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KAPITEL 4

„Müller spielt immer“: Durchbruch unter Louis van Gaal 2009

Ach ja, der Louis van Gaal. Bei Lichte betrachtet ist Louis ja „nur“ Fußballtrainer. Doch nach eigenem Empfinden ist er: Louis I., König der Niederlande. Dass Königin Beatrix nach ihrer Abdankung 2013 nicht ihn, einen der größten Söhne des Landes, als Nachfolger einsetzte, sondern ihren dahergelaufenen Blaublut-Sohn Willem-Alexander, hat Louis van Gaal angeblich nie verkraftet.

Okay, wir übertreiben. Trotzdem muss man sagen: An Selbstvertrauen hat es dem prächtigen Trainer nie gefehlt – auch wenn es der FC Bayern zwischen Juli 2009 und April 2011 keine zwei Jahre mit ihm aushielt. Dann hatte Uli Hoeneß genug vom „Sonnenkönig der Säbener Straße“, über den er später in der niederländischen Zeitung De Telegraaf ätzte: „Sein Problem ist, dass Louis sich nicht für Gott hält, sondern für Gottvater. Bevor die Welt existierte, war Louis schon da. Aber so, wie er die Welt sieht, so funktioniert sie nicht.“

Was bleibt von Aloysius Paulus Maria van Gaal, von dem München lernte, auf Niederländisch zu fluchen, der aber garantiert weder ein „Rectumslikker“ noch ein „Zoetwateradmiraal“ war? Nun, natürlich das „Feierbiest“, das den Bayern-Fans 2010 auf dem Rathausbalkon den Europacup versprach, die „Löffelchenstellung“, in der er nach eigenem Bekunden mit seiner Truus die Nächte verbrachte – und vor allem sein Fußball. Man kann manches sagen über den menschlich doch recht anstrengenden Trainer. Aber: Er hat den FC Bayern spielerisch in die Moderne geführt. Nach Irrungen und Wirrungen, nach Medizinball-Magath und Buddha-Klinsmann, hatte der FC Bayern ab 2009 mit Louis van Gaal endlich wieder einen Fußballlehrer, der auch praktischen Fortschritt bringt – und einen funktionierenden Plan, wie die Mannschaft spielen soll. Moderner Offensivfußball, dominant, ballbesitzorientiert, mit vielen Positionswechseln. Van Gaals Credo ist das unablässige „Kreieren von Torchancen“. Erst Louis van Gaal erfindet für den FC Bayern den Fußball, den Jupp Heynckes verfeinert, den Pep Guardiola perfektioniert und den Carlo Ancelotti heute weiterträgt in die Zukunft. Philipp Lahm beteuert: „Van Gaals Spielidee hat den Grundstein für unser Triple 2013 gelegt.“

Louis van Gaal stellt Bastian Schweinsteiger ins Zentrum und erzieht ihn zum Weltklassefußballer. Van Gaal macht Holger Badstuber zum Profi und zum Top-Innenverteidiger. Und das Meisterstück des Exzentrikers und Rioja-Liebhabers könnte man so beschreiben: Kolumbus hat Amerika entdeckt – aber Louis van Gaal hat Thomas Müller entdeckt. Er prägt den Spruch, den Pep Guardiola 2016 im Champions-League-Halbfinale bei Atlético bekanntlich nicht beherzigen und bitter dafür bezahlen sollte. „Müller spielt immer“, heißt es beim Holländer, als der erwähnte Bursche noch nicht einmal zwanzig Jahre alt ist. Vollständig ausgeschrieben lautet der legendäre Satz übrigens: „Bei mir spielt Müller immer – auch wenn Robben und Ribéry zurück sind.“ Doch für die Ewigkeit hängengeblieben ist dieses kurze, knackige „Müller spielt immer“.

