Читать книгу Die Magdeburger Bluthochzeit. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 4 - Jörg Olbrich - Страница 9
ОглавлениеBraunfels, 08. April 1627
»Hast du jemals daran gedacht, die Gegend zu verlassen?«
Verena saß neben Heinrich vor dem Eingangsportal zum Schloss. Die Magd hatte dem Zimmermann ein gebratenes Stück Fleisch und etwas Brot gebracht und der genoss die kurze Pause. Nachdem das Land an den Ostertagen noch schneebedeckt gewesen war, lagen jetzt nur noch einige kleine Reste auf dem Boden, obwohl gerade einmal drei Tage vergangen waren. Es war angenehm warm und beide genossen die Sonnenstrahlen, die sie den Winter über vermisst hatten, auf ihrer Haut.
»Ich war schon einmal für vier Jahre weg«, antwortete Heinrich.
»Warum bist du zurückgekommen?«
»Weil das hier meine Heimat ist.«
»Aber was willst du hier? Mit deinen Fähigkeiten könntest du in jeder größeren Stadt Arbeit finden und ein Leben im Wohlstand führen.« Verena strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte den Zimmermann an.
»Es geht mir gut in Laufdorf. Nach dem Tod meiner Eltern will ich Karin nicht alleine lassen.«
»Sie hat doch Norbert und ihren Sohn.« Verena stieß Heinrich mit der Faust leicht in die Seite. »Ich weiß, wie das Volk in der Gegend leidet. Es war ein schwerer Winter, und die Spanier nehmen euch mehr, als ihr entbehren könnt.«
»Das ist alles richtig«, gab Heinrich zu. Tatsächlich litt das Volk in der Umgebung sehr unter den Besatzern, die gerade im Winter immer wieder Raubzüge in der Region unternommen hatten. So wild es die Spanier aber auch trieben, sie ließen den Dörflern zumindest so viel, wie die zum Überleben brauchten. Solange sich die Menschen fügten, mussten sie wenigstens nicht um ihre Leben fürchten. Als die Spanier vor Jahren nach Braunfels gekommen waren, war dies noch anderes gewesen. Der Widerstand der Bauern hatte vielen den Tod gebracht.
»Ich habe aber während meiner Wanderschaft nicht nur gute Erfahrungen gemacht«, erklärte Heinrich. »Der Krieg hinterlässt seine Spuren überall, und es ist auch in den größeren Städten nicht sicher. Die Bürger leben in der ständigen Angst einer Belagerung. Uns geht es nicht unbedingt schlechter als den Menschen in den Städten.«
»Warum hast du bisher nicht geheiratet?«
»Es hat sich noch nicht ergeben.« Heinrich wunderte sich darüber, wie gesprächig Verena an diesem Tag war. Nachdem Jose Sanches für den Mord an Diego Armonis hingerichtet worden war, hatte er die Magd oft getroffen, wenn er in Braunfels gearbeitet hatte. Mehr als eine kurze Unterhaltung hatte es dabei zwischen ihnen nie gegeben. Heute war sie zum ersten Mal zu ihm gekommen, um dem Zimmermann Essen zu bringen. Heinrich war Verena dankbar dafür, vermutete aber, dass sie dies nicht aus purer Freundlichkeit getan hatte.
Über den wahren Grund, warum er sich bisher kein Weib genommen hatte, wollte Heinrich nicht sprechen. Vor fast drei Jahren hatte er in Heidelberg seine große Liebe verlassen, weil die einem anderen versprochen gewesen war. Diese bittere Enttäuschung hatte er noch immer nicht überwunden. Es gab in Laufdorf einige junge Frauen, die sicher nichts dagegen hätten, wenn der Zimmermann sie umwarb. Durch seine Arbeit im Auftrag der spanischen Besatzer verdiente er gutes Geld und konnte sich daher mehr leisten als die meisten anderen Menschen im Dorf. Er fühlte sich aber innerlich noch nicht bereit zu einer Ehe.
»Lebst du schon immer in Braunfels?«, fragte Heinrich, um das Thema zu wechseln.
