Читать книгу Das Phantom der Kate Summer - Josephine Katharina Groß - Страница 39
ОглавлениеDie Prügelei
London 2006
Fayes Brief kam erst am Abend des ersten Schultags in London an. Völlig außer sich von den Geschehnissen an diesem Tag, setzte sich Lizzy gleich an den Schreibtisch und ließ ihren ganzen Frust in ihrer Antwort aus.
Liebe Katherina,
Ach, wie lange habe ich auf deinen Brief gewartet. Und jetzt erhältst du meine Antwort ausgerechnet in einem Moment, in dem ich absolut fertig mit der Welt bin.
Ich hoffe, bei dir läuft der Pas de deux Unterricht besser als bei mir, denn in diesem Moment könnte ich mir wahrlich nichts Schlimmeres vorstellen.
Ich habe den schrecklichsten Tanzpartner der Welt, das wirst du dir gar nicht vorstellen können. (Und dann ist Luke auch noch eifersüchtig auf ihn, dabei liebe ich doch ihn und nicht diesen schmierigen Lackaffen!) Sein Name ist Theo Fitzgerald, Georgianas Cousin aus Schottland. Ich glaube, das dürfte schon mehr als genug über ihn verraten …
Ach Schwesterherz, wie sehr wünsche ich mir, ich könnte jetzt bei dir in St. Petersburg zu sein. Fernab von allen Fitzgeralds dieses Planeten.
Die einzige Aufheiterung für mich ist, dass es Georgiana selbst auch nicht besser getroffen hat. Sie tanzt mit einem Jungen namens Alfrec Brinklepie, und glaub mir, Schwesterchen, er sieht genauso aus, wie du ihn dir jetzt wahrscheinlich vorstellst ...
Schreib mir bitte, sobald du kannst. Ich halte es ohne ein Zeichen von dir nur schwer in diesem elenden Affenzirkus namens London aus.
Die allerliebsten Grüße
Deine Elizabeth.
P.S.: Ich soll dir von Mom schreiben, dass sie dich ganz doll liebhat und dich ganz schrecklich vermisst. Das tue ich übrigens auch ...
Faye hatte es mit dem Pas de deux Unterricht wirklich besser gehabt als ihre Schwester in London. Zu ihrem Glück durfte sie ausgerechnet mit Dima tanzen, was sie sich insgeheim, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte, auch gewünscht hatte. Sie gaben im Ballettsaal das perfekte Paar ab und harmonierten glänzend miteinander.
Weniger gut hatte es Lucy getroffen. Sie tanzte mit Alexander Winogradow, der entfernt mit einem sehr bekannten Balletttänzer verwandt war und sich deshalb für etwas Besseres hielt und die kleine Engländerin als deutlich unter seiner Würde betrachtete.
Für unter ihrem Niveau hielt die beiden Freundinnen auch Anastasija Sokolowa, die ebenfalls am Pas de deux Unterricht teilnahm. Sie ließ die beiden sowohl vom Aussehen als auch vom Charakter her an Georgiana Fitzgerald erinnern. »Von denen gibt es wohl in jeder Stadt welche«, hatte Lucy zu Faye gemeint, als ihnen Anastasija mit hoch erhobenem Kinn entgegenstolziert war. Wie ihnen Dima in der Pause erzählte, war sie eine Freundin seiner Schwester Galina und schon als kleines Kind völlig in ihn vernarrt gewesen, was sie nun mit allen Mitteln versuchte zu verstecken. Eine Eigenschaft, in der sie Faye gar nicht so unähnlich war.
»Deine Cousine Georgiana ist wirklich eine wahre Schönheit, Theo. Es ist mir wahrhaft eine Ehre, mit ihr tanzen zu dürfen.« Es war der zweite Schultag und die beiden frisch gebackenen Pas de deux Schüler, Theo Fitzgerald und Alfrec Brinklepie hatten sich vor die Schulpforte zurückgezogen, um ungestört über ihre Tanzpartnerinnen reden zu können.
»Danke für das Kompliment, das ich anstelle meiner Cousine auffangen darf, Alfrec, aber ich habe mir wohl bewusst die kleine Summer ausgesucht«, erwiderte Theo und grinste höhnisch. Doch genau in diesem Moment kam Luke von ein paar Einkäufen zurück, die er für seine Mutter hatte erledigen müssen, da diese mal wieder mitten in irgendwelchen wichtigen Proben steckte und keine Zeit hatte, sich um den Haushalt zu kümmern. Empört ließ Luke seine Taschen, die sowohl mit Lebensmitteln, aus welchen er gleich ein Mittagessen zaubern wollte, als auch mit neuen Musterstoffen, die Miranda für irgendwelche neuen Feenkleider begutachten sollte, vollgestopft waren, fallen und stürmte auf Theo Fitzgerald zu.
»Wie kannst du es wagen, in diesem Ton über meine Freundin zu sprechen?!«, fuhr er ihn wütend an und musste sich zügeln, dem fremden Jungen nicht ins Gesicht zu schlagen. Theo dagegen blieb einfach eiskalt.
»Wie ich es wagen kann?«, entgegnete er mit gespielt mitleidigem Ton. »Bist du etwa in die kleine Summer verliebt, Lukilein? Tja, da muss ich dich leider enttäuschen, denn du hast die Rechnung ohne mich gemacht.«
»Was willst du damit sagen?«, fuhr ihn Luke drohend an.
