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Junge Liebe

London 1988

Es war der heißeste Frühlingstag des Jahres 1988. Wahrscheinlich der heißeste Tag, den die achtzehnjährige Katherine je erlebt hatte. Am liebsten wäre sie zu ihren Großeltern an die Küste gefahren, hätte ihre blasse Haut der Sonne ausgesetzt und eiskalte Cocktails getrunken. Doch diese Tagträumereien konnte sie sich abschminken, denn sie war seit inzwischen fast genau zwei Jahren Tänzerin des Royal Ballets. Und ihr größtes Ziel, nämlich zur Solotänzerin befördert zu werden, würde sie nicht erreichen, wenn sie sich eine Auszeit gönnen würde; auch wenn diese noch so klein wäre, und das Wetter noch so schön.

Vor lauter Hektik, nicht zu spät zum Training zu kommen (Katherine kam in letzter Zeit nicht gerade selten zu spät, was ihr keinen guten Ruf beim Intendanten einbrachte), fuhr sie sich mit einer Hand durch die goldblonde Dauerwelle, welche von einem roten Stirnband aus ihrer Stirn zurückgehalten wurde. Eigentlich waren Katherines Haare kastanienbraun. Doch genau wie ungefähr die Hälfte der Mädchen des Corps de ballet eiferte auch Katherine ihrem großen Vorbild, Alice McMiller, der ersten Solotänzerin des Royal Ballets nach, welche sich ihre Löwenmähne platinblond gefärbt hatte. Bei Katherine hatte das hingegen nicht so ganz funktioniert. Ein glücklicher Zufall, sagte Jonathan, so oft er die Möglichkeit dazu bekam. Er verabscheute zu helles Haar, fand, es sah billig aus und ordinär. Ach, Jonathan! Katherine wurde noch einmal wärmer, als sie an den letzten Abend dachte.

Sie hatte sich nichts dabei gedacht, dass er sie ins Betty’s – ihr Lieblingsrestaurant – ausgeführt hatte. Das hatte er immerhin schon oft getan. Für sie war es ein ganz gewöhnlicher Abend gewesen. Sie hatte eine quietschgelbe Karottenhose und ihre Lieblingsbluse getragen. Letztere hatte er ihr geschenkt. Eine weiße Bluse mit schwarzen Punkten und Puffärmeln, so groß, dass man glauben könnte, sie wären dazu im Stande, sie wie ein Heißluftballon in den Himmel tragen.

Jedenfalls hatte sie sich nichts weiter dabei gedacht, als er bereits für sie beide bestellt hatte – sie bestellte nämlich sowieso immer dasselbe – und hatte ohne jegliche Erwartung in das köstliche Fladenbrot gebissen, welches es zu jeder Mahlzeit dazugab. Sie war ganz schön erschrocken, als sie in der Erwartung, in fluffiges Brot zu beißen, auf etwas Hartes gestoßen war. Fassungslos hatte sie Jonathan mit ihren Rehaugen angesehen – das Brot immer noch im Mund –, welcher sich ein Lachen nun nicht mehr hatte verkneifen können. Doch Katherine konnte nicht lachen, sie war viel zu aufgeregt gewesen. Außerdem hatte sie noch ihren Verlobungsring im Mund. Vorsichtig hielt sie sich eine Serviette vor ihre kirschrot geschminkten Lippen und ließ ihn hineinfallen. Als sie ihn dann mit eigenen Augen sah, verschlug es ihr die Sprache. Sie konnte ihn lediglich anstarren. Einen wunderschönen goldenen Ring mit einem kleinen weißen Diamanten. Dann starrte sie Jonathan an, welcher sich immer noch blendend zu amüsieren schien, dann wieder den Ring und so ging es eine Weile hin und her. Betty, eine rundliche, herzliche Frau Ende zwanzig, der das Restaurant gehörte, hatte sich inzwischen zu ihnen gesellt, die Hände vor ihrer ausladenden Brust gefaltet und einen schwärmerischen Blick auf ihrem runden Gesicht. Als Katherine immer noch nicht fassen konnte, was hier eigentlich gerade vor sich ging und Jonathan den Moment bis in die letzte Sekunde auskosten wollte, gab ihm die ungeduldige Betty schließlich einen Klaps mit einem Baguette, welches sie sich schnell vom Nachbarstich geschnappt hatte. Nun wurden auch die anderen Gäste aufmerksam, als sie ihn anfuhr: »Nun sag schon was, Johnny, das arme Ding ist ja völlig verstört. Wenn du ihr nicht bald mal einen Antrag machst, glaubt sie noch, du wolltest sie mit dem kleinen Stückchen Gold bloß ersticken!« Daraufhin wurde nun auch Jonathan etwas ernster. Die Lachfalten verschwanden aus seinem ebenmäßigen Gesicht, doch seine grünen Augen funkelten immer noch so frech wie eh und je. Eine schwarze Strähne war ihm ins Gesicht gefallen, doch er hatte sie nicht zurück hinter seine Ohren verbannt. Er lächelte verschmitzt, als er aufstand, nur um seiner geliebten Kate den Ring abzunehmen und sich vor ihr auf den Boden zu knien.

