Читать книгу Die Magdeburger Bluthochzeit. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 4 - Jörg Olbrich - Страница 6
ОглавлениеBraunfels, 14. August 1626
Mit jeder Stunde, die Heinrich in Braunfels verbrachte, ohne etwas über den Mord an dem spanischen Soldaten in Erfahrung zu bringen, wuchs seine Verzweiflung. In den letzten beiden Tagen hatte er mit einigen Bürgern der Stadt gesprochen. Deren Angst vor den spanischen Besatzern war aber so groß, dass sie es nicht wagten, etwas zu erzählen.
Die Söldner, die er nach dem Toten befragen wollte, waren ihm aus dem Weg gegangen, oder hatten ihn mit spöttischen Bemerkungen fortgeschickt. Von ihnen hatte er aber zumindest erfahren, dass der Tote Diego Armonis geheißen hatte und der Name seines Begleiters Jose Sanches war. Den hatte er zweimal gesehen, sich aber nicht getraut, ihn anzusprechen. In den Reihen seiner Kameraden wäre es ihm ein Leichtes gewesen, den Zimmermann aus dem Weg zu schaffen.
Zu Hauptmann Johann von Tiras konnte Heinrich auch nicht gehen. Er würde ihm niemals glauben und die Aussage der zwei Jungen kaum als Beweis gelten lassen. Die wollte Heinrich ohnehin nicht unnötig in Gefahr bringen, solange er nichts gegen Jose Sanches in der Hand hatte.
Auf eine Verena, an deren Namen sich Harald erinnert hatte, hatte Heinrich keinen Hinweis gefunden. Wer auch immer die Frau war, der Zimmermann wusste noch nicht einmal, ob sie überhaupt in Braunfels lebte.
Heinrich war sich darüber bewusst, dass ihm und den Menschen in Laufdorf die Zeit davonlief. Am nächsten Morgen würde der Kommandant den Ort niederbrennen. Gemeinsam mit Norbert hatte er die Bürger davon überzeugt, dass sie am heutigen Abend die Flucht ergreifen sollten. So würden sie zwar ihr Hab und Gut, aber zumindest nicht ihr Leben verlieren. Der Zimmermann dachte fieberhaft darüber nach, wie er diesen letzten Ausweg vermeiden konnte.
An diesem Tag war Heinrich damit beauftragt worden, die Wehrgänge auf der Mauer um das Schloss instand zu setzen und gerade dabei, ein paar morsche Bretter auszutauschen. Von seinem Platz aus hatte er einen guten Blick auf die Unterkünfte der spanischen Soldaten. Plötzlich sah er, wie Jose Sanches aus einer der Baracken kam und sich umsah.
Heinrich ging hinter dem Holz des Wehrganges in die Hocke und verhielt sich ruhig. Vielleicht konnte er Sanches unbemerkt verfolgen, wenn der den Bereich des Schlosses verließ. Noch blieb der Spanier vor seiner Unterkunft stehen und schaute den Weg entlang, als würde er auf jemanden warten. Kurz darauf erschien eine der Mägde aus dem Schloss.
»Da bist du ja endlich«, fuhr Sanches die schwarzhaarige Frau an. »Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?«
»Der Koch hat mich nicht weggelassen«, antwortete die Magd. »Ich konnte nicht eher hier sein.«
»Ich habe das Gefühl, du gehst mir aus dem Weg, seitdem Diego tot ist«, sagte Sanches ärgerlich.
»Warum sollte ich das tun?«
»Tu nicht so scheinheilig. Ich weiß genau, dass du das Lager mit dem Kerl geteilt hast.«
»Na und?«, gab die Magd zurück. »Dachtest du, ich gehöre alleine dir?«
»Allerdings«, antwortete der Söldner, ging auf die Frau zu und gab ihr eine Ohrfeige. »Wage es nie wieder, so mit mir zu reden.«
So läuft das also, dachte Heinrich. Der Zimmermann spürte, wie sein rechtes Bein in der unbequemen Haltung langsam taub wurde. Er wollte es zur Seite hin wegstrecken und stieß dabei gegen seinen Hammer. Im letzten Moment gelang es ihm, das Werkzeug zu greifen, bevor es über die Kante nach unten fiel und die beiden auf ihn aufmerksam machte.
Sanches schien trotzdem etwas gehört zu haben. »Wer ist da?«, rief der Spanier und schaute misstrauisch nach oben. Heinrich hielt die Luft an. Wenn der Soldat der Ursache des Geräusches auf den Grund ging, würde er ihn entdecken. Das geschah gottlob nicht. Sanches schaute noch einen kurzen Moment zum Wehrgang und wandte sich dann wieder der Magd zu.
»Ich muss gleich meinen Wachdienst antreten.« Sanches gab der jungen Frau einen Stoß. »Verschwinde jetzt. Morgen kommst du zur verabredeten Zeit. Ansonsten werde ich dich für deinen Ungehorsam bestrafen.«
Heinrich beobachtete, wie der Spanier zurück in die Unterkunft ging und die Magd langsam vom Platz schlich. Er wartete noch einige Sekunden und nahm dann die Verfolgung der jungen Frau auf.
