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ОглавлениеKAPITEL 6
Humor à la Müller: Der Karl Valentin des Fußballs
So ganz genau weiß man es nicht. Ist Thomas Müller nun der beste Komiker unter den deutschen Fußballern? Oder ist er der beste Fußballer unter den deutschen Komikern? Die Grenzen verlaufen fließend, doch eines ist klar: Der schrullige Müller aus Pähl, der Lümmel von der rechten Außenbahn, ist nicht nur beim Toreschießen Weltklasse, sondern auch in Sachen Lustigsein. Das fängt schon bei seinem Gestell an (Bayerisch für „Körperbau“), über das zu Beginn seiner Profikarriere irgendwo gestanden hat: „Wenn Thomas Müller auch noch Muskeln dazubekommt, wird er ein ganz Großer.“ Erkenntnis, gut sieben Jahre später: Thomas Müller hat keine Muskeln dazubekommen und wurde ein ganz Großer.
Die Freunde des Müller’schen Humors sind zahlreich. „Allein schon, wenn ich Thomas Müller vor mir sehe, muss ich schmunzeln“, schmunzelt Bastian Schweinsteiger, der alte Spezi. Mats Hummels, der die Müller-Sprüche jetzt endlich auch im Verein genießen darf und nicht mehr nur bei der Nationalmannschaft, hat im US-Fernsehen verraten: „Thomas Müller ist ein very funny guy. In Germany, we call it ‚Pausenclown‘.“ Jens Lehmann, der von manchen auch als etwas wunderlich empfundene Fußballexperte von RTL, sagt nicht immer das Richtige, trifft in Sachen Thomas Müller aber den Nagel auf den Kopf: „Er macht so lustige Tore.“ Und Sky-Kollege Christoph Metzelder kann nur den Hut ziehen: „Heute muss bei einem Fußballspieler jeder Spruch sitzen. Das schafft eigentlich nur noch Thomas Müller.“ Wer auf der Suche nach einem Weltklassefußballer ist, der auch noch weltklasselustig ist, kommt an Thomas Müller einfach nicht vorbei. Überragend gut wie Sprintkönig Usain Bolt, überragend komisch wie die bayerische Kabarettlegende Gerhard Polt – man sollte den Müller Thomas in Usain Polt umtaufen.
Die Humor-Höchstleistungen made in Pähl lassen sich schon längst nicht mehr zählen. Man denke an sein Hermann-Gerland-Interview als Reporter des „Hessischen Ruhrpott-Kuriers“ („Dann holen wir den Pott, im Pott“), das Hape Kerkeling als Horst Schlämmer vom „Grevenbroicher Tagblatt“ nicht besser hinbekommen hätte. Oder an seine hinreißend lispelnde Gerland-Parodie: „Jofef, irgendwann kommt der Fenfenmann.“ Oder an seinen bayerischen Ausbruch nach dem WM-Titel 2014: „Weltmeister samma. Den Pott hamma.“ Oder oder oder. Für den hauseigenen Inter-net-Fernsehsender FC Bayern.tv ist Thomas Müller als Gute-Laune-Garant längst so wichtig wie Stefan Raab selig in früheren Jahren für ProSieben. TV Müller total.
Deutscher Fußballer des Jahres war Thomas Müller ja bekanntlich noch nie, aber zumindest zu einer Nominierung für den Fußballspruch des Jahres 2016 hat er es mittlerweile gebracht, und zwar mit einer philosophischen Betrachtung eines 5:0 gegen den HSV, bei dem er selber auf dem Rasen gestanden ist: „Es macht Spaß, uns zuzuschauen, auch wenn ich selbst nicht zugeschaut habe.“ Gewonnen hat er nicht, gewonnen hat der austro-kölsche Fußballlehrer Peter Stöger mit diesem schon jetzt legendären Diss: „Ich habe dem Linienrichter meine Brille angeboten. Aber auch das hat er nicht gesehen.“ Großartig! Die humoristische Karriere von Thomas Müller sollte diese Niederlage aber mühelos überstehen.
Wobei: Manchmal nervt er auch – und zwar immer dann, wenn „Radio Müller“ den Sendebetrieb partout nicht einstellen will. Bastian Schweinsteiger ist zwar nicht vor Thomas Müller nach Manchester geflüchtet, sondern eher vor Pep Guardiola. Trotzdem hat er einmal gehadert: „Mir würde es gut gehen, wenn der Thomas Müller nicht schon beim Frühstück immer seine Ansprachen halten würde.“ Müller zeigt sich einsichtig: „Es gibt Momente, wo man sich über den anderen denkt, kann der jetzt nicht mal auf sein Zimmer gehen? Aber das denken die Leute bestimmt oft auch über mich.“ Das trifft zu.
Entdeckt wurde Thomas Müllers komisches Potenzial schon sehr früh – in der Grundschule in Pähl, in der zweiten Klasse, von der Lehrerin mit dem lustigen urbayerischen Namen Irmgard Hupfauf. Dieses Gestell, diese Sprüche – wer anders als der kleine Thomas sollte in der Schulaufführung den Karl Valentin spielen, den größten bayerischen Humoristen aller Zeiten? Später schulte Jung-Müller seinen Sinn fürs Lustige mit den Comic-Heftln, mit „Asterix“, „Lucky Luke“ und „Micky Maus“, die er sich, wie wir ja schon wissen, bei der Bäckerei Scholz in Pähl holte.
