Читать книгу The Rebound Effect - - Joshi - Страница 7

Оглавление

9. Kapitel - Das Lachen

Jeff Rebound war genau das Gegenteil von dem, was man sich unter einem Mann vorstellte, der eine solch große Firma leitet, mit dem Grundprinzip, dass man sich bei Krankheit innerhalb von 30 Tagen wieder erholen musste, um zur Verfügung zu stehen und damit am Leben zu bleiben. Jeff Rebound war fett und übergewichtig, was bei ihm zwei verschiedene Dinge zu sein schienen. Er trank gerne sehr viel und rauchte leidenschaftlich Zigarren. Er liebte Knopfwesten und seine flache Klappuhr, die er mit einem Kettchen immer bei sich trug. Wenn er das Ding in der Hand hatte, lobte er gerne auch nach dem hundertsten Mal den wundervoll gearbeiteten Mechanismus ihres Uhrwerks, so leidenschaftlich, als hätte er diesen gerade erst entdeckt oder die Uhr neu erstanden. Dann sprach er von kleinen Rädchen und Teilchen, die so winzig wären, und signalisierte mit seinen feinmotorisch etwas ungelenken dicken Fingern kleine Drehbewegungen, und er sagte dann schon mal unaufgefordert, unterstützend mit einem kleinen Schubser: „Digital kann doch jeder!“ Dann schmunzelte er fröhlich, und alle schmunzelten mit. In einer kleinen schmierigen Autowerkstatt mochte man sich diesen Mann gerne vorstellen, aber nicht als einen eher heiteren fröhlichen Boss, der den Boss zu zeigen ab und zu als nötig befand, denn eigentlich waren alle Mitarbeiter seine `Kinder, Freunde´ und was nicht alles. Wenn er redete, glaubte man am Ende immer, ihm dafür danken zu müssen, selbst ein Teil dieser Firma zu sein. Seine kleinen deftigen Witzchen ließ man als ein Zeichen von Gutgelauntheit über sich ergehen. Seine Schreiwutanfälle hatten bereits Berühmtheit erlangt. Er konnte schreien und sich dabei mit den Backen seines hochroten Babygesichts so weit aufplustern, dass man bereits fürchten musste, gleich die Fetzen seiner zerplatzten Existenz von den Wänden kratzen zu müssen. Er lachte gerne mit einem schmalmündigen Schmunzeln über das gesamte Gesicht und seine Kinderliebe erschien einigen schon fast verdächtig, aber eins war klar: Seine zwei Leitsprüche galten in der Firma, und sie waren seine Bibel. Wenn mal wieder die Kacke am Dampfen war, so erinnerte er schließlich das versammelte Auditorium daran, sich mal wieder innerlich zu sammeln, mit der feierlichen Bemerkung: `Ein Tag ist ein Tag, dass man ihn lebt. Eine Woche ist eine Woche, dass man sie lebt. Ein Monat ist ein Monat..., so meine Herren und Damen, merken Sie sich das gut - und jetzt sind Sie dran!´ Ansonsten hatte er des Öfteren auf dem Flur seinen zweiten, eher unscheinbaren Leitspruch auf den Lippen: `Bleibt sauber, dann versucht auch keiner, Euch zu säubern!´