***
»Warte bitte einen Moment«, rief Heinrich der Magd nach, bevor sie durch das Tor in den inneren Schlosshof verschwinden konnte und somit für ihn unerreichbar war.
»Was willst du?«
»Nur kurz mit dir sprechen.«
»Ich kenne dich nicht.« Die Frau sah Heinrich geringschätzig an und wollte nun endgültig durch das Tor verschwinden.
»Es geht um Diego Armonis.«
Die Magd blieb für einen Moment wie versteinert stehen. Dann drehte sie sich zu Heinrich um und sah ihn verärgert, gleichzeitig aber auch neugierig an.
»Er ist tot.«
»Ich weiß, wer ihn ermordet hat.« Ursprünglich hatte Heinrich nicht mit der Tür ins Haus fallen wollen. Weil er aber befürchtete, dass die Magd ihn doch noch stehen ließ und verschwand, wollte er ohne Umschweife zum Grund kommen, warum er sie aufgehalten hatte.
»Soweit ich weiß, waren es ein paar Bauern aus einem Dorf. Gehörst du etwa zu ihnen?«
»So war es nicht«, antwortete Heinrich. »Können wir kurz darüber sprechen?«
»Meinetwegen«, sagte die Magd, schaute Heinrich aber weiterhin misstrauisch an. »Erzähl mir aber keine Lügen. Diegos Tod ist auch so schon schlimm genug.«
»Kanntest du ihn gut?«
»Das geht dich nichts an. Erzähle mir erst, was du weißt.«
»Mein Name ist Heinrich Wagner. Ich bin Zimmermann aus Laufdorf …«
»Also doch«, rief die Magd dazwischen. »Wenn du mir jetzt erzählen willst, dass es keine Absicht war, oder Diego selbst schuld gewesen ist, kannst du gleich wieder gehen.«
»Das hast du falsch verstanden«, sagte Heinrich schnell. »Zwei Jungen aus dem Dorf haben den Mord beobachtet. Es war der Soldat, der Diego Armonis auf dem Streifzug begleitetet hat.«
»Jose Sanches?«
»Genau der.«
Die Magd stieß einen wütenden Schrei aus, schüttelte wild den Kopf und wollte losrennen. »Ich werde das Schwein umbringen!«
Im letzten Moment konnte Heinrich die Frau am Arm festhalten. Damit sie nicht die ganze Stadt auf sie aufmerksam machte, hielt er ihr den Mund zu.
Die Magd wehrte sich gegen Heinrichs Griff und biss ihm in die Hand. »Lass mich los«, fauchte sie den Zimmermann an. »Ich bringe Jose um. Er hat es nicht besser verdient!«
»Hör mir doch erst einmal zu«, versuchte Heinrich, die Frau zu beruhigen. »Alleine kannst du gegen den Kerl wenig ausrichten. Wenn wir es aber geschickt anfangen, wird von Tiras ihn aufhängen.«
Die Magd versuchte noch einmal, sich loszureißen. Dieses Mal wendete sie aber weniger Kraft auf und gab schließlich nach. »Erzähl mir, was du vorhast.«
»Später. Sag mir erst, wie du zu Diego standest.«
»Ich war seine Geliebte«, gab die Magd zu. »Jose wusste das, wollte mich aber für sich. Ich habe ihm einmal nachgegeben und seither behandelt er mich wie sein Eigentum.«
»Dann ist das der Grund für den Mord.«
»Vermutlich. Ich hätte nie gedacht, dass er so weit gehen würde. Und jetzt sag mir, was du vorhast.«
Als Heinrich die Magd mit Jose Sanches gesehen hatte, war ihm ein Gedanken gekommen, der mittlerweile zu einem Plan gereift war. Mit knappen Worten erklärte er der jungen Frau, die sich ihm als Verena Uhl vorgestellt hatte, wie er den Söldner an den Kommandanten ausliefern wollte. Als er ihren Namen gehört hatte, hatte für Heinrich alles einen Sinn ergeben: Sanches hatte seinen Kameraden aus Eifersucht ermordet.
»Und du bist dir sicher, dass wir das Schwein so drankriegen?«, fragte Verena schließlich.
»Sicher nicht. Aber es ist unsere letzte Möglichkeit.«
»Wieso? Was hast du eigentlich mit Diego und Jose zu schaffen?«
»Gar nichts. Von Tiras hat gedroht, dass er unser Dorf niederbrennen wird, wenn wir ihm nicht bis morgen Diegos Mörder ausliefern.«
»Warum sollte ich dir helfen?«
»Du kannst ein ganzes Dorf vor dem Untergang bewahren.«
»Ich kenne keinen von den Bauern.« Verena sah Heinrich herausfordernd an. »Du musst mir schon etwas anbieten.«
»Willst du etwa Geld? Eben wolltest du Jose noch töten. Ich gebe dir die Möglichkeit, dich an dem Schwein zu rächen, ohne dass du selbst dabei in Gefahr gerätst.«
»Da hast du allerdings recht. Ich bin einverstanden. Wir haben aber nicht mehr viel Zeit. Wenn Jose seine Wache antritt, kommen wir nicht mehr an ihn heran.«
»Wann ist das?«
»In etwa einer halben Stunde.«
***
Jose Sanches trat aus den Unterkünften und blieb stehen, als hätte ihn der Blitz getroffen. »Was hast du denn noch hier zu suchen?«, herrschte er Verena an. »Willst du, dass jeder sieht, wie du vor den Baracken herumlungerst?«
»Das hat dich bisher nie gestört«, entgegnete Verena trotzig. Sie stand mit geballten Fäusten etwa fünfzehn Schritte von dem Söldner entfernt.