»Ich will damit sagen, mein kleiner Freund, dass ich besser für Ms Summer bin als du es jemals sein wirst.«
»Haha, gib’s ihm, Theo!«, unterbrach ihn Alfrec.
In neckischem Ton fuhr Theo fort: »Lebst hier allein mit deiner Mutter«, dieses Wort betonte er, spuckte es ihm geradezu ins Gesicht, »in ihrer Ballettschule und bist für sie doch nichts weiter als ein billiger Diener, der ihr den Haushalt schmeißen muss.«
Das war zu viel für Luke. Nie zuvor hatte es jemand gewagt, ihn derartig zu beleidigen. Aller Zorn, der in ihm hochgestiegen war, schien sich nun in seiner rechten Faust zu bündeln, sodass er diese dem aufgeblasenen Theo Fitzgerald mit voller Wucht ins Gesicht schlug. Theo fiel daraufhin zwar erst zu Boden, richtete sich aber schnell wieder auf.
»Na warte, Kleiner!«, zischte er und fiel jetzt über Luke her. Während Alfrec, der sich ohne Zweifel als Feigling entpuppte, stumpf zusah, kugelten sich die beiden Jungs am Straßenrand, bis Luke, der eindeutig schmächtiger war, am Boden liegen blieb und Theo von oben auf ihn einprügelte.
»Was ist denn hier los?! Hört sofort auf mit dem Schwachsinn!« Voller Wut stürmte Miranda Brooks auf die beiden Jungs zu und packte beide am Kragen.
Oh nein, dachte sich Luke. Ausgerechnet jetzt musste die äußerst wichtige Probe natürlich zu Ende sein und seine Mutter für einen kurzen Moment ohne Beschäftigung. Jetzt konnte er sich wohl auf etwas gefasst machen.
»Luke! Wie kannst du es wagen dich mit einem meiner Schüler zu prügeln? Wir sind hier nicht an irgendeiner Dorfschule, wo dein Vater dich reingesteckt hat. Wir sind hier an der renommiertesten Ballettschule des Landes! Wie konnte ich nur glauben, aus dir könnte noch etwas werden. Du bist eindeutig der Sohn deines Vaters. Ich möchte dich heute nicht mehr sehen.«
Völlig fassungslos von den Worten seiner Mutter riss Luke sich von ihr los und rannte, so schnell er konnte, die Straße hinunter. Wie konnte sie nur so herzlos sein? Immer wieder verleumdete sie ihn und hatte keine Scheu davor, ihn vor anderen bloßzustellen.
Lizzy, die alles mitangesehen hatte, schmuggelte sich an Ms Brooks vorbei, welche nun Theo eine Standpauke hielt, und rannte ihm nach.
Als Luke merkte, dass sie ihn verfolgte, verlangsamte er seine Schritte und blieb an der nächsten Straßenecke stehen. Völlig aus der Puste erreichte ihn Lizzy wenig später. Sie konnte genauso wenig wie Luke glauben, was sie soeben mitangehört hatte. Wie herzlos die eigene Mutter über ihren Sohn hergefallen war.
Als Luke sich zu ihr umdrehte, bemerkte sie, dass er Tränen in den Augen hatte. Lizzy hatte ihren Freund noch nie zuvor weinen sehen und es erschreckte sie, dass sie ihn in so einem persönlichen Moment erwischte.
Luke, der ihre Gedanken zu erahnen schien, versuchte nun, sie zu beruhigen: »Es macht nichts, Lizzy. Ich bin froh, dass du mir gefolgt bist, obwohl ich mir gerade vorkomme, wie der letzte Vollidiot.«
»Deine Mutter hätte niemals so mit dir reden dürfen. Das hat dich sehr verletzt und ich kann es einfach nicht leiden, wenn jemand verletzt wird.« Nun traten auch ihr Tränen in die Augen, und Luke umarmte sie. »Luke, du darfst dich nicht weiter mit diesem aufgeblasenen Fitzgerald anlegen. Alles, was ich für ihn empfinde, ist Abscheu! Doch dich liebe ich von ganzem Herzen.« Lizzy erschrak selbst über das, was sie soeben gesagt hatte. Obwohl sie schon so lange auf diese Weise für ihn empfunden hatte, hatte sie es doch noch nie ausgesprochen. Eine Entschuldigung für ihre Direktheit auf der Zunge hielt ihr Luke sanft, aber bestimmt seinen Zeigefinger vor den Mund.
»Jetzt fang bloß nicht an, dich zu entschuldigen, Lizzy«, sagte er und setzte ein keckes Lächeln auf. »Denn ich liebe dich auch von ganzem Herzen.«
Hatte er das gerade wirklich gesagt?, fragte sich Lizzy. Oh ja, das hatte er. Und er meinte es genauso ernst, wie sie es zuvor gemeint hatte.
Die Gefühle überschlugen sich in Lizzys Gedanken. Sie war auf einmal nicht mehr fähig, klar zu denken. Und ehe sie sich versah, waren ihre Gesichter sich auf einmal so nahegekommen, dass sich ihre Lippen zum ersten Mal berührten.