Aber einen nachhaltigen Eindruck bei ihm scheint vor allem Karl Valentin hinterlassen zu haben, der so hinreißend um die Ecke denken konnte und dessen Lebensweisheiten heute zum großen bayerischen und deutschen Sprachschatz gehören. „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen“, hat uns Karl Valentin hinterlassen, dessen Nachname übrigens dringend mit einem „f “ am Anfang auszusprechen ist; am „Walentin“ erkennt man unzweifelhaft den Preißn. Ebenfalls unvergessen: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“, „Alle reden vom Wetter, aber keiner unternimmt was dagegen“ oder „War jetz’ des gestern oder im dritten Stock?“
Kann ein Fußballspieler aus Pähl am Ammersee tatsächlich diese hochfliegende philosophische Tiefe, diese Durchtriebenheit des Geistes erreichen? Er kann! Es gibt Müller-Sprüche, die sind in höchstem Maße valentinesk: „Ich lache auch, wenn es regnet. Denn wenn ich nicht lache, hört es ja auch nicht auf zu regnen.“ (Das ist übrigens ein Spruch, den in der Tat auch der alte Valentin höchstselbst so von sich gegeben haben soll.) Oder: „Wir Fußballer denken eh nur von heute bis gestern.“ Beinahe genauso gut sind seine Analysen eines Fußballspiels („Das Ergebnis hat ja oft mit der Leistung zu tun“) und sein schamloses Eigenlob: „Ich bin neidisch auf mich selbst.“ Man kann den Kerl also tatsächlich den Karl Valentin des Fußballs nennen.
Berufshumorist will er trotzdem nicht werden: „Es haben mir schon ein paar Kollegen nahegelegt, in die Entertainment-Branche zu wechseln. Aber ich will nicht witzig sein, weil ich witzig sein muss. Den Komiker Müller wird es nicht so schnell geben.“ Und planbar sind Müller-Sprüche eh nicht, wie er der Bild verriet: „Es ist halt meine Art, den einen oder anderen Spruch rauszuhauen. Das ist nicht vorher überlegt, das kommt einfach so. Ich bin ein Aus-dem-Bauch-raus-Sprücheklopfer.“ Thomas Müller will Hobbykomiker bleiben und weiterhin seine Marktlücke beim FC Bayern und bei der Nationalmannschaft besetzen: „Wir brauchen ja auch einen, der ein bisschen Stimmung macht, damit die anderen sich zurücklehnen können und sich von meinem Quatsch berieseln lassen.“
In dieser Eigenschaft löst Thomas Müller hoffentlich noch einige der drängendsten Rätsel des modernen Fußballs, der voll von unfreiwilligem Humor steckt. Ist es Tierquälerei, wenn Thomas Müller und der FC Bayern den Bock umstoßen wollen? Hilft Gewalt gegen wehrlose Tiere? Ist die Kuh tatsächlich vom Eis, sobald der Bock umgestoßen ist? Was passiert, wenn ein Vegetarier an die internationalen Fleischtöpfe will? Gibt es dafür keine fleischlose Alternative? Warum will nicht nur der FC Bayern unbedingt in Europa überwintern, obwohl es dort saukalt ist? Und wer ist diese legendäre Oma, von der es bei vergebenen Müller-Torchancen immer heißt, „den hätte ja meine Oma gemacht“? Wo hat die sagenumwobene alte Dame ihr Talent her? Liegt es in der Familie? Handelt es sich um gar keine Großmutter, sondern um eine Kroos-Mutter? Und ist die Tore-Oma womöglich mit einem ebenso treffsicheren Opa vermählt, der ein Kandidat für Carlo Ancelotti sein könnte? Einen laufstarken Renntner könnte der FCB sicher gut gebrauchen.
Je mehr lustige Fußballfloskeln man sucht, desto fündiger wird man. Zum Beispiel, manchmal sogar beim FC Bayern: „Wir haben das Spiel nicht angenommen.“ Diese hochmoderne Ausrede hört man jetzt ständig. Aber wie muss man sich das vorstellen? Die Kapitäne stehen mit dem Schiri beim Anstoß, und einer von beiden verweigert die Annahme? Nur mal so angenommen, Sie würden Ihrem Chef sagen: „Chef, ich habe die Arbeit heute nicht angenommen.“ Dann bekommen Sie den größten anzunehmenden Ärger. Dabei haben die Spieler allen Grund, das Spiel anzunehmen, schließlich werden sie dafür mit jeder Menge Annehmlichkeiten belohnt. Beim „Katsche“ Schwarzenbeck hätte es das nie gegeben, der hatte sogar eine eigene Annahmestelle. Für Lotto. Wir haben Grund zur Annahme, dass Fußballer, die das Spiel nicht annehmen, den Abend zuvor schlichtweg versumpft sind, in der Annehm-Bar.
Der moderne Fußball steckt voller Rätsel. Thomas Müller, übernehmen Sie!