Ein Jahr davor, mit jugendlichen achtzehn, ist Thomas Müller froh, wenn er überhaupt einmal spielen darf bei den Profis. Von „immer“ kann er noch nicht einmal träumen. Thomas ist gerade erst endgültig in den Kader von Hermann Gerlands Bayern-Amateuren aufgerückt, und er muss noch viel lernen. Defensivverhalten, Kampfgeist – verbesserungswürdig! Gerland, der Mann mit dem legendären Ruhrpott-Humor, tauft ihn „Fräulein Müller“, weil der nicht übertrieben robuste Pähler nach rustikalen Zweikämpfen gern auf dem Boden liegenbleibt und sein schweres Schicksal beklagt. Immerhin: Schon damals verletzt sich „Fräulein Müller“ nie – ein seltenes Glück, das ihm bis heute als „Herr Müller“ erhalten geblieben ist.

„Vor allem muss seine Trainingsbereitschaft wachsen. Der liebe Gott hat ihn mit reichlich Talent gesegnet. Er hat das Zeug, es zu packen. Aber er muss den Willen haben, täglich dazuzulernen“, fordert Gerland zu Amateurtagen. Doch der „Tiger“ und sein Assistent, der große Gerd Müller, wissen natürlich durchaus, welches Juwel sie da in Händen halten. Selbst der „Bomber“, der vielleicht beste Stürmer, den diese Erdkugel je gesehen hat, staunt über seinen Erben und Namensvetter: „Aus nix macht der auch noch ein Tor. Eine halbe Stunde sieht man ihn nicht, und dann schlägt er zu. Er ist ein geborener Torjäger.“ Ein echter Müller eben. Bilanz aus Thomas Müllers letzter Saison im Nachwuchsbereich: achtzehn Treffer in 26 Spielen für die A-Jugend.

Beinahe wie die Jungfrau zum Kind kommt Thomas Müller dann zu seinem ersten Einsatz bei den Bayern-Profis. Jürgen Klinsmann, der Sommermärchen-Guru, ist im Juli 2008 der neueste Heilsbringer beim FC Bayern. Klinsi stellt die Buddhas auf, Klinsi amerikanisiert den ganzen verschnarchten Laden. Klinsi hat für alles einen Plan, bloß nicht für die Taktik, die er spielen lassen will – denn darum kümmerte sich beim DFB ja sein Jogi. Aber das munkeln die Klinsmann-Skeptiker in diesem Sommer 2008 nur hinter vorgehaltener Hand. Jedenfalls verhilft Jürgen Klinsmann dem jungen Müller beim 7:1 im Test bei Kalle Rummenigges Stammverein SV Lippstadt zum Debüt in der Ersten Mannschaft. Müller revanchiert sich mit dem Treffer zum 1:0, dem ersten Tor der (kurzen) Ära Klinsmann beim FC Bayern.

Im Laufe der Vorbereitung etabliert sich der achtzehnjährige Gerland-Frischling immerhin schon als vierter Stürmer in Klinsmanns Hierarchie – nach Miroslav Klose, Lukas Podolski und Luca Toni (wenn man diese Namen liest, merkt man erst, wie unfassbar lange Thomas Müller schon beim FC Bayern ist). Als sich Luca Toni, der „Ohrschrauber“ aus Pavullo, vor dem Saisonstart 2008/09 einen Muskelfaserriss zuzieht, kommt Thomas Müller am 15. August 2008, einem damit beinahe historischen Freitag, zu seinem Bundesligadebüt. Klinsmann bringt ihn in der 79. Minute für Miro Klose – am enttäuschenden 2:2 gegen den HSV (nach 2:0-Führung) kann aber auch Müller nichts mehr ändern. Ein bescheidener Auftakt für den FC Bayern, es sollte nicht mehr lange dauern bis zu den ersten „Klinsmann raus“-Sprechchören. Ach ja, noch ein Stückerl Geschichte: Thomas Müller debütiert nicht mit seiner bis dahin angestammten Rückennummer 21, denn die gehört dem damals ebenfalls noch recht jugendlichen Philipp Lahm. Also nimmt er halt die 25, die ihm auch bis heute erhalten geblieben ist. Ein Thomas Müller ohne die 25, das ist längst so undenkbar wie ein Sepp Maier ohne die 1, ein Beckenbauer ohne die 5, ein Gerd Müller ohne die 9 oder die 13.

