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II. Schutzumfang der Schwangeren nach dem Grundgesetz und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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Als besonders problematisch erweist sich das Zugeständnis eines Lebensrechts Ungeborener im Hinblick auf die der Schwangeren verfassungsrechtlich gewährleisteten bzw. zustehenden Grundrechte. Insbesondere die Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie das Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) sind im Zusammenhang mit dem Diskurs über einen absoluten Lebensschutz Ungeborener von Relevanz.[52] Namentlich bei einer Kollision zwischen den Grundrechten eines Ungeborenen und denjenigen einer Schwangeren drängt sich die Frage auf, welchem Grundrechtsträger der Vorrang einzuräumen ist. Das Bundesverfassungsgericht hält in seinem zweiten Entscheid zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahre 1993 fest, dass es sich beim Ungeborenen „um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben [handelt], das im Prozess des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt“.[53] Deshalb gilt es gemäss Bundesverfassungsgericht, dieses Leben von Beginn seiner Existenz an zu achten und zu schützen, weshalb auch Ungeborenen ein eigenes Lebensrecht zu gewährleisten ist.[54] In diesem Sinne lässt es auch verlauten, „dass der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demgemäss rechtlich verboten ist“.[55] Weiter folgert das Bundesverfassungsgericht, dass kein Durchgriff der Grundrechte der Schwangeren gegenüber dem gesetzlich normierten Verbot des Schwangerschaftsabbruchs erfolgt.[56] Konkret bedeutet dies, dass grundsätzlich eine auf dem Grundgesetz basierende Rechtspflicht der Schwangeren zur Austragung des Kindes im Mutterleib besteht.[57] Zusammenfassend steht folglich die Schutzwürdigkeit des ungeborenen menschlichen Lebens laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich im Vordergrund.[58] Trotzdem relativiert auch das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung dahingehend, dass dem Lebensschutz des Embryos in vivo kein absoluter Vorrang zukommen soll, vielmehr soll gemäss Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG in das Lebensrecht eines jeden auf Grundlage eines Gesetzes eingegriffen werden können.[59] Dabei muss die Schutzbedürftigkeit des Lebens Ungeborener gegenüber anderweitigen, mit dieser kollidierenden, schützenswerten Rechtsgütern abgewogen werden.[60] Im Zusammenhang mit der Thematik des Schwangerschaftsabbruchs gilt es insbesondere das Lebensrecht eines Ungeborenen und die Rechtsgüter einer Schwangeren, namentlich das ihr zustehende Recht auf Leben bzw. körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) oder ihre Persönlichkeitsrechte (Art. 2 Abs. 1 GG), gegeneinander abzuwägen.[61] So kommt auch das Bundesverfassungsgericht zum Schluss, dass es im Falle einer Grundrechtskollision zwischen den Rechtsgütern der Schwangeren und denjenigen des ungeborenen Kindes in Ausnahmesituationen womöglich geboten wäre, der Schwangeren eine Rechtspflicht zur Austragung der Schwangerschaft nicht aufzuerlegen.[62] Eine Definition dieser sog. „Ausnahmesituationen“ wird vom Bundesverfassungsgericht allerdings in die Hände der Legislative gelegt.[63] Folgerichtig muss in Fällen absoluter Unzumutbarkeit einer Schwangerschaft gegenüber der Schwangeren ein Abbruch vorgenommen werden dürfen bzw. als zulässig erachtet werden. Als Fälle der Unzumutbarkeit werden gemeinhin Konstellationen erachtet, in denen eine Fortdauer der Schwangerschaft das Leben der Schwangeren ernsthaft gefährden, auf unerträgliche Art und Weise deren Gesundheit beeinträchtigen oder schließlich gegen die Würde der Schwangeren verstoßen würde, was vor allem bei einer Vergewaltigung zutreffen dürfte.[64] Allerdings ist diese Aufzählung nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht abschließend, vielmehr hat sich der Gesetzgeber bei einer Festlegung von Ausnahmesituationen am Kriterium der Unzumutbarkeit der Schwangerschaft zu orientieren.[65]

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