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Drei Glücksfälle
ОглавлениеMein Leben fängt allerdings mit drei Glücksfällen an. Der erste Glücksfall war, dass ich zwar, so bildete ich es mir immer ein, ungeliebt von meiner Familie, aber anders als meine Geschwister, nach dem Ende des Krieges geboren wurde. Der zweite Glücksfall war, dass ich als Baby gesund war und nicht erfroren und verhungert bin. Das Licht der Welt erblickte ich allerdings in einem zerstörten Land, dass auf der Konferenz von Jalta schon vor Kriegsende im Februar 1945 durch die Staatschefs von Russland, Amerika und England in vier Besatzungszonen mit einem Alliierten Kontrollrat aufgeteilt worden ist. Auf der Potsdamer Konferenz, nach der Kapitulation der deutschen Streitkräfte am 08. Mai 1945, wurde dann wiederum durch die Mächtigen aus Russland, Amerika und England in der Zeit vom 17. Juli bis zum 02. August 1945 die Neuordnung Deutschlands verabredet. Kernpunkte waren die Entnazifizierung, die Demokratisierung und die Entmilitarisierung sowie die Umgestaltung des gesamten gesellschaftlichen Lebens in Deutschland. Uneinigkeit herrschte über die Frage von Gebietsansprüchen Polens und der Massenaustreibung deutscher Bürger aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Nachdem von den Sowjets die geschaffenen Fakten über die deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie weiter zementiert wurden, zerbrach das Bündnis der Mächte, die gemeinsam das nationalsozialistische Deutschland niedergerungen hatten. Zu groß waren die Differenzen zwischen den Weltmächten, wenn es um die zukünftige ideologische Ausrichtung von Deutschland ging. Eine angestrebte Friedenskonferenz kam dadurch nach dem Krieg nicht mehr zustande. Zu der Zeit lebten wir auf einem Pulverfass im Würgegriff des Ost-West-Konfliktes. Die imperialistischen, alliierten Westmächte USA, England und Frankreich standen nun plötzlich der kommunistischen Sowjetunion feindlich gegenüber. Die Iran-Krise war dann der Ausgangspunkt des Kalten Krieges. Der Präsident der Vereinigten Staaten, Harry S. Truman, drohte im Frühjahr 1946 Stalin mit ernsthaften Konsequenzen bis hin zum Einsatz von Atomwaffen, wenn die Sowjetunion ihre Truppen nicht aus dem Iran abzöge. Die Deutschen waren jedoch kriegsmüde, arrangierten sich mit der Teilung ihres Vaterlandes in vier Besatzungszonen und schauten nach vorne. Die Amerikaner entwickelten für die europäischen Länder einschließlich Deutschlands den Marshallplan. Auslöser für die Wirtschaftshilfe war der beginnende Kalte Krieg und der damit befürchtete Einfluss der Sowjetunion und des Kommunismus bei der notleidenden und teilweise hungernden Bevölkerung in Europa.
Mein dritter Glücksfall war die Flucht meiner Familie aus dem sowjetisch besetzten Teil Ostberlins nach Hamburg-Bramfeld in den Bereich der britisch besetzten Zone. So wurde ich unter der Obhut der Briten in dieser hanseatischen Hafenstadt geboren, wo man bemüht war eine Demokratie zum Wohle der Bevölkerung aufzubauen. Zuversicht ließen die Demütigungen des erlebten Kriegs- und Nachkriegstraumas nach und nach schwinden. Diese Sehnsucht hatten auch die Deutschen, die im vormaligen Westpreußen die Nachkriegszeit unter polnischer und russischer Besatzung ertragen und erleiden mussten. Bei einigen dieser deutschen Aussiedlerfamilien brauchte es allerdings mehr als ein Jahrzehnt bis sie ihren Traum von Freiheit erfüllt bekamen. Aus so einer Familie stammt Monika, deren Nachkriegsgeschichte ebenso aufregend war wie meine. In meiner Familie und in unserem Umfeld löste sich in den fünfziger Jahren allmählich die Starre der Verbitterung. Man fing an die erlebten Grausamkeiten zu verarbeiten und den Blick nach vorne zu richten. In eine bessere Zukunft. Die Erinnerungen an Fliegeralarme, Bombennächte, Einmarsch, Todesangst, Vergewaltigung, Demütigungen, Flucht, Hunger, Elend, Tod und Trauer wurden langsam verdrängt von neuem Mut zu Lebenswille und Lebensfreude. Durch den Verlust von allem Hab und Gut waren die täglichen Entbehrungen noch tiefgreifend im Alltag zu spüren. Es begann eine spannende Zeit des Wiederaufbaus. Millionen von Frauen im Alter von 15 bis 50 Jahre wurden als Trümmerfrauen zwangsverpflichtet. Diese Heldinnen schufteten sich durch die Berge von Bauschutt der zerbombten Gebäude, um Raum und Material für den Neubau von Wohnungen zu schaffen, das dringend benötigt wurde. Denn im Krieg waren etwa vier Millionen Wohnungen und zahlreiche Fabriken in Deutschland durch die alliierten Luftangriffe zerstört worden. Schätzungen zufolge gab es in Deutschland nach Kriegsende mehr als 400 Millionen Kubikmeter Schutt. Auf die primitivste Weise, kaum mit schwerer Technik, wurden die Trümmerteile mit Spitzhacken oder Hämmer soweit zerkleinert, dass die Ziegelsteine gesäubert für Reparaturen oder Neubauten wiederverwendet werden konnten. Mit dem neuen Mut der Verzweiflung und mit der Hilfe von den westlichen Alliierten wurden Strukturen geschaffen, um die bittere Not der Nachkriegsarmut zu bekämpfen. Ganz langsam fruchtete das Engagement der Deutschen. Der Wiederaufbau der zerstörten Städte begann. Teilweise nutzte man die Situation zu einem radikalen Neuanfang. Auch meine entwurzelte Familie aus Berlin bemühte sich in der neuen Heimat, ohne den Einheimischen zur Last zu fallen, ein neues Leben zu beginnen und man wagte auch schon einmal von etwas Schönem zu träumen.