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Kapitel 3

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Southampton


Bereits am dreizehnten September traf ich in Southampton ein, um mein Schiff bloß nicht zu verpassen. Ich eilte die Anlegestellen entlang und tatsächlich, da war sie schon, meine Queen Rose! Oh, wow! Was für eine mächtig schöne, große weiße Lady sie war. Beeindruckend ist die Untertreibung des Jahres. Vermutlich stand ich mehrere Minuten mit offenem Mund am Pier und bestaunte sie.

Eigentlich könnte ich mich ja mal ein bisschen umsehen. Es war eine kleine Gangway heruntergelassen, über die ich bequem auf das Schiff gelangen konnte. – Gedacht, getan.

„He, Sie da! Wer sind Sie? Was haben Sie hier auf dem Schiff zu suchen?“ Eine starke Hand legte sich auf meine rechte Schulter und ich drehte mich um. Ein braun gebrannter Schnösel mit perfekter Frisur und blütenweißer Uniform, erster Offizier, erkannte ich sofort an seinen Abzeichen, musterte mich von oben bis unten.

„Ich bin … ein Passagier“, sagte ich voller Inbrunst und reckte mein Kinn nach oben.

„So, so, ein Passagier“, wiederholte der Schnösel meine Worte hochnäsig. „Na, dann zeigen Sie mir mal Ihre Bordkarte, junge Dame.“

„Die muss ich noch erwerben“, antwortete ich ihm schlagfertig. „Ich wollte mich vorher nur vergewissern, ob hier auch wirklich alles in Ordnung ist. Ich meine, schließlich möchte ich nicht in den Fluten versinken, so wie die armen Menschen, die ihr Leben damals der Titanic anvertraut haben.“

„Da kann ich Sie wirklich beruhigen“, sagte der Schnösel und grinste blöd, „Sie werden mit diesem Schiff ganz sicher nicht untergehen, weil Sie gar nicht mit uns reisen werden. Und nun fordere ich Sie auf, das Schiff zu verlassen.“

Er kam immer weiter auf mich zu, sodass ich einen Schritt zurückweichen musste. Langsam brachte er mich auf die Palme, dieses aalglatte Weichei. „Ich verlange, dass Sie mich zum Purser bringen, damit ich meine Bordkarte erstehen kann.“

Jetzt lachte er laut und seine perfekten Zähne blitzten. „Sie können hier keine Bordkarte kaufen, wir sind seit einem halben Jahr ausgebucht und das organisiert man für gewöhnlich über ein Reisebüro oder direkt über die Reederei.“

„Das mag ja sein“, entgegnete ich ihm stur, „aber da ich nun schon einmal hier bin, können wir das ja direkt erledigen.“

„Gar nichts können wir erledigen“, sagte er barsch, packte mich grob am Arm und schob mich in Richtung der kleinen Gangway.

„Auah“, rief ich laut, „Sie tun mir weh! Lassen Sie sofort meinen Arm los! Loslassen, habe ich gesagt“, zeterte ich weiter und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, aber es gelang mir nicht und so zog er mich hinter sich her, bis wir die Gangway erreicht hatten.

„Und nun weg mit Ihnen. Husch, husch. Und lassen Sie sich hier bloß nicht mehr blicken.“ Er ließ mich los und stieß mich von sich.

„Ich will den Kapitän sprechen!“, brüllte ich. „Wo ist der Kapitän!“ Ich rieb meinen schmerzenden Arm. Dieser Lackaffe hatte mir wirklich wehgetan. Jetzt trat er ganz dicht an mich heran. Mit einem Schnapp hätte ich ihm in seine Nase beißen können.

„Wenn Sie jetzt nicht schleunigst von hier verschwinden“, brüllte er mich an, „vergesse ich mich.“

Es schien mir vernünftiger, freiwillig zu gehen, vorerst jedenfalls, und so warf ich ihm noch einen vernichtenden Blick zu und trottete diese kleine, wackelige Gangway hinunter. Kaum, dass ich wieder festen Boden unter meinen Füßen spürte, wurde diese eingeholt und es gab keine Verbindung mehr zu dem Schiff.