»Kate …«, hatte er angesetzt und ihr dabei genau in ihre großen, braunen Augen gesehen. Sie hatte nicht mehr an sich halten können. Während ihr eine Träne über die Wange gelaufen war, hatte sie mit beiden Händen seine Linke genommen und sie so fest gedrückt, wie sie nur konnte, während er mit seiner rechten Hand den Ring festgehalten hatte.

In seinem Vorhaben bestärkt, war Jonathan fortgefahren: »Kate, meine kleine Ballerina, ich frage mich jeden Tag aufs Neue, womit ich es nur verdient habe, dass ausgerechnet du, wo du doch in meinen Augen das wunderbarste Wesen bist, das ich je gesehen habe, meine Gesellschaft jeden Tag aufs Neue über dich ergehen lässt. Du hast mir mal gesagt, ich sei der erste Mann gewesen, den du geliebt hättest und ich habe in deine Augen gesehen, deine Augen, die immer die Wahrheit sagen, und habe gewusst, dass es stimmt. Und alles, was ich denken konnte, war: Oh mein Gott, womit hab ich das verdient? War ich in meinem letzten Leben ein Heiliger oder ein Weltverbesserer? Womit hab ich es verdient, dass dieses Mädchen mich überhaupt eines Blickes würdigt?

Kate, ich kann es immer noch nicht fassen, glaub mir! Du bist das Beste, was mir je passiert ist und ich wünsche mir, dass wir für immer zusammenbleiben und gemeinsam alt und glücklich werden. Vorher wirst du natürlich Primaballerina und ich dein umschwärmter, gutaussehender Tanzpartner, keine Frage«, sein Lächeln wurde noch ein bisschen breiter, »aber dann, Kate, dann werde ich nur für dich da sein! Ich will dich glücklich machen. In jeder Hinsicht. Glaub mir, ich würde wirklich alles für dich tun. Denn du bist es, worauf ich mein ganzes Leben lang gewartet habe.

Und deshalb frage ich dich jetzt hiermit, Kate …« Das ganze Restaurant schien in diesem Augenblick den Atem anzuhalten (Betty lief schon ganz blau an). »… willst du meine Frau werden?«

Als Antwort war Katherine aufgesprungen und über ihren Jonathan hergefallen wie ein wildes Tier, was mit tosendem Applaus und Pfiffen kommentiert wurde. Beide hatten gleichzeitig geweint und gelacht und dann hatten sie sich in die Arme geschlossen und geküsst, bis Jonathan einen erneuten Klaps mit dem Baguette abbekam.

»Willst du ihr nicht mal den Ring anstecken, Johnny? Fürs Küssen habt ihr später noch genug Zeit!«, sagte Betty schroff, aber liebevoll. Als Katherine ihn dann angesehen hatte, waren aus der einen schwarzen Strähne auf einmal viele geworden und dahinter hatten seine Augen gefunkelt wie Smaragde. Sie sah ihm die ganze Zeit in die Augen, während er ihre Hand nahm und ihr den Ring, welchen sie vor wenigen Minuten noch im Mund gehabt hatte, an den Finger steckte.

