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Kapitel Eins

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Es gibt nichts Neues unter der Sonne, aber eine Menge alter Sachen, von denen wir nichts wissen.

Ambrose Bierce, Des Teufels Wörterbuch

Die Stimme am anderen Ende des Telefons krächzte: „Knochen aus Zorn, Knochen aus Erde, voller Wut, Rache ist gerecht und gut. Ich werfe die Knochen, Knochen voll Wut, ich bringe dir Schmerz und der Hitze Glut. Du bist mein Feind und du bist gemeint. Qual, Feuer und Tod sei dein Zoll, mit diesem Fluch zahlst du mir deinen Soll. Ich verfluche deine Seele. So soll es sein.“

Ich gab den Hörer an Angus weiter, der neben dem Tresen vor dem „Wir empfehlen“-Regal stand. „Ist für dich.“

Er nahm den Hörer und hielt ihn sich vorsichtig ans Ohr, als befürchtete er einen elektrischen Schlag. Er lauschte, dann legte er mit zitternder Hand den Hörer auf den Tresen und sah mich durch die blau getönten Gläser seiner John-Lennon-Brille angsterfüllt an. Hastig leckte er sich über die blassen Lippen.

„Hör’ mal, Angus“, sagte ich. „Warum redest du nicht mal mit Jake? Er ist ein Bulle. Vielleicht kann er helfen.“

„Der ist bei der Mordkommission“, murmelte Angus. „Außerdem kann er mich nicht ausstehen.“

Beides stimmte, aber ich versuchte es trotzdem.

„Wirklich, er mag dich nicht nicht. Außerdem musst du mit jemandem darüber sprechen. Das ist Belästigung.“

„Belästigung?“ Seine Stimme schoss mehrere Oktaven in die Höhe. „Ich wünschte, es wäre Belästigung! Die werden mich umbringen.“

Ein Kunde, der sich im Hintergrund bei den Taschenbüchern herumdrückte, hustete. Wir waren nicht allein im Laden.

Ich gestikulierte, und Angus folgte mir nach hinten in den Lagerraum, der mir auch als Büro diente. Bis jetzt hatten wir an diesem trüben Novembertag die grandiose Anzahl von ganzen drei Kunden gehabt, die im Laden herumstöberten. Ich lehnte die Tür an und drehte mich zu Angus um.

„Okay, was zur Hölle ist eigentlich los?“ Irgendwie ahnte ich schon, was zur Hölle ungefähr los war, also fügte ich ergänzend hinzu: „Genau.“

Ich hatte gedacht, meine Stimme hätte ruhig und gelassen geklungen, aber er streckte sofort abwehrend die Hände aus. „Ich kann nicht drüber reden“, murmelte er. „Ich meine, wenn ich darüber rede, wenn ich die Geheimnisse des …“ Er verschluckte DAS WORT. „Sie würden mich umbringen.“

„Ich dachte, das versuchen sie schon?“

„Ich meine, mich physisch umbringen.“

„Ah-oh“, sagte ich. Ich hörte mich an wie Jake.

Angus entging der skeptische Unterton nicht. „Adrien, du verstehst das nicht. Du bist nie – die wissen, wo ich wohne. Die wissen, wo Wanda wohnt. Sie wissen, wo Wanda arbeitet. Sie –“

„Warum haust du nicht für eine Weile ab?“, unterbrach ich ihn. „Es ist fast Weihnachten. Warum … fährst du nicht in Urlaub?“

„Es ist November.“

„Es ist nach Thanksgiving.“

Seit dem letzten Jahr arbeitete Angus bei Cloak and Dagger Books, aber bis auf die Tatsache, dass er die letzten Kurse seines geheimnisvollen Studiums an der UCLA belegt hatte (das scheinbar unglaublich viele Kurse in Folklore, Mythologie und Okkultismus beinhaltete), wusste ich nur wenig über ihn. Er war ungefähr Mitte Zwanzig, lebte allein, und war ein ordentlicher, wenn auch ziemlich ungewöhnlicher Angestellter. Lisa, meine Mutter, war davon überzeugt, dass er Drogen nahm. Jake, mein gelegentlicher Liebhaber, war sicher, dass er ein Spinner war, aber ich neigte dazu, ihm zu Gute zu halten, dass er einfach … jung war. Ich betrachtete ihn, wie er mit seinen schlabbrigen, schwarzen Sachen dastand, wie ein Emigrant der dunklen Seite. Er schüttelte hoffnungslos den Kopf, als ob ich es immer noch nicht kapiert hätte.