Scheiße! Was sollte ich jetzt machen? Wo sollte ich hin? Zuerst ging ich rund dreißig Meter weiter zu einer Bank, stellte meinen Rucksack ab, setzte mich hin und starrte das Schiff an. Welche Möglichkeiten gab es, doch noch an Bord zu gelangen? Ich musste mit der Queen Rose nach New York, unbedingt! Das war mein großer Traum und ich wollte genau diese Route fahren, mit diesem Schiff. Ich könnte versuchen anzuheuern. Mein Geld hätte für die Überfahrt als Passagier ohnehin nicht gereicht. Aber wo? Ich musste ein paar Leute fragen, irgendjemand musste das doch wissen. Also hob ich meinen Rucksack wieder auf meine Schultern und lief zurück in die Stadt. Mindestens fünfundzwanzig Leute sprach ich an, aber keiner konnte mir weiterhelfen. Ich erfuhr nur, dass sich der Hauptsitz der Reederei in London befand. Ich konnte doch jetzt nicht nach London fahren! Mein Geld war genau eingeteilt und auch zeitlich war das nicht zu schaffen. Also gönnte ich mir ein verzweifeltes kleines Mittagessen und schlenderte zurück in Richtung Hafen. Meine Bank war noch frei und so bezog ich Stellung. So schnell würde ich nicht aufgeben! Irgendwann würden die Passagiere eintreffen und dann mussten sie die Gangway herunterlassen. Ich würde mein Glück auf jeden Fall noch einmal versuchen. Bestimmt stünden dann auch freundlichere Besatzungsmitglieder für den Empfang der Gäste bereit. Im Laufe des Nachmittags sah ich meinen Schnösel noch drei-, viermal an Deck umhergehen. Er schaute immer genau in meine Richtung. Sehr gut, sollte er mich nur im Auge behalten, das tat ich auch.

Als die Abenddämmerung hereinbrach, kam eine ganz besondere Stimmung auf. Einzelne Lichter waren auf der Queen Rose zu erkennen und mit einem Mal wirkte sie richtig geheimnisvoll. Da es noch angenehm warm und von Regen weit und breit nichts zu sehen war, entschied ich mich dazu, auch die Nacht auf der Bank zu verbringen. Ich rollte meinen Schlafsack aus, packte meinen Rucksack unter meinen Kopf und machte es mir bequem.

Am frühen Morgen weckte mich ein kratzendes Geräusch. Ich hatte nicht wirklich fest geschlafen, nur ein bisschen herumgedöst, und öffnete sogleich neugierig meine Augen. Ah, die kleine Gangway wurde wieder heruntergelassen. Ich blieb liegen, beobachtete mit zusammengekniffenen Augen aber ganz genau, was passierte. Aus einem vorgefahrenen Taxi stieg ein Herr mittleren Alters aus und wandte sich zusammen mit dem Fahrer dem Kofferraum zu. In dieser Sekunde kamen Mr. Schnösel und drei weitere Männer, offensichtlich Matrosen, die Treppe herunter, um den Ankömmling zu begrüßen. Vielleicht war das der Kapitän? Ja, ganz bestimmt war er das. Er musste natürlich vor den Gästen eintreffen. Jeder der Männer griff sich ein Gepäckstück und so gingen sie gemeinsam auf das Schiff. Zu meiner Verwunderung blieb die kleine Gangway unten. Keine halbe Stunde später fuhren mehrere LKWs vor, von denen sofort Sachen abgeladen wurden. Es schienen Lebensmittel zu sein. Ich konnte Obst- und Gemüsekisten ausmachen. Unzählige, riesige Säcke und auch andere große Kisten wurden auf Sackkarren in das Innere des Schiffes geschafft. Mein Magen knurrte und ich hatte Durst. Ich musste dringend zur Toilette und eine Dusche wäre herrlich, aber daran war jetzt nicht zu denken. Ob ich meinen Aussichtspunkt für eine halbe Stunde verlassen konnte, um mir ein Frühstück zu gönnen? Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass es erst kurz nach sieben war. So früh würden sicher keine Gäste eintreffen, also packte ich meine Sachen zusammen und marschierte zu einem kleinen Bäckerladen, den ich gestern entdeckt hatte.

