Читать книгу The Rebound Effect - - Joshi - Страница 9
Оглавление18. Kapitel - Detreu
„Harry!“ sagte Detreu erfreut, ihm den rechten Arm entgegenstreckend. „Wir haben uns ja schon oft gesehen und so manche kleine Meinungsverschiedenheit auf den diversen Banketten und Sitzungen ausgefochten, aber so richtig nahe gekommen, na, seien Sie ehrlich, sind wir uns noch nicht. Ich hoffe, Sie haben nichts Ernstes.“ Es stimmte, sie hatten sich schon oft gesehen und Harry musste immer wieder feststellen, wie wenig arrogant Detreu für seine Person, seines Zeichens eine Kapazität auf dem Gebiet der Radiologie, und wie wenig berechnend er war. Er hatte sich immer korrekt verhalten. Detreu war immer frei heraus, auch mal bereit, eine Gegenargumentation zu überdenken, kurz gesagt, ein vernünftiger Mann, mit dem man arbeiten – besser noch - weiterarbeiten konnte, auch mal etwas entwickeln. Diesmal wurde Harry nur etwas Blut abgezapft, einige schmerzlose Sono-und Tomographien ließ er über sich ergehen, die allerdings fast den halben Vormittag in Anspruch nahmen, dann hieß es nur, er würde zur Bekanntgabe seiner Ergebnisse informiert. So einfach war das.
19. Kapitel - Gold
Die dem Besuch bei Detreu vorangehende 9.00 Uhr Sitzung brachte keine neuen Erkenntnisse. Harry stellte an Jeff Rebound keine Veränderungen seines Verhaltens ihm gegenüber fest, es ging vor den versammelten 12 Abteilungsleitern nur um Kleinigkeiten, etwa, dass Rebound es wiederholt nicht duldete, dass auf den Schreibtischen Kaffeetassen herumstanden, das wiederholte Überschütten wichtiger Papiere mit Kaffee müsse doch wohl Warnung genug sein. Auch das Rauchen in den Räumlichkeiten der Computeranlagen, also eigentlich in allen Büros, tadelte und verbot Rebound erneut, Nikotin lagere sich ab, als kleinste Partikelchen, in kleinsten Rädchen, kleinsten Transistoren, und er verwies auf die Pausenräume, formschöne Aschenbecher mit Aluminium-klapp-kappen und so weiter und so weiter. Harry spürte die eigene innere Anspannung in Erwartung des bevorstehenden, klärenden Gesprächs mit Rebound, aber auch Paula konnte ihm nicht weiterhelfen, als nur auf ihr beiderseits entwickeltes Konzept zu pochen. Es sei nicht zu ändern, was da auf ihn zukomme, und Harry sollte abwarten. Genau das tat er auch. Jenny versprühte eine angenehm fröhliche Atmosphäre in seinem Büro, ihren Trick, wie sie an die Daten auch über seinen Computer heran kam, verriet sie ihm aber dennoch nicht. Er mochte Jenny. Sie gefiel ihm auch äußerlich und er hätte vielleicht schon mal gerne was mit ihr angefangen, aber sie hatte diese Tattoos an ihrem Körper, das stieß ihn ab. Einmal hatte er sie gefragt „Ist dir dein Körper nicht gut genug?