Читать книгу Die Magdeburger Bluthochzeit. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 4 - Jörg Olbrich - Страница 10

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Baden, 18. April 1627

Peter war froh, als er mit seinen Kameraden nach fast einer Woche Marsch endlich in der Obermarkgrafschaft Baden ankam. Die Burschen waren inzwischen längst nicht mehr so vorlaut wie zu Beginn der Reise, und hatten erkennen müssen, wie anstrengend das Söldnerleben sein konnte. Und das lange bevor sie auch nur in die Nähe einer Schlacht gekommen waren.

In den ersten Tagen hatte es sich die kleine Gruppe noch leisten können, in Wirtshäusern unterzukommen. Das Laufgeld war aber schneller aufgebraucht gewesen, als sie es erwartet hatten. Die Nächte waren kalt, und die Männer drängten sich an die Lagerfeuer, auf denen sie Wild zubereiteten, das sie unterwegs erlegt hatten.

Jetzt, als sie ihr Ziel erreicht hatten, wurde die Stimmung unter den jungen Männern wieder besser. Alle waren gespannt auf die Musterung und das Leben in der Kompanie. Sie waren sich einig da­rüber, dass sie nun das Schlimmste überstanden hatten, und übertrafen sich gegenseitig in ihren Vorstellungen von Reichtum und Ruhm. Peter hielt sich aus diesen Gesprächen heraus. Er wusste es besser.

In der Stadt führte der Gefreite seine Gruppe direkt auf den Musterplatz. Dort standen die Söldner, die gemustert und in das Regiment von Graf zu Pappenheim aufgenommen werden sollten, in Reihen hintereinander. Die meisten trugen Lanzen, die sie vor ihrem Körper hielten.

Die wartenden Männer ließen einen Durchgang frei, durch den die zu musternden Söldner gehen mussten. Wieder führte Peter die Gruppe an. Am Ende des Weges steckten zwei Hellebarden über Kreuz im Boden. Darüber war ein Langspieß gelegt worden. Voller Stolz durchschritt Peter dieses Joch, das symbolisch den Eingang in die Söldnergemeinschaft darstellte.

»Bist du bereit, in die Dienste des Obristen Gottfried Heinrich zu Pappenheim zu treten, ihm die Treue zu schwören, die kaiserliche Gerichtsordnung zu befolgen und den Ehrenkodex der Soldaten zu wahren?«, fragte ein Offizier, der Peter auf der anderen Seite des Jochs erwartete.

»Das bin ich.«

Die Burschen wurden mit derselben Frage begrüßt, die jeder von ihnen bejahte. Danach las der Hauptmann den Artikelbrief des Obristen Graf zu Pappenheim vor. Dieser legte die Regeln fest, nach denen die Söldner im Heer zu leben hatten. Für Peter war dies nicht neu. Die Burschen dagegen sogen jedes Wort des Offiziers in sich auf, als seien sie die Luft, die sie zum Atmen brauchten.

In den einzelnen Punkten war geregelt, dass der Soldat uneingeschränkten Gehorsam gegenüber seinen Vorgesetzten zu erbringen hatte. Gott und die Kirche waren zu ehren. Gewalt gegenüber Schutzbefohlenen galt es zu unterlassen und war unter hohe Strafen gestellt.

Gemeinsam schworen sie einen Eid, dass sie den Artikelbrief ehren und achten würden. Danach bekamen die Männer ihren ersten Sold. Peter spürte die neidischen Blicke der Burschen, als er doppelt so viele Münzen ausbezahlt bekam wie sie selbst und schwor sich, ihnen Respekt zu lehren, sollten sie es wagen, sich gegen ihn zu stellen.

Endlich wurden die Söldner zum Heerlager geschickt. Dort wurde bereits ein Mastschwein auf einem Feuer gebraten. Man hatte es auf einen Spieß gesteckt, der auf den Seiten auf schweren Holzkreuzen lag und von zwei Männern langsam gedreht wurde. Neben einem Küchenwagen schenkte eine junge Magd aus einem Fass Bier an die Männer aus.

