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Kapitel Sechs

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Der Morgen war hereingebrochen – und hatte dabei anscheinend Gabriel Savant ordentlich auf seinen schmerzenden Kopf gehauen. Unrasiert und mit rot unterlaufenen Augen trug er eine teure, zerknitterte Hose und ein seidenes Shirt. Meiner Meinung nach sah er eher aus wie das Opfer in einer Horrorgeschichte, als wie die elegante Berühmtheit, die sie zu Papier gebracht hatte.

„Ich hatte gehofft, dass Sie die Disk gefunden haben.“ Sein Lächeln sah aus, als verursache es Schmerzen.

„Es tut mir leid“, sagte ich. „Ich habe Friedlander gesagt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass Sie sie hiergelassen haben. Ich habe ein paar Mal danach gesucht.“

Hohläugig und mit nervös zuckenden Lidern lächelte er mich weiter an. „Es ist sehr wichtig, dass ich sie finde. Bobby ist sehr aufgebracht.“

„Ich weiß nicht, was ich Ihnen noch sagen kann. Wenn Sie sich umsehen wollen …?“

Er zog eine Packung Zigaretten hervor und zündete sich eine an. Seine Hand zitterte. „Es gibt da ein paar Dinge, die Sie nicht verstehen.“

Ja, klar. Das fängt zum Beispiel mit der Popularität von Reality-TV an und geht weiter mit erwachsenen Männern, die Caprihosen tragen.

Ich sagte: „Ich nehme an, darauf war die Recherche für Ihr Projekt, an dem Sie gerade arbeiten?“

Seine Augen schienen ihm aus dem Kopf zu springen. „Warum sagen Sie das?“

Paranoia: gibt es jetzt nicht mehr nur noch zum Abendessen. „Ich rate nur“, sagte ich freundlich.

Er starrte mich weiter an, dann entspannte er sich etwas. Nickend stieß er Rauch aus der Nase. „Bobby und ich lernen Leute kennen. Im Rahmen unserer Arbeit.“

„Sicher.“ Unwillkürlich grübelte ich über seine Beziehung zu Friedlander nach. Ich hatte den Eindruck gehabt, dass Friedlander als Assistent des Autors vom Verlag geschickt worden war, aber das schien falsch zu sein. War Friedlander vielleicht Savants persönlicher Assistent? Ich betrachtete den blinkenden Diamantstecker in Savants rechtem Ohrläppchen, hatte aber nicht das Gefühl, dass Savant schwul oder auch „nur“ bi war.

Er fuhr fort: „Wir machen Notizen. Man weiß nie, was davon verwendbar sein wird. Wir müssen alle neun Monate ein Buch liefern, verstehen Sie?“

„Das muss hart sein.“ Bestimmt waren die Hunderttausende, die er an Lizenzgebühren verdiente, eine kleine Kompensation.

„Natürlich verwenden wir nicht alles. Einiges von dem Recherchematerial ist ziemlich … sensibel.“

Erpressten sie die Leute? Wo lag hier das Problem? Ich musste ziemlich perplex ausgesehen haben, denn er sagte: „Wenn Sie mir helfen, helfe ich Ihnen.“

„Wobei werden Sie mir helfen?“ Bot er mir an, im Laden zu arbeiten? Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich schon so verzweifelt war.

Seine Augen schweiften nach links und nach rechts. Er flüsterte: „Ich weiß von Ihrem Problem … mit …“ Er verstummte, und seine Lippen formten geräuschlos die Worte „der Schwarzen Klinge.“

Die Schwarze Klinge? War das jemand, den ich kennen sollte? Hörte sich irgendwie nach einem schwulen Superhelden an. „Schwarze Klinge?“, wiederholte ich, nicht ganz sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte.

Gabriel beäugte mich misstrauisch, dann sagte er: „Denken Sie darüber nach, Aiden.“

„Adrien.“

„Wie auch immer. Sie möchten sich mit dieser Geschichte bestimmt nicht allein rumschlagen. Diese Leute sind sehr gefährlich. Selbst ohne die Kräfte der Dunkelheit.“

* * * * *

Bis zum Vormittag war noch niemand von der Agentur aufgetaucht. Ich rief an und erfuhr, dass sie jemanden geschickt hatten. Diese leicht genervte Betonung bedeutete, dass der Angestellte irgendwo hier sein musste – oder dass ich ihn oder sie nachlässigerweise verloren hatte und jetzt noch jemand anderen wollte. Die Frau in der Agentur erinnerte mich nicht ausdrücklich daran, dass Angestellte nicht auf Bäumen wuchsen, aber ich spürte, dass sie es gern getan hätte.

