Читать книгу Die Magdeburger Bluthochzeit. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 4 - Jörg Olbrich - Страница 12
ОглавлениеWolfenbüttel, 28. August 1627
»Es wird auch Zeit, dass wir endlich eine ehrenvolle Aufgabe bekommen«, sagte Hannes Waller, einer der Söldner aus Fulda, die zu Peter Hagendorfs Einheit gehörten.
»Freu dich nicht zu früh«, entgegnete der Gefreite. »Es gibt nicht viel Ehrenvolles daran, Laufgräben auszuheben und Schanzen zu bauen. Du wirst dich noch nach der ruhigen Zeit zurücksehnen, die wir das letzte halbe Jahr über verbracht haben.«
»Ich habe meine Heimat nicht verlassen, um hunderte Kilometer durch das Land zu ziehen«, erklärte Hannes bestimmt. »Wir werden Wolfenbüttel erobern und reiche Beute machen. Dafür bin ich in den Krieg gezogen!«
»Ich habe schon einige Burschen getroffen, die genauso geredet haben wie du«, warnte Peter.
»Was ist aus ihnen geworden?«
»Die meisten von ihnen sind tot.«
Hannes lachte spöttisch auf. »Das glaube ich dir nicht. Du willst mir nur Angst einjagen.«
»Sie wollten immer in den vordersten Reihen stehen, wenn eine Stadt angegriffen wurde. Mindestens die Hälfte von ihnen ist dabei zerhauen worden.«
Hannes Waller wurde bleich. »Wir haben ein Recht darauf, Beute zu machen«, sagte er schließlich.
»Das mag sein«, gab Peter zu. »Manchmal hat aber der Feind etwas dagegen. Ich gebe dir einen guten Rat. Dränge dich nicht nach vorne, wenn es darum geht, eine Stadt zu stürmen. Wenn sie eingenommen ist, ist immer noch Zeit genug, sich seinen Teil der Beute zu sichern.«
Hannes sah seinen Gefreiten nachdenklich an und nickte dann. »Vielleicht hast du recht.«
»Zumindest bin ich noch am Leben.«
Auch wenn er selbst der Meinung war, dass man seinen Sold als Söldner nicht einfacher verdienen konnte, als ohne Kampfeinsatz durch das Land zu ziehen, konnte er den Burschen verstehen. Zwei Monate lang waren sie insgesamt etwa 250 Kilometer weit marschiert und standen jetzt kurz vor Wolfenbüttel.
Unterwegs war es zum Zusammenschluss der Kompanien mit dem Regiment von Gottfried Heinrich zu Pappenheim gekommen. Peter war von der Disziplin im Heer des Obristen beeindruckt. Die Männer schienen stolz zu sein, mit ihrem Feldherrn in die Schlacht ziehen zu dürfen. Zu Pappenheim selbst hatte der Gefreite nur einmal kurz gesehen, als er auf seinem weißen Schlachtross an ihm vorbeigeritten war.
Während der Oberst selbst seine Zelte in einem kleinen Dorf namens Stöckheim aufschlug, zog das Regiment direkt vor die Stadt Wolfenbüttel, die bereits von den Kaiserlichen belagert wurde.
Es wurden Zelte aufgeschlagen, die Wagen befestigt und es dauerte nicht lange, bis die ersten Lagerfeuer entfacht waren. Peter hatte selten erlebt, dass sich aus dem scheinbar heillosen Durcheinander so schnell ein gut organisiertes Heerlager entwickelte, in dem jeder seinen Platz hatte. In Italien hatten die Söldner unter deutlich schlechteren Umständen gehaust.
Gemeinsam mit seinem Weib hatte Peter ebenfalls das Zelt aufgebaut. Wie immer fand es in der Nähe des Küchenwagens seinen Platz. Während er selbst die komplette Strecke hatte laufen müssen, war Anna gemeinsam mit dem Koch gefahren, der ein kräftiges Pferd vor seinen Wagen gespannt hatte.