Peter setzte sich mit seinen Burschen auf die Wiese in der Nähe des Feuers. Er spürte das Knurren in seinem Magen, als er das Schwein sah, das bereits eine goldbraune Kruste hatte. Nach den Entbehrungen der letzten Tage wurde es Zeit, dass die Männer mal wieder ordentlich ihre Mägen füllten.

Satt und volltrunken stand Peter einige Stunden später auf, um sich hinter einer Hecke zu erleichtern. Die meisten seiner Männer schliefen ihren Rausch aus und auch die anderen Soldaten im Heerlager hatten sich zur Ruhe gelegt. Das gleichmäßige Schnarchen der Söldner schien jeden Winkel des Lagers zu erreichen und diejenigen, die einen leichten Schlaf hatten, drehten sich unruhig hin und her oder hielten sich die Ohren zu.

Mit vernebelten Gedanken stellte sich Peter an die Hecke und spürte die Erleichterung, als er endlich seine Blase entleeren konnte. Er war gerade fertig, als er einen spitzen Schrei hörte. Im ersten Moment wollte er den Laut ignorieren, und es zog ihn zurück auf seinen Schlafplatz. Dann siegte die Neugierde.

So leise, wie es ihm in seinem angetrunkenen Zustand möglich war, schlich Peter um die Hecke und sah dort zwei junge Söldner, die sich über eine Frau gebeugt hatten, die auf dem Boden lag und sich verzweifelt gegen die Griffe ihrer Peiniger wehrte.

»Was ist hier los?«, fragte Peter zischend und schlug einem der Burschen mit der Faust in den Rücken.

Der fuhr herum, wollte auf den Gefreiten losgehen und hielt dann doch inne.

»Überleg dir gut, was du jetzt tust«, warnte Peter den Söldner mit scharfer Stimme. »Erhebe die Hand gegen mich und ich sorge dafür, dass du am nächsten Baum aufgeknüpft wirst, bevor die Morgendämmerung anbricht.«

Der junge Söldner nickte nur. Dann ergriff er den Arm seines Kumpans und rannte mit ihm um die Hecke herum ins Lager. Peter verfolgte die beiden Männer nicht. Sie würden es nicht wagen, auch nur ein Wort über den Vorfall zu verlieren.

Peter reichte der Frau die Hand und erkannte erst jetzt, dass es sich um die Magd handelte, die ihnen das Bier ausgeschenkt hatte. Die Burschen waren offensichtlich der Meinung gewesen, weitere Dienste von ihr einfordern zu dürfen.

»Es ist gefährlich, wenn du nachts alleine durch das Lager schleichst«, sagte Peter, um eine möglichst deutliche Aussprache bemüht, was ihm nach dem genossenen Bier noch immer schwerfiel.

»Sie haben mich an meinem Wagen überfallen und mir den Mund zugehalten, damit ich nicht schreie«, entgegnete die Magd zornig. »Erst haben sie mir Geld geboten, als ich ihnen aber sagte, dass ich nicht so ein Weib bin, wollte sie sich mit Gewalt holen, was ich ihnen nicht geben wollte.«

Trotz seines Rausches verstand Peter sofort, was die Magd meinte. Er beobachtete sie, wie sie sich eine Träne aus dem Gesicht wischte, und erkannte selbst in der Dunkelheit, wie hübsch sie war.

»Wie ist dein Name?«

»Anna Stadtler.«

Nachdem auch Peter sich vorgestellt hatte, überkam ihn ein plötzlicher Gedanke, der ihm im ersten Moment verrückt, aber dann immer reizvoller erschien. Die Nachwirkung des genossenen Alkohols ließen ihn übermütiger vorgehen, als es sonst der Fall gewesen wäre. »Wir sollten heiraten«, sagte er, als sich Anna gerade umgedreht hatte, um zu ihrem Wagen zurückzukehren.

»Was?«

»Werde meine Frau.«

»Hast du mich vor den Halunken gerettet, damit du dich selbst mit mir vergnügen kannst?«, erwiderte die Magd ärgerlich und schlug Peters Hand weg, als er nach ihr griff.

»Nein. Ich meine es ernst.« Zu seiner eigenen Überraschung stellte Peter fest, dass dies tatsächlich stimmte. In seinem bisherigen Söldnerleben hatte er nie das Bedürfnis verspürt, sich an ein Weib zu binden und seine Freiheit genossen. Diese Anna Stadtler hatte allerdings etwas Besonderes an sich, das ihn wie magisch anzog.