„Ja“, erwärmte ich mich mehr und mehr für meine Idee. „Warum schnappst du dir Wanda nicht einfach und haust für ein oder zwei Wochen ab? Bis der Sturm sich gelegt hat.“ Ich durchwühlte meine Schublade und suchte nach dem Scheckbuch. Nicht, weil ich glaube, dass ein Problem dadurch gelöst wird, dass man es mit Geld zuschüttet – es sei denn, das Problem ist Geldmangel. Und auch nicht, weil ich sonst empfehle, zu versuchen, vor Problemen wegzurennen. Aber dieses spezielle Problem ließ meine Alarmglocken läuten. Das dachte ich damals jedenfalls.

Angus stand still neben mir, während ich den Scheck ausfüllte. Ich riss ihn heraus. Als ich ihm den Scheck gab, starrte er ihn an. Er sagte nichts. Ich sah, dass ihm eine Träne über die Wange lief und auf den Zettel tropfte. Schließlich atmete er tief und zittrig ein und öffnete den Mund, um etwas zu sagen.

Ich unterbrach ihn. „Hör zu, Junge. Du tust uns beiden einen Gefallen. Kranke Anrufe aus der Gruft sind schlecht fürs Geschäft.“ Ich wandte mich zur Tür.

* * * * *

„Du hast was?“, fragte Jake.

Zu unserem Treffen beim Autohändler am East Colorado Boulevard war ich zehn Minuten zu spät gekommen. Mein zehn Jahre alter Bronco pfiff aus dem letzten Loch, und Jake schien zu glauben, dass ich unfähig war, eine wohlinformierte und ausgewogene Kaufentscheidung zu treffen, wenn nicht er dieser wohlinformierte Informant war.

„Hab ihm achthundert Mäuse gegeben. Ihm gesagt, dass er Wanda in die Ferien entführen soll.“ Ich warf einen Blick auf die Reihen der schnittigen Sportwagen und die robusten SUVs, die im Sonnenuntergang glänzten. Palmen wiegten sich darüber im Wind. Blecherne Weihnachtslieder drangen – nicht gerade subtil – aus den Lautsprechern. Hinter mir tauchte Jakes blondes, durchtrainiertes Spiegelbild in der Windschutzscheibe auf.

„Achthundert? Du hast achthundert Dollar übrig, die du mal eben einfach so unter die Leute werfen kannst?“

Ich zuckte die Schultern. „Ich werde es absetzen – als sein Weihnachtsgeld.“

„Ah-ha.“ Ich spürte, dass er mein Gesicht studierte. „Tja, Mr. Trump. Macht es denn dann überhaupt Sinn, dort hinein zu gehen?“

„Hast du noch nie von der großartigen amerikanischen Tradition der Finanzierung gehört?“

Er schnaubte. Unsere Blicke trafen sich. „Wie zur Hölle soll Weglaufen überhaupt irgendein Problem lösen?“, fragte er, und sekundenlang hatte ich das Gefühl, wir würden über etwas ganz anderes sprechen.

„Ich habe nicht nach einer langfristigen Lösung gesucht.“ Bevor Jake etwas erwidern konnte, fügte ich hinzu: „Und ich bezweifle, dass ich eine brauche. Das sind Kinder. Sie haben die Aufmerksamkeitsspanne von … wie war das noch? Einer Minute für jedes Lebensjahr. Wir haben zwanzig Minuten Schrecken vor uns. Höchstens.“

Jakes Lippen zuckten. Er sagte: „Gehören diese Kids alle zu diesem einen Hexenzirkel außerhalb von Westwood?“

Ich strich über die Motorhaube eines silbernen Subaru Forester. „Gibt den Worten ‚Teen Spirit‘ eine ganz neue Bedeutung, was?“ Ich warf einen Blick auf das Preisschild am Fenster. „Ich habe aufgeschnappt, dass sie alle vor ungefähr einem Jahr an einem Seminar über Dämonologie oder Hexerei teilgenommen haben. Ich schätze mal, irgendjemand von ihnen hat im Praktikum die Räucherstäbchen zu tief inhaliert.“

