Читать книгу Sprachenlernen und Kognition - Jörg-Matthias Roche - Страница 7
1.1.1 Welt, Sprache und Denken
ОглавлениеEs ist ein weit verbreiteter Mythos, dass Sprache nicht zwischen die Realität und das Denken treten solle, also transparent wie Glas sein müsse. Savory (1967) spielt auf diese Auffassung in dem Motto an, das seinem Buch The Language of Science vorangestellt ist. Hier moniert er, dass die Mittlerfunktion der Sprache den Erkenntnisgewinn verhindere: »There can be no doubt that science is in many ways the natural enemy of language«.
Derartige Vorstellungen sind insofern bemerkenswert, als die Interdependenzen von Sprache und Denken und die Bedeutung der Sprache als konstitutives Instrument im Prozess der Wahrnehmung und des Erkenntnisgewinns in zahlreichen wichtigen Arbeiten in der Folge einflussreicher Sprachphilosophen wie Humboldt, Locke, Vico oder Condillac bis hin zu Casagrande, Osgood, Hjelmslev, Ullman, Schlesinger, Vygotskij und Weinreich bereits nachdrücklich belegt sind. Dennoch scheinen sie nur rudimentär ins Sprachbewusstsein von Öffentlichkeit und Wissenschaft einzudringen.
Als Mikrokosmos des menschlichen Bewusstseins, das sich im Prozess der phylogenetischen Entwicklung von Sprachen ständig ändert, bezeichnet Vygotskij die Wörter der Sprache:
Linguistics did not realize that in the historical evolution of language the very structure of meaning and its psychological nature also change. From primitive generalizations, verbal thought rises to the most abstract concepts. It is not merely the content of a word that changes, but the way in which reality is generalized and reflected in a word […] (Vygotskij 1962: 121). Thought and language, which reflect reality in a way different from that of perception, are the key to the nature of human consciousness. Words play a central part not only in the development of thought but in the historical growth of consciousness as a whole. A word is a microcosm of human consciousness. (Vygotskij 1962: 153)
Boas zieht aus Sprachvergleichen den Schluss, dass Sprachen jeweils unterschiedliche Teilaspekte eines Gesamtkonzepts beziehungsweise eines mentalen Gesamtbildes in den Vordergrund rücken, ein Aspekt, der uns in dem Konzept der Profilierung in der kognitiven Linguistik wieder begegnen wird und der weitreichende Folgen in der kognitiven Sprachdidaktik hat.
When we consider for a moment what this implies, it will be recognized that in each language only a part of the complete concept that we have in mind is expressed, and that each language has a peculiar tendency to select this or that aspect of the mental image which is conveyed by expression of thought. (Boas 1911, zitiert nach Slobin 1996: 71)
Auch Naturwissenschaftler wie Heisenberg und Einstein weisen in unterschiedlicher Art auf die Interdependenz von Sprache und Erkenntnis hin. Während Heisenberg die Notwendigkeit der Begriffe für das Verständnis der Welt thematisiert, greift Einstein den kognitions- und identitätsformenden Charakter von Sprache und die Ausbildung von Linguakulturen auf.
[… D]ie existierenden wissenschaftlichen Begriffe passen jeweils nur zu einem sehr begrenzten Teil der Wirklichkeit, und der andere Teil, der noch nicht verstanden ist, bleibt unendlich. (Heisenberg 1959: 169f)
What is it that brings about such an ultimate connection between language and thinking? […] the mental development of the individual and his way of forming concepts depend to a high degree upon language. This makes us realize to what extent the same language means the same mentality. (Einstein 1981: 7)
Die kognitive Linguistik beschäftigt sich systematisch damit, wie das Denken über mentale Modelle und Bildschemata in der Sprache abgebildet wird und wie diese sprachlich abgebildeten Modelle das weitere Denken beeinflussen. Das hat weitreichende Folgen für den Lebensbezug und die Transparenz von Sprache und damit auch für ihre Vermittelbarkeit. Im folgenden Kapitel sollen daher die Grundlagen dieser vergleichsweise neuen Art der Linguistik dargestellt werden.