Читать книгу Septimius Severus - Jörg Spielvogel - Страница 10
I. Der lange Weg zum Kommando über die Donaulegionen 1. Jugend und Ausbildung des Septimius Severus
ОглавлениеDie Übernahme des kaiserlichen Purpurs ist den Eltern des neugeborenen Septimius Severus weder durch eine astrologische Deutung noch durch ein anderes göttliches Vorzeichen prophezeit worden, wie es antike Quellen sonst zu markanten Ereignissen seines späteren Lebens berichten. Wir wissen vom Faible des späteren Kaisers für die Erkundung der Zukunft, deren Voraussagen in seiner nicht erhaltenen Autobiographie sicherlich als bedeutsame Faktoren integriert waren. Tatsächlich lässt sich die Beschäftigung mit den Schicksalsmächten als ein dauerhaftes charakterliches Merkmal des Septimius Severus einstufen, das ihm neben weiteren Eigenschaften durch die soziale Umgebung seiner Jugend mitgegeben wurde. Deshalb ist es auch in derlei Hinsicht geboten, die familiären sowie urbanen Hintergründe seiner jugendlichen Sozialisation auszuloten, um mit dieser Basis die persönlichen Züge des erwachsenen und politisch aufstrebenden Septimius Severus verständlich zu machen.
Am 11. April des Jahres 146 erblickte Lucius Septimius Severus das Licht der Welt in Leptis Magna im heutigen Libyen; das Geburtsjahr seines älteren Bruders Publius Septimius Geta ist unbekannt.1 Auch wenn den Eltern die historische Bedeutung ihres Sprösslings noch nicht bewusst war, sollte ihr Sohn später die Sternenkonstellation seiner Geburt auf mehrere Decken im Kaiserpalast aufmalen lassen.2 Cassius Dio erwähnt, dass der Kaiser es jedoch untersagte, die astrologische Konstellation seiner Geburt öffentlich zugänglich zu machen. Bei dieser Einstellung zeigt sich seine Sorge, dass kundige Astrologen sein weiteres Schicksal vorhersagen konnten.3 Für das neugeborene Baby spielten diese Lebensaspekte noch keine Rolle, eher die Tatsache, dass seine Eltern ihn täglich mit Nahrung und sauberer Kleidung versorgen konnten. Septimius Severus teilte jedoch nicht das Los derjenigen Kinder, deren Eltern nur mühsam das tägliche Existenzminimum für sich und ihre Nachkommen aufbringen konnten.
Seine Familie gehörte zur begüterten Einwohnerschaft von Leptis Magna (Abb. 2): Der Vater, Publius Septimius Geta, besaß Ländereien in der Umgebung der Stadt. Lange bevor durch den Kaiser Caracalla allen Angehörigen des Reiches das römische Bürgerrecht verliehen wurde, soll die Familie der Septimier zum Stand der Ritter gehört haben; diese Aussage des Biographen der Historia Augusta erhält nur dann einen Sinn, wenn der Ritterstatus der Septimier bereits vor der Übernahme der Kaiserwürde durch den ersten Severer gegeben war.4 Das setzt gleichfalls voraus, dass die Familie ein Mindestvermögen von 400.000 Sesterzen und die Gunst des damals amtierenden, uns aber leider unbekannten Kaisers besaß, der über die Inkorporation der Familie der Septimier in den Ritterstand letztlich entschied. Es darf aber davon ausgegangen werden, dass die Familie den Ritterstatus mindestens im 2. Jahrhundert verliehen bekommen hatte; das römische Bürgerrecht könnte innerhalb der Familie schon unter der Dynastie der Flavier verbreitet gewesen sein. Seine Mutter, Fulvia Pia, stammte aus einer Familie, die um Christi Geburt herum in Leptis Magna beheimatet war und sich offenkundig mit den lokal einflussreichen Plautiern liiert hatte. Der kleine Lucius Septimius Severus wurde also in die Führungselite der nordafrikanischen Stadt Leptis Magna hineingeboren. Diesen Herkunftsvorsprung teilte er mit vielen Familiensprösslingen aus den zahlreichen Provinzialstädten des Reiches, eine Garantie auf eine bedeutende politische Karriere war damit jedoch nicht verbunden.5
Abb. 2: Nordafrika mit Leptis Magna an der Großen Syrte im heutigen Libyen und westliches römisches Reich.