„Sie sind einfach losgegangen und haben einen Zirkel gegründet?“

„Glaube schon. Angus war diesbezüglich nicht besonders mitteilsam. Graf Draculas Geheimnisse zu enthüllen, zieht empfindliche Strafen nach sich.“

Rot-grüne Weihnachtslichter blinkten im Schaufenster auf. Sie erinnerten mich an glühende Chilis, aber vielleicht wurde ich auch nur unbewusst beeinflusst durch das mexikanische Restaurant auf der anderen Straßenseite. Mir fiel ein, dass ich kein Mittagessen gehabt hatte. Mein Magen knurrte. Vielleicht konnte ich Jake zu einem Abendessen überreden.

Wenn ich vor Hunger jammern würde, würde er sich Zeit nehmen. Meine Essensgewohnheiten entsetzten ihn, den Fitnessfanatiker, der an die heilige, in Stein gemeißelte Dreifaltigkeit von drei ausgewogenen Mahlzeiten am Tag glaubte. In der letzten Zeit hatten wir uns nicht oft gesehen. Ich war also bereit, eine Predigt über den Nutzen von komplexen Kohlenhydraten in Kauf zu nehmen.

„Du vergleichst Angebote, du vergleichst Preise, und findest so das richtige Auto für dich“, resümierte er und beobachtete mich, wie ich bei dem Forester stehen blieb.

„Klar.“

„Du brauchst keinen neuen Spritfresser. Wie wäre es mit einem Coupé? Oder einem Gebrauchtwagen?“

„Gebraucht im Sinne von benutzt?“

Mein Tonfall ließ einen kleinen Muskel in seinem Mundwinkel zucken.

Widerstrebend wanderte ich an den Autos entlang zu einem blauen Zweitürer.

Getönte Scheiben, Schiebedach, Lautsprecher von Bose. Der Preis war auch in Ordnung. Klimatisiert. Was bedeutete das? Klimaanlage?

Plötzlich sagte Jake grimmig: „Glaub es oder nicht – so ein Scheiß kann schnell außer Kontrolle geraten. Das Hollywood Police Department ist vor ungefähr einem Monat in den Hollywood Hills auf eine Jane Doe gestoßen. Ich gebe dir mein Wort darauf – sie war das Opfer eines Ritualmords.“

„Du meinst wie bei Teufelsanbetern?“

Ich hatte es eigentlich halb im Scherz gesagt, aber Jake erwiderte nachdenklich: „Irgendwie wünschte ich, du hättest den Jungen nicht aus der Stadt geschickt. Ich hätte gern mit ihm geredet.“

„Du kannst nicht wirklich glauben, dass Angus darin verwickelt ist“, protestierte ich. „Er ist ein bisschen seltsam, das stimmt, aber er ist ein anständiger Junge.“

„Du hast keine Ahnung, was oder wer er ist, Adrien.“ Jake, seit über zehn Jahren bei der LAPD, schlug gerne diesen Bullenton an, wenn ich ihm zu bürgerlich naiv erschien. „Du hast ihn vor ein paar Monaten eingestellt, das ist alles. Du hast ihn über eine Zeitarbeitsagentur gefunden. Glaubst du, die haben einen gründlichen Sicherheitscheck mit ihm gemacht?“

„Du meinst, das ist notwendig, um in einem Buchladen zu arbeiten?“

Er hörte gar nicht zu. „Es gibt einen kompletten satanischen Untergrund, von dem wir seit den Achtzigern immer mal wieder etwas hören. Vielleicht gibt es keinen Beweis für eine organisierte Bewegung, wie sie gewisse andere religiöse Gruppen auf die Beine stellen, aber wir haben schon viele Verletzte und auch Todesfälle gehabt, die daraus resultieren, dass die Leute dieses Zeug verdammt ernst nehmen. Und viele enden auch in der Klapsmühle. Es ist hässlich und gewalttätig, aber viele Kids fühlen sich davon angezogen.“

„Dann jagt das jetzt Angus hoffentlich eine Scheißangst ein, und er kann das seelisch verarbeiten und abschließen.“ Ich versuchte, mir vorzustellen, wie ich hinter dem Steuer des Coupés saß, gab auf und ging zurück zum Forester.

