Читать книгу Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online - Jürg Häusermann - Страница 15
Ein autoritärer Rahmen
ОглавлениеAlle diese Formen der Einflussnahme lassen einen wichtigen Grundton des Redens in der Öffentlichkeit erkennen: Es geschieht in einem Kontext der Autorität. Der Rollenunterschied zwischen Redner und Zuhörern fügt sich in ein Machtgefälle ein, in dem gewöhnlich der Veranstalter das Sagen hat. Wenn die Rednerin sich den Vorgaben des Veranstalters fügt, profitiert sie von dessen Macht. Wenn sie aber (wie Hanauer) Thesen vertritt, die den Interessen des Veranstalters widersprechen, oder formale Vorgaben unterläuft (wie es gelegentlich bei Oscar-Verleihungen zu beobachten ist), nimmt sie einen Machtkampf auf, den sie auch verlieren kann. Auf der anderen Seite ist der Erfolg von Reden oft gerade darauf zurückzuführen, dass der Redner oder die Rednerin in Maßen auf Distanz zum Veranstalter geht, mit dessen Regeln kokettiert oder sie explizit missachtet.
Die Regeln können auch unterlaufen werden
Ein Beispiel für den spielerischen Umgang mit den Regeln des Veranstalters: Bei der Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag zum 25 Jahre zuvor erfolgten Fall der Mauer war Wolf Biermann eingeladen, ein Lied zu singen.
Er nutzte die Gelegenheit zu einer gesprochenen Einleitung über sein Verhältnis zu der Partei Die Linke, wurde vom Bundestagspräsidenten Norbert Lammert mit einem humorvollen Verweis auf die Geschäftsordnung unterbrochen, die ihm das verbiete, was er wiederum konterte: „Das Reden habe ich mir in der DDR nicht abgewöhnt und werde das hier schon gar nicht tun.“13
Zu berücksichtigen bleibt, dass institutionelle Vorgaben auch etwas Gutes haben. Auch wenn sie in vielen Fällen lächerlich oder veraltet wirken, erleichtern sie auch die Kommunikation. Sie unterstreichen die Funktion der betreffenden Person und verleihen ihr damit mehr Autorität. Zur rhetorischen Praxis gehört es, sich zu überlegen, inwieweit es möglich ist, von den Normen des Veranstalters zu profitieren, aber auch von ihnen abzuweichen, um nicht nur als Vertreter einer abstrakten Instanz, sondern auch als Individuum in den Dialog mit dem Publikum zu treten.