Welche Erziehung genoss ein heranwachsender Junge aus einer lokalen Oberschichtfamilie in einer Stadt wie Leptis Magna?6 Für seine frühe Ausbildung konnte die jeweilige Familie zwei Wege beschreiten: Entweder gewährte sie ihrem Sohn häuslichen Privatunterricht oder er wurde in die lokale Elementarschule geschickt, um Lesen, Schreiben und die einfachen Rechenarten zu erlernen. Wie in jenen gesellschaftlichen Kreisen üblich, haben die Eltern die Erziehung ihres Sohnes Lucius durch einen Grammatik- und/oder Rhetoriklehrer gefördert, der für seine Dienste ein höheres Schulgeld bezog. Es war auch durchaus üblich, in dieser Ausbildungsphase seinen Sohn zu einem Lehrer in eine andere afrikanische Stadt zu schicken, wie uns der Erziehungsverlauf des Kirchenvaters Augustin demonstriert.
Für den jungen Lucius Septimius Severus sind wir über die exakten Stationen seiner gehobenen Ausbildung nicht informiert, zumindest kann aber das inhaltliche Niveau mithilfe einer spätantiken Schrift konkretisiert werden: So wird ihm eine hinreichende Beherrschung der lateinischen Sprache, die Ausbildung im Griechischen und eine ziemlich ausgeprägte punische Eloquenz bescheinigt.7 Mit dem Hinweis auf die afrikanische Heimatstadt Leptis Magna wird diese sprachliche Befähigung des späteren Kaisers erklärt, die zugleich als ein spezielles Element seiner frühen Sozialisation, auch aus antiker Sicht, aufgefasst werden darf. Über die reine Sprachbeherrschung hinaus hat er den üblichen lateinischen und mit Einschränkung auch den griechischen Literaturkanon absolviert, bis hin zu Deklamationsübungen als Gipfel des Rhetorikunterrichts.
In seiner Würdigung weist ihm der Historiograph Cassius Dio eine beschränkte rhetorische Befähigung zu, die hinter seinem persönlichen Anspruch hinterherhinkte; er beurteilte ihn eher als Mann des Denkens und nicht des Wortes.8 Mit der Senatsaristokratie und dem Ritterstand als Zielgruppen seines Werkes weist solch ein nachträgliches Urteil auf ein persönliches Defizit hin, das der junge Lucius auch durch seine Ausbildung nicht entscheidend hatte ausgleichen können. Der rhetorische Anspruch des Historiographen wog die gehobene Befähigung eines römisch-italischen Oberschichtangehörigen mit dem Niveau eines afrikanischen Lokalmatadors aus Leptis Magna ab. In welchem tatsächlichen Ausmaß die rhetorischen Schwächen des Lucius Septimius Severus vorhanden waren, lässt sich angesichts fehlender originaler Redepassagen auch nicht durch die Auszüge wettmachen, die uns Herodian bei seinen Auftritten vor dem Senat und den Legionen aufbereitet wiedergibt. Es muss allerdings auch in Bezug auf die afrikanische Prägung des späteren Kaisers konstatiert werden, dass er sein Latein auf jeden Fall mit einem gewissen Akzent gesprochen hat. Die früher von gewissen Forschern vertretenen stilistischen Eigenarten, africitas genannt, haben sich durch eine intensive Auswertung nordafrikanischer Autoren und Inschriften nicht in ihrem realen Auswirkungsgrad verifizieren lassen.9
Der junge Lucius Septimius Severus erhielt demzufolge eine seinem sozialen Status entsprechende Ausbildung, die ihm vom Lehrpersonal in Leptis Magna oder anderswo vermittelt wurde. Die punische Sprachkenntnis bildete in seinem sozialen Umfeld ein übliches Phänomen, die Beherrschung des Griechischen hingegen zeichnete ihn als Spross der lokalen Elite aus. Aus der Retrospektive eines senatorischen Historiographen reichte jedoch seine rhetorische Befähigung nicht an das Niveau heran, das in Rom gepflegt wurde. Immerhin besaß der ausgewachsene Septimius Severus bei aller Rhetorikkritik ein erwähnenswertes Denkvermögen, wie Cassius Dio befand. Aus dieser Feststellung darf man dem jungen Lucius wohl eine gute Auffassungsgabe in Bezug auf die intellektuellen Anforderungen seiner Ausbildung attestieren. Allerdings hat erst der erwachsene Mensch so viel Einsicht und Erfahrung, um auf die Herausforderungen des Lebens mit der nötigen Analyse- und Entscheidungsfähigkeit zu reagieren.