Wolfenbüttel galt als uneinnehmbare Stadt. Peter glaubte nicht daran, dass es ihnen gelingen konnte, sie zu stürmen. Dafür waren die dänischen Verteidigungsanlagen zu massiv und die feindlichen Geschütze zu zahlreich. Auf der anderen Seite war es dem Feind aber auch kaum möglich, einen Ausfall zu machen. Der Ring, den die rund zehntausend Söldner der Kaiserlichen gezogen hatten, war dafür zu dicht.
Zu Pappenheim würde die Stadt so lange belagern, bis sich deren Bürger freiwillig ergaben, weil sie in Wolfenbüttel nichts mehr zu essen fanden. Das konnte noch einige Monate dauern. Vielleicht würden sie sogar vor den Mauern der Stadt überwintern. Peter sollte das recht sein. Solange sie genug zu essen hatten, brauchte sich seiner Auffassung nach nichts an der derzeitigen Lage ändern.
***
»Runter!«, schrie Peter am nächsten Tage, kurz vor der Abenddämmerung, warf sich zu Boden und riss dabei einen seiner Männer mit. Keine Sekunde später schlug eine Kanonenkugel am Rand des Laufgrabens ein. Dreck und kleinere Steine spritzen zur Seite und trafen die Männer, die auf dem Bauch lagen und die Arme über dem Kopf verschränkt hatten.
»Das war knapp«, sagte Peter und schaute vorsichtig über den Rand des Laufgrabens nach Wolfenbüttel. Von dort aus feuerten die Geschütze eine weitere Salve auf die Belagerer ab, richteten aber keinen Schaden an. »Los weiter«, befahl der Gefreite. »Wir sollten aus diesem Loch verschwinden, bevor die Dänen das Zielen gelernt haben.«
»Danke«, stotterte Josef Renz, dem Peter soeben das Leben gerettet hatte. Der Mann zitterte am ganzen Körper und kroch erst weiter, als der Gefreite ihn nach vorne stieß.
Die Söldner waren froh, den Graben nach einem langen Tag darin endlich verlassen zu dürfen. Er war eine Verbindung zur Schanze, die gerade rund hundert Meter vor der Stadtmauer ausgehoben wurde. Zu Pappenheim und die anderen Offiziere wollten einen weiteren Kreis um Wolfenbüttel ziehen, um die dänische Besatzung an einem Angriff auf den äußeren Ring der Kaiserlichen zu hindern.
Der Laufgraben teilte sich vor der Schanze in beide Richtungen. Die Aufgabe von Peter und seinen Männern war es gewesen, weitere Erde auszuheben und aufzuwerfen. Eine Kompanie der Kaiserlichen stand zum Schutz ihrer Kameraden parat und war bereit, sofort eine Musketensalve abzuschießen, sollten sich feindliche Angreifer nähern. Gegen die Kugeln aus den Kanonen waren die Soldaten allerdings machtlos. Bisher hatten sie an diesem Tag nicht weniger als ein Dutzend Männer verloren.
Die unerträgliche Mittagshitze hatte den Söldnern ihre Aufgabe nicht leichter gemacht. Jetzt freute sich Peter darauf, sich den Staub des Grabens mit einem Krug Bier aus der Kehle zu spülen. Als er sich dem Wagen des Kochs näherte, der gerade einen Eintopf für die Männer zubereitete, spürte er, dass etwas nicht stimmte. Wo war sein Weib?
Normalerweise wurde Peter immer von Anna erwartet, wenn er am Abend zu ihr kam. Meistens lief sie ihm sogar freudig entgegen. Heute konnte er sie nicht sehen und auch sonst war es im Lager deutlich ruhiger, als er es gewohnt war. Hier stimmte etwas nicht.