* * * * *

Nachdem ich den Darlehensvertrag ausgefüllt hatte, gingen Jake und ich auf die andere Straßenseite, um in der Cantina zu essen. Ich hatte den Bronco in Zahlung gegeben, und weil der Händler noch eine Stereoanlage in das neue Fahrzeug einbauen würde, brauchte ich jemanden, der mich zurück nach Hause fuhr. Jake ließ sich überreden.

Während wir auf unser Essen warteten, sah ich ihm dabei zu, wie er zwei Brotkörbe mit Tortilla Chips leerte. Er kaute unablässig, als würde er dafür bezahlt, den Blick dabei starr auf den Blumentopf an der Wand gerichtet, in dem eine mickrige Bougainvillea aus Plastik steckte.

„Alles okay?“

Immer noch kauend, hielt er mitten im Griff nach seinem Bier inne. „Klar. Warum?“

„Ich weiß nicht. Du wirkst nachdenklich.“

„Nö.“ Er nahm einen Schluck Bier und sah mir in die Augen. „Alles ist cool.“

Unsere Beziehung war keine einfache. Jake war das Gegenteil von offen schwul. Er behauptete, das läge daran, dass er ein Cop war – dass der Job schon hart genug war, um sich auch noch mit den Jungs zu bekriegen, die eigentlich auf seiner Seite sein sollten – aber mittlerweile glaubte ich, dass der wahre Grund komplizierter war. Jake verachtete sich selbst dafür, dass Männer ihn sexuell anzogen. Obwohl er mir ein guter Freund und ein körperlich befriedigender Liebhaber war (wenn er denn bei mir war), gab es eine gewisse Spannung zwischen uns, die – so fürchtete ich – sich nie ganz auflösen würde.

Was verdammt schade war, denn mir lag was an ihm. Sehr viel sogar.

Als wir uns kennengelernt hatten, war er in der S/M Szene aktiv gewesen. Ich glaubte – hoffte –, dass er momentan weniger in den Clubs unterwegs war.

Was ich sicher wusste, war, dass er mit einer Frau zusammen war, einer Kollegin namens Kate Keegan. Er kannte sie schon länger als mich, und ich ging nicht davon aus, dass es nur eine Beziehung zur Tarnung war. Aber mit mir redete er nicht viel darüber.

„Wie ich höre, schreibt Chan ein Buch.“

Vor ein paar Monaten hatte sich Jakes früherer Partner, Detective Paul Chan, den Partners in Crime angeschlossen, der Schreibgruppe, deren Treffen ich wöchentlich in meinem Buchladen ausrichtete.

„Ja-ah, ein Polizei-Handbuch.“

„Taugt es was?“

„Ähm, nun ja …“

Jake lachte und schob mir den Korb mit den Chips zu.

* * * * *

Am nächsten Tag, Freitag, musste ich eine Signierstunde mit dem Bestseller-Autor Gabriel Savant vorbereiten. Savant schrieb die Serie mit Sam Haynes, dem okkulten Detektiv; eine Art Update der alten Jules de Grandin und John Thonstone Groschenhefte. Ich bin kein großer Horror-Fan, aber ich hatte Savants letztes Buch wenigstens kurz überflogen, um einfacher in die Diskussion einsteigen zu können, falls die Frage-und-Antwort-Session nach der Lesung zu schnell im Sand verlief. Nicht, dass ich wirklich damit rechnete. Nach einer zu Beginn eher glanzlosen Karriere in den Achtzigern hatte Savant sich selbst und seine Arbeit neu erfunden und war jetzt ein Medien-Liebling.

Während ich in Erwartung des abendlichen Ansturms im Laden hin und her hastete, wünschte ich mir selbstsüchtig, dass ich Angus’ Rettung bis nach dem Wochenende aufgeschoben hätte.

Ich arrangierte gerade Savants letztes Buch, Der Codex der Rosenkreuzer, auf dem vorderen Verkaufstisch und überlegte währenddessen, ob ich genug Flaschen von dem günstigen Champagner besorgt hatte, als ich einen weiteren Anruf von der dunklen Seite erhielt.

