Читать книгу Klaska und die Anwältin - Jörg Przystow - Страница 12
Detektiv Klaska wird erneut beauftragt
ОглавлениеAngeschlagen durch die Gesundheit, psychisch am Boden, Zweifel an allem, was ihr bisher im Leben so wichtig war, fasste Anna einen Entschluss. Sie nahm noch mal den Kontakt zu dem Mann auf, der ihr schon einmal die Augen geöffnet hatte, dem sie vertraute und der sie trotz seiner sicherlich von vielen Menschen als zwielichtige Berufsorientierung gesehene Arbeit bisher nicht enttäuscht hatte. Ben Klaska, Detektiv mit jahrelanger Erfahrung, die er in den unterschiedlichsten Bereichen der Polizei gesammelt hatte, der mit allen Wassern der Ermittlungsarbeit gewaschen war, bekam erneut von Anna einen Anruf, mit der Bitte, sie zu besuchen. Einige Tage später, es war ein trüber Herbsttag, trafen sich die beiden in Annas Wohnung in Winterberg. Verstecken wollte sie sich nicht mehr. Wozu auch?
Anna hatte sich ein schönes Kleid angezogen, am Hals geschlossen, ein Tuch ihre Haut verdeckend. Sie hatte sich fein gemacht, wollte damit auch den Schein wahren, dass sie immer noch alles im Griff hat. Doch einem Detektiv vom Format eines Ben Klaska machte sie nichts vor. Klaska, der sicher vieles in seinem Beruf gewohnt war, erschrak, als er eine verbitterte und äußerlich um Jahre gealterte Frau vor sich sah. Er durchschaute Annas Auftritt, machte aber mit und tat so, als wenn er ihren wirklichen Zustand nicht bemerkte.
Die Zeit zog dahin, Stunde um Stunde saßen sie beisammen und Anna war überrascht, dass Klaska Alkohol ablehnte und lieber mit ihr weiter Tee trank. Das passte so gar nicht zu ihrer Vorstellung vom Leben eines Detektivs, der doch irgendwie anrüchig daherkommen müsste. Detail um Detail, Vertrag um Vertrag, Name um Name, einfach alles, was man mit Anna in ihrer harten Zeit des Alkoholmissbrauchs und ihrer sicherlich nicht mehr vorhandenen Geschäftsfähigkeit gemacht hatte, erfuhr Klaska und machte sich Notizen mit Strichen, Pfeilen und kleinen Zeichnungen, die Anna nicht verstand. Sie fragte aber nicht nach, war nur beeindruckt, wie sich der Detektiv mit diesen Wörtern und Bildern eine erste Ermittlungsstrategie überlegte, wohl einen Stammbaum der Ereignisse anlegte. Anna war an diesem Tag so klar wie lange nicht mehr.
Schnell wurde klar, dass die Recherchen Zeit in Anspruch nehmen würden, aber auch Geld war erforderlich, nicht nur für das Honorar des Detektivs, sondern auch Schmiergelder, oder mit den Worten von Klaska ausgedrückt, „Informationsanreize“ mussten eingeplant werden. Ben Klaska war sich nicht sicher, ob Anna überhaupt noch über Gelder verfügen konnte, er nahm aber den Auftrag an und vertraute auf eine Frau, die sein Herz berührte und das bei einem Mann, der knallharte Observation, Dokumentation und ergebnisorientiertes Arbeiten als seine Maxime nannte.
Anna hatte abschließend noch Fragen, doch sie war zu müde, denn nach vier Stunden reden über die eigene Vergangenheit, über das Schlechte in den Menschen, die einem zunächst zur Seite standen und täglich behaupteten, doch nur das Beste zu wollen, schlauchten sie und wühlten sie zugleich auf. Ruhe und Besinnung, das waren die beiden Dinge, die Anna jetzt erst mal brauchte. Klaska ging mit den Worten: „Ich werde Ihnen helfen, einigen Menschen den Schlaf zu rauben!“
Anna Kiesmann schaute zu ihm auf und sagte ihm noch, dass sie sich bereits für einen weiteren Umzug entschieden habe, obwohl sie nach dem Auszug aus dem Traumhaus in diese Wohnung eigentlich nicht schon wieder Lust auf die damit verbundene Packerei hätte. Doch sie spüre ihren Gesundheitszustand einfach zu heftig. Sie habe einen Platz in einer Seniorenresidenz gefunden, ganz in der Nähe von Winterberg, sehr ansprechend gelegen und mit einem guten Ruf. Ein Unternehmen habe sie bereits beauftragt, für die wenigen Dinge, die sie dorthin mitnehmen könnte. Ihre Freundin Elisabeth werde sich um den Verkauf des anderen Hausrates kümmern. Den Erlös dürfte und sollte ihre Freundin auf jeden Fall behalten, schließlich sei sie immer für sie da gewesen, habe zugehört und ihr auch gute Ratschläge gegeben, von denen sie leider zu wenig befolgt habe, wie die frühzeitige Trennung.