Für den Knaben waren diese Überlegungen nur allzu fern von seinem kindlichen Horizont, den er während des Elementarunterrichts allmählich zu erweitern begann. Ein gehöriger Anteil an Prägung lässt sich aber auch schon aus der Tatsache ableiten, dass er die punische Sprache genauso fließend wie die Amtssprache Latein beherrschen lernte, die sich in der westlichen Reichshälfte zu seiner Lebenszeit in den Städten gleichrangig durchgesetzt hatte. Das punische Erbe Nordafrikas vereinigte sich also in seiner Person mit Elementen der römischen Kultur, ein Prozess, der natürlich seit der Zerstörung Karthagos im Jahre 146 v. Chr. eingeleitet worden war. Der Akkulturationsverlauf in Leptis Magna vollzog sich seitdem keinesfalls in wenigen Jahrzehnten:10 Die Stadt behielt den Status einer ausländischen Bürgergemeinde, bis Kaiser Vespasian (69–79) sie mit der Verleihung des latinischen Bürgerrechtes in den Rang eines municipium erhob.
Die punische Tradition war jedoch so fest in der lokalen Führungselite verwurzelt, dass die beiden höchsten Ämter unter dem Titel „Sufes“ weitergeführt wurden. Allerdings ersetzten die Familien der Oberschicht seit dieser rechtlichen Aufwertung der Heimatstadt ihre punischen Namen mit gängigen römischen Pendants. Ein weiteres Indiz für die fortschreitende Romanisierung ergibt sich aus der Tatsache, dass die Inschriften nur noch in lateinischer Sprache verfasst wurden; eine zusätzliche punische und damit bilinguale Version ist das Kennzeichen der zeitlich früheren Überreste. Anhand eines rein lateinisch geschriebenen Zeugnisses lässt sich auch der gleichnamige Großvater des jungen Lucius Septimius Severus in einer stadtpolitischen Funktion ermitteln: Er bekleidete das Amt eines Sufeten, als der Kaiser Trajan (98–117) der Stadt Leptis Magna den Status einer colonia unter dem Namen Ulpia Traiana fidelis verlieh.11 Die wichtigste Konsequenz der kaiserlichen Gnade ergab sich für die Einwohner der Stadt in der Übertragung des römischen Bürgerrechts. Die neue dazugehörige Verfassung erforderte von nun an die Besetzung eines Duumvirats als administrative Leitung, die sein Großvater als einer der beiden ersten bekleidete. Diese prestigeträchtige Aufwertung ereignete sich vor dem Jahr 110, in dem die Stadt zu Ehren ihres kaiserlichen Gönners einen Bogen errichtete.12
Dieses familiengeschichtlich bedeutsame Zeugnis wird der Vater Publius Septimius Geta dem jungen Lucius sicherlich voller Stolz beim Stadtrundgang vorgeführt haben, und das bestimmt schon, bevor er die Inschriften selbständig lesen konnte. Es existieren keine antiken Hinweise, dass der Vater sich in der Heimatstadt engagiert hat. Da der Biograph Marius Maximus vor der Behandlung des Sohnes Lucius einen beachtlichen Abschnitt von sieben Kapiteln auch dem Vater widmete,13 spricht manches dafür, dass auch jener seine standesgemäßen Leistungen für die Heimatstadt erfüllte. Diese inhaltliche Einteilung des Marius Maximus lässt zudem die Interpretation zu, dass er den Einfluss und die Vorbildfunktion des Vaters auf den jungen Lucius für so gravierend erachtete, dass er seiner antiken Leserschaft eine derart ausführliche Schilderung des Lebens wie Charakters des Vaters voranstellte. Zu seiner Schwester Septimia Polla, der Tante des Lucius, pflegte er ein so inniges Verhältnis, dass er ihr nach ihrem Tod eine versilberte Statue aufstellen ließ. Die engere und weitere Familie der Septimier prägte ein großer Zusammenhalt.
