Читать книгу The Rebound Effect - - Joshi - Страница 8
Оглавление16. Kapitel – Bloke
Aus der Radiobox ertönte das gequälte `Li-hife is such a bitch´, sofort stellte jemand den Regler lauter und fast alle 20 Personen der 4. Etage bewegten sich etwa zwei Minuten lang von ihren Tischen weg im Rhythmus dieses Songs. Harry ging eigentlich nur in die 4. Etage, um Bloke zu sprechen. Ihn zumindest musste er heute noch treffen, um Paula, die bestimmt zu Hause sehnlichst auf seinen Bericht wartete, wenigsten etwas zufriedenstellen zu können. Nun musste er mit ansehen, was sich hier schon seit Mittwoch letzter Woche dauernd abspielte. Die PR-Companie hatte einen neuen Werbetrailer herausgebracht, endlich einmal weniger Mainstream und weniger Einheitsbrei. Die neue Marschroute bei der Imagewerbung von Rebound Effect war damit klar: Jetzt treten wir alten Säcke, die Jungen in den Arsch. `Come on stack, the Rebound Effect!´ plärrte der Sänger diesen völlig abgedreckten Song durchs Kofferradio, der so mies abgemischt war, dass jeder Pimpf, der zu Hause die Musik hörte, sofort losrennen würde, nur um diese geheimnisvolle Band-maschine zu ergattern. Die Jungs von Rebound waren nicht von gestern, und wer weiß, wer weiß, was in zwei Wochen wieder für ein Schnarchsong den ganzen Tag gedudelt würde. Harry arbeitete sich an grölenden rum-eiernden Möchtegerntänzern vorbei und packte Bloke an der Schulter seines Rollpullovers. „Hey, Bloki! Hast du 'n Moment Zeit?“ Bloke zuckte herum. „Mann, Harry, hör nur, das ist der absolute Trash, diese Scheiße ist ein Knaller!“ Das sagte er jedes Mal, Harry kannte das schon in und auswendig und zog sich an‘s Fenster zurück, nachdem ihm per Fingerzeig eine Auszeit in zwei Minuten gestattet wurde. Der Ausblick von hier oben war wirklich wunderschön, man konnte weit hinaussehen. Genau betrachtet, war dieser hallen-große Büroraum eher karg, aber durch die riesigen Fenster den ganzen Tag über sonnendurchflutet, selbst wenn die Sonne nur wenig schien. Bloke war ein Freund. Es war einfach, ihn als Freund zu haben. Jeder zumindest glaubte das. Er war der typische, etwas ungepflegte, leicht übergewichtige Van Morrison-Verschnitt mit einer Vorliebe für unvorteilhafte, kurzärmelige T-Shirts. Wo andere in ihrem rollenden Akten-container wertvolle Unterlagen aufbewahrten, sorgsam verschlossen, lagerte er alle möglichen Kleinigkeiten, die darin munter herumkugelten: Winterhandschuhe, eigenartig geformte kleine Pfeifen aus Holz, aus Metall, die angeblich alle einen besonderen Wert hatten, Handrolltobacco, die entsprechenden Plättchen und Drehfilter, die dann natürlich noch mehr herumkugelten. Wahllos Kugelschreiber und noch mehr zerknitterte T-Shirts, als Reserve, wie er immer betonte, und natürlich seine geliebten Schnürstiefel. Deshalb verschloss er seinen Aktencontainer natürlich nicht weniger sorgsam, denn schon allein die Schnürstiefel mit ihrer robusten Profillaufsohle und dem schweißaufsaugenden Cambrelle-Futter, preiswert erstanden im Supermarkt, waren sein ganzer Stolz. Billig, sagte Bloke immer, billig muss es sein, und eine Rarität, das sei jetzt gerade der neueste Trend. Und wenn Bloke wollte, konnten solche Trends ganz schön lange anhalten und sich schon mal über ein paar Jahre hinüberretten. Kurzum, was immer man brauchte, Bloke hatte es. Und sie brauchten immer irgendetwas. Dann zog er die geheimnisvollen Schubladen seines Containers auf und präsentierte nach einigem Suchen den gewünschten Radiergummi, eine Sorte Lemonenbonbons, was auch immer. Und auch immer ließ man seine kleine Abschiedsbemerkung freundlich über sich ergehen. „Aber wieder zurückbringen.