Thomas Müller erobert daraufhin die Bundesliga – das wäre eine schöne Geschichte gewesen, doch ganz so kommt es vorerst nicht. An Klose, Poldi und Toni führt kein Weg vorbei. Und auf den Außenbahnen stehen dem Buben die Giganten Bastian Schweinsteiger und Franck Ribéry in der Blüte ihrer Jahre im Weg. „Wir kennen sein Talent und sind dabei, ihn langsam aufzubauen“, verkündet Klinsmann. Langsam aufbauen, das bedeutet im Klartext: Thomas Müller muss weiter lernen, bei Gerlands Amateuren. Dort, wo der „Tiger“ die Spieler am härtesten in die Mangel nimmt und triezt, von denen er am meisten überzeugt ist. Der zweitberühmteste Bochumer nach Herbert Grönemeyer nörgelt über seinen jungen Müller: „Er schwankt zwischen schwach und überragend – innerhalb von drei Minuten.“

Es dauert sage und schreibe bis zum 28. Spieltag, ehe Thomas Müller wieder in der Bundesliga randarf – wenn auch nur kurz. Sehr kurz sogar. Klinsmann, in der absoluten Spätphase seiner Trainerkarriere beim FC Bayern, bringt ihn in der vierten Minute der Nachspielzeit bei Arminia Bielefeld für Luca Toni, um Zeit zu schinden. Neun Tage später ist Jürgen Klinsmann Geschichte in München. Müller kommt noch zu zwei Kurzeinsätzen unter Interims-Nachfolger Jupp Heynckes, der als „Großer Bellheim“ des Fußballs von seinem Freund Uli aus der Pension geholt wird, um die Klinsmann-Scherben zusammenzukehren.

Vier Bundesligaspiele hat Thomas Müller im Sommer 2009 auf dem Konto. Sein fünftes bestreitet er in der neuen Saison dann schon unter seinem dritten Bayern-Trainer, unter Louis van Gaal. Fünf Spiele, drei Trainer: auch eine Art Rekord. Doch beinahe kommt es gar nicht dazu. Denn um ein Haar wird Thomas Müller Freiburger. Oder Hoffenheimer. Oder Schweizer. Als Thomas unter Klinsmann partout nicht mehr zum Zuge kommt, wird Müller-Manager Ludwig Kögl aktiv. Der rührige Wiggerl verschickt DVDs an Vereine, die möglicherweise an seinem Schützling interessiert sein könnten – zumindest leihweise, damit er Spielpraxis im Profibereich sammeln kann. Müller wird eh langsam ungeduldig, scharrt mit den Hufen und verkündet: „Ich will dranbleiben. Wenn ich eine Chance kriege, will ich sie nutzen.“

Eine der DVDs landet auf dem Schreibtisch des FC Zürich. „Grüezi, Thomas Müller?“ So weit kommt es nicht. Die Schweizer beschäftigen sich zwar mit dem Nachwuchsmann aus München, lehnen einen Deal dann aber doch ab. Die mittlerweile beinahe legendäre Begründung von FCZPräsident Ancillo Canepa: „Müller läuft komisch.“ Als der Komischläufer etwas über ein Jahr später bei der WM in Südafrika zum Torschützenkönig und Weltstar wird, muss sich der Präsident viel Spott gefallen lassen. Kein Wunder: „Müller läuft komisch“, diese Aussage erinnert doch sehr an die englische Plattenfirma Decca, die Anfang 1962 die Beatles mit der Begründung ablehnte, „Gitarrengruppen kommen bald wieder aus der Mode“. Frei nach dem Motto: „Ringo Starr spielt komisch Schlagzeug.“ Und wer jetzt einwendet, dass Ringo Starr damals noch gar nicht bei den Beatles war, hat natürlich recht. Aber der Vergleich hat halt so schön gepasst.

