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Johannes XXIII. zieht in die Stadt ein
ОглавлениеAm 28. Oktober 1414 zog Cossa in Konstanz ein. Es war eine perfekte Inszenierung. Geschickt wurden Zeichen gesetzt, Rituale wiederbelebt und in eine bestimmte, der Gegenwart angemessene Situation eingefügt. Auf auffällige Weise ähnelte der Einzug des Papstes der Ankunft eines Königs oder Kaisers. Neun Schimmel mit roten Satteldecken ritten ein, einer von ihnen trug das Sakrament in einer Monstranz mit brennenden Kerzen. Hinter dem Pferd des Papstes folgte ein Reiter mit einem merkwürdigen Gegenstand, hoch auf eine Stange gesteckt. Richental hielt das für den Hut des Papstes, eine Deutung, die zunächst etwas für sich haben mochte, denn auch die Kardinäle pflegten ja ihre roten Hüte auf Stäben vor sich hertragen zu lassen. In Wahrheit jedoch war es ein Sonnenschirm (soliculum), ein Herrschaftszeichen, dessen Tradition bis in den Alten Orient zurückreicht und das sowohl der Papst, der Kaiser, aber auch der Doge von Venedig geführt haben. Generell sollte der Sonnenschirm das besondere Verhältnis Gottes zu seinem irdischen Vertreter symbolisieren. Unmissverständlich hatte sich aber in der päpstlichen Zeichensprache ein besonderes Verständnis des Gegenstandes herausgebildet. Der Sonnenschirm war das Zeichen, das Kaiser Konstantin der Große († 337) Papst Silvester übergeben hatte, als dieser, wie fiktiv auch immer, die weltliche Herrschaft des Papstes im Westen begründet hatte – die berühmten Fresken in der römischen Kirche Santi Quattro Coronati aus dem 13. Jahrhundert künden davon. Der Sonnenschirm war ein Symbol kaisergleicher Macht.
Dann der große Moment am Stadttor: der Eintritt in das rechtliche Gehäuse, das den Papst, sein Gefolge, ja überhaupt die ganze Versammlung für die kommenden Wochen, Monate, Jahre – wer wusste es schon? – in sich bergen sollte. Es wartete eine städtische Empfangsgruppe. Neugierig und nervös wie Kinder, die einen großen Auftritt haben, sehen wir sie unruhig auf der Stelle treten. War man genügend vorbereitet? Hatte man an alles gedacht? Endlich erschien der Papst. Die Gruppe umrundete ihn, ihn und die Kardinäle. Der pontifex teilte den apostolischen Segen aus.
Inzwischen war ein von der Stadt gestellter Prunkbaldachin herbeigeschafft worden. In Gegenwart des königlichen Landvogtes, des Grafen von Monfort, zog Johannes ein. Der Graf führte dabei die Zügel des päpstlichen Pferdes, den Baldachin trugen als Vertreter des städtischen Rates drei Patrizier und ein Zunftmitglied – ein eher archaisches Abbild städtischer Wirklichkeit, denn längst war der Konstanzer Rat gleichmäßig von Patriziern und Zünften besetzt. Geschenke wurden überreicht, eine Schülergruppe sorgte für Musik – Ausdrücke der Ehrerbietung, der erwarteten Teilhaberschaft an künftigen Erfolgen und der Feierlichkeit des Augenblicks, der etwas Besonderes sein und als etwas Besonderes in Erinnerung bleiben sollte. Davon zeugt nicht zuletzt der Wunsch eines Konstanzers, den päpstlichen Schimmel gleichsam als „Andenken“ in Besitz zu nehmen; ein Vorhaben, das jedoch scheiterte. Der Erinnerung der Konstanzer an den Einzug schadete es nichts, die Chronik Richentals beweist es. Aber auch der päpstliche Plan ging auf – wenn auch möglichweise etwas anders als gedacht. Denn auch wenn die Konstanzer Bürger nicht alles begriffen haben, was ihnen hier vonseiten des päpstlichen Zeremoniells vor Augen geführt wurde, den Machtanspruch, mit dem der Papst in ihre Mauern einritt, haben alle verstanden, selbst Richental, der nicht immer ein großer Zeichendeuter war.