mädchen dieselbe Chance auf den Sieg.
Die Mädchen, die nächste Woche wiederkommen dürfen, heißen«, er machte eine kurze Pause, »Charlotte Shepherd«, die Menge applaudierte und Charlotte, ein bei ihren Mitschülerinnen eher unbeliebtes Mädchen in einem lila Tutu, trat vor. »Georgiana Fitzgerald«, das Klatschen und Jubeln wurde lauter und Georgiana warf Faye und Lucy einen süffisanten Blick zu. Doch gleich darauf sagte Vladimir Nieradkov: »Kate Summer«, und die Menge tobte. Faye umarmte Lucy und trat ebenfalls nach vorne. »Lucinda Backford«, Lucinda stackselte hochnäsig neben Georgiana und drängte Faye mit ihrem Ellenbogen leicht zur Seite. Doch in diesem Moment war Faye einfach nicht danach, zu kontern. Die ganze Mühe der letzten Wochen musste sich einfach ausgezahlt haben.
»Und als letzte nehmen wir in die engere Auswahl«, der ganze Raum schien nun die Luft anzuhalten, »Lucy Anderson!«, rief er in die Länge gezogen und das Publikum schien aus allen Nähten zu platzen. Lucy rannte auf Faye zu und sie fielen sich gegenseitig in die Arme.
»Ich wusste, dass du es schaffen wirst!«, flüsterte Faye ihrer Freundin ins Ohr. Sie war überglücklich. Noch vor einigen Wochen, als sie angefangen hatte an der Royal Ballet School zu trainieren, war sie von großen Zweifeln geplagt worden, dass das Leben einer Primaballerina überhaupt etwas für sie wäre. Doch jetzt erkannte sie, dass dazu nicht nur strenge Lehrerinnen und zickige Konkurrentinnen gehörten. Natürlich gehörte all das auch dazu, aber sie hatte auch gelernt, darüber hinweg zu sehen und ihre Leidenschaft zum Tanzen an die oberste Stelle zu setzen. Sie tanzte nicht für Ms Brooks oder ihre Mutter, um sie stolz zu machen. Sie tanzte für sich selbst und für das Publikum. Sie wollte ihren eigenen Weg gehen und damit die Leute begeistern.
Als Lizzy langsam wieder zu sich kam, sah sie den Jungen mit großen, grünen Augen auf sich herabblicken. Als er merkte, dass sie wieder zu sich gekommen war, fuhr er unmerklich zusammen und wandte den Blick ab.
»Ich habe dir einen Tee gekocht«, sagte er schüchtern und deutete auf das Tablett, welches er auf dem Wohnzimmertisch, vor dem Sofa platziert hatte.
»Vielen Dank für deine Hilfe. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist, bei diesem Wetter einfach alleine rauszugehen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken«, entgegnete Lizzy und lächelte den Jungen mit ihren strahlend blauen Augen an, die sich langsam wieder mit Leben füllten.
»Die Hauptsache ist ja, dass es dir jetzt wieder besser geht«, sagte der Junge und überreichte Lizzy die Tasse mit dem Tee.
»Wie heißt du eigentlich?«, fragte Lizzy vorsichtig, von sich selbst überrascht, dass sie eine Konversation begann. »Ich habe dich schon öfters hier gesehen.«
»Mein Name ist Luke Jackson. Ich wohne erst seit zwei Jahren hier bei meiner Mutter Miranda Brooks in der Ballettschule. Früher habe ich bei meinem Vater gelebt, doch anscheinend wollte es das Schicksal so, dass ich nun diese Schule mein Zuhause nenne.«
Verlegenes Schweigen machte sich im Raum breit. Schnell versuchte Luke, die Konversation zu retten, indem er ein anderes Thema ansprach, was ihm viel faszinierender schien als seine eigene triste Lebensgeschichte.
»Aber lass uns weniger über meine Vergangenheit reden«, begann er. »Viel interessanter scheint mir deine Geschichte zu sein.« Luke setzte sich neben Lizzy auf das Sofa und schaute sie erwartungsvoll an.
