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Vorspeise

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Chaim Miller hatte sich einen Stuhl geschnappt und setzte sich rittlings vor den alten Mann im Rollstuhl, nachdem er ihn an einen Tisch des Speisesaals geschoben hatte. Duncan bestand nur noch aus Haut und Knochen. Aber in seinem bleichen, zusammengefallenen Gesicht blitzten hellwache Augen. Sie waren alleine, es war kurz vor zwölf, die Gäste des Hauses aßen gewöhnlich später zu Mittag.

»So, so, im Rollstuhl. Wie haben Sie das denn geschafft, Mühlbauer?«, grinste Miller und nestelte aus seiner Trenchcoattasche eine Packung Marlboro hervor.

»Rauchen verboten«, erwiderte Duncan stattdessen. Mit einem Seufzen steckte Miller die Zigarette wieder zurück.

»Okay, also noch einmal von vorne. Ich beobachte Sie schon eine ganze Weile, aber mir ist nicht aufgefallen, wie Sie im Rollstuhl gelandet sind.«

Petersen tauchte auf. Er trug einen zerknitterten schwarzen Anzug, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Petersen beobachtete die beiden aus tränenden Augen, mit Ringen groß wie Wagenräder, und malmte mit dem zahnlosen Mund, wobei sich ein Speichelfaden selbstständig machte. Dann rülpste er lauthals. »Besuch aus Moskau?«, grinste er, auf Miller deutend.

»Nicht dass ich wüsste«, antwortete Duncan. Seine Stimme war hart und klar.

Petersen war in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Nach seiner Entlassung 1950 war er in den aktiven Polizeidienst zurückgekehrt. Er hatte ein paar Jahre lang das Dezernat für Einbruch und Diebstahl in Kiel geleitet, bis er bei einer Ermittlung auf einen ehemaligen Kriegskameraden gestoßen war. Wie er selbst Mitglied der Waffen-SS, aber nach dem Krieg auf der anderen Seite tätig, Kopf einer Diebes- und Hehler-Bande. Mertens mit Namen. Er erkannte Petersen und setzte ihn unter Druck. Petersen schaute daraufhin bei seinen Ermittlungen öfter mal weg, dumm nur, dass sein Chef den Deal bemerkte. Es kam zu internen Untersuchungen, bei denen am Ende die unehrenhafte Entlassung aus dem Polizeidienst stand. Petersen hatte Pech gehabt, andere wären befördert worden, es gab genug Seilschaften in der jungen Republik, die aus ehemaligen Nazigrößen bestanden. Danach fristete Petersen sein Leben als Wachmann einer Werft. Nachtschicht, viel Alkohol, eine gescheiterte Ehe und ein Sturz im Suff von der Reling eines aufgedockten Schiffes. Danach war es mit Petersen immer weiter bergab gegangen. Das Ende vom Lied war beginnende Demenz, ein Platz im Altersheim und nach einer Prostataoperation eine ständige Inkontinenz. Ein Sohn aus erster Ehe, inzwischen Chef im »Haus Meerblick«, konnte die Rechnungen nicht mehr bezahlen, die ihm das Altersheim schickte. Als Ausweg bot er Petersen ein Zimmer im Hotel und eine warme Mahlzeit am Tag an. Petersen lebte in der Vergangenheit, eine große Nummer im Krieg, Obersturmbannführer, für die Deportation tausender Russen in Kriegsgefangenenlager zuständig. Nach dem verlorenen Russlandfeldzug hatte man ihn und ein Dutzend anderer Soldaten erwischt und nach Sibirien verfrachtet. Adenauer war es gelungen, mit der russischen Regierung zu verhandeln und die noch lebenden deutschen Soldaten aus dem Lager zurückzuholen. Schon vor dem Krieg war Petersen ein Nazi aus Überzeugung gewesen, aber das Lager hatte ihn endgültig zum Russenhasser gemacht.

Des Todes langer Schatten

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