10. Kapitel – The Rebound Effect

Sie hatten das gleiche Café gewählt wie zuvor und den gleichen Fensterplatz ergattert. „Nun, ich will ehrlich sein!“ begann Susan: „Ich bin zweimal im Vorstellungsgespräch durchgerasselt, bei Rebound, sie wollten mir nur einen Zeitvertrag geben, als Springer.“ Harry spürte wie sich in ihm etwas verkrümmte und verknotete, jetzt war es aber genug: „Hören Sie, Susan!“ er wurde leicht sauer, sie nahm das als Zeichen, dass er sie mochte und kicherte innerlich. „Entweder wir spielen hier mit offenen Karten oder -vergessen Sie‘s.“ „Aber ja!“ nickte sie verständnisvoll und nahm eine ihre Ernsthaftigkeit unterstreichende gerade Haltung ein. „Sie wissen ganz genau, jeder weiß, dass es bei Rebound nur einen einzigen Test gibt. Zeitverträge existieren nicht. Hören Sie auf, erzählen Sie mir keinen Blödsinn. Rebound ist keine Sekte oder so etwas, das Unternehmen Rebound Effect nimmt jeden. Er muss lediglich bereit sein, die Vertragsbedingungen zu akzeptieren. Jeder wird genommen, egal welche Vorkenntnisse, egal welche besonderen oder nicht vorhandenen Fähigkeiten. So einfach ist das.“ Susan sah ihn nun ernst an, er konnte spüren, wie ihr ein wenig die Überlegenheit entglitt, aha, Schale geknackt, jetzt kommt das Kätzchen zur Sache, aber ich sollte weiter vorsichtig sein. Sie hatte für ihn etwas Unwirkliches von dem er befürchtete, dass er damit nicht klar kommen könnte, war er etwa verliebt? Das bloß nicht, es musste um jeden Preis verhindert werden, so was kann ich zurzeit nicht gebrauchen, dachte er, als ob man Liebe verhindern könnte. Er entschied sich, dem entgegenzuwirken und einen Ton von größerer Sachlichkeit anzuschlagen, fast geschäftlich. Also gut, er erklärte es Ihr noch einmal: „Sehen Sie Susan, die Firma Rebound Effect hat ein einfaches Finanzierungskonzept entwickelt: Die Mitarbeiter bezahlen keine Rentenbeiträge und keine Krankenversicherung, mit diesen entfallenden Nebenkosten kann die Firma Arbeits-plätze sichern, viel höhere Gehälter auszahlen, teilweise das Dreifache des Üblichen und sogar Prämienausschüttungen als zusätzliche Anreize vornehmen. Die Angestellten erhalten ab dem 65. Lebensjahr keine Rente, sondern scheiden aus dem Leben aus. Dasselbe geschieht mit jedem, der 30 Tage krank ist und nach diesem Zeitraum der Firma nicht mehr zur Verfügung steht. Alles vertraglich vereinbart im Einverständnis und Wissen der Mitarbeiter. Dadurch gibt es keine Rentenauszahlung und folglich auch keine Rente. Genauso entfällt auch eine über das Arbeitsverhältnis hinausgehende Zukunftsplanung, etwa das Anhäufen von Erspartem.“ Er lehnte sich entspannt zurück, wie jemand der einen todsicheren Tip zu vergeben hat. „Eben ein perfektes Finanzierungssystem!“ Susan war sprachlos, sie sah ihn entsetzt an. Er musste eine Sprechpause einlegen und fand dann auch, dass er alles wesentliche gesagt hatte, all die kleinen Nebendetails, die ihm noch im Kopf rumschwirrten, dass Rebound zwar einen festen Sitz hatte, aber fast alle Arbeitsbereiche durch Außenstellen in allen möglichen Ländern abdeckte, all das ersparte er ihr. Als sie wieder zu sprechen begann, war er fast in einer kleinen Gedankenwolke verschwunden und musste sich zwingen, ihr zuzuhören. „Also gut“, sie befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen. „Der Grund, weshalb ich Sie aufgesucht habe, ist mein Vater. Mein Vater arbeitet in der gleichen Firma wie Sie, bei Rebound Effect, seit mehr als 15 Jahren. Mein Name ist Susan Lauren.“ Harry zog seine Augenbrauen hoch. Lauren, meinetwegen, viele heißen so. „Das Problem ist“, fuhr Susan fort „Mein Vater wird in diesem Jahr 65.“ – Klick - Er sah sie an, sie sah ihn an. „Sie wissen, was das bedeutet?“ Harry sagte lieber nichts, egal wer Lauren war, ob er ihn kannte oder nicht. Harry wusste, was das bedeutet. Es bedeutete in diesem Jahr den Tod für Lauren. Noch in diesem Jahr würde der Vater von Susan Lauren sterben, sie hatten es seit Jahren gewusst, aber jetzt, so kurz davor, der Tatsache ins Auge zu sehen, das war etwas ganz anderes. „Ehrlich gesagt...“, er wollte die Eisesstille wenigstens irgendwie unterbrechen, bevor ihm diese Frau hier vor all den Leuten in Tränen aufgelöst auf den Tisch knallte. „Wenn ich mich recht entsinne“, log er „habe ich - habe ich - ihn in den letzten Wochen, ... naja,...wohl öfter nicht mehr gesehen.“ Susan berührte seinen Ärmel auf dem Tisch. „Vincent, er ist natürlich des Öfteren krank gewesen. Es war alles zu viel für ihn." Sie zerrte leicht daran. „Er hat noch zwei Monate, im August wird es passieren, und wir sind völlig verzweifelt. Deshalb dachte ... ich doch auch, wenn ich ...in der Firma anfange,...“ Harry musste über so viel Einfalt schmunzeln, obwohl dafür gerade kaum der richtige Zeitpunkt war. Er konnte nicht anders. Hast du dir so gedacht, sah er sie an. Mein Gott. was wissen die eigentlich alle? Denken die überhaupt mal nach? räuspernd entschuldigte er sich: „Es ist wohl kaum denkbar, dass die Firma das Familienmitglied eines Relienten, ähem, eines Letztjährigen, einstellt. Hier ist ja nichts geheim.“ Sie schaute ihm in sein Gesicht, so dass er sich etwas zu ihr über den Tisch herunter beugen musste, die Kaffeetassen schrieckten bei der Berührung leicht über den Tisch: „Warum haben Sie mich schon im Gespräch abgelehnt? Was war der Grund?“ Harry wusste, dass es jetzt erst mal nur ein Thema gab, oh nein, meine süße Dame: „So nicht, das erzähl ich Ihnen ein anderes Mal, ist nichts Schlimmes.“ „Dann können Sie‘s mir doch auch gleich sagen?“ „Was soll das?“ blieb er hart. „Sitzen wir hier, um, uns gegenseitig Vorwürfe zu machen? Was wollen Sie von mir? Ich kann ihnen nicht helfen und im Übrigen: Diese Vorstellungsgespräche sind mein Job. Sagen Sie mir nicht, wie ich meinen Job zu machen habe. Ich bin im Aufsichtsrat der Firma, begehe monatlich an die zehn Auslandsreisen und darf mit einigem Stolz behaupten, in meinen bisherigen acht Jahren Rebound Effect eine ziemlich steile Karriere gemacht zu haben. So und nun entschuldigen Sie mich bitte, guten Tag.“ Er hatte endgültig genug - süße Lippen hin oder her, aber dieses ständige Theater war ihm zu viel. Solche Bitten um lebensrettende Hilfe hatte er immer wieder erhalten, oft auch mit eindeutigen Angeboten. Aber die Firma hatte Verträge mit diesen Personen, und sie haben sie akzeptiert - That`s the Law! Am Ende kneifen gilt nicht. Feiglinge – alle. Erst nicken sie jahrelang mit dem Kopf, nehmen jede Vergünstigung mit, und dann? Nein! Zum Leben gehört ein Anfang und ein Ende.


