Читать книгу Klaska und die Anwältin - Jörg Przystow - Страница 8
Die Wahrheit kommt ans Licht
ОглавлениеEs war Freitag, der 5. Januar, als es zum Treffen mit Detektiv Ben Klaska im Bistro in Schwerte kam. Schlechtes Wetter, Nieselregen, offensichtlich die richtige Atmosphäre für ein weiteres Treffen, in dem es wieder um Recherchen im dunklen Umfeld von Ernst Kiesmann gehen sollte. Das Bistro, oder eher das Café, war nett eingerichtet und sie setzten sich an einen kleinen Tisch in der Ecke. Anna hatte den Platz ausgewählt. Sie wollte einfach nicht auf dem Präsentierteller sitzen.
„Ist es Ihnen hier recht?“, fragte sie Klaska, der zustimmte.
Nachdem sie sich beide einen Tee bestellt hatten, fragte Klaska: „Wollen Sie wirklich wissen, was ich ermittelt habe?“ Ein schnelles „Ja!“, kam Anna über die Lippen. Sie wollte möglichst ebenso schnell wieder diesen Treffpunkt verlassen. Wohl fühlte sie sich nicht. Klaska berichtete dann, ohne jede Notiz aus seiner Jacke zu holen, dass Ernst Kiesmann ständig wechselnde Beziehungen zu mehreren Frauen unterhielt und teilweise diese Damen auch mit auf Reisen nahm und sie als „Frau Kiesmann“ vorstellte.
Anna war geschockt. So extreme Schilderungen des Detektivs hatte sie nicht erwartet. Dass es vielleicht die Sekretärin war, ja das hatte sie eventuell erwartet, aber nicht auch noch andere Frauen.
„Haben Sie Namen für mich?“, fragte sie Klaska.
„Sicher, aber belasten Sie sich doch bitte nicht auch noch mit den Namen. Was bringen Ihnen die Namen? Wahrscheinlich würden die Damen auch sowieso leugnen, Kontakt zu Ihrem Mann zu haben, wenn Sie von Ihnen darauf angesprochen werden“, reagierte Klaska.
„Ich habe das Gefühl, aktiv werden zu müssen, irgendetwas zu unternehmen, mich zu wehren. Verstehen Sie das wenigstens?“, fügte Anna hinzu.
„Sicher kann ich das nachvollziehen, aber ich möchte Sie auch schützen und nicht einfach nur meine Informationen abgeben und Sie dann leidvoll zurücklassen“, antwortete Klaska.
Klaska merkte deutlich, wie seine Ergebnisse die Seele von seiner Auftraggeberin trafen und er berührte kurz ihre Hände, die leicht zitternd auf dem Tisch lagen. „Bleiben Sie doch zunächst mal ganz ruhig, Sie haben doch nun einen Wissensvorsprung und können überlegen, wie Sie vorgehen möchten. Zu schnell ist Porzellan zerschlagen, aber noch mal, ich verstehe ihre Überlegungen.“
Anna bedankte sich und hatte einen Umschlag mit der vereinbarten Summe vorbereitet, den sie auf den Tisch legte.
„Sie hätten auch gerne überweisen können“, betonte Klaska.
„Ist so doch sicher auch in Ordnung“, antwortete sie. „Weitere Ermittlungen möchte ich aber vorerst bitte nicht.“
„Melden Sie sich einfach bei mir, wenn ich Ihnen noch mal helfen kann.“
Mit diesen Worten Klaskas und einem freundlichen Handschlag verabschiedeten sich die beiden und Anna Kiesmann machte sich auf den Weg nach Hause. Wieder durchblitzten Gedanken Annas Welt. Wieder wusste sie nicht, wie sie es anstellen sollte, ihren Ernst zur Rede zu stellen.
In dieser Nacht kam Ernst mal wieder nicht nach Hause. Wo er war, wusste sie nicht. Sie schlief schlecht bis in den Morgen hinein, fasste aber einen Entschluss. Anna wollte die Scheidung, dessen war sie sich nach Klaskas Ermittlungen sicher. Ihre Pensionierung stand bevor, nur noch wenige Tage im Berufsleben einer Schuldirektorin und deshalb wollte sie anfangen, vor diesem Tag aufzuräumen.
