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II. Schutzwürdigkeit und Schutzstadien

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Der strafrechtliche Schutz des Nasciturus ist – abhängig von dessen pränatalem Entwicklungsstadium – unterschiedlich stark ausgestaltet. Zunächst können drei zeitliche Phasen der Schwangerschaft unterschieden werden, nämlich als erste Phase diejenige von der Befruchtung der Eizelle (sog. Konzeption) bis zu deren Einnistung in die Gebärmutter (sog. Nidation) der Frau.[128] Diese Frühphase, auch Pränidationsphase genannt, ist kernstrafrechtlich nicht erfasst.[129] In einer zweiten Phase, welche von der Nidation bis zum Abschluss der 12. Schwangerschaftswoche dauert, sind Schwangerschaftsabbrüche unter Beachtung der Voraussetzungen von § 218a Abs. 1 StGB generell straffrei bzw. bei Vorliegen einer kriminologischen Indikation nach § 218a Abs. 3 StGB rechtmäßig.[130] Der strafrechtliche Schutz Ungeborener ist dabei relativ schwach ausgestaltet, da die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs lediglich an formale Kriterien wie die Einhaltung einer zeitlichen Frist, ein vorgängiges Beratungsgespräch und die Vornahme des Abbruchs durch einen Arzt geknüpft ist.[131] Die dritte Phase schließlich, welche die Schwangerschaft nach der 12. Schwangerschaftswoche erfasst, führt zu einem verschärften strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens und lässt einen Schwangerschaftsabbruch nur noch unter der Voraussetzung einer medizinisch-sozialen Indikation i.S.v. § 218a Abs. 2 StGB zu.[132] Obwohl das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung dem werdenden Leben klar und deutlich ein Lebensrecht im Sinne von Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG zugesteht (siehe Rn. 5 ff.), herrscht diesbezüglich in der strafrechtlichen Lehre keineswegs Einigkeit.[133] Dabei reichen die Ansichten von einem absoluten Lebensrecht Ungeborener ab dem Zeitpunkt der Konzeption bis hin zur Ablehnung eines Lebensschutzes bis zur Geburt.[134] Immer öfters werden in der Lehre auch Stimmen laut, die sich für ein abgestuftes Lebensrecht bzw. einen abgestuften Lebensschutz des ungeborenen menschlichen Lebens aussprechen.[135] Nach deren Meinung wächst mit fortschreitender Entwicklung des Embryos in vivo auch dessen Lebensrecht bzw. Menschenwürde.[136] Demgegenüber sehen sich die Gegner einer abgestuften Schutzwürdigkeit der Leibesfrucht in der verfassungsrechtlichen Gesetzesnorm von Art. 1 Abs. 1 GG sowie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Thematik des strafrechtlich relevanten Schwangerschaftsabbruchs bestätigt, wonach dem Embryo ab dem Zeitpunkt der Nidation der Würdeschutz vollumfänglich zukommt, d.h. e contrario der Verfassungswortlaut keinen abgeschwächten Schutzumfang zuzulassen vermag.[137]

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