Читать книгу Die Magdeburger Bluthochzeit. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 4 - Jörg Olbrich - Страница 8

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Schaffhausen, 24. März 1627

Als Peter Hagendorf erwachte, fielen ihm neben den entsetzlichen Kopfschmerzen zwei Dinge auf. Zum einen war ihm erbärmlich kalt und er hatte das Gefühl, seine löchrige Kleidung würde an seinem Körper festfrieren. Zum Zweiten stank es bestialisch.

Beim Versuch aufzustehen hatte er das Gefühl, eine Gruppe Landsknechte würde in seinem Kopf toben und eine weitere in seinem Bauch. Er konnte den Würgereiz nicht unterdrücken, drehte den Kopf zur Seite und übergab sich. Mit einem galligen Geschmack im Mund sah er, wie die rote Flüssigkeit aus seinem Magen langsam in dem Haufen alten Strohs verschwand, auf dem er noch immer halb lag.

Das war gestern zu viel Wein, gestand er sich ein und unternahm einen zweiten Versuch, sich endlich aus dem Dreck zu erheben. In der ei­­sigen Morgendämmerung erkannte er, dass er die Nacht direkt neben einem stinkenden Misthaufen verbracht hatte. Daneben begann eine Koppel, die allerdings leer war. Auf der anderen Seite sah er ein Bauern­haus mit einer Scheune.

Nur langsam gelang es ihm, sich in der Umgebung zu orientieren, und er wusste nun auch wieder, wie er hierhergekommen war. Der Wein war schuld an seiner misslichen Lage. Peter musste allerdings zugeben, dass er ihm hervorragend gemundet hatte. Jetzt war von dem lieblichen Geschmack freilich nicht mehr viel übrig. Stattdessen hatte er das Gefühl, ein vermodertes Stück Käse im Mund zu haben.

Nach zwei Jahren, in denen er sich in Italien als Söldner verdingt hatte, wollte Peter ins Heilige Römische Reich Deutscher Nation zurückkehren. Dort tobte seit Jahren der erbitterte Krieg zwischen den kaiserlichen Truppen und den Protestanten. Auf beiden Seiten wurden gute Soldaten gesucht, und Peter erhoffte sich, seine leere Börse auffüllen zu können.

Von Italien aus war er zunächst in die Schweiz gekommen. Der Schnee, der ihm und seinem Kamerad Christian Kresse auf dem weiten Weg schwer zugesetzt hatte, war endlich verschwunden. In einem Unwetter waren die beiden getrennt worden, und Peter hatte seither nichts mehr von seinem Freund gehört.

In Schaffhausen hatte er sich genug Geld zusammengebettelt, um sich ein paar neue Schuhe leisten zu können. Die alten waren abgetragen und voller Löcher. In einem Wirtshaus hatte er sich einen Becher Wein gönnen wollen. Der war von so vorzüglicher Qualität gewesen, dass er nicht mehr an die Schuhe gedacht und das ganze Geld versoffen hatte.

Nachdem der Schankraum geschlossen wurde, hatte er sich einen Platz zum Schlafen gesucht. Hier stand er nun. Ohne Geld und mit kaputten Schuhen. Er band sie mit ein paar Weidensträngen zusammen und hoffte, dass sie so noch ein paar Tage halten würden. Dann marschierte er los.

Auf dem Weg in den Ort gelangte Peter zu einem Brunnen. Aus einem Rohr lief eisiges Wasser in ein Steinbecken. Er legte die Hände zusammen, fing die Flüssigkeit auf und trank gierig in großen Schlucken. Der widerliche Geschmack aus seinem Mund verschwand und das eisige Wasser tat Peters Kehle gut. Dem Magen dagegen nicht. Es dauerte nur wenige Augenblicke und er erbrach sich erneut.

Peter wusch sich fahrig das Gesicht. Mit den Händen streifte er das Wasser aus seinem vollen Bart und sah sich danach einigermaßen erfrischt um.

Mit dem festen Entschluss, niemals im Leben auch nur noch einen Becher Wein anzurühren, ging Peter weiter. Es war Markttag, und die Händler sahen den verwahrlosten Söldner skeptisch an, wenn er sich ihren Ständen näherte. Ein Bauer, der Eier, Milch und Ge­treide verkaufte, hatte schließlich Mitleid mit ihm und gab Peter ein Stück Brot. Später half er dem Mann dabei, seinen Wagen zu beladen und fuhr mit ihm auf dessen Hof. Dort erlaubte der Bauer Peter in der Scheune zu schlafen, sagte ihm aber auch, dass er nicht länger bei ihm bleiben konnte.

Als der Söldner am nächsten Morgen seinen Weg fortsetzte, schien die Sonne und er war zufrieden. Er hatte nicht mehr als die Kleidung, die er am Leibe trug und die war in einem miserablen Zustand. Dennoch war er sich sicher, bald wieder bessere Zeiten zu erleben. So war es in seinem Leben bisher immer gewesen.

***

Nach drei Tagen erreichte Peter die ersten Ausläufer der Stadt Ulm an der Donau. Er war das ganze Stück gelaufen und hatte bis auf eine Nacht, in der er in einer Scheune untergekommen war, im Freien geschlafen. Er trug nicht eine kleine Münze in den Taschen und seine Schuhe waren nun endgültig kurz davor auseinanderzufallen.