»Nun ja. Da gibt es eigentlich auch nicht gerade viel zu erzählen«, begann Lizzy schüchtern. »Mein Name ist Eli …«, erschrocken brach sie ab, »Kate Summer und ich lebe erst seit einigen Monaten wieder hier in London.« Lizzy war unschlüssig, was sie ihm erzählen konnte. Schließlich war er Ms Brooks Sohn und möglicherweise hatte diese ihn bereits in alles eingeweiht. Trotzdem entschied sie sich, vorerst zu schweigen.
Obwohl Luke sich bereits gedacht hatte, dass das Mädchen ihm nicht die Wahrheit erzählen würde, war er dennoch etwas enttäuscht. Er hatte sich aber einen Plan überlegt, ihre wahre Identität aufzudecken.
»Das mit deinen Schuhen tat mir übrigens wirklich leid. Das warst doch du, der ich das Wasser über die Schuhe gekippt habe, oder verwechsle ich dich gerade mit Georgiana Fitzgerald«, es war der einzige Name, der ihm auf die Schnelle einfiel.
Natürlich hatte Faye nichts von dem Vorfall erzählt und so konnte Lizzy auch nicht wissen, wem Luke Wasser über die Schuhe gekippt hatte.
»Nein, da musst du mich verwechseln«, sagte sie unsicher und nahm einen Schluck Tee.
»Merkwürdig. Dabei war ich mir sicher, ich hätte das Wasser über dieselben Schuhe gekippt, die du gerade trägst, nur dass sie an diesem Tag rot waren.«
Lizzy erschrak, sodass sie sich gleich am Tee verschluckte und einen Hustenanfall bekam. Sachte klopfte Luke ihr auf den Rücken und nahm ihre Hand.
»Keine Sorge. Ich weiß von eurem Geheimnis und werde es niemandem weitererzählen«, sagte er mit sanfter Stimme.
»Oh nein. Und ich bin so kindisch und blödsinnig und erzähle dir hier erst mal Lügen. Und dann auch noch über meine eigene Identität, obwohl ich dir wirklich zu Dank verpflichtet bin, schließlich hast du mir da draußen gerade wahrscheinlich das Leben gerettet!«, entgegnete Lizzy und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
»Aber da kannst du doch nichts für«, begann Luke die verzweifelte Lizzy zu trösten und streichelte ihr sachte über das nasse Haar. »Und außerdem weiß ich jetzt auch, dass du das Mädchen bist, das mir am ersten Tag dieses Schuljahres aufgefallen ist. Du musst wissen, ich konnte die ganze Nacht kein Auge zu tun, weil ich die ganze Zeit nur an deine wundervollen blauen Augen denken konnte. Du weißt ja gar nicht, wie meine Welt zusammengebrochen ist, als deine Schwester mich am nächsten Tag so grob angefahren hatte! Seitdem hatte ich mich nicht getraut, dich anzusprechen. So wie ich es eigentlich ursprünglich geplant hatte. Doch dann habe ich neulich ein Telefonat zwischen deiner und meiner Mutter mit angehört und bekam wieder etwas Hoffnung. Aber nun sag mir bitte erst einmal, ob du auch etwas für mich empfindest, weil wenn nicht, führe ich mich hier gerade auf wie der letzte Volltrottel und muss mich unbedingt für mein närrisches Verhalten entschuldigen. Was ich vielleicht sowieso tun sollte.«
Lizzy hatte es die Sprache verschlagen, doch sie war auf einmal so irrsinnig glücklich. Natürlich empfand sie auch etwas für diesen Jungen, obwohl sie bis vor wenigen Minuten nicht einmal seinen Namen gekannt hatte. Sie war so unglaublich froh, dass dieses Missverständnis aufgeklärt war und es einzig und allein an Faye lag, dass Luke sie nicht angesprochen hatte.
Erwartungsvoll, aber auch etwas ängstlich vor Lizzys Reaktion, schaute Luke ihr in die Augen, und dann erzählte sie ihm alles, was sich die letzten Wochen über in ihr angestaut hatte.