»Nein. Ich komme aus Cleeberg. Meine Eltern sind gestorben, als ich zwölf Jahre alt war. Weil ich nicht in ein Kloster wollte, bin ich nach Braunfels gekommen und habe als Magd im Schloss gearbeitet. Das war ein Jahr, bevor die Spanier gekommen sind.«
»Warum bist du geblieben?«
»Wo soll ich sonst hin? Es geht mir gut, und die Soldaten haben mir schon einige Münzen zugesteckt. Wenn ich genug zusammen habe, werde ich in eine andere Stadt gehen.«
Heinrich wollte gar nicht wissen, aus welchem Grund Verena von den Soldaten Geld bekam. Er erinnerte sich an den Streit, den es zwischen Jose und Diego gegeben haben musste. Der Zimmermann vermutete, dass sich die Magd auf weitere Söldner eingelassen hatte. Damit wollte er nichts zu tun haben.
In den letzten Minuten hatte er angenommen, dass Verena zu ihm gekommen war, weil sie darauf hoffte, dass er sie zum Weib nehmen würde. So schön die junge Frau aber war, sie würde Heinrich nichts als Ärger einbringen. Darauf konnte er gerne verzichten.
»Ich hatte gehofft, dass du mit mir fortgehen würdest«, sagte Verena, die anscheinend einen Teil von Heinrichs Gedanken erraten hatte.
»Ich habe dir gesagt, dass ich meine Heimat nicht verlassen will.«
»Noch magst du das vielleicht nicht wollen«, sagte Verena und lächelte Heinrich verschlagen an. »Irgendwann wirst du deine Meinung aber ändern. Wenn es soweit ist, sag mir Bescheid.«
»Das werde ich«, versprach Heinrich. Er zweifelte daran, dass er das jemals tun würde. Weil er sich aber selbst eingestehen musste, dass er Verenas Gesellschaft genoss, wollte er sie nicht verärgern.
»Ich muss wieder zurück ins Schloss«, sagte Verena, nachdem Heinrich sein Mahl beendet hatte. »Sicher sucht der Koch mich schon. Bist du morgen wieder in der Stadt?«
»Nein. Aber in zwei Tagen werde ich wieder hier zu tun haben.«
Verena lächelte Heinrich zum Abschied zu und ging dann zum Eingang des Schlosses. Während er seine Arbeit aufnahm, dachte der Zimmermann über die Magd nach. Er konnte nicht bestreiten, dass sie einen großen Reiz auf ihn ausübte. Sie war aber auch eine sehr gefährliche Person. Zur Feindin wollte Heinrich die Schönheit nicht haben. Er traute Verena alles zu, wenn es um ihren eigenen Vorteil ging. Auch einen Mord!
***
»Was ist heute in der Stadt los?«, fragte Heinrich, als er Verena zwei Tage später im Schlosshof traf. »Die Tore zur Stadt werden von doppelt so vielen Soldaten bewacht, wie es sonst der Fall ist.«
»Heute Morgen ist ein Abgeordneter vom Kaiserhof angekommen. Die Männer, die ihn begleitet haben, versaufen gerade in der Schänke ihren Sold.«
»Ist etwas Besonderes geschehen?«
»Ich weiß nur, dass sich von Tiras mit dem Abgesandten beraten will und der morgen weiterreist.«
»Ich wüsste zu gerne, was die beiden zu bereden haben.« Heinrich wusste, dass es in anderen Regionen derzeit übler zuging, als hier in der Gegend. Was das genaue Kriegsgeschehen anging, bekamen die Menschen in Laufdorf allerdings wenig mit. Es kamen nur selten Händler vorbei und auch Flugblätter erreichten den Ort kaum.
»Willst du es hören?«, fragte Verena und lächelte Heinrich verschwörerisch an.
»Wie soll das gehen?«
»Folge mir.«
Was hat sie nun wieder vor?, dachte Heinrich und folgte Verena, der es gelang, ihn immer wieder zu überraschen. Als sie den Nebeneingang des Schlosses erreichten, der nur von den Wachen und den Bediensteten benutzt wurde, blieb der Zimmermann stehen.