“ sie war überrascht über seine plötzliche Ernsthaftigkeit, verstand die Frage aber nicht. Harry ist manchmal schwierig, dachte sie, das wiederum verstand Harry nicht. Jenny schaffte in ihren ersten vier Stunden drei Relienten, sie hatten beide eine Menge Spaß bei dem Ideenreichtum, den die in ihren Wünschen äußerten, und sehr interessant war auch, dass Frauen vollkommen andere Amüsements bevorzugten, als Männer, aber bei weitem nicht weniger kostspielig. Harry freute sich schon auf das für den Abend geplante Agenturspiel mit Paula, natürlich wieder im Armadillo. Gegen 14.00 Uhr war es dann so weit. Pünktlich und verlässlich ließ Jeff Rebound zu sich bitten. Harry verwahrte Jennys Entdeckungen in einer schwarzen Mappe und ging los. Er nahm die Treppe, um sein Herzklopfen zu überspielen; den Vormittag über hatte er das alles erfolgreich verdrängt, aber jetzt krochen seine dunklen Vorahnungen geradezu unaufhaltsam in ihm hoch. Er musste mehrmals unterwegs anhalten, sich beruhigen, sich selbst gut zureden, als befände er sich im Klappsitz eines Lichtspielhauses - rasend schnell aufeinanderfolgenden Bildern unentrinnbar ausgeliefert. Bildern, cineastischer Folterknechte, die vor Minimonitoren saßen und sich am Zerhackstücken freuten – Frame by Frame – und damit dann ihr Kinopublikum in der fünften Reihe quälten. Konnten sie nicht einfach nur eine Straße zeigen? 10 Minuten lang? Eine Straße? Harry wollte eine Straße, jetzt, sofort, und keine 10 Minuten, am besten tagelang, für Wochen, aber er lief den Flur entlang, unaufhaltsam, immer näher. Bilder, dachte er, ist doch nicht echt, sagte er sich, nur eine Leinwand. Zum Kotzen, warum kann man so etwas nicht unterdrücken und alles geht von selbst? `Ist doch nur Kino´, aber das Leben ist nicht Kino. -- Er beschloss, dass es eben doch Kino wäre, und er würde alles wie ein Außenstehender betrachten, als wäre er nicht wirklich da, vielleicht war das auch der beste Weg. Nach dem Anklopfen ging der Summer, die schwere Bürotür fiel fast wie von selbst in den schlichten Raum des Chefbüros. Harry rechnete mit allem, sogar mit einer Ansammlung zehn grimmig drein guckender Gesichter, die ihm das erlösende Wort an den Kopf werfen würden. `Gefeuert - Sie sind gefeuert´ und wenn er ehrlich war, war ihm das im Moment sogar am liebsten, lieber noch, als erneut solche quälenden, schier endlosen Minuten der Ungewissheit, mit diesem Jeff Rebound verbringen zu müssen. Dazu noch allein. Allein mit Jeff Rebound in seinem Büro. Feuern ging wenigstens schnell. Man konnte auf dem Absatz kehrt machen und gehen. Nun ja, die Konsequenzen würden länger anhalten, und besser wäre natürlich, man suchte gemeinsam nach einer Lösung, aber der Moment in dem das geschah, dieser Moment, er wäre furchtbar lang und quälend, da war Feuern doch viel bequemer. Aber dann dachte Harry, dass es genau das ist, worauf alle spekulieren. Die Chefs dieser Welt. Deshalb benahmen sie sich ja auch alle so. Genau so. Und deshalb konnten sie einen auch feuern. Die große Messingklinke noch in der Hand, trat Harry ein. Jeff Rebound stand diesmal nicht schon da, sondern hatte es sich hinter seinem, wie immer fast leeren, Schreibtisch bequem gemacht. `Ein aufgeräumter Schreibtisch ist ein schlechtes Zeichen für einen guten Chef.´ Harry erinnerte sich an Jeff Rebounds Worte. `Ein guter Chef hat immer einen aufgeräumten Schreibtisch. Ein guter Chef erledigt seine Arbeit selbst, und überlässt nichts Stellvertretern oder Assistenten, auch administrative Aufgaben höchst selten. Der aufgeräumte Schreibtisch ist ein Zeichen dafür, dass man delegiert, aber wer nur delegiert, hat nie alle 128 Formulare griffbereit, die er zur Entscheidungsfindung unbedingt benötigt. Wer nur delegiert, kann nicht wirklich wissen, was in seiner Firma vor sich geht.