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Kapitel 6

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New York


Meinen Wecker hatte ich umsonst gestellt. Ich war so aufgeregt, dass ich in der letzten Nacht an Bord der Queen Rose überhaupt nicht schlafen konnte. Ich war meinem großen Ziel so nahe. Unglaublich! Gegen halb vier zog ich mich an und ging, bewaffnet mit meinem alten Fotoapparat, an Deck. Wie erwartet war ich die Erste. Aber es war ziemlich frisch, ja, es blies sogar ein richtig kalter Wind. Rasch eilte ich zurück in meine Kabine, zog mir noch eine zweite Jacke an und nahm für alle Fälle eine Wolldecke mit, in die ich mich einwickeln konnte. Bestens ausgestattet bezog ich nun Stellung an der Reling.

Es dauerte noch fast zwei Stunden, ehe es langsam dämmerte. Und das erste sanfte Licht spülte nun auch weitere Schaulustige an Deck. Ich nahm sie gar nicht richtig wahr, so versunken war ich in meine Gedanken; sah mein ganzes bisheriges Leben Revue passieren, während ich auf mein großes Ziel zusteuerte.

Der Himmel war bedeckt mit dicken dunklen Wolken, aber es gab auch Lücken, durch die sich feine Sonnenstrahlen ihren Weg bahnten. Die Skyline von Manhattan ließ sich bereits erahnen und ich bildete mir ein, die Lichter der Verrazano-Narrows Bridge zu sehen. Unter dieser gewaltigen, zweistöckigen Hängebrücke, die die New Yorker Stadtbezirke Staten Island und Brooklyn über die Meerenge hinweg verband, mussten alle Kreuzfahrtschiffe durchpassen, die in den Hafen von New York einlaufen wollten. Was für eine Anspannung, als die Queen Rose ganz langsam und majestätisch darunter hindurchglitt. Und dann war der große Moment gekommen. Ich war längst aufgesprungen und umklammerte mit beiden Händen die Reling. Gleich musste linker Hand die Freiheitsstatue ins Bild kommen … Mein Herz hämmerte. Und … Ja, da war sie! So groß und schön und stolz reckte sie ihre Fackel gen Himmel. In der linken Hand die Tabula ansata, eine Inschriftentafel, mit dem Datum der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Zu ihren Füßen die zerbrochene Kette. Eine dicke Gänsehaut kribbelte unentwegt über meinen ganzen Körper. Tränen der Überwältigung verschleierten mir die Sicht, liefen ungehindert über meine Wangen. Ich schniefte laut und atmete tief. Ich hatte es geschafft. Jetzt war ich endgültig frei!

*

Ich konnte mich kaum von dem Anblick losreißen, aber mir saß die Zeit im Nacken. Ich musste mich jetzt sputen, um acht Uhr begann mein Dienst. Eine schnelle heiße Dusche musste drin sein, ich war trotz zwei Jacken und meiner Decke ganz schön durchgefroren und ein kleines Frühstück brauchte ich auch noch. Schweren Herzens musste ich also meinen Aussichtspunkt verlassen, drehte mich um und sah direkt in Mr. Schnösels Augen. Oh Mann, dieser Typ konnte einem aber auch jeden noch so bewegenden Moment zerstören. Ich funkelte ihn böse an, biss die Zähne zusammen und stürmte an ihm vorbei.

Den letzten Dienst zu tun war schon komisch und es gab einen tränenreichen Abschied von Ireen und Mayari. Also von deren Seite aus. Sie schworen, sich bei mir zu melden. Auch Peter drückte mich kurz und ich wollte mich unbedingt noch von Catherine verabschieden.

Just in dem Moment, in dem ich von Bord ging, fing es an zu regnen. Es war kein sanfter Landregen, nein, es schüttete wie aus Kübeln. „Verdammter Mist“, fluchte ich. Eilig ging ich die Gangway hinunter und kramte in meinem Rucksack nach meiner Regenjacke, sobald ich festen Boden betreten hatte. Wo hatte ich das verfluchte Ding zuletzt gesehen? Irgendwo im unteren Drittel musste sie stecken. Oh, man, das durfte doch alles nicht wahr sein! Der Regen hatte mich fast vollständig durchnässt. Einige Kleidungsstücke, die ich aus dem Rucksack herausgezogen und mir unter den Arm geklemmt hatte, waren zu Boden gefallen. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass in diesem Augenblick Mr. Schnösel mit Regenschirm und Rollköfferchen die Gangway betrat. Oh nein, bitte! Nicht auch noch der! Er stolzierte an mir vorbei und steuerte zielstrebig auf das wartende Taxi zu. War ja klar. Er übergab sein Köfferchen dem Taxifahrer, der sofort herausgesprungen war, drehte sich dann zu mir um und … kam auf mich zu. Na, das schien ja mein absoluter Glückstag zu werden.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Ich schnellte aus meiner gebückten Haltung hoch und hätte mir beinahe an seiner Regenschirmspeiche mein rechtes Auge ausgestochen.