„Geschlagen, verprügelt, zerrissen, entzwei. Ich steche dich und Pein dir sei …“

„Da wir von Pein sprechen“, unterbrach ich, „Sie verschwenden Ihre Zeit. Angus arbeitet nicht mehr hier.“

„Wa-?“ Er – die Stimme war männlich – fing sich gerade noch. Es gab eine Pause, und dann ein Klicken, als die Verbindung unterbrochen wurde.

Ich versuchte, die Nummer zurückzuverfolgen, aber vergeblich. Nicht sehr überraschend, dachte ich. Ich wusste natürlich, dass es damit nicht zu Ende sein würde.

Tatsächlich erhielt ich am späten Nachmittag einen weiteren Anruf. Die Stimme am anderen Ende verlangte „Gus“. Dieses Mal war die Stimme weiblich und süß. In der ganzen Zeit, in der Angus bei mir arbeitete, hatte hier nur eine Frau angerufen, und das war seine Freundin Wanda gewesen. Wanda ist nicht weiblich und süß. Sie hört sich an, als würde sie ungefilterte Marlboros frühstücken.

„Sorry“, antwortete ich auf die Frage. „Er ist nicht hier.“

„Ach Gott“, sagte sie ärgerlich. „Ich muss mit Gus sprechen. Es ist so was wie … ein Notfall.“

„So was wie ein Notfall, aber doch nicht ganz?“

„Was?“

„Vergessen Sie’s“, sagte ich. „Hören Sie, er ist weg. Wirklich. Sagen Sie es weiter.“

Pause. Dann sagte sie zögernd: „Ich bin nicht sicher …?“

Ich versuchte es mit einem anderen Ansatz. „Darf ich Ihren Namen haben? Vielleicht ruft er mich an, wenn er angekommen ist. Sind Sie eine Freundin von Angus?“

Sie lachte klingend, ein Party-Mädchen-Lachen. „Tja, jaa! Natürlich! Und ich muss mit ihm reden. Er will mit mir sprechen, glauben Sie mir.“

„Oh, das tue ich“, erwiderte ich ebenso ernsthaft. „Aber er ist weg. Abgehauen. Ich würde gern helfen, aber … hey, warum hinterlassen Sie nicht einfach Ihren Namen und Ihre Nummer, und wenn er sich mit mir in Verbindung setzt, lasse ich ihn wissen, dass Sie angerufen haben.“

Wieder Zögern. Dann sagte sie kühl: „Selbstverständlich. Sagen Sie ihm, Sarah Good hat angerufen. Er kennt meine Nummer.“

666?

Sie legte leise auf. Ich ebenfalls. Im Spiegel auf der anderen Seite des Tresens erhaschte ich einen flüchtigen Blick auf mein bedröppeltes Gesicht. Sarah Good. Eine der ersten Hexen, die in Salem gehängt wurde. Niedlich.

Obwohl – wenn man es positiv betrachtete … wenigstens wurde den Kids in der Schule noch ein bisschen Geschichte beigebracht.

* * * * *

Um achtzehn Uhr dreißig gab es im Laden nur noch Stehplätze. Mir wurde klar, dass ich mich zum einen mit dem Champagner, zum anderen damit, wie viel Hilfe ich benötigen würde, vollkommen verrechnet hatte. Ich hatte noch nie so viele Teenager mit schwarzem Lippenstift – Jungs UND Mädchen – oder Männer im mittleren Alter mit Panzerketten gesehen, die nicht auf Harleys saßen.

Nicht, dass es nicht großartig war zu sehen, dass so viele Leute lasen. Besonders Leute, die so aussahen, als ob ein Buch für sie wirklich das letzte Mittel der Wahl war, wenn es um Unterhaltung ging. Ich hoffte nur, dass der Abend nicht mit zerstörten Möbeln oder einem Blitzeinschlag enden würde.

Ich lief nach nebenan und bestach die Mädels von der Reiseagentur, damit sie mir halfen, die Massen unter Kontrolle zu halten.

Um viertel nach sieben musste man unseren glorreichen Autor ganz offiziell als verspätet bezeichnen, und die Eingeborenen wurden unruhig. Vor der Damentoilette hatte sich eine lange Schlange gebildet und in der Ecke mit den Landhauskrimis braute sich ein hässlicher Streit über den Ursprung der Swastika zusammen. Ein Lokalreporter versuchte, mich über meine Verwicklung in einen Mordfall im letzten Jahr zu interviewen. Ich widerstand dem Impuls, den letzten Champagner in mich hineinzukippen und mich im Lagerraum zu verstecken.