Auf der anderen Seite ist die Frage von Bedeutung, welche Ambitionen Publius Septimius Geta für seinen Sohn Lucius mit der bereits skizzierten Ausbildung verfolgte. Selbstverständlich gehörte es zum Bildungsniveau einer Familie von ihrer Provenienz in Leptis Magna, dass der Sohn in lateinischer und griechischer Rhetorik bewandert war. Auch wünschte sich jeder Vater, dass sein Sohn nicht nur den bisher erreichten Lebenspfad beging, sondern noch anspruchsvollere Leistungen vollbrachte. Im weiteren familiären Umfeld hatten es während der Kindheit des Lucius zwei Septimier geschafft, die Konsulatswürde der Jahre 153 und 160 zu erlangen.14 Stolz und Selbstbewusstsein vermittelte Vater wie Sohn der politische Einfluss dieser entfernten Verwandten in der kaiserlichen Zentrale. Ihr Vorbild wirkte aber auch für den heranwachsenden Lucius als Ansporn, eine ähnlich glänzende Karriere anzustreben.
Die römische Schulbildung bereitete auch in der nordafrikanischen Provinz die Schüler aus den sozial ambitionierten Familien mit der intensiven Unterweisung in Rhetorik darauf vor, zukünftige Funktionen im öffentlichen Raum wahrzunehmen. Diese familiäre Zielrichtung lässt sich im Fall des Lucius an einem Bericht über sein Spielverhalten verdeutlichen: „Schon in frühester Jugend, noch ehe er in Latein und Griechisch Unterricht erhielt – er lernte beide Sprachen beherrschen –, spielte er mit den anderen Knaben immer nur Gerichtstag: da nahm er selbst auf dem Richterstuhl Platz, wobei er sich Rutenbündel und Beile vorantragen ließ, und sprach Recht, indes die Kameraden sich in Reih und Glied um ihn scharten“.15
Auf den ersten Blick könnte Aelius Spartianus, der spätantike Biograph der Historia Augusta, das kaiserähnliche Gebaren des Knaben Lucius aus der ex post-Perspektive rekonstruiert haben. Selbst wenn wir also mit einer gewissen Reserve gegenüber der Darstellung operieren sollten, so geben uns die vorab ausgeführten familiären Hintergründe die Berechtigung zu folgenden Schlussfolgerungen: Der junge Lucius hatte das römische Lebensumfeld schon von Kindesbeinen an so weit verinnerlicht, dass er sich im Spiel wie Tausende der Alters- und Standesgenossen im römischen Reich als Statthalter oder gar Kaiser aufführte. Die Imitation der richterlichen Funktion lässt sich auch aus der familiären Nähe zu provinzialen wie kaiserlichen Instanzen erklären.
Solche Spiele entsprangen einer Sozialisation, die den Knaben frühzeitig mit Aufgaben, Verhaltensweisen und Prestige eines hohen Funktionsträgers des römischen Reiches konfrontierte und seine dahingehende innere Ausrichtung förderte. Seine spielerische Verarbeitung spiegelt demzufolge auch den kindlichen Wunsch wider, es den bereits erfolgreichen Mitgliedern seiner Familie gleichzutun. Der Vater wird diese Einstellung seines Sohnes bis hin zum späteren Besuch des Unterrichts in Rhetorik bestärkt haben, der vor allem auf die Sphäre des Gerichtswesens ausgerichtet war. Geübt wurde die rhetorische Befähigung, für die Belange eines Angeklagten einzutreten. Die Funktion eines Advokaten verlangte auch keine vorherige Unterweisung im Recht, denn die nötige Kenntnis erwarben sich Lucius und seine Rhetorikmitschüler durch regelmäßige Besuche der Gerichte auf dem lokalen Forum in Leptis Magna. In praxi pflegten Rechtsadepten den Rat der erfahrenen Familienfreunde einzuholen, manchmal suchten sie auch sogenannte Rechtskundige auf.