11. Kapitel – Die Tür

„Du kommst reichlich spät!“ empfing ihn Paula an der Tür in diesem unterschwelligen Tonfall, den er an ihr so hasste. Am Tisch musste er erst einmal tief durchatmen, eine weitere Tasse Kaffee, die ihm Paula bereitwillig eingoss, war gar keine schlechte Idee, obwohl ihm sein Magen gerade Sturmböen und Sonnenstiche aufführte. „Hat Susan dich endlich erwischt?“ Er hätte beinahe den ganzen Kaffee über den Tisch geprustet, aber ein kleiner Verschluckungsanfall mit anschließendem nach Luft ringen musste ihr erst einmal genügen „Ob du Susan Lauren getroffen hast?“ stichelte sie weiter. Er war völlig perplex. Er brauchte Zeit, und so fragte er nur zurück: „Bitte wen?“ Verdammte Schauspielerin, schoss es ihm durch den Kopf. Sollte sie das alles etwa mit Berechnung …? Das kann ja wohl nicht wahr sein, jammerte er in sich hinein, Junge, du wirst langsam alt, warum hast du nicht deinem ersten Gefühl vertraut? Mit dieser Person stimmte irgendetwas nicht. Und woher kannte Paula Susan? „Sie ist schon seit drei Wochen hinter dir her, Harry, sie tat mir so furchtbar leid, heute Morgen stand sie völlig aufgelöst in dieser Tür!“ Paula zeigte quer durchs Zimmer. „Ihr Vater, Harry, schrecklich. Könntest du nicht vielleicht diesmal eine Ausnahme machen, wenigstens dieses eine Mal? Diese verfluchte Firma, sie macht alle unglücklich!“ Paula schlug leicht mit der Faust gegen ihren Schädel. Harrys Gehirn arbeitete jetzt unter Hochdruck, was war hier los? Er hätte sich selbst eine reinhauen können wenn dieser gottverdammt heiße Kaffee nicht schon eine leichte Verbrühung seiner Hand verursacht hätte, und das wollte er zunächst einmal als Selbstbestrafung ausreichend gelten lassen. „Bitte, Paula, erzähle mir doch bitte erst einmal der Reihe nach. Was ist eigentlich passiert? Und warum hast du mir nicht schon vorher etwas davon gesagt?“ Was brabbelt der denn da? dachte Paula. „Harry, du warst doch schon längst unterwegs zum Supermarkt. Ich habe sie dir doch nur hinterher geschickt. Keine Ahnung, warum sie gerade zu mir kam. Erinner dich doch. Auch wir haben uns gestern Abend nur mehr durch Zufall gesehen.“ Sie erzählte ihm nun die ganze Geschichte, es war nicht mehr und weniger, als er nicht schon wusste, lediglich an Susans Gesicht in 5005 konnte er sich auch jetzt noch nicht erinnern. Er musste ihr Band noch irgendwo haben, gleich am Montag, im Büro, würde er es suchen. Verflucht, was denn heute noch alles? „Ja, es stimmt!“ gab sich Harry geschlagen. „Sie hat mich heute im Supermarkt abgefangen, immerhin verdankst du ihr die Auffindung dieses wertvollen Käses. Voila, La Vache qui rie!“ er holte die glückliche Kuh aus seinem Pappkarton, doch noch ehe er sie Paula überreichen konnte, packte sie das kleine rote Ding und schleuderte es in die Ecke. „Verdammt noch mal, Harry, so begreife doch! Ihr Vater wird sterben und du redest von diesem blöden unwichtigen Käse. Du sagst doch selber in letzter Zeit immer, dass da was nicht stimmt, bei Rebound. Harry, sei endlich ein Mann und unternimm etwas!“ Begreife doch, begreife doch, wie lächerlich, als sollte er es in die Hand nehmen, um es noch besser...„Was soll ich denn tun? Ich kann nichts tun. Niemand kann etwas tun. Das ist das Gesetz!“ Sie holte tief Luft: „Gesetz, Gesetz!“ äffte Paula ihn nach. „Wenn es Gesetz wäre, zu Hause seine Frau zu verprügeln, würdest du es wohl auch noch tun, ja? Ihr blöden Männer, du und Bloke und wie deine Kumpels alle heißen. So eine Klappe habt ihr, aber wenn’s drauf ankommt so viel in der Hose!“ Ach nein, dachte Harry, sie standen sich wie zwei Kampfhähne gegenüber, Paula war völlig außer Atem. „Aber warum regst du dich denn so auf?“ Sie weinte, das war nicht gut, er ertrug das nicht und setzte sich neben sie auf die Couch. Nach einer Weile sagte er: „Also gut, ich will sehen was ich tun kann, aber versprechen kann ich nichts.“ „Das klingt schon besser, Liebling!“ strich ihm Paula sanft durchs Haar. „Paula, ich habe keine Ahnung wie das mit den Relienten läuft, niemand weiß das, was soll ich tun? Wie packt man so was am besten an?“ „Ich mach dir einen Vorschlag, Harry! Wir gehen jetzt schön was zusammen essen und dann überlegen wir uns gemeinsam eine Taktik.“ Taktik, das klang nach Arbeit. Aber sie hatte wohl Recht, bloß nichts überstürzen, und der Tag war ohnehin schon im Eimer. Sie nahm seine verbrühte Hand und zirpte: „Kaffeetrinken, mein Lieber, durftest du heute ja schon genug!“