Glücklicherweise war es ein ruhiger Morgen. Ich entschied, dass es keine Rolle spielte, wenn ich für ein oder zwei Stunden den Laden schloss, um den Professor zu treffen. Ein Mittagessen stand mir schließlich zu. Welchen Sinn hatte es, der Boss zu sein, wenn man sich nicht hin und wieder ein ausgiebiges Mittagessen gönnen konnte?

Wie verabredet trafen wir uns bei Campanile in der South La Brea Avenue. Erkennbar an seinem unverwechselbaren Glockenturm beherbergte das Gebäude das Campanile Restaurant und die La Brea Bakery. Es war 1929 von Charlie Chaplin gebaut worden. Bevor alles fertig gewesen war, hatte Chaplin es jedoch durch eine Scheidung verloren. Sein Verlust war unser Gewinn.

Der Professor saß im grünen Gartenreich mit dem hoch aufragenden Glasdach und dem rotgefliesten Boden. Er las und nippte an einem Glas Wein. Er trug Jeans und ein rotes Wams aus Samt über einem weißen T-Shirt. Sein langes, graues Haar glänzte wie Sterlingsilber und kontrastierte mit dem weinroten Samt. Er war eine bemerkenswerte Erscheinung und nahm seine Umwelt offensichtlich nicht wahr.

Selbst ohne die Kräfte der Dunkelheit. Nun ja. Es gibt Kräfte, und es gibt Kräfte.

Ich legte eine Hand auf den Stuhl, der ihm gegenüberstand. „Professor Snowden?“

Er musste mich aber doch schon vorher unter seinen Wimpern hervor beobachtet haben, denn er sah von seinem Buch auf und sagte, ohne auch nur eine Sekunde lang zu zögern, in gedehntem Tonfall: „Du kannst mich Guy nennen.“ Er legte das Buch zur Seite und streckte mir die Hand entgegen. Wir schüttelten uns die Hände. Sein Blick hielt meinen ein paar Sekunden länger fest, als es die Höflichkeit erforderte.

Interessant.

Ich setzte mich ihm gegenüber. „Guy, also. Danke, dass du dich mit mir triffst.“

Guy schob sein Buch noch weiter weg. Er hatte schöne Hände, gebräunt, grazil, aber mit langgliedriger Stärke. Ich konnte den Druck an meiner Hand immer noch spüren.

Die Kellnerin kam. Ich bestellte ein Glas Merlot aus Clos du Bois. Als sie außer Hörweite war, sagte Guy: „Ich habe gute Neuigkeiten. Ich glaube nicht, dass du noch weiter ... belästigt wirst.“

„Wirklich?“

„Ich habe mit den involvierten Studenten gesprochen – ehemaligen Studenten, genauer gesagt. Es war größtenteils ein Missverständnis.“

„Ein Missverständnis? Das war es?“

Die bemerkenswerten grünen Augen trafen meine. „Äh … ja.“

Vielleicht hätte er es gern dabei belassen, aber ich wollte eine etwas ausdrücklichere Versicherung, dass es wirklich vorbei war.

Die Kellnerin kam mit meinem Wein zurück. Sie war eines dieser frischen Mädchen und flirtete reflexhaft mit uns, als wir unser Essen bestellten. Guy entschied sich für einen Blattsalat mit mariniertem Ricotta, Pinienkernen und Johannisbeercrostini, ich nahm ein Sandwich mit geräuchertem Fleisch, Provolone und pikantem Kirschpaprika.

„Und was hat dieses Missverständnis verursacht?“, hakte ich nach und kehrte damit zum ursprünglichen Thema unserer Konversation zurück. „Hat dir das jemand erläutert?“

„Ja. Und ich bin sehr zufrieden damit, dass es vorbei ist.“ Wieder suchte er meinen Blick und lächelte schief. „Ich kenne die Kids, die darin verwickelt sind. Sie haben sich ein bisschen mitreißen lassen, das ist alles. Du kannst Angus sagen, dass es sicher für ihn ist, nach Hause zu kommen.“

„Gerade rechtzeitig für die Abschlussprüfungen“, sagte ich. „Unglücklicherweise weiß ich nicht, wo er ist.“

Sein Blick blieb unbeirrt auf mich gerichtet. „Tust du nicht?“

„Nö.“

Danach unterhielten wir uns müßig und höflich, bis unser Essen gebracht wurde. Ich dachte, dass – obwohl dies nicht wirklich ein sozialer Anlass war, geschweige denn etwas, das auch nur im Entferntesten einem Date ähnelte – es sehr angenehm war, ein gutes Essen mit einem attraktiven Mann in aller Öffentlichkeit zu teilen. Und er war sehr attraktiv. Kultiviert, weltmännisch und geistreich – und er verströmte eine lässige, unbewusste Sexualität. Das absolute Gegenteil zu Jake. Und ich fragte mich, was Jake von ihm halten würde.