»Oh heiliger, mächtiger Vater!«, rief Betty durchs ganze Haus, als sie bemerkte, dass Elizabeth sich davongeschlichen hatte. In wenigen Minuten würden Katherine und Faye von dem Wettbewerb zurück sein und wenn Elizabeth bis dahin nicht wieder aufgetaucht wäre, könnte Betty ihren Job als Haushälterin und Kindermädchen an den Nagel hängen.
Abrupt fuhr sie zusammen, als es an der Tür klingelte. Sie machte noch eine flehende Geste zur Decke und ging dann langsam zur Tür. Als sie diese zaghaft öffnete, fiel ihr ein riesiger Stein vom Herzen.
»Ach, du lieber Gott, Lieschen, wie siehst du denn aus, Kind?« Sie fiel der immer noch durchnässten Lizzy um den Hals, was bei ihrer fülligen Figur aussah, als würde sie das zierliche Mädchen zerdrücken. Erst als sie wieder von ihr abließ, bemerkte Betty auch die zweite Person, die neben ihrem Schützling auf der Türschwelle stand.
»Aber wer bist denn du?«, fragte sie völlig verwirrt, da sie genau wusste, dass Elizabeth noch nie auch nur einen Freund mit nach Hause gebracht hatte.
»Mein Name ist Luke Jackson, Ma’am«, antwortete er. »Ich habe mir gestattet, Elizabeth nach Hause zu begleiten.«
Betty guckte nun noch verwirrter drein. »Nun gut«, sagte sie. »Jetzt kommt am besten erst mal rein. Von mir aus kannst du im Salon warten, Luke, während ich Elizabeth etwas zum Umziehen heraussuche.«
»Das würde ich sehr gerne, Ma’am, aber ich glaube, meine Mutter dürfte bald nach Hause kommen und dann möchte ich ihr keinen Schrecken einjagen«, antwortete Luke und sah Lizzy dabei lächelnd in die Augen. Dabei konnte er den Gedanken nicht unterdrücken, dass sich seine Mutter wahrscheinlich eher freuen würde, wenn sie ihn endlich los sei.
Sie umarmten sich zum Abschied und nur widerwillig ging Lizzy mit Betty ins Haus. Erst als Luke um die nächste Ecke verschwunden war und ihr vorher noch einmal zugewunken hatte, ließ sie sich dazu überreden.
Lizzy hatte sich gerade geduscht und ein frisches Kleid angezogen, als es erneut klingelte. Schnell sprang sie vom Sofa auf und rannte an Betty vorbei zur Haustür.
Das kleine silberne Krönchen, welches ihre Zwillingsschwester in den Haaren trug, wäre gar nicht notwendig gewesen, um zu zeigen, dass Faye in die engere Auswahl gekommen war. Dies verriet bereits das breite Grinsen auf ihrem Gesicht und obwohl Lizzy so gerne selbst an dem Wettbewerb teilgenommen hätte, was ihr wegen ihrer Schwester aber verwehrt geblieben war, musste sie sie in die Arme schließen.
»Du musst mir sofort alles berichten«, flüsterte sie und zog Faye hinter sich her, die Holztreppe hinauf in ihr Zimmer.
Sie machten es sich auf Lizzys Bett gemütlich und gleich darauf begann Faye auch schon zu erzählen.
»Es war wirklich sagenhaft! Diese ganzen Leute im Zuschauerraum und ihr Applaus, es war einfach ein unvergleichliches Gefühl, vor ihnen auf der Bühne zu stehen und zu tanzen. Ich habe jeden Moment vollends genossen!«, sie hatte ihre Hände zusammengefaltet und blickte schwärmend an die mit Stuck verzierte Decke.
»Wer hat es außer dir noch geschafft? Also in die engere Auswahl, meine ich«, fragte Lizzy voller Aufregung.
»Lucy hat es auch geschafft! Sie war auch einfach atemberaubend. Die Tipps, die du ihr wegen der Pirouetten gegeben hast, haben Wunder bewirkt, Lizzy!« Lizzy war gerührt, dass sie wohl doch eine Kleinigkeit zum Erfolg ihrer Freundin und ihrer Schwester beigesteuert hatte und lächelte verlegen, während Faye fortfuhr.