12. Kapitel - Die Agentur

Paula und Harry hatten ein Spiel entwickelt, das sie `Agentur´ nannten. Waren einzelne Personen in einem Café, einer Bar oder einem Ort, an dem man ihnen nicht entkommen konnte, allzu dämlich oder unerträglich, so gab immer einer von ihnen beiden vor, diese Personen über eine Agentur gemietet zu haben, genau für den heutigen Abend. „Extra für meinen Liebling und rate mal, wer da heute noch alles kommt!“ Dieses Mehr-Wissen um Personen, die sich in einem gleichen Raum befanden wie man selbst, schürte den Reiz des Abends um ein Beträchtliches. Schon oft hatten Sie über den eigentlichen, tieferen Sinn solcher Rollenspiele nachgedacht, aber, um zunächst einen langweiligen Abend aufzupeppen, genügte es, Personen zu charakterisieren - ohne - deren Mitwissen, ihre weiteren Handlungsweisen zu prophezeien und dann bei Gelingen oder Fehlschlag vor Lachen unter dem Tisch zu liegen. Das Spiel ging praktisch los, wenn sie zur Tür hereinkamen. Der Armadillo-Club, mit seinen extravaganten Pärchen und Gesichtern war für dieses Spiel ein exzellenter Nährboden, zumal sich gleich im Stockwerk darüber die etwas frechere Club-Version befand: Das `Mind of Babe Laze´ mit seinem Emblem, dem gähnenden Faultier. „Jetzt lassen wir die Kirche mal im Dorf“, hatte Paula zu Harry noch unterwegs im Taxi aufklärerisch gesagt: „Diese Frau will, dass du ihr hilfst, es geht also nicht dir an den Kragen, denke daran. Niemand verlangt von dir Unmögliches.“ Er fand, dass Paula heute, an diesem Abend einfach toll aussah, dieses entschlossene Funkeln in ihren Augen. Wie schafften es diese Wesen nur, noch vor einer dreiviertel Stunde völlig verheult auf einem Sofa zu liegen und wenig später wiederum so zu strahlen, dass man am liebsten in seinem eigenen Jackett nachgesehen hätte, ob man überhaupt der war, den sie für diesen besonderen Abend auserwählt hatten. „Sprich mit Rebound.“ schlug Paula vor. „Versuch herauszubekommen, wer in der Firma ein Verbündeter von dir sein könnte, überleg doch mal, denk scharf nach, es muss doch noch andere geben, die in einer ähnlichen Lage wie Susans Vater sind. Ist dir da nicht irgendjemand aufgefallen?“ Harry dachte nach. „Weiß nicht, Bloke ist der einzige, mit dem ich mich wirklich gut verstehe, fast blind, aber er hat nie etwas bemängelt. Nein Paula, die Firma ist schon in Ordnung, es herrscht eine gute Stimmung dort. Und mit Rebound sprechen? Darüber? Was soll ich ihm denn sagen? Herr Rebound, ich habe da einen Verdacht? Könnten Sie bitte den Vater von Susan Lauren verschonen?“ „Harry!“ fuhr Paula hoch. Sie wurde über seine mangelnde Ernsthaftigkeit leicht angesäuert. „Natürlich nicht so. Dummkopf. Halte mich bitte nicht für bescheuert! Also: Was ist der Grund? Warum muss ein Relient sterben?“ Harry versuchte ernst zu bleiben, aber es war wirklich lächerlich. Begreifen, versuchte er sich zu konzentrieren. Begreifen. „Weil er 65 Jahre alt wird - und damit scheidet er aus der Firma aus“, betete er gelangweilt herunter. „Gibt es noch andere Relienten? Zurzeit? Die du vielleicht als Komplizen gewinnen könntest?“ Harry sah die Firma vor sich, er versank in einer Wolke dieses unglaublichsten Gebildes das er je gesehen hatte. Er erinnerte sich an die rauschenden Partys der Relienten. Ihr letztes Jahr war immer ein fast paradiesischer Zustand. Sie konnten einfach alles haben. Einige von ihnen waren nach diesem Jahr so fertig, dass man glauben konnte, sie seien eher an den Folgen dieser Ausgelassenheit zugrunde gegangen. Keiner wollte sich dieses Jahr entgehen lassen. Man konnte so viele Frauen haben wie man wollte, verrückte - sonst unerschwingliche Dinge - tun und das Beste: Jeder in der Firma klopfte einem ständig auf die Schulter, man genoss das Ansehen eines Fürsten. Wenn man auf dem langen Flur entlang ging, tuschelten sie hinter dem Rücken und flüsterten voller Ehrfurcht: `Da läuft ein Relient´… Es war ein Jahr mit einer einzigen Gänsehaut. Harry erinnerte sich an den alten Conick, der damals fast ständig vor Glück in Tränen ausgebrochen war und immer nur noch stammeln konnte: `Danke, meine Freunde, danke. Danke, dass ich das noch erleben darf! ´ Ganze Hotelzimmer hatte er verwüstet, die Glasetagen von Einkaufshäusern in Scherbenabteilungen verwandelt, und sein sehnlichster Wunsch wurde ihm erfüllt: Eine eigene Kneipe. Und egal, was er tat, er wurde belobigt, es wurde gratuliert, nie hatte Harry bei einem Toten ein zufriedeneres Gesicht gesehen, als bei ihm und das auch nur, weil Conick ihn in seiner letzten Stunde gebeten hatte, ihn zu begleiten. `Conick, du Glückspilz´, dachte Harry. `Gott habe dich selig!´ Er schüttelte den Kopf : „Nein, Paula, keine Chance, so etwas wie dieser Lauren ist selten, es kommt vor, ja, aber meistens stimmt dann auch schon Jahre vorher was nicht, ich meine, ich meine, du hast doch genug Zeit im Leben, dich auf's Sterben vorzubereiten. Dafür ist das Leben bei Rebound eben eine Klasse besser. Ein Tag ist ein Tag, eine Woche...!“ Paula wurde wieder zornig „Du redest ja schon wie diese Werbefritzen von Rebound, diese glatzköpfigen Opi‘s in ihren lächerlich bunten Badehosen, umringt von all diesen zwitschersüßen Girls. `Komm zu Rebound… and you`ll get refound´!“ trällerte sie wackelnd in ihrem Stuhl wie eine armschleudernde Tanzmaus. „Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass dieses Spiel mit dem Alter der genau umgekehrte Quatsch dieses Jugendwahns ist? Was wollen denn diese Leute? Mehr Geld? Vielleicht noch mehr Geld? Luxus? Harry, erzähl mir nichts. Sieh mich an, ich habe nicht viel, aber du sitzt trotzdem hier. Hier mit mir und nicht mit irgendeiner dieser hyperreichen Reboundtanten, denen sie sogar die Kosten ihrer verkorksten Körper-kochsalz-operationen bezahlen. O. k. es lief nicht so gut mit uns, aber es könnte wirklich schlimmer sein. Ich wollte nun mal keinen Mann, dessen Kinder schon Jahre vorher die Beerdigung ihres Vaters im Kalender ankreuzen müssen.