“ Mit Ausnahme der Lemonenbonbons geschah das natürlich nie. Jedenfalls, Bloke hatte ein gutes Herz und konnte nur selten einen Gefallen abschlagen. Trotz seiner 59 Jahre, und eigentlich richtete sich dieses 59. Jahr nur auf die Ausrichtung seines großen runden Geburtstages aus. Er hatte immer noch keine speziell besonderen Fähigkeiten entdecken lassen, er war so normal, so unverschämt wenig ehrgeizig, dass es einfach gut tat. Wenn es jemanden in der Firma gab, dem sie nicht einmal einen riesigen Lottogewinn geneidet hätten, dann war es Bloke. Jeder kam zu ihm, auch wenn es ihn nervte; er war zu nett, es ihnen zu sagen, also hörte er sich ihr Geseier immer an. Nur mit Harry konnte er so direkt reden und mit einigen seiner verhangenen Freunde, die diese Vorhänge Haare nannten und Rebound immer als verkorksten Selbstbedienungsladen bezeichneten, aber sein Bier, das tranken sie trotzdem. Er hatte schon vor längerer Zeit in den Büros Plattenspieler und Kofferradios eingeführt, ein unwiderstehlich antiquierter Spleen, aber alle mochten das. `Back to Mono´. Und auch, als seine `Neuerung´ etwas missbraucht wurde, störte es ihn nur wenig. Irgend so ein Blödmann hatte einmal an den Plattenspielern den Geschwindigkeitsregler entdeckt und fand, dass es in dieser schnelllebigen Zeit ein unverzichtbarer Spaß wäre, alte Platten auf der etwas überdrehten Geschwindigkeit von 78 abzuspielen, wirklich irre, dieser Bloke. Langweilig wurde es denen jedenfalls nie, in der 4. Etage. Als sie sich endlich in die wie immer sehr volle Mensa verdrückt hatten, spielte Bloke nervös mit zwei Kiwis und einer Orange herum. Harry zeigte sich nicht oft bei ihm, jedenfalls in der letzten Zeit, und außerdem hatte sich Bloke dummerweise den Tag so vollgepfropft, dass er seinen Freund am liebsten so schnell wie möglich wieder loswerden wollte. Fast gelangweilt hörte er sich Harrys Erzählung an. Von dem Schlüssel, von Susan, ihrem Vater und diesem merkwürdigen Gefühl im Bauch: Die Sache mit dem Virus ließ Harry lieber weg und erkundigte sich nach den Chancen, mehr erfahren zu können. Paula stellte sich das so einfach vor, er war doch kein Detektiv. „Weißt du, Harry“, sagte Bloke endlich. „Weißt du, jeder kommt zu mir und meint mir sein was auch immer erzählen zu müssen, ich find’s ja sehr nett, nur, kapieren die nicht, dass mich ihre Scheiße langweilt?“ er zeigte auf einen der vollbesetzten Tische im hinteren Bereich der Mensa. Da machte sich gerade ein albern ausstaffierter Typ in einer Kapitänsuniform vor einem halben Dutzend Zuhörern lächerlich, und Bloke schien fast verächtlich seinen Unterarm in diese Richtung zu bewegen. „Dieser Typ, Harry, nervt mich seit drei Wochen. Drei Wochen lang dieses Geschwafel. Er hat’s wie ich bald geschafft, verstehst du? Noch vier Jahre und dann bin - ich - dran. Ich. Unser Kapitän da drüben hat sich schon seine Yacht bestellt. Verstehst du? Was glaubst du, weshalb du dauernd über Golf-ausrüstungen stolperst, die verstreut auf den Fluren herumstehen und über Stapel von Pornoheften? Weil sie alle nur das eine im Kopf haben, Harry, das hier!“ er hielt die Orange hoch. Und Harry verstand nichts. Bloke war immer so. Man sagte ihm etwas, und er antwortete etwas ganz anderes. Nun komm schon, Junge. „Ich mach’s ja auch nicht anders. Wir verbringen unsere ganze Zeit damit, unser letztes Jahr zu planen. Kannst du dir vorstellen, dass Leute wie wir, die so viel verdienen, trotzdem noch Wünsche haben?“ er zeigte wieder auf die Orange und seine Kiwis, mit denen er heftig herumjonglierte. „Die sind für meine Süßen. Weißt du? Jedes Mal wenn wir uns begegnen, kriegen sie eine. Rebecca zum Beispiel, die Kleine. In vier Jahren ist sie 21, genau das richtige Alter für mich. Na und bis dahin stopf ich meine Süßen so mit Vitaminen voll, dass sie dann so fit sind, dass sie mir ein Jahr lang jeden Tag schön brav den Saft aus meinen Lenden holen können. Hast ne Ahnung, Harry, wie anstrengend koksverseuchte Sex-monster sein können? Unser Kapitän da drüben, wenn der schon längst mit seiner Jolle abgesoffen is, dann besorgen’s mir meine Süßen immer noch - Vitamine, mein Freund, Vitamine. Und das hier, was du mir gerade erzählst, das is echt ‘n Hammer, hört sich überhaupt nicht gut an, gar nich gut!