„Stürmisch wie immer“, grinste er mich an. „Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“ Er bückte sich und sammelte einige meiner Kleidungsstücke ein, die mir zu Boden gefallen waren.

„Geben Sie schon her“, knurrte ich, riss ihm meine Sachen aus den Händen und stopfte alles wieder zurück in den Rucksack. Was für eine bescheuerte Idee, ausgerechnet hier nach der Regenjacke zu kramen. Ich war sowieso schon pitschnass.

„Kommen Sie, ich nehme Sie ein Stück mit. Das Taxi wartet.“ Er hielt den Regenschirm jetzt halb über mich. Sehr gnädig!

„Sie wissen ja gar nicht, wo ich hinwill. Wie wollen Sie mich da ein Stück mitnehmen?“

„Dann sagen Sie mir eben, wo Sie hinwollen.“

Ich sagte gar nichts und zog die Stirn kraus, denn ich wusste überhaupt nicht, wo ich hinwollte oder -sollte. Mein Schweigen interpretierte er richtig, denn er griff nach meinem Rucksack und sagte: „Dann kommen Sie erst mal mit zu mir.“

„Was? Mit zu Ihnen? Niemals! Und geben Sie gefälligst meinen Rucksack wieder her.“

Er hatte sich bereits Richtung Taxi in Bewegung gesetzt, deshalb stand ich nun wieder ungeschützt im Regen. Mit gemischten Gefühlen setzte ich mich in Bewegung und stürmte hinter ihm her. Der Taxifahrer stieg wieder aus und verfrachtete meinen Rucksack in den Kofferraum. Das nasse Ding hatte einen hässlichen Fleck auf Mr. Schnösels weißer Hose hinterlassen. Hähä! Er klappte gerade seinen Regenschirm zu und war schon im Begriff, in das Taxi einzusteigen, als er sich noch mal zu mir herumdrehte.

„Jetzt zetern Sie nicht länger herum und steigen Sie endlich ein, Frau Kolesnikow. Sie sind zwar eine Nervensäge, aber doch nicht blöd.“

Wortlos und schmollend nahm ich neben ihm Platz und ebenso wortlos stolperte ich hinter ihm in die Lobby eines riesigen Wolkenkratzers hinein. Wir fuhren mit dem Aufzug in den sechsunddreißigsten Stock. Penthouse! Er schloss die Wohnungstür auf, trat in den Flur und deutete nach links.

„Ich überlasse Ihnen das Badezimmer. Nehmen Sie erst mal ein heißes Bad.“

Ohne Protest ging ich in das Badezimmer und schloss mich ein. Ich riss mir die nassen Sachen vom Leib und stürzte unter die Dusche. Baden wollte ich nicht, denn ich hasste es. Viel lieber ließ ich das heiße Wasser auf mich niederprasseln, wodurch ich zur Ruhe kam. Gleichzeitig keimten einige klare Gedanken auf. „Penelope Kolesnikow!“, flüsterte mir das kleine grüne Männchen ins Ohr, das sich ab und zu bei mir meldete. „In was für eine Situation hast du dich jetzt wieder gebracht?“ Oh nein! Ich schlug mir beide Hände vors Gesicht. „Okay“, redete ich mir ein, „du bist clever und du hättest es schlechter treffen können, als in einer Penthousewohnung mitten in New York zu landen. Also machen wir das Beste daraus.“ Ich drehte das Wasser ab, trat aus der Dusche und wickelte mich in ein großes, flauschiges Badetuch. Um meinen Kopf schlang ich ein weiteres Handtuch. Meine nassen Sachen ließ ich einfach liegen, schloss die Tür auf und trat ins Wohnzimmer.

Mr. Schnösel hatte seine Uniformjacke ausgezogen und saß mit einem Drink in der Hand auf dem Sofa. Ja, die anderen Mädels hatten schon recht, er sah wirklich nicht schlecht aus.

„Auch einen?“, er hob sein Glas ein wenig an und sah mich durchdringend an.

„Midleton?“, fragte ich.

„Nein, aber dieser hier ist auch nicht schlecht. Probieren Sie mal.“

Ich ging zu ihm, nahm ihm das Glas aus der Hand und stürzte den Inhalt mit einem Zug hinunter. „Kein Vergleich“, ich gab ihm sein leeres Glas zurück. Er stellte es auf den Tisch und stand auf. Stellte sich dicht vor mich. Fuhr mit seinem Zeigefinger mein Kinn entlang. Seine Augen fixierten meine.

„Du machst mich verrückt, weißt du das?“

„Weiß ich“, antwortete ich schlagfertig, obwohl sich mein Puls rasch beschleunigte.

„Und weißt du auch, dass du mir den Atem raubst?“

Ich betrachtete ihn genauer. Er atmete tatsächlich schneller. Was sollte das jetzt werden?

„Dann gehe ich mal duschen“, unterbrach er meine Gedanken.