Über eine Anwaltstätigkeit des Septimius Severus in seiner Heimatstadt ist aus den Quellen kein Hinweis zu entnehmen, dennoch darf man davon ausgehen, dass er während der Absolvierung des Rhetorikunterrichts auch dafür eine standesgemäße Ausbildung erhalten hatte, die den Ansprüchen seiner urbanen afrikanischen Umwelt genügte. Im Alter von 17 Jahren hielt er eine öffentliche Rede oder Deklamation in Leptis Magna, ein Ereignis, das den offiziellen Erfolg und Abschluss seiner Ausbildung im Angesicht des urbanen Auditoriums dokumentierte. Er selbst verlangte jedoch nach einer vertieften Ausbildung,16 die seine Familie allerdings in eine andere Richtung zu lenken gedachte: Zu ihren Lebzeiten verfügte seine Tante Septimia Polla über sehr beachtliche Reichtümer, die sich in Form von Landbesitz auch in der Nähe Roms befanden. Es wurde nun abgemacht, dass der mittlerweile Achtzehnjährige die Reise zu seiner Tante antreten sollte. Seine eigentliche Absicht bestand offenkundig darin, sich in Rom weiteren Studien zu widmen. Der Biograph der Historia Augusta erwähnt aber in einem Atemzug, dass er sich vom Kaiser Marcus Aurelius (Abb. 3) senatorischen Rang erbat, der ihm schließlich durch die parallele Intervention seines Verwandten Gaius Septimius Severus, des Konsuls des Jahres 160, auch zugestanden wurde.17
Die sogenannten Studien verwandelten sich also in die konkrete, nur in der Reichszentrale zu realisierende Absicht, mit einflussreicher Unterstützung in die senatorische Führungsschicht aufzusteigen. Ein derartiges Unterfangen hatte schon seinem Bruder Publius Septimius Geta den Einstieg in die senatorische Karriere eröffnet, der mittlerweile zum Tribun der legio II Augusta in Britannien avanciert war.18 Demnach wandelte der jüngere Lucius auf dem bereits geebneten Weg seines Bruders; im Ganzen dokumentiert ihre kaiserliche Ernennung zu Anwärtern eines Senatssitzes die soziale Akzeptanz, die nordafrikanischen Lokaleliten allgemein und speziell aus Leptis Magna um die Mitte des 2. Jahrhunderts zuteil wurde. Diese Einstellung hat die kaiserliche Personalpolitik seit der Errichtung des Adoptivkaisertums durch Trajan gekennzeichnet. Sie äußerte sich in der ehrenvollen Position, die der Nordafrikaner Cornelius Fronto als Erzieher der kaiserlichen Prinzen Marcus Aurelius und Lucius Verus in den dreißiger Jahren bekleidete, um nur den berühmtesten Fall zu nennen.19 Für die jeweiligen Kaiser hing die Entscheidung für oder gegen eine Person immer von ihrer Leistungsfähigkeit und Loyalität ab, so dass bei ihrer Auswahl die ethnische Zugehörigkeit als Kriterium in den Hintergrund trat. Seit dem 1. Jahrhundert hatten die römisch-italischen Familien aus der Senatsaristokratie mit einer zunehmenden Berücksichtigung gewisser Provinzialeliten zu kämpfen.20 Auf die Integration nordafrikanischer Senatoren wie Fronto oder die schon genannten Septimier reagierten sie sicherlich mit einer gewissen Reserve, die aus Sorge um ihren eigenen Einfluss beim Kaiser gespeist wurde.
Abb. 3: Kaiser Marcus Aurelius.
Die kaiserliche Ernennung der beiden Brüder P. Septimius Geta und L. Septimius Severus dehnte die Karriereoptionen für Nordafrikaner aus Leptis Magna bereits auf die nächste Generation aus, eine Entwicklung, die für die Söhne der römisch-italischen Senatsfamilien eine nicht zu unterschätzende Konkurrenzsituation ins Leben rief. In solchen Fällen pflegen Individuen oder Gruppen häufig Abgrenzungsmerkmale zu betonen, um ihre soziale Exklusivität stärker herauszukehren. Das Erscheinungsbild und die Artikulation der nordafrikanischen Eliten boten eine gewisse Angriffsfläche. Eine derartige Einstellung hat auch Claudius Septimius Aper, der Großvater der beiden Septimier, die bis zum Konsulat aufsteigen konnten, während seines Aufenthaltes auf der italischen Halbinsel erfahren, wie sich aus der ihn betreffenden Überlieferung ableiten lässt.