Um halb acht entstand am Eingang plötzlich Tumult. Mehrere Menschen, die offensichtlich zu einer Entourage gehörten, betraten den Laden. Drei langbeinige Damen, die eher wie lüsterne Dämonen als Angestellte eines respektablen Verlagshauses gekleidet waren, kamen hinein. Ein plumper, bebrillter Mann zog mich an die Seite und stellte sich mir als Bob Friedlander, Gabes Betreuer, vor.

Betreuer? Musste ein schöner Job sein, schätzte ich.

Ich verstand nicht viel von dem, was Friedlander sagte, denn in diesem Augenblick erschien der Prinz des Verkaufs.

Gabriel Savant war über 1,85 m groß und wie ein Model gebaut – und er sah doch tatsächlich aus wie die männliche Hälfte des Titelbilds einer historischen Schundromanze: ungebändigtes rabenschwarzes Haar umrahmte seine gebräunte Stirn, er hatte stechend blaue Augen und ein blendend weißes Lächeln. Waren da kleine glänzende Diamanten in seinen Zähnen? Auf jeden Fall leuchtete da etwas in seinem rechten Ohrläppchen. Er trug Jeans aus Leder und ein schwarzes Cape. Erstaunlicherweise lachte niemand über seinen Aufzug.

„Aber das ist ja charmant hier!“, versicherte Gabriel mir, nachdem Friedlander seinen Star in meine Richtung navigiert hatte. „Natürlich ist das nicht besonders groß, aber es ist hübsch.“

„Atmosphäre“, sagte Friedlander schnell. „Wunderbare Atmosphäre.“

„Wir geben alles“, sagte ich.

„Natürlich tun Sie das“, sagte Gabriel ermutigend. Er warf einen schnellen Blick auf seinen Betreuer. „Bobby, was gibt es hier zu trinken? Ich bin ganz ausgedörrt.“

Friedlander räusperte sich unbehaglich. Eine Mischung aus Gabes Moschus-Aftershave, Mundwasser und Bourbon wehte mir entgegen. Überwiegend Bourbon.

„Ein No-Name-Champagner macht die Runde“, sagte ich.

Es war, als hätte ich einem Vampir ein Glas Milch angeboten. Gabe erblasste. Er schluckte schwer und murmelte: „Oh Gott, bringen wir es schnell hinter uns.“ Er schlenderte zu dem riesigen antiken Tisch, den ich aufgestellt hatte. Enthusiastischer Applaus des wartenden Publikums brandete auf und wurde von den dunklen Deckenbalken zurückgeworfen.

„Diese Tournee war zermürbend“, sagte Friedlander entschuldigend. „Zwanzig Städte in dreißig Tagen … Radio-Interviews um vier Uhr früh, Talkshows im Kabelfernsehen, Mittagessen mit Buchclubs, und nicht selten drei Buchläden pro Tag. Gabe ist erschöpft.“

„Ich wette, das sind Sie beide.“

Er lachte. Hinter seinen Brillengläsern blickten die sanften Augen unerwartet aufgeweckt. „Ein wenig. Ich hörte, dass Sie auch schreiben.“

„Ein wenig.“ Gott sei Dank nicht so viel, dass mich irgendjemand dafür hinaus auf die Straße schicken würde.

„Sie sind zu bescheiden. Ich habe Ein Mord wird aufgeklärt gelesen. Sehr geistreich.“

Entweder hatte dieser Kerl seine Hausaufgaben gemacht wie noch niemand, den ich zuvor kennengelernt hatte, oder er war schwul. Meine Bücher zogen nicht sehr viele Mainstream-Leser an.

