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5. Kritik

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Kritiker sehen in § 217 StGB die Aussendung eines rechtspolitisch falschen Signals und eine kontraproduktive Wirkung, indem Suizidwillige sich selbst überlassen werden.[296] Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen etwas aus Sicht der Suizidwilligen selbst, indem sie sich in ihrem Selbstbestimmungsrecht über das eigene Leben und Sterben gemäss Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt sehen.[297] Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch einen Antrag auf Eilrechtsschutz von vier Mitgliedern des Vereins Sterbehilfe Deutschland e.V. gegen die Strafbarkeit der geschäftsmässigen Sterbehilfe mit der Begründung abgewiesen, dass im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile im Falle einer Aussetzung des Vollzugs des § 217 StGB überwiegen, da eine Verleitung von Menschen zur Selbsttötung zu befürchten wäre.[298] Potentielle Suizidenten seien nicht Normadressaten der Strafandrohung von § 217 StGB, da eine Strafbarkeit des potentiellen Suizidenten wegen Anstiftung oder Beihilfe zu einer geschäftsmässigen Förderung der Selbsttötung bereits nach den Grundsätzen einer sog. notwendigen Teilnahme nicht in Betracht komme.[299] Sie seien nur insoweit betroffen, als das Verbot einer geschäftsmässigen Förderung der Selbsttötung die von ihnen grundsätzlich gewünschte konkrete Art eines begleiteten Suizids verhindere.[300] Schliesslich sei zu berücksichtigen, „dass die von den Beschwerdeführern gewünschte Selbstbestimmung über ihr eigenes Sterben durch eine Fortgeltung des § 217 StGB nicht vollständig verhindert, sondern lediglich hinsichtlich des als Unterstützer in Betracht kommenden Personenkreises beschränkt wird“.[301] Aus Sicht hilfswilliger Dritter können die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie unter Umständen auch der Berufsfreiheit (Art. 12 GG)[302] und der Freiheit des Gewissens (Art. 4 GG) betroffen sein.[303] Die Argumentation des VG Berlin[304] gilt nicht nur bezüglich ärztlicher Suizidbeihilfe, sondern auch dann, wenn sie durch eine andere Person, zum Beispiel einen Angehörigen oder einen anderen nahestehenden Menschen, etwa einen Sterbebegleiter, erfolgt; somit ist auch organisierte Sterbehilfe grundrechtlich geschützt, sofern das Vorliegen von Gewissensnot bejaht werden kann.[305] Das Erfordernis des geschäftsmässigen Handelns von § 217 StGB wird zwar ein besondere Gewissensnöte erzeugendes Näheverhältnis zum Suizidwilligen in vielen Fällen ausschliessen; bestehen bleibt jedoch das Grundrecht des Sterbewilligen, sich beim Sterben von hilfsbereiten Personen helfen zu lassen.[306] Die Tätigkeit – ob individueller oder organisierter – Hilfswilliger darf deshalb vom Staat nicht ohne Weiteres untersagt, sondern nur unter Beachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes eingeschränkt werden.[307] Ein Verbot der organisierten Sterbebegleitung und Sterbehilfe im engeren Sinne in Deutschland verkennt zudem die ethische Dimension sowie die Rechtswirklichkeit und nimmt billigend in Kauf, dass Suizidwillige ohne angemessene Beratung und Betreuung in Selbsttötungen getrieben werden und begünstigt den „Sterbetourismus“ ins Ausland.[308] Kritisiert wird auch das strafrechtliche Verbot als schärfstes staatliches Mittel anstelle einer Intervention über das Sicherheitsrecht, welche überwiegend als ausreichend erachtet wird.[309] Hilgendorf betrachtet ein strafrechtliches Verbot lediglich in solchen Fällen als sinnvoll, in denen Sterbehilfe aus Gewinnsucht oder unter Ausbeutung einer Zwangslage des Suizidwilligen in Bereicherungsabsicht erfolgt, womit er sich dem in der Schweiz geltenden Tatbestand von Art. 115 schwStGB annähert.[310] Zu Recht kritisch beurteilen zudem Rosenau/Sorge die „bedenklich weite Vorverlagerung der Strafbarkeit“, indem für die Begründung der Strafbarkeit nicht einmal ein Suizidversuch notwendig ist, sondern die „Gelegenheit“ dazu ausreicht; diese Erhebung blosser Moralvorstellungen zum Massstab des Strafrechts verstosse gegen das „ultima ratio“-Prinzip.[311]

1. Abschnitt: Schutz von Leib und Leben§ 2 Sterbehilfe › E. Vergleich der Sterbehilfe in Deutschland und der Schweiz

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