Gegen 19 Uhr kam Ernst dann endlich nach Hause. Er war gut drauf, scherzte und erzählte, wie viele Menschen wieder mal versucht hätten ihm zu erklären, was er doch in der Firma anders machen sollte. Ernst wirkte gelöst, fast überdreht. Mit welcher Frau war er aktuell zusammen? Dazu hatte ihr Klaska nichts gesagt oder wahrscheinlich bewusst sein Wissen darum für sich behalten, um sie nicht noch mehr zu verletzten. Diese Frage beschäftigte Anna dennoch immer wieder.
„Setz dich hin“, sagte sie zu ihm.
Ein Tonfall, den er bislang von seiner Frau noch nicht kannte, ließ ihn aufhorchen. „Was willst du von mir?“, wollte er wissen.
Dann schoss Anna alle gewonnenen Erkenntnisse ab, ohne Luft zu holen, wie ein Maschinengewehr mit Dauerfeuereinstellung. Stellte man sich Ernst als Zielscheibe vor, wäre dieser von 1 bis 10 überall durchlöchert gewesen. Am Ende war Anna erschöpft. Sie hatte kaum noch Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Er, der sonst so sprachgewandte Firmenchef, war einige Sekunden ohne jede Reaktion. Doch dann versuchte er Erklärungen zu finden und unternahm den kläglichen Versuch, Anna etwas von „Einbildungen“, zu erzählen. Als er merkte, damit nicht durchzukommen, sagte er nur schlichtweg: „Du spinnst doch, trink dir lieber einen Schnaps und schau weiter aus dem Fenster, dann wirst du vielleicht wieder klar im Kopf!“
Übler hätte er nicht reagieren können und deshalb klang hart und bestimmt folgender Satz durch den Raum: „Ich will die Scheidung!“, schrie Anna, aber es war gleichzeitig wie eine Befreiung, wie eine Last, die tonnenschwer von ihr fiel.
Das traf Ernst wie einen Herzinfarkt, obwohl er diesen noch nicht erlebt hatte, aber so stellte er es sich vor. Sollte er Anna die Wahrheit sagen? Was würde das bedeuten? Noch mehr Ärger, als er nun schon offensichtlich sowieso hatte? Ernst reagierte falsch.
Er schrie Anna an, sagte ihr, dass er ein Haus ganz in der Nähe vor Jahren gekauft und dort mit einer Frau gelebt habe und dass es eine enge, schöne und reizvolle Beziehung sei. „Diese Frau gibt mir endlich Gefühle, auch wenn du meinst, nur mein Geld sei ausschlaggebend!“
„Wir haben uns doch schon lange auseinandergelebt, was willst du also noch in dieser Ehe verharren?“, erwiderte Anna.
Gegenseitige Vorwürfe durchquerten den Raum und am Ende verlangte Anna, dass Ernst sein „Weiberhaus“, sofort verkaufen und die Beziehung zu dieser „Dame“ beenden solle. Dann würde sie ihm noch einmal eine Chance geben, schließlich hätten sie doch auch gute Zeiten gehabt.
„Wann sollen die denn gewesen sein?“, fragte Ernst sichtlich durcheinander nach. „Ein Kind hast du mir auch nicht geschenkt!“, ergänzte er.
Dieser Satz traf Anna mitten ins Herz. Dieser ohnehin seit Jahren vorhandene Vorwurf setzte ihr zu. Wer diese Frau war, wollte sie gar nicht mehr wissen. „Spar dir jede weitere Erklärung, handele jetzt, sonst ziehe ich die Scheidung durch!“
Ernst verließ das Haus und rief noch irgendwas ins Treppenhaus. Verstanden hat es Anna nicht. Sie redete sich ein, dass es „Ich regele das!“, gewesen sein könnte.
Tatsächlich verkaufte Ernst zwei Wochen später das „Weiberhaus“, wie es Anna genannt hatte, und beendete in den Tagen nach der Aussprache oder besser gesagt, nach der Entdeckung seiner Liebeleien durch Anna die Beziehung zu der anderen Frau. Aber hatte er wirklich vor, sich für Anna ganz zu ändern? Konnte er von anderen Frauen lassen?