Es kam ihr vor wie ein Traum, wenn sie heute, einen Tag später, an dieses Ereignis zurückdachte, welches ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt hatte. Was wäre, wenn sie es wirklich bloß geträumt hatte?, kam ihr plötzlich der erschauernde Gedanke. Sie hatte schon immer sehr lebhaft geträumt und konnte sich, anders als die meisten Leute, oft genau an ihre Träume erinnern. Was, wenn sie letzte Nacht im Schlaf nur ihre innigsten Wünsche verarbeitet hatte?

»Hey Kath!«, unterbrach Katherines Freundin Miranda ihre Gedanken. Erschrocken blickte Katherine sich um und sah vom anderen Ende der UBahnstation Covent Garden eine dürre, zwanzigjährige Frau mit geglätteten schwarzen Zotteln und einem silbernen Sportbeutel über der Schulter, auf sie zu sprinten.

»Hey Randy«, begrüßte Katherine ihre Freundin und sie blieben kurz stehen, um sich zu umarmen und sich Küsschen an die Wangen zu hauchen.

Katherine konnte es gar nicht abwarten, ihr von gestern Abend zu erzählen und ihr zu sagen, wie glücklich sie war, als Miranda plötzlich auf der Stelle auf und absprang und wild mit ihren Armen herumfuchtelte.

»Al!«, schrie sie aus voller Kehle. »Hier drüben sind wir, beeil dich, wir kommen noch zu spät!« Und es stimmte. Sie hatten gerade mal drei Minuten, dann mussten sie fertig umgezogen im Trainingssaal sein. Zum Glück hatte Katherine ihren hellblauen Body, die dazugehörigen blauen Stulpen und die neonpinke Leggings schon drunter. Es war also kaum der rechte Zeitpunkt, um ihren Freunden von ihrer Verlobung zu erzählen.

Sie wartete drei Stunden Training ab, währenddessen sie vor Aufregung beinahe zu platzen schien, bis sie sich in ihrer Mittagspause in ihre Umkleide zurückzogen. Hier konnte sie Miranda endlich alles vom gestrigen Abend erzählen, während Jonathan dasselbe wahrscheinlich in seiner Kabine tun würde. Sie hatte sich das ganze Training über nicht richtig konzentrieren können, denn sich nicht zusammenreißen können und die ganze Zeit nur zu ihm herübergeblickt.

»Hey, was ist denn mit dir los?«, holte Miranda Katherine aus ihren Tagträumen. Sie war in Gedanken schon wieder bei Jonathan gewesen.

»Hmm?«, fragte Katherine verwirrt, während sie sich die Unterschenkel dehnte.

»Du bist heute ganz schön abwesend. Stimmt irgendwas nicht mit dir?«

»Oh nein, im Gegenteil!«, entfuhr es Katherine. »Du glaubst nicht, was mir gestern passiert ist.«

»So wie du im Moment den Eindruck machst, würde ich mal davon ausgehen, dass du irgendeinen Unfall hattest, bei dem du dir eine schwere Kopfverletzung zugezogen hast«, entgegnete Miranda unbeeindruckt.

»Jonathan hat mir einen Antrag gemacht und ich hab ja gesagt!«, korrigierte Katherine sie quietschend vor Glück.

»Na so was!«, Miranda kippte die Kinnlade runter und erschien für einen kurzen Moment, als könne sie ihren Mund nicht mehr schließen, bis sie sich wieder fasste und ihre Freundin lächelnd umarmte. »Das nenn ich ja wohl mal eine Neuigkeit, Kath!«

»Oh Randy, du glaubst ja gar nicht, wie unendlich glücklich ich bin! Jonathan und ich werden wirklich heiraten!« Katherine strahlte, in der Erwartung, ihre Freundin würde es ihr nachtun, doch diese musterte sie lediglich skeptisch.