“ Er machte eine Pause. Beide saßen da, als hätte ihnen jemand Honig über die Haare gegossen und es beide noch nicht recht begriffen. Als Bloke wieder anfangen wollte, mit seiner Orange zu spielen, stoppte Harry seinen Unterarm. „Jetzt hör mal gut zu. Das ist ernst.“ Bloke sah ihn an, als wäre es ihm am liebsten gewesen, Harry hätte ihn gar nicht erst aufgesucht, und das war es auch. Er kratzte sich bemüht nachdenklich an seinem Kopf und sagte: „Vielleicht ist es ja unwichtig, aber vorhin, da traf ich Jenny. Du weißt schon, die Aufgedrehte. Und als sie mir erzählte, was du von ihr wolltest, da dachte ich mir gleich: Komisch, von alleine? Nur zum Spaß? Das sieht Harry nicht ähnlich. Von diesem Lauren hat sie aber nichts erwähnt, ich schätze, irgendjemand muss hier sein eigenes Ding machen, es kann nur die 65 als Grund geben. Ich weiß dass, du nicht spielst. Kannst dir bei deiner Position gar nicht leisten. Vielleicht haben sie Lauren auf der Liste zurückgehalten und erst heute ausgespuckt? Er muss irgendetwas gemacht haben, wovor sie tierisch Schiss haben.“ Harry machte ein verdutztes Gesicht. Wer ist denn sie? Das klingt ja wie eine Verschwörung. „Nein, Bloke. Lauren stand die ganze Zeit drauf, es stimmt alles, wirklich nichts auffälliges“ „Das ist es ja gerade.“ Bloke wurde verschwörerisch, geheimnisvoll, wie in einem schlechten Krimi. „Die großen Dinge fallen niemals auf.“ Er hat wirklich eine komische Art, sich zu verkaufen, dachte Harry und bat Bloke, für ihn ein wenig die Augen offen zu halten, aber er erntete nur ein leichtes Kopfschütteln. „Das was du mir da erzählst, was du von mir verlangst, ich glaub’s einfach nicht. Ich bin ‘n unscheinbarer Typ, und ich sag dir noch was, Harry, ich möcht‘s auch noch ‘ne Weile bleiben. Also erzähl mir was du willst, aber verlange nicht von mir irgendetwas in dieser Richtung. Ich bin nicht zum Helden gebor‘n.“ Harry kam sich vor wie ein Aussätziger, das war‘s also. Aus Bloki war auch nichts rauszukriegen, mit ihm war nicht zu rechnen. So kam er nicht weiter. Paula ließ sich alles ganz genau schildern. „War Bloke nervös? Hat er das, was du mir erzählst, wirklich so gesagt? Genau so? Genau diese Worte? Denk nach!“ Was wollte sie noch? Es war ein anstrengender Tag. Alles in der Firma war eigentlich normal, bis auf das Gespräch mit Rebound. Zur Abwechslung wollte Harry auch mal etwas wissen. „Hat sich Susan gemeldet?“ keine Antwort. Natürlich, da will man mal selber was wissen – und keine Antwort. „Hast du sie erreicht?“ Paula verneinte. Verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Vielleicht sind beide getürmt? Keine Zeit zum Nachdenken. Paula löcherte schon wieder. Harry musste das Gespräch mit Jeff Rebound genau schildern, aber alles bekam er nun auch nicht mehr zusammen. Paula achtete auch immer weniger auf den Inhalt der Worte, als vielmehr auf Gesten. Kleinigkeiten. „Hat er geschwitzt? Saß er? Stand er? Wie lange dauerte das Gespräch? Denk nach, Harry, denk nach, du solltest auf so etwas achten, wir hatten es beide vorher besprochen. Waren die Gläser groß? Hast du viel eingegossen? Welchen der Schränke hast du geöffnet? Kennt vielleicht noch jemand diesen Schlüssel? Welchen Whiskey habt ihr zusammen getrunken?“ mehr und immer mehr wollte sie wissen. Verdammt, dann geh doch selber hin, dachte er. „Whiskey?“ wunderte er sich. „Na den, ... den ich immer trinke.“, dass sie dauernd auf diesem blöden Whiskey herumritt. Aber plötzlich schnippte Paula mit den Fingern. Er nahm einen Schluck Whiskey und nach dem dritten Glas fühlte er sich hundeelend.