»Meine größte Sorge ist aber, dass Georgiana auch weitergekommen ist, obwohl wir ja schon damit gerechnet hatten. Was mich aber gewundert hat, war, dass Lucinda und Charlotte auch noch in die engere Auswahl gekommen sind.«
»Das mit Charlotte ist meiner Meinung nach noch verständlich, wo sie doch eigentlich recht gut ist. Sie ist vielleicht etwas gewöhnlich und unauffällig, aber dennoch nicht untalentiert. Das mit Lucinda wundert mich allerdings auch etwas. Manchmal habe ich so das Gefühl, dass sie wie ein Kaugummi an Georgiana klebt und von ihr überall mit hingezogen wird.«
»Hmm«, machte Faye. »Dafür wird es ein Leichtes sein, sie nächste Woche zu schlagen. Aber jetzt erzähl du mal, Lizzy. Was hast du eigentlich in der Zeit des Wettbewerbs so getrieben? Ich habe dein weißes Kleid völlig durchnässt am Wäscheständer hängen sehen«, neckte Faye ihre Schwester, sodass Lizzys porzellanfarbene Haut auf der Stelle einen rötlichen Schimmer annahm.
»Nun ja, mir war so langweilig hier allein, während ihr alle beim Wettbewerb wart und dann dachte ich mir, gehe ich doch zum Ballettsaal und übe ein wenig. Na ja. Jedenfalls hatte es in Strömen geregnet und natürlich ist mir erst vor der Ballettschule aufgefallen, dass Ms Brooks ja auch bei dem Wettbewerb ist und ich nicht rein kann.«
Faye hing ihrer Schwester gebannt an den Lippen. Sie wusste, dass sie ihr noch etwas verheimlichte.
»Erzähl schon weiter!«, drängelte sie gespannt.
»Dann weiß ich gar nicht mehr genau, was passiert ist. Nur noch, dass mir auf einmal sehr, sehr kalt wurde, und meine Beine mich nicht mehr aufrecht hielten. Das Nächste, an das ich mich erinnern kann, ist, dass ich auf einem Sofa lag, mit einer alten Wolldecke zugedeckt und ein Junge mit einer Tasse heißem Kamillentee vor mir saß.« Nun war es an Lizzy die Hände vor der Brust zusammenzuschlagen und ihr Blick verlor sich schwärmend in der Ferne.
»Was für ein Junge denn? Lizzy, was war nur in dich gefahren? Du bist doch sonst nicht so unvernünftig?«, fragte Faye mit vorwurfsvoller Stimme, musste aber über die neu entdeckte Seite ihrer Schwester lächeln.
»Ich weiß es nicht genau. Jedenfalls ist er der Sohn von Ms Brooks. Er hat dir wohl einmal Wasser über deine Schuhe gekippt. Aber das Beste ist, er weiß von unserem Geheimnis. Du weißt ja gar nicht, wie gut es tat, einfach mal mit jemandem Neutralen über alles reden zu können, was dich die letzte Zeit bedrückt hat. Und na ja. Dann haben wir uns irgendwie angefreundet.« Schüchtern blickte Lizzy auf ihre Blümchendecke, doch Faye entging nicht die ansteigende Wärme, welche sich in den Wangen ihrer Schwester ausbreitete.
»Aber das ist doch toll, Lizzy!«, rief sie freudig und drückte die kleine Ausreißerin liebevoll. Endlich hatte sie es geschafft, ein bisschen mehr aus sich herauszukommen.
Der nächste Tag war ein Sonntag und die Mädchen konnten sich von dem anstrengenden Wettbewerb am Vortag erholen.
Faye hatte sich eigentlich vorgenommen, auszuschlafen, bis sie um acht Uhr von Lizzys Handy geweckt wurde.
»Da will jemand was von dir«, murrte sie genervt, noch halb in ihrem Traum gefangen, aus dem sie gerade gerissen worden war. »Richte wem auch immer schöne Grüße von dem Mädchen aus, das die Person gerade aus seinem Schönheitsschlaf geweckt hat.«
Lizzy ignorierte den Kommentar ihrer Schwester und schaute gespannt auf ihr Handydisplay. Als sie sah, wer sie gerade versucht hatte zu erreichen, machte ihr Herz einen Sprung, und sie war sofort hellwach.