´ Harry besah sich den großen, leeren Schreibtisch. Es stimmte, er konnte sich nicht erinnern, seinen Boss auch nur einmal mit Handtelefon oder über Kreuz verquerten Strippen gesehen zu haben, damit beschäftigt, hektisch verfasste Befehle in den Hörer zu brüllen. Es bestand kein Zweifel .Jeff Rebounds Schreibtisch war leer. Dieser Mann war mehr als nur ein guter Chef. Harry trat in den Raum ein. Und zu seinem Verwundern: Sie waren allein. Er und Jeff Rebound. Harry fühlte sich zum ersten Mal wirklich allein. Paula - dachte er - Paula. „Nun, Harry“ begann Rebound seine Standardgesprächseröffnung. „Möglicherweise habe ich Sie gestern mit meinem Verhalten etwas verstört, das tut mir leid, das wollte ich nicht. Ich habe viel Vertrauen zu Ihnen und da können wir beide auf die üblichen, konventionellen Kinkerlitzchen ruhig verzichten. Sicherlich haben Sie noch keine Idee bekommen?“ Harry atmete innerlich auf. Keine Schelte, keine Zurechtweisung, sondern ein warmer, väterlicher Tonfall. Aber Paula hatte ihn gewarnt, dieser Mann ist ein Profi. Wer auf diesem Stuhl sitzt ist nicht dumm. Paula hatte Harry geraten ruhig auch mal offensiv zu werden, aber nicht in gelegte Fallen zu treten. `Sie wiegen dich in Sicherheit und wenn du dein Herz ausschüttest, dann...!´ Er versuchte es: „Mr. Rebound...!“ „Jeff“, unterbrach der ihn und lächelte freundlich: „Jeff, Harry!“ „Nun gut, ...Jeff. Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze und dass mir Ihre etwas ungewöhnlichen Methoden oftmals sehr viel Freude bereitet haben, ich habe viel von Ihnen gelernt. Aber dieses kleine Ratespiel hat mir ehrlich gesagt etwas Angst eingejagt und ...“ er überlegte „...und da haben Sie sich natürlich gefragt, was will der Kerl von mir, nicht wahr?“ vollendete Rebound seinen Satz. Harry nickte etwas beschämt, ertappt wie ein kleiner Junge. „Harry, auch heute haben wir nicht so viel Zeit, eigentlich sollte ja in dieser Firma auch niemand zu viel Zeit haben, hrch, hrch ,das verbieten ja schon unsere Firmenstatuten, na, dann wollen wir jetzt mal!“ Rebound drückte auf den Summer seines Schreibtischs, und wie auf Kommando, kam ein Mann in das Zimmer herein den Harry vorher noch nie gesehen hatte. Rebound fuhr fort: „Dieser Mann, ist Mr. Goldwin, aus der Abteilung für Relientenförderung. Seine Aufgabe besteht darin, Relienten kurz vor Beginn ihres Jahres zu betreuen und sie dann während ihrer Relienz zu begleiten. Sagt Ihnen zufällig der Name Lauren etwas, Harry?“ Da war es. Harry überraschte die offene Frage nicht, auch nicht das angezogene Tempo, in dem Rebound jetzt die Fäden fest in der Hand hielt. Er hatte am Abend zuvor alles mit Paula in Rollenspielen eingehend geübt: Den freundlichen Rebound, den unter Druck setzenden Rebound, den brutalen Rebound und so weiter. Lass mich noch mal Rebound spielen, hatte Paula nach dem fünfzehnten Mal gebeten, als Harry vor Müdigkeit schon nicht mehr konnte, und genau da hatte sie ihn mit genau dieser Frage kalt erwischt. Paula, gute Paula, dachte er, es fiel ihm ein Leichtes, ohne Zögern zu antworten. „Natürlich! Lauren ist ein, sich in der Relienz befindlicher Mitarbeiter der Firma, ich glaube im 10. Monat.