17. Kapitel – Mord
Detreu war ein Arzt der Milde und des zynischen Spruches zugleich, fast immer einen unbequemen Witz auf den Lippen, hatte er doch für alles und jeden ein Ohr. Fortbildungsseminare bestritt er fast nur über Bildschirmnetz, den Gedankenaustausch unter Kollegen betrieb er die meiste Zeit des Tages, denn obwohl er der Oberarzt für sämtliche externen und internen Verteilerstellen von Rebound Effect war, traten wirklich ernsthafte Krankheitsfälle sehr selten auf. Die Vertragsklausel mit dem Ausscheiden aus dem Firmenbetrieb nach überschrittenen 30 Tagen Krankheit, musste so gut wie nie angewendet werden. In den 15 Jahren seit Bestehen des Unternehmens und den 12 Jahren seit der offiziellen, juristischen Durchsetzung der Firmenprinzipien sogar nicht ein einziges Mal. Es gab zwar an die 30 bekannte letale Vermerke bei Krankheit und vor Erreichen des Relientenstadiums, aber all diese 30 Personen waren tatsächlich sterbenskrank und empfanden das Ausscheiden als eine Verkürzung des Leidensweges. Damals war auch die Diskussion aufgetreten, ob diese Krankheitsklausel, die F 12- Klausel (so benannt, weil sie in den Firmenstatuten unter dem Register Fault an zwölfter Stelle stand), nicht Tür und Tor für Intrigen und Manipulationen öffnete. Jeff Rebound musste damals sehr kämpfen, der Öffentlichkeit zu erklären, dass es sich hier um eine Extremsituation handelte, denn in öffentlichen Diskussionen wurden Extremfälle gerne hysterisch zur Norm erklärt. `Lebenslänglich. Mörder Rebound!´ titelten die Zeitungen leidenschaftlich und es bedurfte einer Stillschweigekampagne ersten Ranges, um das Thema zu entschärfen. „Lernen Sie aus Diätenerhöhungen!“ hatte Jeff Rebound damals die Taktik vorgegeben. „Erst schreien alle bei Bekanntgabe neuer Diätenerhöhungen, dann wird das vertagt und ein halbes Jahr später, wenn’s keiner mehr hören kann, schwupp, durchgedrückt.“ Genau so machten sie es dann auch, und die Zeit gab ihnen Recht. Die firmeninternen Kontrollsysteme, Betriebsversammlungen, Diskussionsveranstaltungen überzeugten schließlich auch die Öffentlichkeit, dass Rebound Effect eine Firma anderen Maßes darstellte. Eine Firma, in der die Mitarbeiter Anteil an der Firmenpolitik hatten, das Bewusstsein war wirklich ein `unerklärlich anderes´ und am Ende, nach fast einem Jahr Herumschnupperns und Bekriegen, wurden erneute Angriffe gegen Rebound nur noch als voreilige, verirrte Attacken frustrierter Neider betrachtet, die nur zu bequem wären, sich bei Rebound selbst ein Bild davon zu machen. Tage der offenen Tür gab es schließlich genug und überhaupt, eine gut funktionierende Öffentlichkeitsarbeit der `Familie Rebound´, wie Jeff sie immer nannte, Harry brauchte erst gar nicht bei Detreu nicht auf eine tödliche Erkrankung zu drängen, er war bei ihm, weil es ihm symptomatisch schlecht genug ging, um einen Grund dafür zu haben. Sternos Viren begannen also zu wirken. Harry hatte sich nicht erklären lassen wie, um nicht in Versuchung zu kommen, den Neunmalklugen zu mimen. Sterno hatte ihm ja die Hoffnung unterbreitet, dass einige Routineuntersuchungen von Nöten sein würden, um die Ursache herauszufinden. Sterno‘s Rat folgend, war Harry sofort am Dienstag zu Detreu gegangen, er hatte das Gefühl, mehr Zeit zu benötigen, um herauszufinden, was für ein Mensch dieser Detreu war. Harrys Interesse galt einzig und allein der Frage, wie denn die Relienten aus dem Leben schieden. Und ohne Detreus Hilfe ließ sich hier nichts machen. Jemand musste ja schließlich pünktlich wie auf den Stichtag die Relienten beseitigen. Umbringen lassen konnte Rebound sie ja schließlich nicht. Nein, Umbringen, das wäre Mord, auch Rebound hatte seine Grenzen.