Schnell flitzte ich an ihm vorbei und zerrte meine Sachen aus dem Badezimmer. „Gibt es in diesem Luxushaushalt auch eine Waschmaschine?“

„Darum kümmern wir uns morgen. Das Gästezimmer ist ganz hinten links. Und bestell uns was zu essen. Die Speisekarte liegt auf dem Esszimmertisch.“

Zack, Badezimmertür zu, er war verschwunden. Darum kümmern wir uns morgen. Woher wollte er wissen, ob ich morgen überhaupt noch hier war? Und außerdem duzte er mich plötzlich? Egal, ich suchte jetzt erst mal besagtes Gästezimmer und räumte meinen Rucksack aus. Die meisten Sachen waren nass oder feucht und so breitete ich alles in dem Zimmer aus. Ganz unten fand ich noch ein trockenes T-Shirt, Jeans und etwas Unterwäsche. Ich zog die Sachen schnell an und warf einen Blick auf die Speisekarte. Dann bestellte ich, worauf ich Appetit hatte, Chinesisch (mit Absicht nichts Italienisches), und dasselbe für ihn. Wenn es nicht seinem Geschmack entsprach, hatte er Pech gehabt. Ich ging zurück ins Wohnzimmer, schenkte mir noch einen Whisky ein und wartete auf den Lieferservice.

Alessio kam aus dem Bad, ebenfalls in Jeans und T-Shirt, und setzte sich zu mir.

„Was hast du für uns bestellt?“

„Die Nummer 47.“

„Ah, Chinesisch. Aber der Nachtisch ist viel interessanter.“

„Welcher Nachtisch? Ich habe keinen bestellt.“

„Du bist der Nachtisch, Süße, und darauf freue ich mich ganz besonders.“

„Ha! Dass ich nicht lache! Ich bin ganz sicher kein Nachtisch.“

Bevor er etwas erwidern konnte, klopfte es an der Tür. Mit einem letzten intensiven Blick auf mich stand er auf, um dem Lieferservice zu öffnen. Wir machten uns über das Essen her und er erzählte mir, dass das die Wohnung eines Freundes sei und er sie benutzen dürfe, wenn er in New York sei. Das Schiff werde hier jetzt fünf Tage vor Anker liegen, bevor es zur nächsten Tour auslaufe.

„Und, was hast du jetzt vor?“

„Ich werde an der Columbia studieren.“

„Wow, was studierst du?“

„Hab mich noch nicht entschieden.“

„Was soll das heißen, du hast dich noch nicht entschieden? Du musst dich doch für ein Fach eingeschrieben haben.“

„Nein, habe ich noch nicht.“

Er staunte gerade Bauklötze und legte seine Stäbchen zur Seite.

„So einfach, wie du dir das vorstellst, ist das nicht. Da gibt es Aufnahmeprüfungen und Auswahlverfahren. Du kannst nicht einfach reinmarschieren und sagen: Hallo, ich bin Penelope Kolesnikow und ich möchte hier studieren. Das funktioniert nicht.“

„Das lass mal meine Sorge sein“, sagte ich zuversichtlich, „ich kriege das schon hin.“

Ihm blieb kurz der Mund offen stehen, doch er fasste sich schnell und aß weiter.

*

Am nächsten Morgen besorgte er uns Frühstück und zeigte mir danach im Keller die Wasch- und Trockenmaschinen.

„So, bitte schön, hier kannst du deine Sachen waschen. Ich habe übrigens auch noch einiges. Das können wir ja zusammenwerfen.“

„Was, spinnst du? Ich will meine Sachen doch nicht mit deinen dreckigen Unterhosen zusammen waschen“, empörte ich mich über seine absurde Idee.

„Was ist so schlimm daran?“ Er grinste. Es machte ihm wohl Spaß, mich zu ärgern.

„Du bist ein Kotzbrocken. Du hast mich von Bord gezerrt und mir Ärger gemacht, wann immer du konntest. Außerdem kennen wir uns kaum.“

„Das lässt sich ändern.“

„Was lässt sich ändern?“

„Ich würde dich gerne näher kennenlernen, Penelope“, sagte er und küsste mich so unerwartet und stürmisch, dass ich im ersten Moment echt geschockt war, aber dann … Hey, das war … das fühlte sich verdammt gut an. Er war eben ein richtiger Mann und nicht so ein grüner Bengel aus der Schule. Er wusste genau, was er tun musste.

Wir hatten eine heftige Affäre, würde ich sagen, genau vier Tage lang. Dann musste Alessio zurück aufs Schiff.

„Du kannst diese Woche noch bleiben, wenn du willst. Franco kommt erst am Samstag zurück.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Mal sehen.“

„Den Schlüssel dann einfach in den Briefkasten werfen“, wies er mich an.

„Mach ich.“

„Und Penelope, du hattest recht. Du bist keine Nachspeise. Du bist auch weder Vor- noch Hauptspeise. Du bist ein Sechs-Gänge-Menü.“

* * *

Penelope! - Wirbelwind mit Herz

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