“ „Und verschwunden.“ ergänzte Rebound etwas druckvoller. Er sah Harry mit großen Augen an. „Wie finden Sie das? Ein Relient verschwindet!“ Harry tat nachdenklich. Er fragte sich die ganze Zeit, was dieser steif dastehende Mr. Goldwin wohl hier sollte. Rebound nickte Goldwin zu, etwas kehlig, aber sachlich bestimmt, legte der, auf dieses Zeichen wohl nur wartend, los: „Lauren und seine Tochter sind gewissermaßen getürmt. Seit Montag ist von ihnen nirgends eine Spur. Aufgrund ihrer Statuten ist die Firma berechtigt bei unentschuldigtem Fernbleiben, ihre Angestellten in deren Wohnungen aufzusuchen und zu kontrollieren. Unser gestriger Besuch ergab ein Verschwinden Hals über Kopf, ohne Angabe eines Zielortes.“ Rebound ergänzte: „Wir haben mit Lauren seit ungefähr einem Monat Schwierigkeiten, zu7gegeben, deshalb erschien es uns am geeignetsten, dies nicht weiter zu erwähnen, bis die Sache geklärt ist. Nicht einmal unser guter. Detreu konnte uns bisher weiterhelfen.“ Detreu, dachte Harry, meine Befunde. „Vor zwei Wochen nun, hatten Sie Besuch von Susan Lauren, seiner Tochter, in Form eines Vorstellungsgesprächs!“ „Ich wusste nicht, dass sie seine Tochter ist!“ „Nein, nein, Sie haben mich falsch verstanden.“ besänftigte ihn Rebound. „Sie konnten davon ja nichts wissen, und Laurens gibt es viele. Ihr Ablehnungsschreiben gefiel mir übrigens sehr gut. Präzise und elegant formuliert. Man kann sehen, wie Sie sich Ihre Arbeit einteilen, nicht zu aufwendig, Kräfte sparend, bei Angelegenheiten, bei denen zu viel Aufwand auch unnötig wäre. Ich bin sehr zufrieden!“ Vorsicht, dachte Harry, bis jetzt stimmt alles, aber der Schlüssel? Goldwin räusperte sich, er sah nicht sehr gesund aus. „Mr. Rebound hielt es für eine Notwendigkeit, Sie näher einzuweihen!“ Harry konnte sehen, wie Rebound diese Ausdrucksweise ganz und gar nicht gefiel, doch der dicke Boss sagte nichts. Goldwin krächzte weiter „Es ist nicht gut, wenn in der Firma unaufgeklärte Fälle liegenbleiben. Vor allem, wenn sie uns jahrelang eine Menge Geld gekostet haben. Wir benötigen eine Lösung für dieses Problem!“ er machte eine künstliche Pause. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, Transpirieren, ein Zeichen für die Anstrengung, die ihm seine vorsichtig herum schlingernden Formulierungen bereiteten. „Ich habe in meinen aufwendigen Recherchen herausgefunden, dass …“ „Ja, ja, ja, ja – weiter – weiter - verschonen Sie mich – hinfort.“ Rebound wurde ungeduldig. „Verschonen Sie mich mit dem Hervorheben Ihrer Leistungen – `Ich habe herausgefunden´ – das ist ja wohl das mindeste – was wollen Sie denn sonst getan haben? Nichts herausgefunden? Goldwin, Mann, Sie großer Herausfinder, nun sagen Sie‘s ihm doch endlich!“ „Also gut, wir müssen...!“ Rebound war kurz davor zu explodieren, lediglich seine Sitzposition bremste ihn, dann beugte er sich zu Harry vor und sprach es selbst aus, flüsternd, mit zittrigen Lippen: „Harry.....es,.......ist,.......ist noch nie vorgekommen, ........noch nie!