»Was ist?«, fragte Katherine verwirrt.

»Nun …«, begann Miranda.

Auf einmal kam Katherine ein ungeheurer Gedanke. Es durchfuhr sie geradezu wie ein Blitz.

»Oh Gott, Randy! Du bist doch nicht etwa … Ich dachte immer, das mit dir und James …«, stammelte sie vor sich hin.

Mirandas Augen weiteten sich entsetzt.

»Oh nein, Kathy, wo denkst du nur hin? Nein es ist nicht so, wie du annimmst!«, sagte sie und hob abwehrend die Hände.

Katherine fiel ein Stein vom Herzen. Das hätte ihr ja gerade noch gefehlt, dass ihre beste Freundin sich in ihren Verlobten verliebt hätte. Aber was war dann mit ihr los?

»Es ist nur so«, fuhr Miranda zögerlich fort, »du hast heute während des Trainings einen ziemlich abwesenden und uninteressierten Eindruck gemacht. Ich dachte, Solotänzerin zu werden wäre dir so wichtig, dass du alles dafür geben würdest.«

Katherine war für einen kurzen Moment völlig perplex.

»Aber daran hat sich doch nichts geändert. Natürlich bin ich immer noch ehrgeizig und will Solotänzerin werden. Dass ich jetzt verlobt bin, ändert daran doch nichts.«

Miranda sah ihre Freundin nun geradezu mitleidig an. Als könnte sie es nicht fassen, was aus ihr geworden war.

»Glaub mir, Katherine, wenn du Primaballerina werden willst, darfst du nur an dich selbst denken. Du musst jeden Tag alles geben, denn wer weiß schon so genau, wo Mr Berry dich sieht und ob er sich nicht gerade heute dachte: Heute achte ich mal auf das Mädchen in dem hellblauen Trikot und der pinken Leggings, sie könnte ich im nächsten Quartal vielleicht befördern. Tja, hätte er sich das heute Morgen gedacht, hättest du deine Chance gründlich vergeigt, glaub mir.«

Von Katherines Hochgefühlen war nun nichts mehr übrig. Miranda hatte sie wie eh und je von ihrem Wölkchen geholt und sie an die Tatsachen ihres harten Berufes erinnert. Doch sonst war sie ihrer Freundin immer dankbar dafür gewesen, dass sie sich so um ihre Karriere sorgte und immer versuchte, das Beste aus ihr herauszuholen. (Im Gegenteil zu Mr Berry, dem Intendanten, hatte Miranda nämlich Katherines überragendes Talent bereits erkannt). Doch jetzt war sie einfach nur wütend. Sie war ihre beste Freundin, da sollte sie sich doch über ihre Verlobung, über ihr Glück, über die Erfüllung ihrer Träume freuen!

»Du bist nicht meine Lehrerin, Miranda. Du bist die einzige Freundin, die ich hier habe und ich dachte, ich könnte mit dir durch Erfolg und Niederlage gehen, aber anscheinend habe ich mich da getäuscht. Dich interessiert nur, wie gut ich beim Ballett bin und welchen Rang ich besteigen könnte. Was sich in meinem Privatleben abspielt, hat dich doch noch nie interessiert«, sagte sie aufgebracht, doch Miranda blieb ungerührt.

»Schön«, sagte Miranda. »Wenn du meinen Rat und meine Hilfe nicht willst, Katherine …«

»Nein, darauf kann ich verzichten. Ich will eine Freundin, die sich mit mir freuen kann, wenn mich etwas glücklich macht und mich nicht gleich wieder runterzieht, nur weil sie selbst kein Glück mit ihrem Freund hat!« Katherine sah, dass Miranda versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch ihr war natürlich nicht entgangen, dass sie bei ihren Worten kurz zusammengezuckt war.

»So magst du jetzt denken, Kath, aber glaub mir, du wirst auf mich zurückkommen, wenn es so weit ist«, sagte Miranda und ließ Katherine allein in der Umkleide zurück.

Das Phantom der Kate Summer

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