»Was ist los? Komm weiter.«
»Was, wenn uns jemand sieht?«
»Wenn du noch länger da stehen bleibst, wird das ganz sicher geschehen. Komm jetzt.«
Heinrich hatte das Gefühl, einen Fehler zu machen, beeilte sich aber nun, Verenas Aufforderung zu folgen. Im Gebäude gingen sie eine spiralförmige Treppe nach oben. Er vermutete, dass sie dort zu den Gemächern kamen, in denen der Kommandant residierte. Grund genug, sofort wieder umzukehren. Verena öffnete eine Tür, die der Zimmermann zunächst nicht gesehen hatte, und trieb ihn mit einer Handbewegung zur Eile an.
»Ab jetzt müssen wir sehr leise sein.«
Sie betraten einen Gang, in den lediglich ein gedämpftes Licht fiel, nachdem die Magd die Tür wieder geschlossen hatte. Staunend lief Heinrich hinter Verena her. Der Weg war zu schmal, um nebeneinander gehen zu können.
»Das ist der Dienstbotengang«, erklärte Verena flüsternd. »Gleich sind wir direkt neben dem Raum, in dem von Tiras seine Gäste empfängt.«
»Was, wenn uns jemand hört?« Heinrichs Herz schien ihm bis in den Hals zu schlagen.
»Das wird nicht passieren, wenn wir leise sind. Ich bin diesen Weg schon sehr oft gegangen.«
Sie erreichten eine Tür, durch deren Spalt am Boden etwas Licht in den Gang fiel. Bisher hatte Heinrich nichts gehört. Als sie aber einen Moment an der Stelle stehen blieben, erklangen plötzlich Stimmen.
»Er kommt«, sagte Verena überflüssigerweise. »Jetzt darfst du keinen Mucks mehr von dir geben.«
»Ihr habt es Euch hier sehr schön eingerichtet«, sagte eine Stimme, die Heinrich nicht kannte. Er vermutete, dass sie dem Gesandten vom Kaiserhof gehörte.
»Die Sachen stammen noch von Graf Johann Albrecht«, erklärte von Tiras bescheiden. »Es fehlt uns hier an vielem. Vor allem an Geld und Waffen. Ich hoffe, Ihr seid gekommen, um diesen Zustand zu verändern.«
»Da muss ich Euch leider enttäuschen, Hauptmann von Tiras«, sagte der Abgesandte mit emotionsloser Stimme. »Die kaiserlichen Schatzkammern sind leer. Ihr werdet Euch das, was Ihr braucht, aus den umliegenden Dörfern beschaffen müssen. Wenn es nicht anders geht, müsst Ihr die Abgaben erhöhen, die von diesem Pöbel zu leisten sind.«
Heinrich erschrak und hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund, damit er sich nicht durch einen unkontrollierten Aufschrei verriet. Er schaute in das Gesicht von Verena, die im Gegensatz zu ihm gelassen blieb. Er war der Magd dankbar, dass sie ihn hierhergebracht hatte und er das Gespräch der beiden Männer belauschen konnte. So konnte er die Menschen in der Umgebung warnen, falls von Tiras weitere Raubzüge plante.
»Da gibt es nicht mehr viel zu holen«, erklärte der Kommandant zu Heinrichs Erleichterung. »Wir müssen den Bauern so viel lassen, dass sie leben und ihre Felder bestellen können. Tun wir das nicht, werden wir die Stadt spätestens im nächsten Winter aufgeben müssen.«
»Das darf nicht geschehen. Noch ist der Feind nicht besiegt. Wir brauchen jeden Stützpunkt.«
»Und womit sollen wir kämpfen?«, fragte von Tiras spöttisch. »Ich habe schon daran gedacht, den Bauern die Glocken aus den Kirchen zu rauben und sie einschmelzen zu lassen.«
»Das kann ich nicht erlauben«, sagte der Abgesandte entschieden. »Der Kaiser will die Menschen im Reich rekatholisieren. Kirchen, die fest in unserer Hand sind, dürfen nicht geschändet werden!«
Hätte Heinrich den Mann aus Wien vor wenigen Augenblicken noch am liebsten zum Teufel gejagt, als er vorgeschlagen hatte, die Abgaben zu erhöhen, war er ihm jetzt dankbar. Er wusste, dass die Glocke in der Laufdorfer Kirche aus Bronze war. Sie durfte den Spaniern nicht in die Hände fallen.