“ `Mrrrmh´, machte Harry. Da waren sie wieder, die alten Themen und wurden auf den Tisch gepackt. Sie hat es nicht verstanden und sie wird es auch nie verstehen. Jetzt konnte der Abend umkippen. In dieses traurige Vorwurfs-Ping-Pong-Spiel, mit dem sich beide jahrelang herumquälten, drängelten sich nun wieder die Sorgen anderer hinein und die Sorgen anderer konnten immer schnell eine Gefahr für das eigene Wohlergehen sein. Er musste an Susan denken, sie war wirklich sehr eindrucksvoll gewesen. Er brachte sie ins Spiel, Paula schien das alles ebenso zu sehen und stieg drauf ein. Sie hatte Mühe, Harry davon zu überzeugen, dass nur ein Teil von Susans Auftritt Show gewesen war. Was hätte sie denn machen sollen? fragte Paula. Stimmt schon, dachte er. Wäre ich in dieser Situation und wollte ich etwas von jemandem wie mir, stimmt, dafür hatte sie es recht gut angestellt, dieses Biest, ärgerte er sich. Genau auf dem falschen Fuß erwischt. „Ich habe ihr nichts versprochen!“ fiel es ihm ein und er merkte insgeheim, wie diese Rechtfertigung der Anfang seiner Kapitulation war. „Ok, Ok. Ich werde versuchen, diesem armen Mädchen und ihrem durchgeknallten Daddy zu helfen, was für ein Vogel er auch immer sein mag!“ Paula umarmte ihn euphorisch, bestellte schnell noch eine Runde Getränke, der Anfang war gemacht, jetzt zeigen wir’s dieser aufgeplusterten Bande. Harry begann wieder leger den Mittelfinger seiner rechten Hand zu bearbeiten und darüber nachzudenken, wie man es denn am geschicktesten anstellen könne, das Geheimnis des plötzlichen Todes der Relienten herauszubekommen. Computerdateien? Sehr gefährlich, schätze mal, sobald du da anfängst rumzuschnüffeln, könnten die sehr ungemütlich werden. Obwohl, in meiner Position? Aber die Hauptdateien sind ja gar nicht für alle zugänglich, die holt der alte Rebound höchstens mal für die 9.00 Sitzung ‘raus, um uns ordentlich den Marsch zu blasen. Harry dachte an den kalten, gekachelten Sterberaum, wie sie ihn spaßig nannten, wenn man mal wieder dort Schicht hatte. Es waren doch nur Daten und Zahlen, versuchte er sich zu beruhigen. Ein kleiner Raum mit einem Sessel, vielen Kabeln und einem Bildschirm. Aber gerade das machte es wohl so unwirklich: Man sah nichts, tat nichts und es passierte doch etwas. Nein, es gab Dinge zwischen Himmel und Erde, an die konnte er sich einfach nicht gewöhnen. Vielleicht war es auch ein Irrtum? Lauerns Name war ihm in den offiziellen Listen gar nicht aufgefallen, sonst hätte Susan doch auch nie zum Vorstellungsgespräch erscheinen können, der Computer hätte sie aus den Einladungskarteien rausgeworfen und fertig. Dass Lauren weiterleben wollte, war nie zur Sprache gekommen, und die Firma nahm nur sehr ungern zwei Personen in so engem Verwandtschaftsverhältnis auf. Viele Bewerber waren sich der Konsequenzen oftmals dann doch nicht ganz so bewusst, wie sie taten, und schon hatte man das Drama. Wer einmal drin war, konnte da nicht mehr raus. Lediglich bei den medizinischen Einstellungstests konnten sie noch was drehen, wenn sie die Hose voll hatten, aber das war der Firma dann auch schon egal. Sie ließen sie immer gehen. Es muss doch einen Weg geben, alles offen und ohne Geheimniskrämerei heraus zu bekommen? Einen einfachen Weg. Der einfachste Weg ist immer der beste. „Na gut!“ begann Paula erneut. „Mal anders betrachtet: Was ist anders bei Rebound als bei anderen Firmen? Bis auf die Tatsache natürlich, dass es da ja allen so gut geht und so weiter?“ Harry dachte nach, das Thema wurde langsam anstrengend, also gut: Rebound bezahlte ihnen sogar die Bestattungen und ließ ihnen völlig freie Hand bei der Wahl des Ortes, na und? Ach ja, eine ärztliche Kontroll-untersuchung durfte nur innerhalb der Firma vorgenommen werden. Nie bei Fremdärzten, schließlich wollte die Firma bei ernster Erkrankung sichergehen, dass sie ihre Arbeitskräfte auch behielt und zwar in der bestmöglichen Verfassung. Deshalb war ja auch die Gesundheitsvorsorge und Betreuung so vorbildlich und in vielen Fachblättern immer wieder lobend erwähnt worden. Ihm fiel nichts ein. Nichts Verdächtiges. „Harry, bitte, schalte deinen Kopf ein, es ist...!“ Aber natürlich. Er zeigte schwungvoll mit der Hand auf Paula, als hätte sie eben den Hauptgewinn gezogen. „Einschalten!“ jubelte er: Das ist es. Sie kontrollieren die Anwesenheit anders. „Jeder Mitarbeiter, der seinen Arbeitsplatz betritt, wird automatisch durch eine an der Tür installierte Lichtschranke registriert. Deshalb doch auch das kleine unscheinbare Glasfaserkabel an meinem Fußgelenk.“ Er schob sein Hosenbein hoch und streckte ihr seinen Knöchel entgegen. „So wissen sie immer, wie oft und wie lange man auf seinem Arbeitsplatz war.“ Das Glasfaserkabel, natürlich. Mit einem kleinen eingearbeiteten Kupferdraht. Man spürte es kaum. Anfangs war es etwas störend, aber ähnlich wie eine Brille, gehörte es schon bald regelrecht zum Körper dazu. Hier musste der Schlüssel liegen, etwas an ihrem Körper. Paula sah nichts, es war auch so unscheinbar, dass es niemandem auffiel. Nun gut, das musste reichen. Morgen war auch noch ein Tag. Plötzlich fing sie laut an zu kichern und musste sich die Hand vor den Mund halten. „Da!“ keuchte Paula und zeigte auf eine kleine Gruppe völlig abstrus gekleideter Gäste, in knautschigen goldglitzernden Anzügen und Kostümen. Die sortierten gerade ihren 8 Personen -Tisch, wer denn nun neben wem sitzen dürfe, `Blasenschwache bitte an die Außensitze´ witzelnd und sich gegenseitig dabei immer lauthals beim Nachnamen nennend. Dabei gackerten sie so viel herum, dass der Ober schon mindestens dreimal zum Speisekartenausteilen umsonst erschienen war, Paula und Harry guckten sich an „deine?“ fragte er sie schmunzelnd „Na, klar“, gab sie sich wenig überrascht „Und rate mal, wer an diesen Tisch jetzt erst einmal eine halbe Stunde lang nicht mehr kommt?“ Harry legte seine Armbanduhr generös, gut sichtbar vor sie beide auf den Tisch und sagte nur: „Halbe Stunde? Da geh ich mit!“