*

Nach einer guten Stunde war ich wieder da und bezog erneut Stellung auf meiner Bank. Ich hatte mich bestens mit Essen und Getränken vorsorgt und würde hier nicht mehr weggehen, bis ich einen Platz auf dem Schiff ergattert hatte. Gegen elf Uhr wurde es geschäftig auf dem Schiff. Unzählige Besatzungsmitglieder konnte man herumflitzen sehen und die große Gangway wurde für die Passagiere heruntergelassen. Fünf Matrosen tauchten auf, die das Geländer polierten und die Stufen noch einmal säuberten. Um zwölf Uhr wurde ein runder Tisch heruntergetragen und am Pier ein großer weißer Sonnenschirm mit der Aufschrift „Queen Rose“ aufgestellt. Eine Weile später erschienen zwei Stewards und eine Stewardess, die sich an dem Tisch positionierten und offensichtlich Unterlagen durchsahen. Plötzlich ging es Schlag auf Schlag. Ein Bus fuhr vor und ungefähr dreißig Leute stiegen aus. Mindestens fünfzehn weitere Stewards eilten herbei, um sich um das Gepäck zu kümmern. Alle Gäste wurden mit einem Handschlag von der Stewardess begrüßt und ganz bestimmt auf das Herzlichste willkommen geheißen. So hatte ich mir meine Ankunft auf der Queen Rose auch vorgestellt. Es folgten, fast im Minutentakt, Taxen und weitere Busse. Ein unsagbares Gewusel entstand. Ich spielte mit dem Gedanken, mich einfach unter die Menge zu mischen und so unbemerkt mit an Bord zu gelangen. Aber wie sollte es dann weitergehen? Ich könnte mich zum Beispiel im Maschinenraum verstecken und in den Lager- und Kühlräumen würde ich schon etwas zu essen und zu trinken finden. Aber wollte ich das? Nein! Ich wollte reisen wie ein Mensch, nicht wie eine Ratte. Und ich wollte mich nicht sieben Tage lang verstecken.

Erst am späten Nachmittag lichtete sich das Menschengewusel vor dem Schiff. Ich packte allen Mut und meine Sachen zusammen und schritt auf das Empfangskomitee zu. Die Stewardess lächelte mich schon an und als ich vor ihr stand, streckte sie mir ihre Hand entgegen. „Herzlich willkommen auf der Queen Rose. Ich bin Catherine, die Chefstewardess.“

„Sehr erfreut“, sagte ich und ergriff ihre Hand. „Ich bin Penelope.“

„Hatten Sie eine angenehme Anreise?“

„Ja, danke, ich bin seit gestern schon hier.“

Während unserer kurzen Unterhaltung blätterte einer der Stewards heftig in seinen Unterlagen und flüsterte Catherine gerade etwas ins Ohr.

„Entschuldigen Sie, Penelope, dürfte ich nach Ihrem Nachnamen fragen? Wir können Sie leider nicht auf der Passagierliste finden.“

„Das ist richtig“, sagte ich, „Sie werden mich auf der Liste nicht finden, weil ich mein Ticket noch kaufen muss.“

Catherine nickte nur und verhielt sich total souverän. „Ah, verstehe, aber ich fürchte, wir können Ihnen keine freie Kabine anbieten.“

„Wenn das so ist, kann ich auch anheuern. Vielleicht brauchen Sie Unterstützung? Ich kann alles. Waschen, putzen, spülen. Es gibt doch bestimmt massenweise schmutziges Geschirr auf diesem Schiff. Ich kann auch Kinder betreuen oder Hunde ausführen.“

„Tiere sind auf dem Schiff nicht gestattet“, sagte Catherine und lächelte mich milde an.