Außerdem konnte eine Heirat vorteilhaft sein. Oft hatte er in der Vergangenheit die Kameraden beobachtet, deren Weiber den Tross begleiteten. Zu zweit war es wesentlich leichter, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Dabei ging es Peter noch nicht einmal um die körperlichen Freuden, die mit einer Ehe verbunden waren. Wenn er die haben wollte, konnte er sie überall bekommen.

»Aber warum? Du kennst mich nicht.« Anna schien den Gefreiten für verrückt oder einfach nur sehr betrunken zu halten und sah ihn skeptisch an.

»Ich kann dich beschützen«, sagte Peter ernst. »Keiner der anderen Söldner wird es wagen, dich anzurühren, wenn du mit einem ihrer Kameraden verheiratet bist.«

»Schlaf deinen Rausch aus«, sagte Anna jetzt wieder um einiges freundlicher. »Wir werden sehen, ob du mich morgen überhaupt noch erkennst. Vielleicht bin ich dann auch bereit, noch einmal mit dir zu sprechen. Immerhin hast du mir geholfen. Ich bezweifle aber, dass wir beide jemals heiraten werden.«

Nach diesen Worten wandte sich die Magd endgültig ab und ließ Peter hinter der Hecke stehen. Der wartete noch eine Weile, ob die beiden Burschen noch einmal auftauchten, um sich an ihm zu rächen und ging dann zurück zu seinem Schlafplatz. Er lag noch lange wach und schaffte es nicht, die Gedanken an die junge Anna Stadtler aus dem Kopf zu bekommen. Er konnte sich gut vorstellen, mit ihr zusammenzuleben, obwohl er sie heute zum ersten Mal gesehen hatte.

***

Anna und Peter heirateten acht Tage nach Pfingsten in einer kleinen Kirche. Nach der Zeremonie gab es ein großes Gelage im Heerlager. Zur Feier des Tages wurde ein Ochse gebraten, und die Söldner schafften es, ganze sieben Fässer Bier bis auf den letzten Tropfen zu leeren. In der Nacht war Peter so betrunken, dass er sofort einschlief, als er sich mit seinem Weib in das Zelt legte, das er für seine zukünftige Familie gekauft hatte.

Peter hatte lange um Anna Stadtler werben müssen, bis sich die Magd endlich hatte überzeugen lassen. Das Regiment lag noch immer in Baden und wartete auf den Marschbefehl. Peter hatte jede Gelegenheit genutzt, Anna zu treffen, und sie mit kleinen Geschenken überrascht.

Anfangs war die Magd sehr zurückweisend gewesen. Außerdem hatte der Feldkoch, dem sie zur Hand ging, ein wachsames Auge auf sie. Peters Hartnäckigkeit wurde aber schließlich belohnt, und Anna hatte sich auf einen Abendspaziergang eingelassen, nachdem er sie zwei Wochen lang jeden Tag darum gebeten hatte. Der Gefreite hatte sich von seiner besten Seite gezeigt und seine Angebetete beim Abschied zu einem kleinen Kuss überredet. Ihre Treffen wurden häufiger und Peter genoss es, in ihrer Nähe zu sein. Auch Anna entwickelte langsam eine steigende Zuneigung zu ihrem Verehrer und ließ keine Gelegenheit verstreichen, ihn zu sehen.

Nach der Hochzeit kamen sich die beiden noch schneller näher. Während Peter an den Wehrübungen teilnahm, arbeitete Anna weiter beim Feldkoch und kümmerte sich ansonsten um das Zelt.

Sie waren glücklich miteinander, und Peter war froh, jemanden an seiner Seite zu haben. Die anderen Söldner, die ihren Kameraden zunächst mit neidischen Blicken versahen, akzeptierten, dass die schöne Magd nun zu dem Gefreiten gehörte, und ließen Anna in Ruhe. Wie ihr Gemahl prophezeit hatte, wurde das Lagerleben für die junge Frau nach der Hochzeit deutlich leichter als vorher. Er selbst war zufrieden, endlich jemanden zu haben, der sich um seine Kleidung und das Essen kümmerte.