“ In den großen Raum wehte eine Wolke bedrohlichen Schweigens. Harry spürte, dass er gerade im Begriff war in eines der unerhörtesten Geheimnisse dieses Planeten eingeweiht zu werden. Ein Geheimnis, dessen unbedingter Verschwiegenheit man sich kaum noch entziehen konnte, und derer man sich auch kaum länger zu vergewissern brauchte. Die Wolke zog weiter in den Raum hinein, erreichte Goldwin, umhüllte ihn zu einem weiß staubenden Kathedermännchen, legte sich über die Aktenschränke und überzog sie mit weißem Staub, weiter an den Wänden entlang, überzog sie schließlich auch Jeff Rebounds Gesicht mit der puderigen Schicht weißer Verschwiegenheit. `Noch nie vorgekommen´. Was immer das bedeutete, damit gemeint sein konnte. Nur Harry schien diese Wolke noch nicht erreicht zu haben. Wie es sich wohl anfühlen mochte? In wenigen Minuten, ja Bruchteilen von Sekunden nur, würde er es wissen. Und auch er dazugehören. Er sah sich vorsichtig um. Was immer es war. Wenn nicht zumindest sämtliche Reboundkraftwerke gleichzeitig in die Luft geflogen waren. Harry hielt es kaum noch aus vor Spannung. Zum ersten Mal in dieser Unterredung stand er fast locker da und vergaß vor lauter Gespanntheit glatt auf seinen vorgelernten Text zu achten. Rebound verharrte immer noch in der vorgebeugten Haltung. Und er sprach immer noch ganz leise, im vertraulichsten Flüsterton aller jemals Vertrauten. „Wenn dieser Mann Dummheiten macht, Gerüchte in die Welt setzt, die Presse, dann können wir uns auf einiges gefasst machen. Verstehen Sie jetzt, wozu der Schlüssel den ich Ihnen gestern gezeigt habe, dienen sollte?“ Harrys Gesicht verkniff sich zu einer angestrengt, nachdenklichen Knautschmaske. Was redet der da? Wie sollte ich? Verstehen? Redet man so in eingeweihten Kreisen? Habe ich etwa das entscheidende Detail übersehen? Nicht mitbekommen? Etwas überhört? In seiner Hilflosigkeit antwortete Harry erstmal gar nichts und verneinte achselzuckend. Rebound sah ihn an, als hätte Harry alles richtig gemacht und beugte sich wieder zurück, um in kommentierendem Tonfall fortzufahren. „Seit diesem Vorstellungsgespräch von Susan Lauren bei Ihnen, Harry, haben wir alle Familienangehörigen und Personen, mit denen Lauren Kontakt aufnahm, beobachten lassen, also auch Susan Lauren.“ Harry begann einen nebligen Schleier um sich zu spüren. Rebound schmunzelte. Falle, dachte Harry, Falle. Alle beobachten lassen? Also auch mich. Falle. Schon passiert. Rebound schmunzelte immer noch. „Einen Whiskey vielleicht? Vielleicht mal einen, der diese Bezeichnung auch verdient? Den echten irischen?“ „Jeff“, sagte Harry, es kam zu hastig, aber irgendetwas musste kommen. Er dachte an Paulas letzten Satz von gestern Abend: `Den Wert eines anderen lernt man erst bei der Trennung kennen. Hast du dich jemals von Rebound getrennt? Riskiere alles´. „Jeff“, klang Harry flehentlich, er konnte es nicht verhindern. „Ich wusste von den Problemen mit Lauren nichts. Diese Susan. Sie hat es versucht, ja,....eben,......was...einige versuchen. Es kommt öfters vor. Und...