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KAPITEL 1

Alle lieben Müller: Ein Mann wie „Bambi“

Alle lieben Thomas Müller. Um es auf den Punkt zu bringen: Wer Thomas Müller nicht leiden kann, der hat kein Herz, sondern sich wahrscheinlich auch damals im Kino gewünscht, dass „Bambi“ vom Traktor zerhäckselt wird. So unfassbar beliebt wie heutzutage Thomas Müller in Deutschland war früher nur Inge Meysel, die langjährige „Mutter der Nation“ – aber auch nur, wenn sie im Fernsehen die Lottozahlen vom kommenden Samstag vorgelesen und dabei einen Schäferhund gestreichelt hätte.

Als ganz Deutschland im Herbst 2016 nach einem neuen Bundespräsidenten fahndete, brachte die „Tagesschau“ auf ihrer Internetseite diese Meldung: „Bundespräsident: Auf der Suche nach dem Konsens-Kandidaten.“ Daneben prangte ein Foto von Thomas Müller. Gut, das war ein Versehen, aber vorstellen hätte man sich das schon können – wenn da nicht die fatale Geschichte mit der Altersgrenze gewesen wäre. Der Bundespräsident muss bekanntlich mindestens 40 Jahre alt sein, während Thomas Müller ja erst 27 ist. Bundespräsident kann er also frühestens im Jahr 2032 werden, dann aber ganz bestimmt.

Thomas Müller ist laut einer aktuellen Umfrage bei Deutschlands Kindern und Jugendlichen der zweitbeliebteste Promi nach Justin Bieber – wobei man sagen muss, dass Müllers traditionelles „Humba Täterä“ vor der Südkurve der Allianz Arena den Ohren deutlich mehr Freude macht als jeder Hit vom jungen Herrn Bieber. Ähnlich populär wie Thomas Müller sind bei den Kids eigentlich nur die YouTube-Beauty-Bloggerinnen Bibi Heinicke und Dagi Bee. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie unfassbar beliebt der Müller sein könnte, wenn er auch noch einen Schminkblog auf YouTube eröffnen würde.

Heute stellen sich selbst Fans von Werder & Co. brav und geduldig an, um ein Selfie mit Thomas Müller, Manuel Neuer oder Philipp Lahm machen zu dürfen. Selbst der immer kritische Matthias Sammer vergaß am Ende seiner Amtszeit als Sportvorstand beim FC Bayern das gewohnte Nörgeln und lobte Müller, das nimmermüde Duracell-Häschen aus Pähl, über den grünen Klee. „Thomas verkörpert alles, was den FC Bayern auszeichnet: Selbstbewusstsein, Lockerheit, Bescheidenheit, Demut. Und er ist absolut leistungsfähig, er ist eine absolute Identifikationsfigur, ein absolutes Juwel und nicht zu ersetzen“, sagte Sammer. Und das war absolut richtig.

Deutschlands reifere Frauen kürten Müller vor der Europameisterschaft 2016 in Frankreich zu ihrem Lieblingsnationalspieler. Achtzehn Prozent der Leserinnen des Fachmagazins Frau im Spiegel wählten Thomas zu ihrer Nummer eins, der damit Vorjahressieger Manuel Neuer ablöste, der nur noch auf sechzehn Prozent kam. Sogar die Entwickler des Fußball-Videospiels „FIFA 17“ ließen sich vom unwiderstehlichen Müller-Charme einlullen und bewerteten Pähls besten Fußballer aller Zeiten deutlich besser, als es seinen reellen Leistungsdaten entsprochen hätte.

„Müller ist in nichts besonders gut. Er ist kein großer Dribbler und schießt auch nicht besonders gut – sein Abschluss geht manchmal sehr, sehr daneben. Auch seine Schussstärke ist nicht gerade berühmt“, verriet der Kölner Spieleproduzent Michael Müller-Möhring, der in Deutschland für die Spielerbewertungen in „FIFA 17“ zuständig ist, dem Sportsender ESPN. Macht aber nichts – dann muss man eben ein bisschen tricksen. Und so wurde aus Einzelwertungen von durchschnittlich 72 Punkten am Ende doch noch eine stolze Gesamtpunktzahl von 87, die alle Gesetze der Mathematik aushebelte – und die Müller unter den besten zehn Spielern der Bundesliga immerhin noch auf Platz neun hievte. Kein anderer Fußballer genoss in der neuesten „FIFA“-Ausgabe so eine Sonderbehandlung. Bei korrekter Beurteilung von Thomas Müllers Leistungswerten, so Experte Müller-Möhring, würde „am Ende eine Bewertung herauskommen, die in unseren Augen keinen Sinn ergibt“. Wir lernen daraus: Der Fußballer Thomas Müller entzieht sich jeder rationalen Bewertung.