Klaska verließ nach diesem letzten Hinweis das Haus mit einem kurzen Blick zurück auf eine vom Leben schwer gezeichnete Frau, die aber einen ganz klaren Wunsch hatte. Den wollte Klaska ihr erfüllen. Ihre Augen, wenn sie ihm aus ihren bisherigen Lebensphasen berichtete, hatten ihn gefesselt.
Als er sein Büro in einem kleinen, unscheinbaren Verwaltungsgebäude in der Teckenstraße in Dortmund erreichte, benutzte er nicht den in die Jahre gekommenen Fahrstuhl, nein, er ging durch das Treppenhaus Stufe für Stufe hinauf bis in den siebten Stock. Er dachte nach, schloss die Tür zu seiner Detektei auf und setzte sich an seinen großen, mit Zeitungen, Zeitschriften und Zeichnungen anderer Klientengespräche überfrachteten Massivholzschreibtisch. Erinnerungen kamen in ihm hoch, denn der Schreibtisch war aus der Insolvenzmasse seines verstorbenen Vaters, der mit der eigenen Druckerei die Umstellung auf die neue digitale Welt nicht geschafft hatte.
Er schaffte sich ein wenig Platz im Durcheinander seiner Unterlagen und legte die Zeichnung vor sich hin, die er während des Gesprächs mit Anna erstellt hatte. Er skizzierte Personen, die die Frauen von Ernst Kiesmann darstellen sollten, Menschen mit Aktenkoffern, wilde Striche, eben seine Art, sich in die Welt der Betrüger hineinzudenken.
Wer und wo ist die schwache Stelle im System des momentan noch Undurchschaubarem? Wie sollte er vorgehen und welchen Namen sollte er sich bei seinen Ermittlungen geben? War es sinnvoll, sich eine völlig andere Vita aufzubauen? Langsam kam er in Fahrt und war sich darüber bewusst, dass eine schwere Aufgabe vor ihm lag, die am Ende möglicherweise nur Verlierer ans Tageslicht bringen würde. Alte Verbindungen zur Polizei und den anderen Ämtern, die man so braucht, wenn man Informationen benötigt, wollte er wieder aufleben lassen. Es gab sie noch, die guten Kollegen, mit denen man andere Wege gehen konnte, als sie das Gesetz vorgibt. Geld brauchte er dafür nicht, denn man kannte sich noch aus zahlreichen gemeinsamen Polizeitagen, schätzte sich und ein Gefallen war da immer drin.
Anders als in seinen bisherigen Fällen entschied sich Klaska dazu, auf jeden Fall seine Recherchen strukturiert aufzuschreiben, denn nur so konnte er eine spätere Gerichtsverwertbarkeit herstellen. Lose Zettel, wie es sonst so seine Art war, waren hier fehl am Platz. Ebenso machte er Kopien der Dateien und zog alles von seinem Rechner im Büro auf einen Stick und schickte alles noch mal auf einen Server des Landeskriminalamtes. Dort hatte er einen dieser alten Bekannten sitzen und der verschaffte ihm Zugang zu einem Sicherungssystem. Klaska rechnete mit vielen Dingen, auch damit, dass man sein Büro durchsuchen könnte, um festzustellen, was er schon rausbekommen hatte.
Erfahrungen ließen ihn all diese Überlegungen anstellen, wie man die Recherchen, die aus polizeilicher Sicht schon klare Ermittlungen waren, am besten angehen und die Ergebnisse vor fremdem Zugriff schützen könnte. Ihm war aber noch ein viel wichtigerer Gedanke gekommen: Würde Anna die Strapazen eines langen Gerichtsprozesses überstehen, wenn es denn überhaupt zu einer beweissicheren Anklage käme? Ihm waren die Taktiken vor Gericht, die so mancher Anwalt in seiner aktiven Zeit als Polizist angewandt hatte, noch sehr gut bekannt. Eine Frau in Annas Alter und mit ihrem Krankheitsbild würde da ganz sicher sehr schnell vorgeführt und als demente ehemalige Alkoholikerin zerrissen. Kein positiver Ausblick gleich zu Beginn seiner detektivischen Arbeit.
Klaska entschied sich dennoch, diesen Weg zu gehen, weil er in den Augen von Anna deutlich gesehen hatte, was ihr die Aufklärung des betrügerischen Konstrukts bedeuten würde, um auch letztlich mit ihrem Leben in Frieden abzuschließen. Viele Jahre hatte sie sicher nicht mehr vor sich und ihr gesundheitlicher Zustand war seiner Meinung nach auch verursacht und geprägt von den unschönen Dingen, die sie über sich ergehen lassen musste: fremdbestimmt von angeblichen Freunden, umgeben von Menschen, die nur vorgetäuscht an ihrem Wohlergehen interessiert waren.