Peter ließ die Schaufel fallen und rannte zu seinem Zelt. Schon bevor er die Plane zur Seite schob, hörte er das leise Stöhnen. Anna war also hier. Als er eintrat, sah er sie mit angezogenen Beinen auf der Seite liegen. Eine Hand hatte sie auf den Bauch gepresst, die andere lag auf ihrer verschwitzten Stirn.
Der Gefreite ging neben ihr in die Hocke und streichelte ihr zärtlich über die Wange. »Was ist mir dir?«
»Mein Magen verkrampft sich«, antwortete Anna stockend. »Und mir ist entsetzlich heiß.«
»Ich werde dir einen Becher Wasser holen.«
»Nein. Bleib hier«, entgegnete Anna gepresst, als sich Peter von ihr wegdrehte. »Ich kann nichts trinken.«
»Aber du musst. Ich bin gleich wieder da.«
Als Peter mit dem Wasser zurückkehrte, hatte sich an Annas Lage nichts geändert. Besorgt schaute er auf die Schweißperlen auf ihrer Stirn. Er wünschte sich, ihr helfen zu können, wusste aber nicht, was er tun sollte. Mit Mühen schaffte sie es, einen kleinen Schluck Wasser zu trinken. Peter nahm den Becher von ihrem Mund und stellte ihn neben sich auf den Boden.
Er blieb neben Anna sitzen und wischte ihr den Schweiß von der Stirn, sobald dort neue Tropfen erschienen. Seine Sorge wuchs immer mehr. Sie glühte am ganzen Körper und alles, was er tun konnte, war bei ihr zu sein.
Als Anna endlich einschlief, stand Peter auf, verließ das Zelt und ging zu einem der Feldscher. Auch wenn die sich eher mit Knochenbrüchen und Verwundungen durch Musketenkugeln auskannten, hoffte er, dass der Mann ihm helfen konnte. Von ihm erfuhr der Gefreite, dass mehrere Menschen im Lager erkrankt waren. Alle litten unter Magenkrämpfen und Fieber.
»Gibt es denn nichts, was ich tun kann?«, fragte Peter verzweifelt.
»Nichts außer beten«, antwortete der Bader. »Bisher ist keiner an der Krankheit gestorben. Wir können nur hoffen, dass dies auch so bleibt.«
***
Als Anna am nächsten Morgen erwachte, ging es ihr etwas besser und sie war zumindest in der Lage, einige Schlucke Wasser zu trinken. Zwar glühte sie noch immer am ganzen Körper, aber zumindest die Magenkrämpfe hatten nachgelassen. Voller Sorge hatte Peter die ganze Nacht wach bei Anna gelegen. Er wünschte so sehr, er könne mehr für sie tun.
»Du musst sofort zum Hauptmann kommen«, hörte Peter plötzlich die Stimme am Eingang seines kleinen Zeltes. Er hatte nicht gehört, wie Hannes hereingekommen war, und fuhr daher erschrocken hoch.
»Was ist los?«
»Das weiß ich nicht. Alle Unteroffiziere sind beim Hauptmann.«
Müde stand Peter auf. Wenn Hans Heinrich Kelman seine Offiziere versammelte, hatte er etwas Wichtiges mitzuteilen und der Gefreite musste dem Befehl folgen. Auch wenn er sich ganz unten in der Befehlskette befand, durfte er diese Position nicht aufs Spiel setzen. Sollte man ihn zum einfachen Söldner degradieren, würde er nur noch die Hälfte seines Soldes bekommen. Gerade jetzt, wo Anna krank war, brauchten sie aber jeden Taler.
Peter war der Letzte, der zu der Versammlung dazustieß, und fing sich dafür einen tadelnden Blick des Hauptmannes ein.