Schweizer wird der Ringo Starr aus Pähl also nicht. Und dass er komisch läuft, woran ja kein Zweifel bestehen kann, hindert zumindest die TSG Hoffenheim und den SC Freiburg nicht daran, sich in diesen merkwürdigen Monaten zwischen Amateur- und Weltstarstatus ebenfalls für Thomas Müller zu interessieren. Die aufstrebenden Hoffenheimer haben Personalprobleme, Starstürmer Vedad Ibišević reißt sich im Januar 2009 das Kreuzband und fällt monatelang aus. Trainer Ralf Rangnick will Müller gleich im Doppelpack mit Holger Badstuber verpflichten. Bei „Badi“ lässt der FC Bayern gar nicht erst mit sich reden, bei Müller ist man eher verhandlungsbereit. Wie weit der Transfer bereits fortgeschritten war, darüber gibt es heute unterschiedliche Aussagen. Angeblich liegt im Laufe des Januar bereits ein unterschriftsreifer Vertrag vor. Doch es scheitert am Geld. Der FC Bayern verlangt kolportierte drei Millionen Euro, laut dem Internet-Fachmagazin „transfermarkt.de“ liegt Thomas Müllers Marktwert zu dieser Zeit aber nur bei 300.000 Euro. Der zehnfache Preis für einen Neunzehnjährigen mit einem einzigen Bundesligaspiel (über zehn Minuten!) und einem Champions-League-Kurzeinsatz (Tor gegen Sporting Lissabon!) – dieser Deal ist der TSG zu heiß. Rangnick sagt ab: „Das war uns damals zu viel. Wir waren mit beiden einig, sie wollten kommen.“

Der FC Basel gräbt ebenfalls an Müller. Und auch mit dem SC Freiburg liegt eine Einigung – so heißt es heute – in Reichweite. „Eine Hätte-wäre-wenn-Geschichte“, erinnert sich Freiburgs Pressesprecher Rudi Raschke später in der Badischen Zeitung über den nicht zustande gekommenen Sensations-transfer. Allzu groß ist die Lust der Bayern offenbar eh nicht, den Jungspund auch nur leihweise ziehen zu lassen. Als die Transfergerüchte konkreter werden, wird „Gottvater“ Gerland beim großen Chef vorstellig, den er beschwört, Müller nicht ziehen zu lassen: „Uli, der schießt dir Tooooooore!“ Tooooooore, mit ganz vielen „o“! Im Februar 2009 statten die Münchner Thomas vorsichtshalber mit seinem ersten Profivertrag aus, gültig ab Sommer und bis zum 30. Juni 2011 sowie mit der Garantie versehen, dass er in der neuen Saison bei der Ersten Mannschaft trainiert. Damit ist ohnehin nur mehr eine Ausleihe möglich.

Doch hier kommt der „Tulpengeneral“ ins Spiel. Louis van Gaal wirft noch vor seinem Amtsantritt einen Blick auf Müller und Badstuber und sagt: „Nee“. Wer weiß, ob er die beiden Burschen nicht brauchen kann bei seiner Mission, den FC Bayern fußballerisch endlich ins 21. Jahrhundert zu befördern? Müller bleibt, Badstuber bleibt – oder, wie man in einem holländisch-bayerischen Mix sagen könnte: „Da Kaas is bissn“, „der Käse ist gegessen“, und „Tiger“ Gerland ist happy. Er wird Assistent von Louis und schlägt beim Holländer kräftig die Trommel für seinen Lieblings-Pähler: „Müller ist ein Juwel. Der hat überragende Fähigkeiten, die er aber noch zu selten einbringt. Bei unserem ersten Treffen hat van Gaal mich gefragt, welche jungen Spieler er gebrauchen könne. Dann habe ich aufgezählt: Müller, Badstuber, Contento, Alaba, Ekici. Und die sind dann auch alle hochgezogen worden.“