„Ach so, ja, ich kann auch Senioren unterhalten. Ich spiele ausgezeichnet Karten, ich könnte ihnen vorlesen oder mit ihnen über Deck spazieren gehen.“

„Es ist ganz rührend von Ihnen, wie Sie sich um das Wohl unserer Passagiere sorgen, aber auch die Crew ist vollzählig angetreten und ich kann Ihnen versichern, dass wir an alles gedacht haben. Von der Kinderanimation bis hin zu Gentlemen Hosts für die allein reisenden Damen.“

Puh, so langsam gingen mir die Argumente aus. „Und es gibt keine allein reisenden Herren? Ich tanze sehr gut.“

„Nein. Es tut mir wirklich sehr leid, Penelope, aber wir haben keinen Job für Sie.“

„Okay“, gab ich mich geschlagen. „Das Schiff legt um zweiundzwanzig Uhr ab. Habe ich recht?“

„Ja, das stimmt.“

„Bis dahin finden Sie mich gleich hier drüben auf der Bank. Und ich bitte Sie, sollte noch irgendein Passagier absagen oder ein Crewmitglied krank werden, winken Sie mir zu und ich bin sofort zur Stelle.“

„Das mach ich, ganz bestimmt“, sagte Catherine und gab mir noch einmal die Hand. Ich räumte den Platz, damit die anderen Passagiere, die sich inzwischen hinter mir eingereiht hatten, einchecken konnten. Ziemlich geknickt trottete ich zu meiner Bank zurück und überlegte nun ernsthaft, welche andere Möglichkeit ich nutzen konnte, um auf dem Seeweg nach New York zu gelangen. – Frachtschiffe! Genau, Southampton hatte schließlich den zweitgrößten Containerhafen Großbritanniens. Nun entsprach es zwar nicht gerade meinen Träumen, zwischen Bananenkisten und anderem Zeug nach New York zu reisen, aber ab und zu musste man eben Kompromisse eingehen.

Gegen achtzehn Uhr schienen alle Gäste an Bord zu sein, denn Catherine und die zwei Stewards verzogen sich. Auch der Sonnenschirm und der Tisch wurden weggeräumt. Langsam wurde ich unruhig und hungrig, ich kramte nach einem Brötchen in meinem Rucksack und begann gedankenverloren, den Blick fest auf das Schiff gerichtet, daran herumzuknabbern. Doch dann der Schock! Kurz vor halb sieben wurde die große Gangway eingeholt. Alarmiert sprang ich auf. „Nein, oh nein!“, rief ich laut. „Nehmt mich doch mit! Bitte! Bitte nehmt mich doch mit!“ Augenblicklich kämpfte ich mit den Tränen, was sonst gar nicht meine Art war, aber ich sank erschöpft auf meine Bank und weinte bitterlich. Auf einem so großen Schiff musste es doch irgendwo ein Plätzchen für eine so kleine Person wie mich geben. Als ich wieder aufblickte, sah ich, dass mein Brötchen zu Boden gefallen war und sich gerade eine freche Möwe daran zu schaffen machte. „Lass es dir schmecken“, murmelte ich matt, zog meine Beine an, legte mein Kinn auf die Knie und beobachtete weiter mein Schiff. Sollte ich mir das wirklich antun und zusehen, wie mein Schiff ohne mich ablegte? „Reiß dich zusammen, Penelope Kolesnikow“, schimpfte ich mit mir selbst. „Aufgeben ist keine Option!“ Es waren noch über drei Stunden Zeit bis zum Auslaufen, bis dahin konnte schließlich noch viel passieren.

* * *

Penelope! - Wirbelwind mit Herz

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