»Schlaf weiter, Faye, ich werde die Grüße ausrichten«, sagte sie freudig, zog sich schnell eines ihrer Kleider über, schlüpfte in ihre blauen Schuhe und war kurz darauf aus dem Zimmer verschwunden.
Erst nach einigen Minuten, als Faye verzweifelt aufgab, in ihre Traumwelt zurückzukehren, realisierte sie, was gerade geschehen war.
Das kann doch wohl nicht wahr sein, dachte sie sich. Hatte sich ihre liebe, brave Schwester gerade wirklich schon wieder aus dem Haus geschlichen? Konnte es sein, dass der Sohn von Ms Brooks gerade versucht hatte, ihre Schwester Elizabeth zu erreichen? Und war diese vielleicht in diesem Moment auf dem Weg zu eben jenem Jungen?
Undenkbar!, dachte sich Faye, zog sich ihre Decke über den Kopf und widmete sich wieder ihrem Schönheitsschlaf.
Etwas enttäuscht legte Luke nach dem vergeblichen Versuch, Lizzy anzurufen, wieder auf und machte sich an seine Arbeit.
Er hatte die ganze letzte Nacht wieder einmal kein Auge zu tun können. Er war einfach so glücklich, dass sich die ganze Sache um die geheimnisvolle Kate Summer nun aufgeklärt hatte. Alles hatte sich zum Guten gewendet.
Das Mädchen, von dem er ab dem ersten Moment, in dem er es gesehen hatte, gewusst hatte, dass sie etwas ganz Besonderes war, mochte ihn. Sie war nicht diejenige gewesen, welche mit ihrem aufbrausenden Temperament einen ganzen Raum in Angst und Schrecken versetzen konnte und sobald er in ihr Blickfeld geriet, immer noch nachtragend wirkte.
Nein, seine Lizzy – so nannte er sie seit gestern in seinem Unterbewusstsein – war die gute Schwester. Der ruhige Kern von Kate Summer, und das war es, was er so an ihr mochte.
Aber nicht nur ihr schüchterner Charakter gefiel ihm so sehr. Ihre ganze Art war einfach zauberhaft. Ihr Gang war so leichtfüßig und anmutig, wie der einer Elfe – so stellte er es sich jedenfalls vor.
Ihre Stimme erinnerte ihn an Weihnachten, an kleine Glöckchen, die im sanften Wind klingelten.
Und generell wirkte Elizabeth Summer so, als würde sie hier nicht reingehören. Als wäre sie zu gut für diese Welt. Sie wirkte auf Luke so, als käme sie aus einer längst vergessenen Zeit. Die Kleider, die sie trug, ihre langen, goldenen Locken, die sie ordentlich, wie ein kleines Mädchen, mit einem hellblauen Haarband zurückhielt. Sie entsprach ganz und gar nicht der modernen Frau des 21. Jahrhunderts, aber das war es, was Luke so faszinierend an ihr fand.
Wäre das Leben ein Schachbrett, wäre sie für ihn die Königin unter all den Bauern, den Türmen, Springern und was es sonst noch so gab. Doch müssten für sie die Spielregeln umgeschrieben werden. Nicht der König sollte beschützt werden – ach wen interessierte denn bitte das Wohl des Königs, dachte sich Luke – wen es zu beschützen galt, war seine Königin. Sie musste von ihm selbst beschützt werden, von einem unscheinbaren Bauern aus der hinteren Reihe.
Mit seinen Gedanken bei Lizzy, fing Luke an, die Fenster im langen Flur der Royal Ballet School zu putzen, als plötzlich sein Handy vibrierte. Nur einige Sekunden später, nachdem er die Putzsachen links liegen gelassen hatte, war er neben dem Tischchen, auf welchen er sein Handy abgelegt hatte und schaute gespannt nach, wer ihm geschrieben hatte.
Aus seiner Hoffnung wurde Wirklichkeit. Es war eine Nachricht von Lizzy. Gespannt öffnete er diese und konnte es einfach nicht fassen, als er sie las.
»Bin gleich bei dir :-)«, stand da auf dem winzigen Bildschirm seines veralteten Handys.
Was hatte er nur für ein Glück.