13. Kapitel – Injection

Die Spritze tat kaum weh. Unter Schmerzen verstand Harry nun wirklich etwas anderes, zum Beispiel dieses lästige Fitnesstraining, das er aber durchgehalten hatte. Er wollte nach der ersten Erkrankung seinen Körper besser in den Griff bekommen. So etwas sollte ihm nicht noch einmal passieren. Sollten die anderen ruhig schlemmen und sich körperlich ruinieren, nach dem Motto: `Mit 65 ist sowieso alles vorbei´. Harry jedenfalls gönnte der Firma keinen schlaffen, untrainierten Körper. Sport, hatte er früher immer gesagt, führt nur zu Verletzungen. Seit damals dachte er darüber anders. Außerdem hatte Sterno Spritzen in den Oberarm schon oft vorgenommen. „Es ist nur ein gewöhnlicher Virus", sagte der Arzt zu Harry „gerade gut genug, um ernsthaft für längere Zeit zu erkranken und einige umfassende Untersuchungen an Ihnen vornehmen zu lassen. Mit intensivmedizinischer Hilfe aber, können wir Sie im Notfall jederzeit retten. Nur einen Rat: Gehen Sie bei sichtbaren Symptomen sofort zu Detreu. Die Inkubationszeit beträgt höchstens 2-3 Tage, sonst macht er Sie für den Arbeitsausfall verantwortlich!“ Es war das erste Mal, dass Harry jemandem für die Zufügung eines Leids dankte.


14. Kapitel - Der Plan

Danach ging Harry zielstrebig, fast gehetzt, in sein Büro. Er hasste es, montagmorgens mit einem vollen Kopf den Tag zu beginnen. Den so frühen Termin hatte Sterno ihm nur gestattet, weil Harry und Paula am Sonntag mit ihm alles besprochen hatten. Der einzige Weg, um an das Geheimnis des Relientenablebens zu kommen, führte über das Labor und die ärztlichen Untersuchungen von Dr. Detreu, dem wichtigsten Arzt von Rebound Effect. Sterno selbst hatte sie auf die Virus-idee gebracht, als er etwas sagte von `vielleicht nicht am, sondern im Körper´. Sterno gab sich stets neutral. „Es ist Ihr Körper!“ sagte er immer. „Und meine Seele.“ fügte Harry dann lakonisch hinzu. Er war sich nicht ganz sicher, ob dieser Mann ihm nicht sogar Blausäure in die Venen pumpen würde, wenn er es nur von ihm verlangte. -- Um 9.00 Uhr Sitzung. Dann wollte Harry recherchieren, mal sehen, wie viel Zeit zwischen den Bewerbungsinterviews blieb. Schon um 8.15 Uhr, eine Viertelstunde nach seinem Eintreffen, hatte er die Relientendatei durchgesehen. Lauren stand tatsächlich drauf, kein Irrtum, stimmt schon alles. Gleich im Fahrstuhl schnappte er sich dann Jenny. Sie war eine immer etwas überdrehte Person, aber kam an so ziemlich alle Dateien ran. Außerdem hatte sie etwas übrig für ausgefallene Ideen. Einmal hatte sie in zwei Wochen für die ganze Abteilung die Urlaubscharterungen klargemacht. Rebound hatte Verträge mit Fremdfirmen, statt für Entgelt durch Dienstleistungsangebote Urlaube zu buchen. Diese Leitungen hatte Jenny alle geknackt und das ganze Paket für ihre Abteilung verschnürt. „Erinnerst du dich noch an Conick?“ flachste Harry mit ihr herum und versuchte dabei so unverdächtig wie möglich zu erscheinen. „Dieser verrückte Relient? Oh ja.“ klingelte es bei Jenny. „Conick, der war hart drauf, hat wirklich alles mitgenommen!“ Harry fragte weiter. „Was meinst du, kostet die Demolition einer Glasabteilung im Kaufhaus?“ „Keine Ahnung, ne halbe Million?“ Harry wusste es auch nicht „Was hat Conick die Firma wohl in seiner Relienz gekostet? Wie viel meinst du, musste die Firma für ihn blechen?“ Jenny stutzte. „Hey, Harry. Willst du schon mal ausrechnen, was du dir später alles leisten kannst? Da hast du ja wohl noch ein bisschen Zeit? Oder hast du Angst, zu kurz zu kommen, weil die andern schon alles vorher verbraten haben?“ Er lachte mit ihr mit. „Kann man das denn überprüfen?“ Sie fragte: „Conick?“ „Ja, Conick, Jenny, bitte, tu mir den Gefallen.“ „Mach ich doch gerne, Sweety, das wird lustig!“ Sie versprach, wenn es ginge, es gleich heute noch mit reinzuschieben. Das Video von Susan sah Harry sich als nächstes an, fast im Schnelldurchlauf. War das wirklich Susan? Auch nach Betrachten des Videos befand er die Ablehnung dieser Person als eine richtige Entscheidung: Viel zu ordinär gekleidet, gekünstelte, zu kontrollierte Körperbewegungen, zu lange Denkpausen und zu wenig nervös, komischer Auftritt. Gestern, am Sonntag, hatte er mehrmals versucht, Susan anzurufen. Über die Nummer, die Paula ihm gegeben hatte. Er wollte Susan etwas beruhigen, mit dem Versprechen, dass er sich nun doch um die Sache kümmerte, aber sie war nicht zu erreichen. Wer weiß, was da schon wieder los war, aber ihr Vater war jetzt auch erst mal wichtiger. Die Uhr tickt, dachte er. Sicher war auch, dass sich in der Firma jeder frei bewegen konnte, es gab keine wirklichen Tabus, man konnte über alles reden. Es kam Harry zum ersten Mal richtig unheimlich vor, und wem immer er auf dem Flur oder auf der schönen Dachterrasse der Mensa begegnete, alles wirkte so anders, so unwirklich. Die ausgefallen lachenden Gesichter, er konnte nur Fratzen dahinter erkennen, gierige Fratzen, aber vielleicht tat er ihnen auch Unrecht? Harry fühlte sich wie von einem Magneten an den Fußboden gesogen, bis um 14 Uhr fühlte er sich nicht in der Lage, auch nur einen einzigen von Paulas Schritten auszuführen Er hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt zum alten Rebound zu gehen und ihm die Geschichte mit Susan zu erzählen, ihn um eine gemeinsame Lösung zu bitten, aber Paula hätte ihn dafür wahrscheinlich alle Käse dieser Welt einkaufen geschickt, jeden Samstag, immer vormittags, denn ihre Order lauteten schließlich ganz anders. Feind, hatte sie immer wieder gesagt, Feind. Soso, dachte er sich: In diesen angenehmen, warmen Hallen lauert also der Feind, ho, ho, Vorsicht. Vorsicht. Lauter Feinde, überall! Als Jeff Rebound Harry dann um 14.02 zu sich rufen ließ, und Harry auf dem Weg zu ihm die Faust in der Tasche ballte und sich sagte, na gut, das Spiel kann beginnen, da wusste er noch nicht, dass das Spiel bereits ohne ihn begonnen hatte.