»Es befinden sich etwa zweitausend dänische Soldaten in Wolfenbüttel«, begann Kelman seinen Bericht. »Damit sind wir dem Feind fünf zu eins überlegen. Dennoch gilt die Stadt als uneinnehmbar. Die Befestigungen sind zu stark, als dass wir sie mit unserem Heer erstürmen könnten.«
Die Anwesenden sahen ihren Offizier neugierig an. Bisher hatte er ihnen nur berichtet, was sie bereits wussten. Wenn Kelman, der ansonsten als wortkarg galt, aber so weit ausholte, musste es um wichtige Entscheidungen zu Pappenheims gehen, die der Hauptmann seinen Männern mitteilen wollte. Peter betete innerlich, dass der Obrist die Belagerung nicht abbrechen würde. In ihrem jetzigen Zustand würde Anna einen weiteren Marsch nicht überstehen.
»Wir werden einen Damm errichten und die Stadt fluten«, erklärte Kelman. Der Hauptmann wartete einen Moment, bevor er weitersprach und schien zu beobachten, wie seine Worte auf die Offiziere wirkten. Einige von ihnen stießen überraschte Rufe aus, andere sahen Kelman mit weit aufgerissenen Augen an. Bevor das leise Getuschel unter den Männern ausufern konnte, sprach der Hauptmann weiter.
»Der Damm soll unterhalb der Stadt auf einer Länge von mindestens dreihundert Metern zwischen Groß Stöckheim und Leiferde errichtet werden und die Oker so lange aufstauen, bis Wolfenbüttel überschwemmt wird. Dann wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis die dänischen Ratten die Stadt verlassen.«
Jetzt konnte Kelman nicht mehr verhindern, dass die Offiziere wild durcheinander sprachen. Es war vor allem die Frage, wer diesen Damm errichten sollte, der die Rufe der Männer bestimmte. Der Hauptmann hob die Hand, um anzuzeigen, dass er mit seiner Ansprache noch nicht fertig war.
»Oberst zu Pappenheim wollte den Damm von Bauern und Zimmerleuten aus Braunschweig bauen lassen, doch die Stadt weigert sich, der Bitte nach Hilfe nachzukommen. Daher wurden Boten nach Goslar geschickt. Von dort aus werden eintausend Männer hierherkommen und die Arbeit aufnehmen. Das Bauholz wird aus dem Harz geliefert.«
Peter hörte den Worten des Hauptmannes gespannt zu. Das geplante Unterfangen würde sehr viel Zeit kosten. Die Belagerung von Wolfenbüttel würde also noch lange andauern. Er hoffte, dass sich Anna von ihrer Krankheit erholen konnte, bevor die Verteidiger der Stadt besiegt waren und das kaiserliche Heer ins Winterquartier zog.
»Bis zum Beginn der Arbeiten am Damm wird es keine größeren Angriffe auf Wolfenbüttel geben«, erklärte Kelman. »Die Stadt wird aber weiter beschossen, um den Feind von unserem Vorhaben abzulenken. Unsere Aufgabe wird es sein, die Bauern, die am Damm arbeiten, zu schützen.«
Der Hauptmann forderte nun die ihm direkt untergeordneten Offiziere auf, ihn in sein Zelt zu begleiten, um weitere Befehle entgegenzunehmen. Die Anderen durften sich entfernen. Peter hatte es eilig, zurück zu seinem Weib zu kommen. Voller Sorge stürmte er in das Zelt und wurde dort von Anna mit einem müden Lächeln begrüßt.
Als er sah, dass sich ihr Zustand zumindest nicht verschlechtert hatte, spürte Peter eine Welle der Erleichterung in seinem Körper. Er erzählte ihr vom Plan des Kommandanten. Genau wie er selbst, war Anna gespannt darauf, was in den nächsten Wochen passieren würde. Wenn es tatsächlich gelang, Wolfenbüttel zu überfluten, könnten die feindlichen Soldaten so aus ihrem Bau getrieben werden. Es war aber mehr als fraglich, ob es für die Kaiserlichen noch etwas zu plündern gäbe, wenn die Stadt längere Zeit unter Wasser stand.