„Was passiert, wenn Angus wirklich zurückkommt?“, fragte ich schließlich.

„Kommt er zurück?“

Ich dachte an Mrs. Tum und Lester Naess. „Ich hoffe“, erwiderte ich.

Den Griff des Glases zwischen den Fingern, kreiste Snowden mit dem Fuß des Glases vorsichtig über das leinene Tischtuch und erwärmte so den Wein. „Weißt du, die anderen glauben, dass Angus ein Warlock ist.“

„Ist das nicht jeder?“ Das war nicht das, was ich eigentlich sagen wollte. „Ich meine, sind sie nicht alle Teil eines Hexenzirkels?“

Er antwortete mir indirekt. „Warlock ist die Bezeichnung für einen Eidbrecher. Für jemanden, der gelogen oder ein Schweigegelübde gebrochen hat.“

„Ich dachte, es sei eine männliche Hexe.“

„Teilweise. Das wäre eine Hexe, die die Schwarze Kunst praktiziert. Eine Hexe, die Satan verehrt. Die meisten modernen Hexen sind Wiccan, und Wiccan tun das nicht, verstehst du?“

„Also besteht diese Gruppe oder dieser Zirkel aus Wiccan? Dann verstehe ich nicht, warum ein umgedrehtes Pentagramm auf meine Schwelle gemalt wurde.“

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Umgedreht? Bist du sicher?“

Ich nahm eines der Fotos aus meinem Kalender und schob es zu Snowden. Lange starrte er es an.

„Bist du sicher, dass du mit den richtigen Leuten gesprochen hast?“, erkundigte ich mich und beobachtete seinen Gesichtsausdruck.

Seine Augen schwenkten hoch und sahen mich an. „Selbstverständlich“, sagte er, aber er hörte sich nicht mehr ganz so sicher an.

„Was ist die Ars Goetia?“, fragte ich.

„Woher zum Teufel …?“

Ich verarsche euch nicht. „Woher zum Teufel“ – genauso, wie man es von irgendeinem alten Haudegen in einem mindestens ebenso alten Schinken erwarten würde. Ich murmelte: „Kein Wortspiel beabsichtigt?“

Er starrte mich an, aber ich glaube nicht, dass er mich wirklich sah. Schließlich sagte er: „Es ist der erste Teil eines anonym geschriebenen Grimoires aus dem siebzehnten Jahrhundert, das als Das Schlüsselchen von Salomon bekannt ist. Weißt du, was ein Grimoire ist?“

„Buch der Schatten, richtig?“

Er hob eine Augenbraue. „Du überraschst mich.“

„Als Kind hatte ich viel Zeit zu lesen.“ Obwohl du bestimmt kein Exemplar vom Buch der Schatten in der Schulbücherei findest (es sei denn, du bist Schüler in Hogwarts).

„Dann ist dir wahrscheinlich bewusst, dass das Buch der Schatten eine Art Hexenbibel ist, nur noch etwas mehr als das. Es ist eine persönliche Aufzeichnung von Ritualen und Zaubersprüchen und Wissen, und jedes ist einzigartig.“

„Aber gibt es nicht das eine definitive Buch der Schatten?“

Meine Unwissenheit ließ ihn das Gesicht verziehen. „Nein. Verschiedene Überlieferungen haben das Material aus den berühmtesten Quellen wiederverwendet und in ihren eigenen Grimoires neu zusammengefasst. Es gibt berühmte historische Grimoires: Das schwarze Huhn, Der Große Schlüssel Salomons, Das Schlüsselchen von Salomon.“

„Und was ist dann Ars Goetia?“

„Im Wesentlichen die Namen, Ränge und Seriennummern von zweiundsiebzig Dämonen, die König Salomon beschworen und dann in einem bronzenen Kessel eingesperrt haben soll. Fixiert mit magischen Siegeln.“

„Und dieses Symbol?“ Ich zeigte auf die gezeichnete Linie, von der Ariel mir gesagt hatte, dass sie die Signatur eines hochrangigen Dämons sei.