15. Kapitel – Der Schlüssel

Er kontrollierte seine Atemzüge und brachte sie in Einklang mit dem Gehrhythmus seines Körpers, seinen Puls ertastend, konnte er fühlen, wie er ihn herunter senkte auf normale Frequenz, die Seminare bei Rebound waren wirklich sehr hilfreich. Harry wurde plötzlich klar, dass sich sein Verhalten nach außen hin nicht verändern durfte, dagegen musste er von innen etwas tun, egal was passiert, und dann klopfte er zweimal an: Im Büro von Jeff Rebound war nichts anders als in anderen Chefbüros. Harry war hier sehr oft gewesen, oft um Rat gefragt worden, aber nie um diese mittägliche Uhrzeit. Jeff Rebound war ein direkter Mann, längst zu müde, um zu schauspielern, und er hatte immer alle Trümpfe auf seiner Seite: Er war der Boss. „Harry Sehen Sie mich an, verstehen Sie mich: Dies sind die Grundprinzipien der Firma.“ begann Rebound zu sprechen. Harry war noch gar nicht richtig angekommen. -- „Ab 65 aus und vorbei. Mehr Alter gleich mehr Qualität? Das sagt heut keiner mehr. Mit den jetzigen Regelungen sind alle zufrieden. Die Forschungsrechnungen haben ergeben, dass diese Tagesfristen für das Unternehmen und alle es beeinflussenden Vorgänge in dieser Form optimal sind. Dies kann sich nur durch neuere Forschungsergebnisse ändern, aber so was interessiert uns im Moment nicht. Nun ja, es gibt, sagen wir, weibliche Anliegen, da wird gerne mit dem Wort 'Gleichberechtigung' um sich geworfen, aber sie können sich noch nicht einigen, die einen hätten für Frauen lieber eine Herabsetzung des Relientenalters, sozusagen der biologische Ausgleich zu den Herren, aber das ist nichts als Geschwätz. Frauen verbringen ihre Relienz ohnehin ganz anders als Männer, nichts als Geschwätz, diese ganzen Unausgegorenheiten - überzeugen mich nicht - haben noch nie überzeugt. Sollen sie Ausschüsse abhalten, so viel sie wollen, sollen sie alle machen, der alte Rebound lässt sie!“ Harry hatte keine Ahnung was dieser Mann in seinem ununterbrochenen Redeschwall eigentlich von ihm wollte, mal abwarten, bisher war es eine ganz hübsche Aufführung „Ein klärendes Gespräch ist immer das Beste, klärende Gespräche haben so etwas Reinigendes, nicht wahr, Harry?“ Er reagierte nicht. „Sie sind nicht dumm, Harry, im Vertrauen, neben all diesen Arschleckern sind Sie mir doch das liebste Schleckermäulchen, ha, ha, aber nein. Glauben Sie wirklich, nur das Geld mache einen guten Job aus? Nein, es ist das Herz, das mitschwingt, das Gefühl für das Ganze, das Wissen darum, nicht nur ein unbedeutendes, ersetzbares Teilchen dieses Ganzen zu sein, es ist der Mensch, der plötzlich wieder im Mittelpunkt steht, nicht die Arbeit, Harry!“ Rebound hatte durchs Zimmer fast Ballett ähnliche, tänzerische Bewegungen ausgeführt. Harry dagegen stand noch immer völlig regungslos da, fast bei der Eingangstür, nicht einlullen lassen, sagte er immer wieder zu sich, nicht einlullen lassen. „Und wenn ich nun nicht mehr kann, fragt ihr Lieben?“ Rebounds Tonfall wurde süßlich, überheblich, er schien bester Laune. „Oder schlimmer.“ Bedächtig hob sich sein Zeigefinger, und er rollte mit den Augen. „Wenn ich nun nicht mehr will?“ er flüsterte es, als wolle er gleichzeitig noch den Puderzuckerguss eines Kuchens in den Raum hinein hauchen: „Umgekehrt, Harry: Umgekehrt. Das nicht mehr Können wäre schlimmer als das nicht mehr Wollen, aber ich kann Sie beruhigen, dies ist in den 15 Jahren Firmengeschichte noch nicht einmal vorgekommen! Setzen Sie sich, Harry, setzen Sie sich. Huh.“ Rebound transpirierte leicht. „Das tat gut. Und nun zur Sache, unsere Zeit ist begrenzt, hrch, hrch. Wie geht es Ihnen?“ „Mr. Rebound, ich verstehe nicht...“, tastete Harry sich langsam vor. „So?“ wurde Rebound nun endlich ernst: „Sie ver-ste-hen nich-t?“ buchstabierte er diese Worte, dann öffnete er die Schublade seines riesigen Schreibtisches und legte auf die fast leere Tischfläche einen kleinen Schlüssel. „Nun?“ fragte er neckisch: „Verstehen Sie jetzt?“ Harry schüttelte den Kopf, ein Schlüssel, was sollte das? „Nehmen Sie ihn. Dort hinten sind auch noch zwei Gläser, den haben wir uns jetzt verdient!“ Harry nahm den kleinen Schlüssel auf, vor den großen Händen des Jeff Rebound, ging zu der Vitrine am anderen Ende des Zimmers, schloss sie auf und nahm die Whiskeyflasche mit den Gläsern heraus. „Gießen Sie uns einen ein.“ forderte Rebound ihn munter auf und fiepte. „Ich möchte ...“, er wurde fast vertraulich „…, dass Sie bei jeglicher Art von Kummer ruhig zu mir kommen. Harry, ich kann das nicht. Ich möchte zu allen gut sein, aber sie lassen mich nicht, ...Harry, ...