“ Rebound zögerte keine Sekunde. „Seien Sie ruhig, hören Sie auf, hier herum zu stottern, hören Sie mir lieber zu. Sie erhalten von mir eine Vollmacht!“ „Eine was?“ „Eine Vollmacht sich dieser Sache über ihren Arbeitsbereich hinaus anzunehmen!“ Harry schluckte. „Haben Sie mich verstanden?“ knurrte Rebound. „Muss ich vielleicht noch deutlicher werden?“ Harrys Mund stand offen. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit. Die Show war zu Ende. Es war ein Fehler gewesen, schon so früh zu Detreu zu gehen, er hätte lieber noch warten sollen, einige Tage, Wochen, um die Lage besser überblicken zu können. Oder fing die Show jetzt erst an? War das nur ein Trick? Wollten sie ihn reinlegen? Das konnte doch unmöglich ihr Ernst sein. Aber Rebound wurde tatsächlich noch deutlicher: „Alle, alle, und zwar jegliche Möglichkeiten, die Sie benötigen, werden Sie erhalten, Harry. Was immer Sie verlangen, Sie bekommen es und dieser Mann...“, er zeigte auf den völlig eingeschüchterten Goldwin „wird Ihnen dabei behilflich sein.“ Harry versuchte fieberhaft zu denken, ich brauche Bedenkzeit: "Gleich am nächsten Tag", versprach er, sich ganz sicher mit einem Konzept zu melden. „Am nächsten Tag?“ brüllte Rebound: „Jede Sekunde zählt, Sie haben wohl noch nicht begriffen, wen Sie hier vor sich haben? Einrichten, mein Lieber, einrichten werden Sie sich. In diesem Gebäude. Mensch, verstehen Sie doch. Mir geht der Arsch auf Grundeis und Sie überlegen noch. Tempo, Tempo, uns allen geht der Arsch bis hier!“ Er zeigte mit dem Daumen auf sein Herz, die gefletschten Zähne, sein hochrotes Gesicht, Harry sah sich genötigt einzugreifen: „Gut, gut, ich habe verstanden, lassen Sie mich bitte trotzdem noch in meinem Büro alles geklärt haben, um den Kopf frei zu kriegen. „Ihr Büro?“ lachte Rebound schallend „Ihr Büro zieht gerade um. Ja, ja, mein Lieber, oder glauben Sie, dass ich eine so wichtige, interne Angelegenheit in einem Pissbüro wie dem Ihren, erledigen lasse? Gehen Sie, fliegen Sie, um 17.00 Uhr sprechen wir uns wieder.“ Der Hinauswurf war Harrys Rettung. Er drehte sich innerlich wie ein Kreisel. Jennys Schnüffeleien, die Grafiken, Statistiken. Hoffentlich hatten sie die noch nicht entdeckt. Eingebrannt auf der Festplatte. 100 Jahre Gefängnis. 200 Jahre Tattoos. Eingebrannt in jede Stelle seines Körpers. Er musste so schnell wie möglich in sein Büro, er rannte über den Flur, noch im Rennen dachte er an Paula, noch im Rennen dachte er, dass Rennen bei einer Entdeckung auch nichts mehr half und schon rannte er noch schneller. Jede Sekunde zählt, heulte er, die Arme schienen das Geländer bei jeder Umrundung aus den Fugen zu reißen. Die Teppichstufen verwandelten sich in aufrollende Wellen. Die Augen füllten sich mit glasigen Perlen, jede Sekunde zählt, er würde in seinem Stockwerk ankommen, wutheulend, das Wasser an ihm herunterlaufen, der Boden überflutet und alles ertränken in einer Lache schallenden Gelächters - Jeff Rebound. Unter dem Arm geklemmt Harrys Aktentasche und ihn schon mit dem Scharfrichter erwarten – empfangen - - erwarten – empfangen - erwarten. Und er rannte, schneller und schneller. Vor Angst schlotternd. Jede Sekunde zählt. Jede Sekunde.