Der Rest ist dann eh jüngere Fußballgeschichte. Sag’ gegen Louis van Gaal, was du willst, aber für junge Talente hat der holländische Monumentaltrainer ein Auge und ein Händchen, und das jeweils in doppelter Ausführung. Er hatte bei Ajax Amsterdam und beim FC Barcelona zuvor unbekannte Kids namens Clarence Seedorf und Edgar Davids, Xavier Hernández (auch bekannt als Xavi) und Andrés Iniesta in die Erste Mannschaft geholt. Nun holt er beim FC Bayern Holger Badstuber und eben auch Thomas Müller zu den Profis – und das, obwohl der FC Bayern in der Saison 2009/10 mehr denn je mit Weltklasse-Angreifern gesegnet ist. Denn es kommt ja auch noch Mario Gómez aus Stuttgart dazu, mit 30 Millionen Euro Ablöse bis dahin die teuerste Bayern-Verpflichtung und der kostspieligste Transfer innerhalb der Bundesliga. Und HSV-Publikumsliebling Ivica Olić engagieren die Münchner auch noch. Wenigstens ist Poldi weg. Zu Saisonbeginn ist der junge Müller also nominell Stürmer Nummer fünf, hinter Gómez, Toni, Klose und Olić. Herzlichen Glückwunsch, junger Mann! Bei einem normalen Trainer wären seine Einsatzchancen jetzt durchaus überschaubar.

Doch gottlob ist Louis van Gaal kein normaler Trainer – und couragiert genug, sich einen feuchten Kehricht um Hierarchien, Hackordnungen und Ablösesummen zu kümmern. Wenn der FC Bayern den unglücklichen Michael Rensing als Kahn-Nachfolger aufbauen will, dann stellt Louis eben Thomas Kraft ins Tor und sabotiert damit en passant auch noch den anstehenden Transfer von Manuel Neuer. Wenn die ganze Stadt in Münchens Lieblings-Italiener Luca Toni verschossen ist, dann packt ihn van Gaal am Krawattl, weil mit der Disziplin des „Ohrschraubers“ nicht zufrieden, und verscheucht ihn zum AS Rom. Zum Entsetzen aller Münchnerinnen, die dem Don Juan bis heute nachtrauern. „Der Trainer wollte uns klarmachen, dass er jeden Spieler auswechseln kann“, erinnert sich Luca später in der Sport Bild, „egal, wie er heißt, weil er Eier hat. Um das zu demonstrieren, ließ er vor uns die Hosen runter.“ Und zeigt der Mannschaft in der Kabine die van Gaal’schen Eier live und in 3D. Toni, nur mäßig beeindruckt von der Vorführung: „Ich habe aber nicht viel gesehen. Ich saß nicht in der ersten Reihe.“

Doch für Thomas Müller ist der Wahnwitzige ein Glücksfall. Der Jung-Profi darf gleich zu Saisonbeginn ran, glänzt beim Audi Cup und trifft zweimal beim 4:1 gegen Milan. Louis van Gaal, man kann es nicht anders sagen, verliebt sich unsterblich in diesen Müller – rein fußballerisch, versteht sich. Truus muss sich keine Sorgen machen. Er lässt sein „Besthäkchen“ auf beinahe jeder Offensivposition spielen; rechts außen, zentral, hinter den Spitzen. Müller macht fast alles richtig und lernt überdies, die Defensive nicht mehr zu vernachlässigen. Mal springt Müller für Robben ein, mal für Ribéry. Die beiden Flügelflitzer sind ja schon 2009 nicht die robustesten Spieler und fallen häufig aus. Pech für „Robbery“, Glück für van Gaal, für den FC Bayern, für Thomas Müller. Er ist schon nach wenigen Wochen in der neuen Saison nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken. Und Louis erfindet, wie gesagt, einen seiner berühmtesten Sprüche: „Bei mir spielt Müller immer – auch wenn Robben und Ribéry zurück sind.“ Der Müller wiederum merkt, dass er auch in der Bundesliga, in der Champions League mehr als nur mithalten kann. Seine Selbsterkenntnis in der ersten Saison als Profi: „Ich bin nicht immer auffällig, aber immer gefährlich.“