„Aber Sie brauchen einen Aufhänger“, sagte er. „Eine Plattform.“

„Sie denken nicht, dass ein schwuler Shakespeare-Schauspieler mit Amateurdetektiv-Ambitionen Aufhänger genug ist?“

„Nein. Auf keinen Fall. Sehen Sie sich Gabe an. Er hat Jahre damit verschwendet, wundervoll komponierte und von der Kritik hoch gelobte Literatur zu schreiben, die niemand lesen wollte, und was passierte dann? Er erfand Sam Haynes, den okkulten Detective. Der Rest ist Geschichte.“

Geschichte, Okkultismus und Romantik – alles zusammen geschrieben in einem schwülstigen Stil, dachte ich, während Savant laut aus seinem neusten Meisterwerk zitierte. Irgendwie erinnerte er mich an eine Art attraktiven Vincent Price, aber das Publikum liebte es. Sie schwiegen wie das sprichwörtliche Grab, während er las. Kein Flüstern, kein Kichern.

Als er fertig war, wurden ihm Fragen gestellt. Viele Fragen. Seine Fans wollten alles von ihm wissen: von „Woher er seine Ideen bekam“ (bei dieser Frage rümpfte er leicht die elegante Nase und bat um die nächste) bis „Ob er mit jemandem liiert war“.

„Ich bin mit jedem in Verbindung“, sagte Savant mit träge schleppendem Tonfall und tippte sich an die Stirn. Entweder um sein Drittes Auge anzuzeigen oder um anzudeuten, dass sein bewegtes Sozialleben ihm Kopfschmerzen verursachte.

Vielleicht hätte ihm der Sekt geholfen, aber seine Fans tranken direkt alles auf.

Friedlander hörte zu und aß Pizzarollen, als gäbe es kein Morgen mehr. Wann immer Savant mich gnädig „Andrew“ nannte, lächelte er nervös in meine Richtung.

Und dann fragte ein Kunde, woran Savant im Moment arbeitete. Offenbar war dies die Frage, auf die er nur gewartet hatte. Er stand auf und warf seinen Umhang nach hinten.

„Wie Ihr alle wisst, habe ich ein Vermögen damit verdient, Geschichten über Okkultismus und seine Anhänger zu erzählen, aber mein jetziges Projekt ist kein rein fiktives Werk. Während meiner Recherche habe ich Beweise für einen realen, geheimen Kult entdeckt, eine unheilvolle Organisation, die sich seit zwei Jahrzehnten die Jungen und Naiven als Opfer aussucht. Ein Kult hier, in genau dieser Stadt. Ich plane, in meinem nächsten Buch diesen Kult und seine Anführer der Welt zu enthüllen.“

Bob Friedlander ließ seinen Pappteller fallen. Pizzarollen verteilten sich auf dem Eichenparkett. Ich beugte mich vor, um beim Einsammeln zu helfen und sah aus dem Augenwinkel, dass Bob zitterte. Ich schaute ihn an. Sein rundes Gesicht war kreideweiß, Schweiß stand ihm auf der Stirn. Anscheinend hatte er furchtbare Angst.

Ich drehte mich um. Gabriel Savant strahlte sein Publikum an, die meisten lächelten und redeten aufgeregt durcheinander – höchst erfreut darüber, dass ein weiterer dieser lästigen Kulte bald Geschichte sein und Stoff für einen Bestseller liefern würde. Ganz hinten im Raum jedoch stand eine kleine Gruppe junger Frauen. Sie waren ganz in schwarz gekleidet, trugen Leder und Spitzen; Make-up und Haare eindeutig von Halloween inspiriert. Lily Munster: Die frühen Jahre. Es schien, als würden sie ihn auszischen.

„Ich liebe dieses Haus“, seufzte Lisa. „Ich bin hier so glücklich gewesen.“

An jedem ersten Samstag im Monat war ich zum Brunch mit meiner Mutter verabredet – in den angestammten Ruinen der Porter Ranch im Nord Fernando Valley.

Diese Brunch-Tradition hatte begonnen, als ich Stanford verlassen und ihr schonend beigebracht hatte, dass ich nicht ins heimische Nest zurückkehren würde. Das hätte eigentlich keine Überraschung sein sollen – genau genommen konnte man das nicht mal als schlechte Nachricht bezeichnen – aber da sie sich entschieden hatte, trotz einer Vielzahl geeigneter Bewerber nach dem Tod meines Vaters nicht wieder zu heiraten, war ich der Einzige, den Lisa auf der Welt noch hatte. Wie sie selten vergaß, mich zu erinnern.

„Es ist ein wunderschönes Haus“, pflichtete ich ihr bei.