Wenn dieser ganz besondere Müller-Faktor dazukommt, dann drückt nicht nur Electronic Arts zwei Augen zu, einer der weltgrößten Spielehersteller, der hinter „FIFA 17“ steht. Wenn heutzutage eine Firma von sich reden machen will – dann veröffentlicht sie am besten eine Umfrage, in der Thomas Müller vorkommt. Denn dann ist der Erfolg garantiert. Die Website der Bild etwa fragte im Vorfeld der EM 2016, mit welchem Nationalspieler sich die deutschen Fans am liebsten das Zimmer teilen würden. Sieger wurde natürlich Thomas Müller, mit 13,2 Prozent der Stimmen (16,9 Prozent bei den Männern, 8,1 Prozent bei den Frauen).

Der Playboy erkundigte sich vor der Europameisterschaft, mit wem seine Leser am liebsten ein Bierchen heben würden (vom aktuellen „Playmate des Monats“ mal abgesehen). Auch hier der Sieger, mit beinahe einem Viertel der abgegebenen Stimmen: Thomas Müller. Keine Abstimmung ist zu doof, als dass sie nicht mit dem Namen Müller für jede Menge Aufsehen sorgen würde.

Ein Ferienhausportal wollte wissen, welchen Fußballer die Deutschen am liebsten mit in den Urlaub nehmen würden. Den Sieg holte sich wie immer Thomas Müller, mit dem jeder zweite Deutsche gerne verreisen würde. Auch dagegen kann sich der arme Thomas nicht wehren. Der zweitplatzierte Robert Lewandowski war chancenlos gegen Müller und kam nur auf bescheidene acht Prozent. Und 35 Prozent der Deutschen würden laut Umfrage eines Lotterieveranstalters nach einem Lottogewinn am liebsten Thomas Müller finanziell unter die Arme greifen – wobei man bei einem Blick auf den Gehaltszettel vermutlich feststellen würde, dass die Not im Hause Müller durchaus überschaubar ist. Man ist daheim in Straßlach (und demnächst in Otterfing) nicht unbedingt auf fremde Lottogewinne angewiesen.

Warum also mögen wir alle diesen Müller so? Weil er so wunderbar naturbelassen jubelt, weil seine herzige Spielerfrau Lisa eigentlich gar keine Spielerfrau ist, weil er die unmöglichsten Tore möglich macht, weil er die besten Sprüche der Bundesliga (und weit darüber hinaus) klopft, weil er keinen Lamborghini fährt, weil seine Haare garantiert noch nie gestylt wurden, weil er nicht einmal tätowiert ist, weil er sich nie verletzt (vier verpasste Spiele seit 2009!), weil er der Nachfolger vom großen Gerd Müller ist, weil er rackert bis zum Umfallen und weil wir das Gefühl haben: Der Müller Thomas, der ist noch einer von uns – bloß, dass er halt zufällig ein bisserl besser Fußball spielt als wir. Aber auch nicht so erschreckend gut wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo. Der Fußball, den Thomas Müller draufhat, wirkt irgendwie noch greifbar, volksnah. Auch das macht ihn so sympathisch.

Es ist höllisch schwer, gegen diesen Thomas Müller anzukommen, gegen diesen Anarchisten, Hundling, gegen den lässigsten Kicker der Welt. Dortmunds Trainer Thomas Tuchel soll gerade ein neues Rezept gegen Müller, gegen den FC Bayern entdeckt haben. Der asketische Fußballlehrer will die Münchner nun auch mit Meditation und Yoga besiegen, heißt es. Deshalb lasse er jetzt zweimal pro Woche Dr. Ulrich Bauhofer aus München einfliegen. Der Ayurveda-Guru gilt als Kapazität für die Kunst der Versenkung, wie sie bereits im 6. Jahrhundert der chinesische Großmeister Chi-Chi (nicht zu verwechseln mit Gigi Buffon, der erst schätzungsweise im 8. Jahrhundert geboren wurde) lehrte. Doch einen besseren Experten für die Kunst der Versenkung als Thomas Müller wird auch der BVB nicht auftreiben. Zwanzigmal hat Müller allein in der Bundesligasaison 2015/16 die Kugel im gegnerischen Tor versenkt. In Sachen Versenken sollte Thomas Tuchel daher noch einmal tief in sich gehen.

Thomas Müller

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