Nein, natürlich schaffte er es nicht. Immer wieder verschaffte sich Ernst Freiräume und traf sich weiter mit anderen Frauen. „Lass es uns versuchen“, hatte er seiner Frau zwar gesagt, aber wahrscheinlich wollte er nur die hohen Ausgleichsbeträge, die bei einer Scheidung mit Sicherheit angefallen wären, vermeiden.
„Wenn du es ehrlich meinst, stimme ich zu, denn es liegt mir daran, mit dir wieder auf einen guten Weg zu kommen!“, war ihre Reaktion auf sein scheinheiliges Angebot.
Einige Monate vergingen, in denen Ernst sein lustvolles Treiben weiter aufrechterhielt und tatsächlich glaubte, seine Frau würde an sein Versprechen der Veränderung glauben. Doch Anna, zwischenzeitlich als Lehrkraft in Pension, reichte endlich die Scheidung ein, denn es war ihr auch ohne Detektiv nicht verborgen geblieben, was Ernst mit ihr für ein doppeltes Spiel trieb. Ernst zog endgültig aus dem gemeinsamen Haus am Sorpesee aus und lebte mit seiner neuen Geliebten im sauerländischen Schmallenberg zusammen.
Ohne Vorwarnung meldete sich eines Tages eine Dame bei Anna, die Ernst offensichtlich irgendwann in den letzten Jahren mit seiner Art der finanziellen Großzügigkeit gegenüber der Frauenwelt beglückt hatte, nach dem Motto: „Meine Firma, mein Haus, mein Geld, meine Möglichkeiten“, um sich interessant zu machen. Sie sagte Anna, dass ihr Ernst eine lange Zeit zu ihr eine sehr intime Beziehung unterhalten habe und jetzt über Umwege festgestellt habe, dass der liebe Ernst verheiratet ist und deshalb sei nun eine Entschädigung fällig. Diese Dame hatte auch konkrete Vorstellungen, die sich etwa in der Preisklasse eines guten Mittelklassefahrzeugs bewegten. Dafür würde sie dann schweigen. Darauf ging Anna natürlich nicht ein, warum auch, denn sie war durch Ernsts jahrelange Beziehungen zu anderen Frauen genug gekränkt worden. Sie ließ diese Dame einfach abblitzen und entgegnete: „Wenden Sie sich doch direkt an meinen Noch-Ehemann. Ich lasse mich doch nicht von Ihnen erpressen!“
Anna war stinksauer und fragte sich, was sie noch so alles zu ertragen habe, was wohl noch an Überraschungen auf sie zukommen würde. Sie musste einfach mutig sein und die Scheidung einreichen, auch wenn sie keinen Ehevertrag hatten, weil das damals noch nicht so in Mode war. Vielleicht war das sogar eine gute Ausgangsposition für sie, obwohl sie von ihrem eigenen Geld gut leben konnte. Lange genug war sie den untersten Weg gegangen, hatte sich demütigen lassen, hatte ihre eigene Wertschätzung verloren und viel zu lange die Fehler nur bei sich gesucht. „Damit muss Schluss sein!“, sagte sie sich immer und immer wieder in Gedanken, wie ein laufendes Uhrwerk.
Regelmäßig traf sie sich jetzt mit ihrer Freundin Elisabeth, suchte Rat und irgendwie auch Ausreden, es am Ende doch nicht zu tun.
„Mach es endlich, geh deinen Weg, ich stehe dir bei!“, sagte ihr die Freundin.
Sie kannte Anna so viele Jahre, hatte vieles mitbekommen und ihr zu diesem Schritt schon vor langer Zeit geraten. Es verging dennoch viel Zeit und jede von ihnen führte ihr eigenes Leben. Anna zurückgezogen, nachdenklich, auf eine Lösung wartend, von wo auch immer diese kommen könnte. Den entscheidenden Schritt verschob sie immer und immer wieder. Anna wartete auf ein Zeichen, woher dieses auch kommen würde, aber die Entscheidung sollte möglichst das Schicksal für sie treffen.