“, seine Pause wurde lang und länger, Harry befürchtete schon, dieser Mann würde gleich vor ihm in Tränen ausbrechen. „Ich möchte gut zu Ihnen sein, Harry. In den 15 Jahren Rebound Effect hatte ich wirklich keinen so verlässlichen und smarten Mitarbeiter wie Sie. Sie waren immer ehrlich zu mir. Ehrlich und direkt. Direktheit vereinfacht vieles, fördert Vorgänge und spart Zeit. Sie haben mich nie enttäuscht, Harry, nie!“ Man konnte spüren, wie die Worte in den Raum schwebten, angehoben von dieser Stimme, wie sie alles umkleideten, sich federgleich auf sie legten und nur dieses süßliche Getränk, das jetzt beide zu sich nahmen, verband diese beiden Menschen, in dieser Stille, in diesem Raum, und als Jeff Rebound sich erhob, Harry leicht den Arm auf die Schulter legte, ihn fast umarmend zur Tür geleitete, trug er dabei ein so warmes Lächeln, dass Harry wieder wusste, warum er diesen Mann so mochte, ja liebte. Er war einfach wundervoll, und es erfüllte Harry mit Stolz, `er ist mein Boss´ dachte Harry, mein Boss´. Als er wieder auf dem Flur angelangt war verstand er trotzdem noch nichts. „Denken Sie darüber nach, aber nicht zu lange, morgen will ich eine klare, entschiedene Antwort von Ihnen haben.“ hatte Rebound abschließend zu ihm gesagt: „Es liegt alles in Ihren Händen!“ Aber er verstand es immer noch nicht. Wäre Harry in diesem Raum nur 30 Sekunden länger neben Jeff Rebound stehen geblieben, er hätte mit ansehen können, wie der Kopf dieses Mannes sich in einer Halbdrehung von der Tür zum Fenster wandte. Das Lächeln erstarrte zu Stein. `Enttäuscht´, blies es aus ihm heraus. `Enttäuscht´, ganz leise, fast nur ein Atmen. Ich kann es mir nicht leisten, enttäuscht zu werden. Dann ging er zu dem kleinen Waschbecken, schüttete den billigen irischen Whiskey in den Ausguss und wünschte, solch ein Zeug nie wieder trinken zu müssen. Jenny erwartete Harry bereits ungeduldig in der Tür, winkend mit einer Diskette in der Hand. Sie schnalzte mit der Zunge, aha, sie hat etwas entdeckt, dachte er. „Wow!“ begann sie. „Hattest einen guten Riecher und dabei hab ich dir nur das Gröbste kopiert, aber das reicht schon, es ist...es ist wie...Einkaufen in einem weltumspannenden Warenladen“ Harry legte die Diskette ein, er konnte es nicht glauben. „Conick“, kommentierte Jenny die Zahlen, „hat die Firma innerhalb eines Jahres an die 2,1 Millionen gekostet, wobei da die Folgesummen nach seinem Ableben noch gar nicht integriert sind. Der Junge hatte wirklich Ideen, was der alles gekriegt hat. Sieh mal!“ Harry ließ ihr den Spaß, sie juchzte so herum, dass er die Tür schließen musste. Auf dem Bildschirm standen Dinge wie: Monatsmieten Hovercraft, Hubschrauberflüge 140, Dauertickets 560, für Sportveranstaltungen, Konzerte, Städtereisen und die üblichen Extras, die dabei nicht mal so teuer kamen. Conicks Nutten. Klar, dachte Harry, natürlich war mal wieder das Mieten einer Hovercraft viel teurer. „War er irgendein hohes Tier oder so was?“ fragte Jenny, aber Harry dachte nicht daran, mit der Wahrheit rauszurücken, er verkaufte es ihr als Spiel und beauftragte sie, ihm solche Dateien von allen Relienten, datiert ab einem halben Jahr vor Conick und von allen danach zu erstellen. Jenny musste passen. „Warum nicht?“ wollte Harry wissen. „Soll ich hier zehn Jahre Überstunden schieben? Unmöglich!“ „Aber du kommst doch an die Daten ran, oder?“ fragte er sicherheitshalber. „Klar, bin doch nicht blöd. Nee, nee, da fragst du schon die Richtige, aber es ist ein unglaublicher Aufwand, du musst dich durch Berge einzelner Dateien wühlen und sie bündeln. Das dauert!“ „O. k.“, Harry schlug vor, zu sortieren. Nach dem Teuersten. Er brauchte ja nur ungefähre Summen, es war schließlich egal, wie viele Hotelzimmer jemand zerschlug, er wollte ja nur wissen, was das insgesamt kostete, sagen wir mal pro Monat und dann im Jahr. „Gut, Sweety, ich mach‘s. Du weißt aber, dass das eigentlich unter Datenschutz fällt? Wenn das alles über meine Computer läuft und das jemand mitkriegt, bin ich dran.“ Harry hatte schon verstanden. „Gut, Jenny, ab morgen verbringst du jeden Tag dieser Woche vier Stunden in meinem Büro, ich lass mir schon was einfallen, und bei mir schnuppert bestimmt niemand rum!“ hoffte er zumindest und musste an den verschlüsselten Auftritt von vorhin von diesem Jeff Rebound denken. „Harry, was hast du wirklich vor?“ „Nichts!“ erklärte er ihr. „Wirklich nur ein Spiel.“ Als sie gerade gehen wollte, fragte er sie noch: „Ähm, Jenny, sag mal, was könnte man mit einem kleinen, normalen Metallschlüssel anfangen, außer eine mit Getränken gefüllte Vitrine zu öffnen? Hast du vielleicht irgendeine Idee?“ Sie sah ihn nur verdutzt an und machte eine Scheibenwischerbewegung vor ihrem lächelnden Gesicht. Es war ihm furchtbar peinlich. Ich Idiot, dachte er, aber vielleicht war es gar nicht schlecht, wenn sie ihn ruhig für ein wenig verrückt hielt.


The Rebound Effect

Подняться наверх