In den nächsten Minuten berichtete der Abgesandte vom Kaiserhof über die politische Lage im Reich. So erfuhren Heinrich und Verena, dass Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim in Oberösterreich einen Aufstand der Bauern niedergeschlagen hatte. Kaiser Ferdinand II. hatte mit Bethlen Gábor einen Friedensvertrag geschlossen. Somit richtete sich die Hauptstreitmacht der kaiserlichen Truppen unter Albrecht von Wallenstein und Johann von Tilly nun gegen das Heer des dänischen Königs Christian IV. Unterdessen war es Gustav Adolf von Schweden gelungen, einen entscheidenden Sieg gegen Polen zu erringen. Im Reich befürchtete man nun, dass sich der König dazu entschließen würde, seine Glaubensgenossen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu unterstützen.
Der Abgesandte berichtete weiter, dass beide Lager den Winter dazu genutzt hatten, ihre Kräfte zu sammeln und neue Truppen zu werben. Wie es Heinrich bereits vermutet hatte, litt die Bevölkerung überall im Reich unter den Einquartierungen. Hunger und Krankheiten breiteten sich aus und es kam immer wieder zu verzweifelten Angriffen der Bauern gegen die verhassten Soldaten.
Heinrich hatte genug gehört. Es drängte ihn, den schmalen Gang verlassen zu können, in dem die Luft immer schlechter zu werden schien. Er signalisierte Verena einen entsprechenden Vorschlag, doch die hob den Zeigefinger vor die Lippen und schüttelte den Kopf. So blieben die beiden an Ort und Stelle und warteten darauf, dass das Gespräch der beiden Männer, welches sich nun um Belanglosigkeiten drehte, ein Ende fand. Als sie endlich hörten, wie sich von Tiras von dem Gesandten aus Wien verabschiedete, glaubte Heinrich, seine Glieder nicht mehr rühren zu können. Sie warteten ab, bis es im Raum nebenan endgültig still wurde. Dann führte Verena den Zimmermann aus dem Gang.
»Habe ich dir zu viel versprochen?«, fragte Verena, nachdem sie ins Freie getreten waren und ein paar gierige Atemzüge hinter sich hatten, und sah Heinrich triumphierend an.
»Nein«, gab der Zimmermann zu. »Es war tatsächlich sehr interessant, dieses Gespräch zu belauschen. Wenn es einen Ort gibt, an dem die Wände Ohren haben, dann ist es sicherlich hier.«
»Die meisten alten Schlösser haben solche Gänge«, sagte Verena. »Dieser wird allerdings kaum noch genutzt. Ich habe ihn auch eher zufällig entdeckt.«
»Bist du öfters dort?«, fragte Heinrich neugierig. Wenn Verena den Kommandanten regelmäßig belauschte, musste sie viel mehr wissen, als sie zugab. Obwohl er der Magd einiges zutraute, musste der Zimmermann einsehen, dass er sie immer noch unterschätzte.
»Wenn ich weiß, dass von Tiras einen wichtigen Besucher empfängt, dann ja.«
»Das ist sehr gefährlich«, sagte Heinrich warnend. »Wenn sie dich erwischen, werden sie dich hängen.«
»Keine Sorge. Ich kann sehr gut auf mich aufpassen.« Verena lächelte den Zimmermann an und hielt ihm dann die offene Hand entgegen. »Jetzt bekomme ich zwei Taler von dir.«
»Du willst Geld?«, fragte Heinrich überrascht.
»Du hast doch gerade selbst gesagt, wie gefährlich es ist, sich in diesem Gang aufzuhalten. Du hast viel erfahren. Das muss dir doch ein paar Münzen wert sein.«
Das unschuldige Lächeln, das Verena Heinrich nach diesen Worten zuwarf, täuschte den Zimmermann nicht über ihre Verschlagenheit hinweg. Er musste allerdings auch zugeben, dass ihm die Magd in Zukunft noch eine große Hilfe sein konnte. Leider wusste sie das auch.
»Das ist Wucher«, sagte Heinrich gespielt beleidigt und übergab der Schönheit die Münzen.