Thomas Müller schießt in dieser Saison neunzehn Tore in 52 Pflichtspielen, lernt Ende 2009 aus einer mächtigen Formkrise („Ich wusste selbst nicht, warum es nicht lief“), wird Meister, Pokalsieger, Champions-League-Finalist, Nationalspieler, WM-Torschützenkönig. Der FC Bayern verlängert noch vor Jahresende seinen Vertrag bis 2013 – verbunden mit einer anständigen Gehaltsanpassung, steil nach oben, versteht sich. Die Medien feiern ihn als „kleinen Bomber“, als „Bomberlein“, als „Bomberchen Müller“ und dichten romantische Abhandlungen über die Jung-Ehe von „Turtel-Thomas“ mit seiner Lisa, der er vom Platz aus Küsse zuwirft. Der Autor dieses Buches staunt in seiner Kolumne in der Münchner tz:

„Ganz Deutschland müllert. Die Bücher von Herta Müller fliegen bloß so aus den Regalen, die bayerische CSU-Staatsministerin Emilia Müller steht vor der Seehofer-Nachfolge, Michl Glos, der Müller aus Prichsenstadt, plant sein Comeback. Und alle warten: Wann legt Frau Müller-Hohenstein ihren Doppelnamen ab?“

Müller glänzt national, Müller brilliert international. In der Champions League besorgt er im September gegen den AS Rom mit einem herrlichen Außenrist-Treffer das 1:0. Nun lernt ihn auch Europa kennen und später die ganze Welt. Ein klassischer Müller über sein Tor gegen die Roma: „In der Theorie wollte ich das so machen.“ Louis van Gaal platzt beinahe vor Stolz über den von ihm erfundenen Wunderfuß-baller: „Wir können immer ein Tor erwarten von Müller. Er ist immer da – und das ist es, was ich an ihm liebe, warum er immer spielt.“ Gegen Tottis Römer will der erschöpfte Müller in der 82. Minute vorzeitig raus. Van Gaal nimmt ihn runter und verneigt sich – im engen Rahmen seiner Möglichkeiten – ehrfürchtig vor Thomas: „Er ist der Chef, ich bin nicht mehr der Chef.“

Eineinhalb Jahre nachdem der TSG Hoffenheim drei Millionen Euro zu viel gewesen sind, taxiert „transfermarkt.de“ Thomas Müllers Marktwert auf 23 Millionen Euro, Tendenz stark steigend. Nur der „neue Gerd Müller“ will er nicht sein: „Ich kopiere niemanden. Ich bin Thomas Müller.“ Als die Saison 2009/10 zu Ende ist, blickt der raketenartig nach oben geschossene Stürmer auf ein unglaubliches Jahr zurück: „Wenn du mittendrin steckst, bekommst du das alles gar nicht so mit. Aber das ist schon eine Wahnsinnsentwicklung.“ Bei wem er sich dafür zu bedanken hat, weiß Thomas Müller allemal: „Man braucht auch Glück. Und das Glück von Holger Badstuber und mir war der Trainer van Gaal.“

Ein knappes Jahr später ist sein größter Förderer dann schon nicht mehr Bayern-Trainer. Die „Bayern-Gaalere“ schlägt leck, die Münchner verpassen die Titelverteidigung, und das exzentrische „Feierbiest“ hat ausgefeiert. Doch Thomas Müller feiert weiter – denn die Ära Jupp Heynckes wird für ihn noch viel, viel erfolgreicher.

Thomas Müller

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