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C. Beginn des menschlichen Lebens

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Elementar für die Beurteilung von Straftaten gegen das Leben (§§ 211 ff. StGB) ist die Definition von Leben, insbesondere die Frage, wann das menschliche Leben beginnt und endet.[104] Im Strafrecht beginnt das menschliche Leben nach herrschender Meinung mit dem Einsetzen des Geburtsaktes, d.h. bei einer natürlichen Geburt mit dem Eintritt der Eröffnungswehen.[105] Wird der Geburtsvorgang operativ eingeleitet, also ein sog. Kaiserschnitt durchgeführt, so setzt der Beginn des Lebens als Mensch mit der Öffnung des Uterus (Gebärmutter) ein.[106] Das Abstellen auf die Eröffnungswehen wird nach vorherrschender Ansicht mit der Begründung, dass in diesem Zeitpunkt die symbiotische Mutter-Kind-Verbindung eine Trennung erfährt, als gerechtfertigt angesehen.[107] Denn während die Senk- und Stellwehen der Vorbereitung des Geburtsvorganges dienen, schließen die auf die Eröffnungswehen folgenden Austreibungs- und Presswehen den Geburtsvorgang ab.[108] Das Einsetzen des Geburtsaktes stellt folglich eine einschneidende Zäsur dar, da in diesem Zeitpunkt der strafrechtliche Schutz der Leibesfrucht im Sinne des strafbewehrten Schwangerschaftsabbruchs endet und der Strafrechtsschutz des menschlichen Lebens anhand der Tötungsdelikte beginnt.[109]

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Obwohl sich die herrschende Lehre auch nach dem Wegfall von § 217 StGB a.F.[110], welcher die Kindstötung während oder nach dem Geburtsvorgang regelte, dafür ausspricht, dass der Anfang der Geburt für die Beurteilung der Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens ausschlaggebend sei, erachtet eine Mindermeinung die Vollendung der Geburt als maßgebliches Beurteilungskriterium.[111] Vertreter dieser Auffassung sehen insbesondere in § 1 BGB, wonach die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Vollendung der Geburt beginnt, eine Stütze ihrer Ansicht.[112]

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Unter Berücksichtigung, dass sowohl der natürliche als auch der operativ eingeleitete Geburtsvorgang ein sehr risikoreiches Ereignis darstellt, welches verschiedene Gefahren mit sich bringt, scheint es unerlässlich, dass dem zu gebärenden menschlichen Leben ein ausgiebiger Schutzumfang zugestanden wird.[113] Durch das Zugeständnis, dass das menschliche Leben mit Eintritt der Eröffnungswehen bzw. mit der operativen Öffnung der Gebärmutter beginnt, wird dieses während des gesamten Geburtsvorgangs umfassend strafrechtlich geschützt, da ihm bereits in dieser Phase der strafrechtliche Schutz der Tötungsdelikte (§§ 211 ff. StGB) zusteht.[114] Demzufolge können nicht nur vorsätzliche Beeinträchtigungen des menschlichen Lebens während des Geburtsvorgangs, sondern beispielsweise auch ein fahrlässiges ärztliches Fehlverhalten sanktioniert werden.[115] Elementar für die Beurteilung, ob ein Tötungsdelikt im Sinne der §§ 211 ff. StGB oder ein strafbarer Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 f. StGB) vorliegt, ist demzufolge der Zeitpunkt, in dem auf das betroffene Lebewesen, d.h. Leibesfrucht oder geborener Mensch, schädigend eingewirkt wird.[116] Daher gilt die vorsätzliche Einwirkung auf die Leibesfrucht, die zu einem Absterben des Ungeborenen im Mutterleib oder zu einer Frühgeburt mit anschließender Todesfolge des Kindes führt, als Schwangerschaftsabbruch.[117] Demgegenüber ist die vorsätzliche oder fahrlässige Beeinträchtigung des menschlichen Lebens nach Einsetzen des Geburtsaktes, welche eine Totgeburt oder ein Ableben des Neugeborenen verursacht, als Tötungsdelikt im Sinne von §§ 211 ff. StGB zu qualifizieren.[118] Schließlich ist von einem versuchten Schwangerschaftsabbruch (§ 218 Abs. 4 StGB) in Tateinheit mit Totschlag (§ 212 StGB) auszugehen, wenn ein pränataler Eingriff zur Geburt eines Kindes führt, wobei dessen Tod durch eine weitere, nachgeburtliche Einwirkung bewirkt wird.[119]

1. Abschnitt: Schutz von Leib und Leben§ 3 Schwangerschaftsabbruch › D. Strafnormen in §§ 218–219b StGB

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