20. Kapitel Jenny
Jenny kam ihm schon auf dem Flur entgegen. Er war vollkommen außer Atem. „Harry!“ rief sie „Harry!“ dann nahm sie ihn noch auf dem Flur beiseite. „Was ist hier los? Sie haben alles rausgerissen. Alles weggetragen, ich konnte gerade noch deine Mappe retten, was ist hier eigentlich los?“ Die Mappe, Jenny, du bist ein Schatz, er küsste sie auf die Stirn. „Und die Disketten, sind sie da auch wirklich alle drin?“ fragte er, er musste jetzt auf Nummer Sicher gehen. „Keine Angst, Süßer, ich mach das hier nicht zum ersten Mal!“ Auf dem Flur herrschte reges Treiben, sie wussten, dass ein eher lautes Verhalten weniger Aufsehen erregte, als Heimlichtuerei. Harry fühlte sich fast wohl bei dem Gedanken. Die Erklärung für den Umzug würde Rebound schon parat haben. Und was hatte er gesagt? Alle Möglichkeiten erhalten? Dann war auch Jenny eine der Optionen, die er erheben konnte. Als Harry um 17.00 Uhr Jeff Rebound sein weiteres Vorgehen unterbreitete, zunächst mit dem Vorschlag, anhand Laurens Dateien an Lauren selber heranzukommen und dies mit Jennys Hilfe, gab es keinen Widerspruch. Rebound erklärte den Umzug des Büros in den 5. Stock als Beförderung. So einfach war das. Auch Jenny wurde nun von Goldwin eingeweiht. Was für ein tolles Mädchen, dachte Harry, als sie vollkommen überrascht tat, über die sie nun erreichenden brandneuen Informationen, die sie doch schon seit Montag kannte. Jenny hatte ihm nur einmal vielsagend zugezwinkert. Was immer geschieht, hatte Paula gesagt, es ist schon zu spät.
21. Kapitel Die Suche
Was auch immer ab jetzt geschah, es war von oben abgesegnet, wenn auch geheim für die Firma. Jenny und Harry spürten sofort, dass Goldwin eher mehr eine Überwachung ihrerseits, als eine Hilfe darstellen sollte. Die wirklich wichtigen Dinge besprachen sie an diesem Abend gar nicht erst, wer weiß, was in diesem neuen Raum für Überwachungsinstallationen angebracht wurden und jeder Schritt in den Computerdateien konnte ja in den Speichern der Festplatte nachvollzogen werden. Ihr Büro war nicht größer als Harrys zuvor und schon das ließ ihn stutzig werden. Jennys Ungeduld über den wirklichen Sachverhalt, konnte Harry zunächst nur mit an sie delegierten Aufgaben bremsen. In verschlüsselten Botschaften vertröstete er sie auf später. Das Kontrollieren aller Bus-Flug-und sonstigen Fortbewegungslinien nahm genug Zeit in Anspruch. Laurens Datei mussten sie zum Schein noch einmal neu erstellen und Jenny spielte die überraschte. Das kleine Versteckspiel mit Goldwin, in dieser fieberhaften Atmosphäre, bereitete ihnen sogar zunehmend Vergnügen. Harry saß ohnehin nur rum, neben dem Computer, während Jenny in Windeseile, ganz in ihrem Element, die Tastatur bearbeitete. Schon bald quoll der Raum über vor Papier, das sich gefräßig aus zwei Druckern in in sich verschlungenen Endlosschleifen über den Fußboden wälzte. Dann machte Jenny eine kleine Toilettenpause, tatsächlich machte sie aber etwas ganz anderes, das sie Harry aber erst später mitteilen konnte. Nicht unter den Augen dieses Goldwin. Um den Abend zu beenden, gähnte sie schließlich in immer kürzeren Abständen, bis sich alle drei fast gleichzeitig mit offenen Mündern einmütig zunickten, für heute reicht‘s. Um 23.00 Uhr überließen Harry und Goldwin den abgeschlossenen Raum sich selbst, so dass sich alle drei doch noch nach Hause begeben konnten. „Frisch und ausgeruht für den nächsten Tag.