»Verschwinde. Ich habe jetzt keine Zeit für dich.«
»Du hast Diego getötet«, schrie Verena und zeigte mit dem Finger auf den Spanier.
»Was soll der Unsinn? Weswegen bist du hier? Etwa nur wegen dieser dummen Anschuldigung?«
»Ich will, dass du mir die Wahrheit sagst.«
»Hör auf, hier so herumzuschreien. Was meinst du wohl, was die anderen Soldaten denken, wenn sie diesen Unfug hören?!«
»Das ist mir egal. Sag mir, ob du es gewesen bist!«
»Was, wenn es so wäre?« Jose sprach jetzt leiser, aber mit scharfer Stimme und ging zwei Schritte auf Verena zu.
»Dann werde ich nie wieder auch nur ein Wort mit dir reden.«
»Was bildest du dir eigentlich ein, du verfluchte Hure? Es gibt genug andere Weiber in der Stadt, die mir für ein paar Münzen gefällig sind. Ich brauche dich nicht.«
»Warum hast du dann Diego getötet? Ich habe ihn geliebt.« Verenas Schrei ging in ein Schluchzen über und sie hatte sichtlich Mühe, sich zu beherrschen.
»Zu so etwas bist du doch gar nicht fähig«, sagte Jose spöttisch. »Du hast Diego genauso betrogen wie mich.«
»Sag mir jetzt die Wahrheit, oder ich schreie die ganze Stadt zusammen.«
»Wenn du es unbedingt wissen willst, ja«, zischte Jose und ging zwei weitere Schritte auf Verena zu. »Ich habe den Verräter bestraft und wenn du jetzt nicht dein Maul hälst, bist du die Nächste.«
»Ergreift ihn«, befahl Hauptmann von Tiras den vier Soldaten, die neben ihm und Heinrich hinter einer Hausecke standen und jedes Wort mitgehört hatten. »Nehmt ihm seine Waffen ab und werft ihn in den Kerker. Danach bereitet den Galgen vor.«
Die Wachen rannten auf Jose Sanches zu und überwältigten ihn, bevor er richtig begriff, was überhaupt los war. Als ihm die Hände auf den Rücken gedreht wurden, traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag in den Nacken.
»Du dreckiges Miststück hast mich verraten«, schrie er und spuckte in Verenas Richtung.
»Das habe ich. Und ich werde mit Freuden zusehen, wenn du für den feigen Mord bezahlst und aufgeknüpft wirst.« Verena drehte sich von den Soldaten weg und ging auf Heinrich und von Tiras zu, die noch immer neben der Hausecke standen.
»Das könnt ihr nicht tun«, schrie Jose aus Leibeskräften. »Ich bin einer von euch.«
»Jetzt nicht mehr«, entgegnete der Kommandant. Dann wandte er sich Heinrich zu. »Ich bin dir dankbar dafür, dass du mir den wahren Schuldigen gezeigt hast und werde dein Dorf verschonen.«
Für von Tiras schien die Angelegenheit damit erledigt zu sein. Er warf Verena noch einen undefinierbaren Blick zu und folgte seinen Männern dann in Richtung Schloss.
Heinrich atmete erleichtert auf, als er schließlich mit Verena alleine vor den Barracken stand. Von den anderen Söldnern war nichts zu sehen. Der Zimmermann vermutete, dass sie sich bewusst in ihren Unterkünften versteckt hielten. Die Schmach, die Jose Sanches über die Einheit gebracht hatte, würde sicher auch sie treffen.
Es war für Heinrich ein großes Risiko gewesen, sich direkt an Hauptmann von Tiras zu wenden. Nach dem Gespräch mit Verena war er ins Schloss gestürmt und hatte verlangt, den Kommandanten sofort sprechen zu dürfen. Zu seiner Überraschung war der tatsächlich gekommen. Zunächst hatte von Tiras Heinrich nicht geglaubt. Als der Zimmermann aber versprach, persönlich die Verantwortung für den Tod von Diego Armonis zu übernehmen, sollte er sich irren, hatte er dem Plan zugestimmt, Jose mit Verenas Hilfe aus der Reserve zu locken.
»Was willst du jetzt machen?«, riss Verena den Zimmermann aus seinen Gedanken.
»Ich muss sofort zurück und den Laufdorfern die frohe Botschaft überbringen.«
»Werden wir uns wiedersehen?«
»Ganz sicher. Ich habe noch einige Aufträge hier im Schloss.« Heinrich drehte sich ein letztes Mal zu Verena um. »Ich bin dir sehr dankbar. Du hast heute einigen Menschen das Leben gerettet.«