Er schüttelte den Kopf. „Es ist ein Sigill. Ein magisches Zeichen oder Siegel.“ Er warf mir einen kurzen Blick zu und sagte: „Ein Symbol, das für einen bestimmten magischen Zweck gemacht wurde.“

„Dieses Sigill ist der Name eines Dämons, oder nicht?“

Zögernd gab er zu: „Das auch.“

„Und der Zweck dieses Sigills wäre es, diesen bestimmten Dämon zu erwecken oder zu bannen, richtig?“

„Korrekt. Der Gedanke dabei ist, den Dämon herbeizurufen, damit er die Aufgabe des Beschwörers erfüllt.“

„Und um welchen der zweiundsiebzig Dämonen handelt es sich hier? Nur aus Neugier.“

„Ich habe keine Ahnung.“

Er musste mir meine Skepsis angesehen haben, denn er sagte: „So spontan? Sei nicht lächerlich.“ Das klang unerwartet hochmütig. „Ich bin kein Experte auf diesem speziellen Gebiet. Wenn du die Rolle der modernen Hexerei in primitiven Gesellschaften oder die Übertragung der Göttinnen-Verehrung in die moderne Religion verstehen willst, bin ich dein Mann. Traditionelle Hexerei … Satanismus … sind nicht mein Bereich.“

„Aber du könntest es herausfinden?“

„Warum kümmert es dich, welcher Dämon es ist?“ Anscheinend hatte er zu laut gesprochen, denn seine Frage rief einige neugierige Blicke unserer Tischnachbarn hervor. Guy senkte die Stimme, sagte: „Du musst dich da raushalten.“

„Aus diesem dunkle Magie-Ding?“

„Du lachst vielleicht darüber, aber es geht nicht darum, ob du daran glaubst. Der Punkt ist: wer auch immer dies auf deiner Schwelle hinterlassen hat, glaubt daran. Das ist ein Mensch, der dir großen Schaden wünscht – nur weil du ihm – oder ihr …“

„Oder ihnen?“, schlug ich vor.

„Oder ihnen in den Weg gekommen bist.“

„Ich dachte, du hättest gesagt, dass alles geregelt ist?“

„Ist es auch. Wenn du es darauf beruhen lässt.“

„Was ist mit Angus?“

Darauf schien er keine Antwort geben zu können.

„Nachtisch?“, fragte die Kellnerin munter, die sich plötzlich neben unserem Tisch materialisiert hatte.

Ich widerstand dem Impuls, nach dem teuflisch guten Schokoladenkuchen zu fragen.

* * * * *

Chan wartete an der Eingangstür, als ich zurück zum Buchladen kam. Er schien schon eine ganze Zeit lang dort gewartet zu haben, denn er sah müde und erschöpft aus, und zu seinen Füßen türmten sich die Zigarettenkippen.

„Hey“, begrüßte ich ihn und schob die reich verzierte Sicherheitstür auf. „Was gibt es?“

„Adrien –“ Da war dieser Ausdruck in seinem Gesicht …

Ich legte die Hand auf das Gitter, um mich festzuhalten. An den Laut, den ich dabei unwillkürlich ausstieß, möchte ich mich lieber nicht erinnern.

Chan sagte hektisch: „Es geht ihm gut, Adrien. Jake geht es gut. Deswegen bin ich hier. Falls es in den Nachrichten kommt. Er wollte nicht, dass du es auf diese Art erfährst.“

Ich drehte mich um und starrte ihn an, dabei hing ich am Tor wie ein Schiffbrüchiger an der letzten Planke.

„Es geht ihm gut. Ich schwöre bei Gott. Vielleicht eine leichte Gehirnerschütterung.“

„Was ist passiert?“

„Wir haben einen Verdächtigen verfolgt, und er wurde von einem Auto angefahren. Jake, meine ich. Der Verdächtige ist entkommen.“

„Wo ist er?“

„Der Verdächtige?“

„Jake.“

„Oh. Im Huntington Hospital.“ Als ich zu meinem Auto gehen wollte, fügte er schnell hinzu: „Aber er will nicht, dass du dahinfährst. Adrien …“, er trottete mir hinterher, „er will dich nicht da haben.“

Adrien English: In Teufels Küche

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