“ wie Goldwin nicht zu erwähnen vergaß. Aber er erntete dafür nur ein müdes Lächeln. Denn für Jenny und Harry ging die Arbeit jetzt erst los. Paula war überrascht, über den Besuch von Jenny, die Harry gleich mitgebracht hatte, nun erst konnten beide auch sie auf den neuesten Stand bringen. Jenny machte schon gar nicht mehr Wau und Oh, wie den Tag zuvor im Fahrstuhl, auch sie war nun der Überzeugung, dass hier etwas ganz gewaltig nicht stimmte. Nun erst konnte auch Jenny ihnen wiederum zeigen, was sie vorhin auf der Toilette gemacht hatte. Sie zog einen kleinen Zettel hervor und reichte ihn rüber. Auf dem Zettel stand nur ein einziger Name: Aliston. „Ja und?“ fragte Harry. „Hör zu, Sweety.“ Paula sah sie erstaunt von der Seite an und Jenny merkte es sofort. „Naja, jedenfalls, bei meinem Rumgehacke vorhin, bin ich ganz kurz in die wahrscheinlich richtigen Dokumentendateien gerutscht. Ich konnte gerade noch rechtzeitig wieder aussteigen, Goldwin guckte schon so komisch. Mensch, Harry, der ganze Bildschirm voller Zahlen und Namen, datiert bis auf den gestrigen Tag, ein vollkommen anderes Schriftbild als sonst und am Anfang stand eben das hier, ich dachte es reicht dir als Information?“ Jetzt erst wurde er hellhörig. Aliston. Er war einer der Relienten im 7. Monat. „Naja“, sagte Jenny. „War auch bestimmt nur der alphabetische Anfang einer Aufzählung, keine Ahnung ob da noch mehr von denen auftauchen, aber er hatte als einziger dieses Extra-Schaubild und wir haben schon die Hälfte durch.“ „Könntest du da morgen noch mal reinfinden?“ „Tja, bestimmt, aber wird das unseren Mr. Goldwin so sehr erfreuen?“ „Ich werde mir etwas ausdenken, ihn abzulenken, mir fällt schon was ein. Und dann haben wir ihnen gegenüber auch einen Vorteil. Und außerdem, wir können’s immer noch als Fehler tarnen und einen Fehler dürfen wir uns bestimmt erlauben.“ Ganz so sicher waren sie sich dabei aber nicht. Klar war nur, Lauren musste innerhalb von 30 Tagen gefunden werden, sonst bedeutete es sein Todesurteil. Verstecken war keine Lösung. Am nächsten Tag wurden die eingetroffenen Nachtergebnisse ausgewertet, zwischendurch musste Harry die 9.00 Uhr Sitzung über sich ergehen lassen. Als er wieder in den 5. Stock gelangte, war Jenny nicht da, nur Goldwin. Er hatte eine freudige Nachricht für Harry, die der so freudig gar nicht empfand. Während seiner Abwesenheit, hatten sich einige neue Anhaltspunkte ergeben, es gab nun mehrere Möglichkeiten des Auffindens von Lauren. Laut Computerdateien hatten er und seine Tochter noch nicht einmal die Stadt verlassen. Mehrere Wohnungen mussten nacheinander inspiziert werden. Jenny sei schon vorgefahren, mit Begleitschutz natürlich, sie hätte darauf bestanden. Harry musste Lauren unbedingt vor Goldwin erreichen, also fuhr er Jenny sofort hinterher, alleine. Jetzt konnte ihm nur noch ein bisschen Glück helfen. Ein bisschen Glück? Das gibt es nicht. Er erhielt die Adresse, zwei Stunden von hier. Er erhielt einen Fahrer, selber Autofahren konnte er ja nicht, aus mangelnder Fahrpraxis. Als er das mehrstöckige Familienhaus erreichte, stand er allein vor der Wohnungstür, er hatte darum gebeten und den Fahrer im Wagen warten lassen. Sie hatten mit Paula besprochen, dass solche Alleinaktionen aufgrund Rebounds Handlungsfreigabe nur legitim waren und auch die Firma konnte sich keine Blöße von Totalüberwachung ihrer Schritte geben, so dass sie einwilligen mussten. Paula denkt klug, dachte Harry, aber wie es jetzt weiter ging, was er machen würde, wenn er tatsächlich plötzlich Lauren und Susan gegenüberstand? Das wusste er nicht. Und keine Spur von Jenny, dachte er, und erst als er das dritte Mal klingelte, bemerkte er, dass die Wohnungstür nur angelehnt war.