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3. Gruppenfreistellungsverordnungen und ihre Systematik

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GVOen sind Rechtsverordnungen der Europäischen Kommission, in denen die Voraussetzungen formuliert sind, unter denen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in typischen Vertragskonstellationen automatisch vom Kartellverbot freigestellt sind. Den GVOen kommt damit die Rolle eines sicheren Hafens (safe harbour) zu. Oder rechtlich ausgedrückt: Ist eine beschränkende Vereinbarung durch eine GVO erfasst und hält deren Vorgaben ein, sind die Parteien von ihrer Verpflichtung nach Art. 2 VO 1/2003 entbunden, d.h. sie müssen nicht nachweisen, dass ihre individuellen vertraglichen Beschränkungen sämtliche Voraussetzungen der Legalausnahme erfüllen. Sie müssen lediglich beweisen, dass die Vereinbarung unter die jeweilige GVO fällt.108 Die GVOen sind über § 2 Abs. 2 GWB unmittelbarer Bestandteil des nationalen deutschen Kartellrechts.

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Mittlerweile gehen alle GVOen von der gleichen Regelungs- bzw. Freistellungssystematik für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen aus, die regelmäßig als „Schirmtechnik“ bezeichnet wird: Danach sind innerhalb bestimmter Marktanteilsgrenzen alle in den Anwendungsbereich der jeweiligen GVO fallenden beschränkenden Vereinbarungen freigestellt, sofern sie in der jeweiligen GVO nicht explizit als unzulässige Kernbeschränkungen bzw. als nicht freigestellte Beschränkungen aufgeführt sind.109 Kernbeschränkungen stellen dabei schwerwiegende bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen dar, die sowohl die Anwendbarkeit der GVO selbst als auch regelmäßig die Freistellung der beschränkenden Vereinbarung auf Grundlage der Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB ausschließen.110 Nicht freigestellte Beschränkungen sind weniger schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen, die zwar nicht mehr von einer GVO erfasst und damit nicht „automatisch“ freigestellt sind, für die ggf. aber eine Freistellung möglich ist, wenn die Parteien das Vorliegen der Voraussetzungen der Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB individuell nachweisen.111

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Die wichtigsten GVOen im Unternehmensalltag sind:112

 – die Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (F&E-GVO),113

 – die Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen (Spezialisierungs-GVO),114

 – die Verordnung (EU) Nr. 316/2014 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen (TT-GVO),115

 – die Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (Vertikal-GVO).116

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Zu diesen GVOen hat die Kommission jeweils Leitlinien erlassen, die sich sowohl mit der Frage befassen, wie die jeweiligen GVOen anzuwenden sind, als auch praktische Hilfe bei der Beurteilung von Vereinbarungen geben, die außerhalb des Anwendungsbereichs der jeweiligen GVO liegen.117

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