Es war diesem Vorfahren gelungen, der schon in seiner Kindheit in den achtziger Jahren des 1. Jahrhunderts mit Senatorensöhnen in einem erlauchten Zirkel verkehrte, eine Ausbildung bei dem berühmten Rhetor Quintilian zu erhalten. Seine literarischen und rhetorischen Fähigkeiten ließen ihn in intensiven Kontakt mit dem Dichter Statius treten, der ihn in einer Ode als einen Mann pries, der mit seinem hinterwäldlerischen Geburtsort Leptis Magna nicht in Verbindung gebracht werden könne, sondern eher mit einem bekannten römischen Herkunftsort.21 In dieser Darstellung des Vorfahren schwingt die verbreitete despektierliche Haltung gegenüber vielen Bewohnern Nordafrikas mit, die sich offenkundig durch ihre Sprache und Ausbildung von der römisch-italischen Elite unterschieden. Es kommt auch nicht von ungefähr, dass Statius diese positive Absetzung des Vorfahren in Kontrast zu den vorherigen abwertenden Urteilen über Hannibal setzt. Die jahrhundertealte Aversion existierte immer noch in den Köpfen der italisch-römischen Elite um die Wende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, und ihre Transponierung auf die nordafrikanischen Provinzialen wird durch die betonte sprachliche Assimilierung des Vorfahren evident.
Ein gutes halbes Jahrhundert später scheinen seine Enkel mit ihrem Aufstieg bis zum Konsulat diese Animositäten überwunden zu haben. Gewisse Aussagen gerade in der Charakterisierung des Lucius Septimius Severus deuten jedoch auf Merkmale hin, die unterschwellig immer noch als andersartig registriert wurden: Im Gegensatz zu seinem entfernten Verwandten behielt er seinen provinzialafrikanischen Akzent bei der lateinischen Aussprache bei, wie der spätantike Biograph der Historia Augusta ausdrücklich hervorhebt.22 Der byzantinische Autor Johannes Malalas behauptet, dass er auch dunkelhäutig gewesen sei und dass eine lange Nase sein Gesicht geprägt habe.23 Was seine dahingehende Physiognomie betrifft, belegen die erhaltenen Porträts das Gegenteil, aber das könnte auch auf seine Veranlassung hin geschönt worden sein. Größere Gewissheit haben wir darüber, dass er von untersetzter Gestalt war und keine überdurchschnittliche Körpergröße aufwies. Naturlocken gaben seinem Aussehen eine besondere Note (Abb. 4).
All diese äußerlichen Merkmale sind für sich genommen keine außergewöhnlichen Kennzeichen, jedoch darf auf Grund der dargelegten Vorurteile geschlossen werden, dass sich Lucius Septimius Severus mit seinem provinzialafrikanischen Akzent als Außenseiter platzierte. Bei welcher Gelegenheit ihn seine Tante oder die beiden Konsulare auch immer vorstellten, gab er sich durch seine sprachliche Veranlagung als nordafrikanischer Römer zu erkennen. Die Angehörigen der gebildeten römisch-italischen Führungsschicht registrierten seine ethnischen Eigenarten und ordneten ihn als provinziellen Aufsteiger ein, der sich mit ihnen um die Gunst des Kaisers messen wollte. Dieser mehr oder minder latente Konkurrenzdruck musste für den jungen Septimius Severus allgegenwärtig gewesen sein, denn selbst die kaiserliche Ernennung zum Senatsanwärter garantierte noch keine automatische Integration in allzu naher Zukunft. Auf der anderen Seite musste er sich auch mit einer familiären Erwartungshaltung auseinander setzen, die ihn zuerst einmal an den Erfolgen seines Bruders maß. Beide Septimier sollten wohl in den Augen ihrer Eltern in die Fußstapfen der so vorbildhaften konsularischen Verwandten treten. Um den Brüdern die nötigen Grundlagen zu verschaffen, hatten sie alle zusammengehalten; nun lag es an den beiden, sich durch zivile wie militärische Kompetenzen für eine Beförderung auf der anfänglichen Karriereleiter der Senatoren zu empfehlen. Das familiäre Vermögen, eine für nordafrikanische Verhältnisse gediegene Ausbildung und nicht zuletzt die bis zum Kaiser reichenden Beziehungen hatten den beiden jungen Septimiern eine günstige Ausgangsposition bereitet, wie sie allerdings auch für andere hoffnungsvolle Aufsteiger aus der römisch-italischen und der sonstigen provinzialen Elite gegeben war.
Abb. 4: Septimius Severus, wenig stilisierter Kopf.