In den letzten Tagen war es wieder etwas kälter geworden. Deshalb wollte Peter sich in Ulm Arbeit suchen und ein paar Wochen dortbleiben. Als er die ersten Häuser passierte, hörte er einen Trommler, der etwas schrie, war aber noch zu weit entfernt, um die Worte zu verstehen.

Plötzlich hatte es Peter eilig. Falls ihm das Glück hold war und in Ulm gerade Soldaten angeworben wurden, wollte er nicht zu spät sein. Er erreichte den Marktplatz und sah dort eine Schlange aus rund einem Dutzend Männer vor einem Schreiber, der an einem Tisch saß. Dahinter standen zwei Landsknechte. Einer davon trug ein Banner, das Peter bekannt vorkam. Er konnte aber nicht sagen, wo er es schon einmal gesehen hatte.

Die Männer warfen dem Landstreicher geringschätzige Blicke zu, als er sich zu ihnen gesellte. Davon ließ der sich jedoch nicht beeindrucken. Die meisten waren junge Burschen und konnten noch nicht viel erlebt haben. Er selbst kannte das Soldatenleben nur zu gut. Der Feldschreiber würde vermutlich alle Männer in der Schlange zum Musterplatz schicken. Peter hoffte, dass sich der nicht zu weit von Ulm entfernt befand.

»Wie ist dein Name und wo kommst du her?«, fragte der Schreiber, als Peter endlich an der Reihe war, ohne von seinem Blatt aufzusehen.

»Peter Hagendorf. Ich bin gerade aus Italien zurück. Dort habe ich für die Venezianer und in Parma gekämpft. Ich bewerbe mich für den Rang eines Gefreiten.«

Jetzt sah der Schreiber auf und musterte Peter neugierig. »Du siehst tatsächlich aus, als hättest du schon einiges hinter dir«, gab der Mann zu. »Allerdings auch wie ein Landstreicher.«

»Ich bin es gewohnt, weite Märsche zu gehen und kann kämpfen«, sagte Peter selbstbewusst. Er hatte beobachtet, wie einer der Burschen nach dem anderen sein Laufgeld erhalten hatte, und war sich sicher, von dem Schreiber nicht abgewiesen zu werden. Offensichtlich brauchten die Kaiserlichen jeden Mann. Mindestens zwei der Burschen waren so schmächtig, dass ihnen vermutlich vom Rückstoß einer Muskete alle Knochen brachen und sie zu Boden geworfen wurden.

»Kannst du lesen und schreiben?«

»Ja. In Deutsch und Latein.«

Der Mann musterte Peter nun genauer und nickte schließlich. »Also gut. Du erhältst ein Laufgeld und wirst dich zum Musterplatz nach Rheinbischofsheim begeben. Ab sofort gehörst du zu den Truppen von General Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim.«

Für den Bruchteil einer Sekunde war Peter überrascht, schaffte es aber, dies vor dem Schreiber zu verbergen. Graf zu Pappenheim hatte in Italien zu seinen Feinden gehört. Das brauchte der Werber aber nicht unbedingt wissen. Jetzt wusste er selbst aber, wo er das Banner schon einmal gesehen hatte.

Peter nahm vier Taler entgegen und nickte dem Mann dankend zu. Dann gesellte er sich zu den Burschen, mit denen er bald in der gleichen Kompanie kämpfen würde.

Am nächsten Morgen trafen sich die frisch angeworbenen Söldner am Ufer der Donau, um gemeinsam nach Rheinbischofsheim in Baden zu marschieren, wo die eigentliche Musterung erfolgen sollte. Peter sah sich die jungen Männer belustigt an. Aufgeregt redeten sie durcheinander und schwärmten von Ruhm und Reichtum, den sie sich in der Fremde erhofften. Die Wenigsten von ihnen waren bisher mehr als eine Tagesreise von Ulm entfernt gewesen.

Peter ignorierte die leichten Kopfschmerzen, die das Ergebnis einer weiteren durchzechten Nacht waren. Dieses Mal hatte er aber einen Teil seines Geldes für neue Schuhe und Kleidung ausgegeben, bevor er sich in einem Wirtshaus ein paar Becher Wein gegönnt hatte.

Als endlich alle Männer anwesend waren, gab Peter den Befehl zum Abmarsch. Die Burschen sahen ihn zunächst skeptisch an, akzeptierten dann aber seinen höheren Rang, den er als Gefreiter innehatte. Es hätte ihm auch nichts ausgemacht, den Weg nach Baden alleine zurückzulegen. Seine Stellung in der Kompanie würde jedoch von Anfang an gefestigter sein, wenn er eine Gruppe von jungen Söldnern zum Musterplatz führte.

Die frische Luft tat Peter gut und seine Kopfschmerzen verschwanden schließlich. Auch wenn er den Burschen gegenüber so tat, als sei es nichts Besonderes in den Krieg zu ziehen, war er sehr gespannt auf das Regiment des Grafen zu Pappenheim. In Italien hatte er am eigenen Leib erfahren, wie gut der General das Kriegshandwerk verstand.

Die Magdeburger Bluthochzeit. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 4

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