Zwei Wochen nach der Hochzeit erhielt das Regiment den Marschbefehl. Mitsamt dem Tross marschierten sie zum Ufer des Rheins in Rheinbischofsheim, wo sie bereits von rund einem Dutzend Booten unterschiedlicher Größen erwartet wurden.

»Ich bin noch nie mit einem Schiff gefahren«, sagte Anna und drückte sich eng an ihren Gemahl. »Wäre es nicht sicherer nach Oppenheim zu marschieren?«

»Wir kommen so deutlich schneller vorwärts«, antwortete Peter. Er betrachtete die alten Kähne skeptisch und hoffte, dass sie die Fahrt überstanden. Auf das offene Meer hätte er sich mit diesen Wracks nicht gewagt. Von diesen Gedanken sagte er seinem Weib nichts. Sie war schon aufgeregt genug. »Mach dir keine Sorgen. Die Fahrt über den Fluss wird dir gefallen.«

»Warst du denn schon einmal auf einem Schiff?«, fragte Anna.

»Bisher nicht.«

»Wie kannst du dann sagen, dass es sicher ist?«

»Es wird schon nichts passieren«, sagte Peter, um Anna und auch sich selbst zu beruhigen. »Und selbst wenn, ist das Ufer nicht weit entfernt.«

»Ich kann nicht schwimmen.«

»Aber ich. Glaub mir. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert.« Peter gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann gingen sie gemeinsam zu einem der Boote.

Zunächst verlief die Fahrt über den Rhein ruhig. Anna schien es tatsächlich zu gefallen, wie der Sommerwind durch ihre langen Haare blies. Peter dagegen spürte ein ständiges Grummeln im Magen und hoffte, dass sie ihr Ziel schnell erreichten. Auf keinen Fall wollte er wie zwei der Burschen an der Reling stehen und sich die Seele aus dem Leib kotzen, während sein Weib ihm dabei zusah.

Plötzlich hörten die beiden aufgeregtes Geschrei von einem der Boote, das sich vor ihnen befanden.

»Was ist da los?«, fragte Anna erschrocken. »Werden wir angegriffen?«

»Das glaube ich nicht«, antwortete Peter und schaute besorgt in die Richtung, aus der die Schreie kamen. Erkennen konnte er nichts. »Ich werde nachsehen. Du bleibst hier und rührst dich nicht von der Stelle.«

Hastig lief Peter zur Vorderseite des Schiffes, wo bereits zwei Dutzend seiner Kameraden an der Reling standen. Um besser sehen zu können, drängte er sich zwischen die Männer.

Etwa einhundert Schritte vor ihnen war eines der größeren Boote auf Grund gelaufen. Die Strömung riss an dem alten Holz, das dieser Gewalt nicht standhalten konnte. Entsetzt schauten die Söldner zu, wie ihre Kameraden von dem Wrack heruntersprangen und vom schnell fließenden Wasser mitgerissen wurden.

Um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden, lenkte der Kapitän ihr Boot in die Mitte des Flusses. Die Söldner warfen ihren Kameraden Seile zu, aber nur wenige schafften es, ein Ende zu packen. Immer wieder wurden die Männer unter Wasser gedrückt.

Sie waren viel zu schnell an ihnen vorbei, um wirklich helfen zu können. Als sie die kritische Stelle passiert hatten und das Wasser wieder ruhiger wurde, stoppte der Kapitän das Boot. Auch die anderen warteten und mit vereinten Kräften zogen sie die Männer aus dem Wasser, die bis hierhin durchgehalten hatten.

Es schafften bei Weitem nicht alle Söldner, sich in Sicherheit zu bringen. Viele ertranken oder wurden durch die Wucht der Strömung gegen Felsen geschlagen. Als sie die Fahrt fortsetzten, verspürte Peter einen Kloß im Hals. Er entschloss sich, zurück zu Anna zu gehen. Die saß genau dort, wo er sie zurückgelassen hatte auf den Schiffsplanken und weinte um die Männer, die in der Strömung ihren Tod gefunden hatten.

Die Magdeburger Bluthochzeit. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 4

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