Das Haus duftete nach Pinienholz, Zimt und Äpfeln. Es fühlte sich warm und weihnachtlich an. Irgendwie war es immer noch mein Zuhause. Ich hatte meine ersten Schritte auf dem Marmorboden der Eingangshalle gemacht (ein erster Versuch, auszubrechen). In den ruhigen Straßen, die es umgaben, hatte ich Fahren gelernt. Ich hatte meine erste, erregende, hastige sexuelle Erfahrung im Schlafzimmer im oberen Stock gemacht – unter den freiliegenden Eichenbalken und unter dem Bild des jungenhaft lächelnden Robert Redford in „Der Unbeugsame“.

„Obwohl es wirklich zu groß ist für eine Person“, fügte sie hinzu, als ob ihr erst jetzt diese anderen sechzehn zusätzlichen Zimmer aufgefallen wären.

„Vielleicht solltest du über einen Umzug nachdenken“, sagte ich herzlos.

Aber wie gewöhnlich hatte ich sie unterschätzt. „Wenn ich wirklich umziehen würde … glaubst du, das Haus würde sich für Jake und dich eignen?“, fragte sie unschuldig.

Ich verschluckte mein weißes Schokoladen-Birnen-Törtchen und verbrachte die nächsten Sekunden damit, mich zu fragen, ob das Letzte, was ich vor meinem inneren Auge sehen würde, dieser Film von Jake und mir sein würde, wie wir bei Neiman Marcus unser Geschirr aussuchten.

„Liebling“, ermahnte Lisa mich sanft, als ich endlich wieder sprechen konnte, „du solltest nicht mit vollem Mund sprechen.“

„Das kannst du nicht ernst meinen – dass Jake und ich hier einziehen sollen“, sagte ich schließlich.

„Warum nicht? Du scheinst ihn furchtbar gern zu haben, und er ist … er ist …“, sie suchte nach einer netten Beschreibung für Jake: „Er ist ein sehr effizienter Mensch.“

Das „warum eigentlich nicht“ war so mächtig, dass ich sprachlos war. Und das Schlimmste daran war, dass ich es für den Bruchteil einer Sekunde ernsthaft in Betracht zog.

Sie erkannte meinen Moment der Schwäche und holte zum entscheidenden Schlag aus.

„Es ist wunderbar zu sehen, dass es dir in der letzten Zeit so gut geht, Adrien, aber es bringt nichts, sich selbst zu sehr unter Druck zu setzen.“

„Das tue ich nicht.“

Sie schüttelte den Kopf, als wäre alles sinnlos. „Die Wirtschaft läuft gar nicht gut im Moment, besonders für kleine Unternehmen.“ Als ob Lisa auch nur die leiseste Ahnung von den Herausforderungen hatte, vor denen kleine Unternehmen standen. „Und wenn du davon redest, dass du dich vergrößern musst, kann ich nicht anders als mich zu sorgen, welchen Stress und welche Belastung eine zusätzliche Miete für dich bedeuten würde, Liebling. Wohingegen dieses Haus bezahlt und frei ist.“

Wie ein Tölpel sagte ich: „Selbst wenn, könnte ich auf keinen Fall die Instandhaltung bezahlen.“

Ihre veilchenfarbenen Augen weiteten sich ob meiner Naivität. „Eines Tages wirst du sehr reich sein, Liebling“, tadelte sie mich. „Ich weiß, dass ich Mr. Gracen dazu überzeugen könnte, für dich etwas von deinem Trust Fund zu arrangieren.“

„Fang nicht wieder damit an.“ Schon komisch, dass Geld absolut unantastbar war, wenn es um etwas ging, das ich für mich wollte und das Lisa nicht billigte, es jedoch direkt vor mir lag, wenn ich ihr gegenüber in irgendetwas nachgab.

„Wenn dein armer Vater gewusst hätte, dass du deine Gesundheit opferst, damit du über die Runden kommst –“

„Lisa, wohin führt das?“, unterbrach ich sie. „Denkst du darüber nach, das Haus zu verkaufen? Geht es darum?“

Als sie rot wurde, war ich völlig von den Socken.

„Ähm, so was in der Art“, sagte sie. Ein unlisalicher Satz.

Als sie nicht weitersprach, hakte ich nach: „Und?“

„Um ehrlich zu sein, überlege ich, zu heiraten.“

Adrien English: In Teufels Küche

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