Читать книгу Septimius Severus - Jörg Spielvogel - Страница 9

Prolog

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„Was bist Du nur für ein abscheuliches Ungeheuer, dass Du es wagst, mich im Angesicht unserer Feinde hinterrücks zu ermorden. Töten lassen sollte ich Dich! Du empfindest nicht einen Funken Pietät für Deinen Vater, dem Du alles verdankst. Viel schlimmer noch: Du willst diese Schandtat vor den anwesenden Bundesgenossen begehen, ohne auch nur daran zu denken, welche Wirkung das Attentat auf ihre zukünftige Loyalität hat. Ein Sohn, der seinen Vater und Kaiser niedermetzelt, ist doch kein respektvoller Herrscher, der die Treue seiner Bundesgenossen erwarten darf. Nichts ist Dir heilig, gar nichts, weiß ich doch nur zu genau, dass Du auch Deinem Bruder Geta nach dem Leben trachtest. Da liegt ein Schwert zwischen Castor und Papinian, das nimm, wenn Du es nicht mehr erwarten kannst, mich Erschöpften und Kranken zuerst aus der Welt zu schaffen, oder befiehl es Papinian, der Dir gehorchen muss!“ Aufrecht sitzend und mit allem Grimm in der Stimme hatte Septimius Severus seinen Sohn am Ende des Bettes angeschrieen, während der Freigelassene Castor und der Prätorianerpräfekt Papinian wie erstarrt an seiner Seite verharrten. Die übrigen Angehörigen der Dienerschaft, die außerhalb der kaiserlichen Bettstatt den Worten ihres Herrn gelauscht hatten, erwarteten zitternd die nächste Stufe der Auseinandersetzung, die nunmehr ihrem Höhepunkt zustrebte. Natürlich hatte sich noch vor Ende des Tages wie ein Lauffeuer verbreitet, dass Caracalla seinen Vater während des Anritts auf das Tribunal mit gezücktem Schwert angegangen war. Erst im letzten Augenblick hatte er vor der Tat zurückgeschreckt, als ihm der sich umdrehende Vater in die Augen geblickt hatte. Die anwesenden Legionäre und Hilfstruppen waren vor Schreck über das sich abzeichnende Drama in wehklagendes Geschrei ausgebrochen, das hatte den alten, kranken Septimius Severus gerettet. In eisiger Atmosphäre hatte er die Contenance bewahrt, die Waffenstillstandsverhandlungen und die Unterwerfungsgesten der Kaledonier angenommen und war schließlich mit seinem Sohn in das Standlager zurückgeritten.

Die Sekunden verrannen wie Stunden, jedenfalls kam es den Sklaven und Freigelassenen so vor, da kein Laut mehr aus dem Schlafgemach nach außen drang. Drinnen hatte sich der erhitzte Kaiser wieder in die Kissen seiner Lagerstätte zurückgelehnt, schwer atmend und mit gefurchter Stirn. Für Castor und Papinian stand auch ihr Leben auf dem Spiel, egal wie Vater und Sohn die Affäre beendeten. So waren beide erbleicht und warteten noch viel ungeduldiger auf eine Reaktion Caracallas. Noch unsicher während der Tiraden seines Vaters, hatte dieser sich wieder allmählich in der Gewalt, denn als er beim Eintritt in das Schlafgemach das Schwert liegen gesehen hatte, hatte er zunächst geglaubt, dass sein Vater ihn hinrichten lassen wollte. Bei jedem weiteren Wort seines Vaters erkannte er jedoch die Unnötigkeit seiner Sorge, so dass er schließlich ein süffisantes Lächeln aufsetzte. Diese Reaktion verdeutlichte den Zeugen, dass alle Worte auf taube Ohren gestoßen waren. Caracalla hielt es auch nicht für nötig, eine Erwiderung auf die Vorhaltungen seines Vaters abzugeben. Erhobenen Hauptes, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, verließ er das Schlafgemach. Die anwesenden Lauscher blickten in das frech grinsende Antlitz eines siegesgewissen Mannes: Caracalla wusste nur zu gut, dass sein Vater nicht mehr lange zu leben hatte; wenige Monate später machte er ihm den Weg zur Krone frei.

Dieses kaiserliche Familiendrama spielte sich im Herbst des Jahres 210 mitten im nördlichen Britannien ab, über manche Details, jedoch nicht über den gesamten Wortlaut des Gesprächs informiert der Historiograph Cassius Dio.1 Das Geschehen inspirierte den Maler Jean-Baptiste Greuze gut 1500 Jahre später zu einem Gemälde, das die tiefen Spannungen zwischen Septimius Severus und Caracalla optisch reflektiert (Abb. 1). Es ist sicherlich nicht die Schlüsselszene für einen Biographen, der sich mit der historischen Gestalt des Kaisers Septimius Severus auseinandersetzen will. Dennoch hat der Maler Greuze mit seiner rezeptiven Perspektive wesentliche Komponenten einer jeden Biographie in den Mittelpunkt gestellt, nämlich die persönlichkeitsbedingten Entscheidungen und Handlungsweisen historischer Figuren. In dieser Biographie über den Kaiser Septimius Severus versuche ich, nicht nur historische Abläufe und Wendepunkte in seinem Leben wiederzugeben und anhand der gesellschaftlichen Verhältnisse im Imperium Romanum im Übergang vom 2. zum 3. Jahrhundert Erklärungen und Beurteilungen dafür zu finden. Mittels des psychohistorischen Ansatzes soll auch der Erkenntnisgrad gesteigert werden, sollen vor allem psychologisch bedeutsame Hintergründe aufgespürt werden, um die Kausalzusammenhänge der persönlichen Entscheidungen in bestimmten historischen Situationen tiefer zu durchdringen.2

Dabei wird der Erkenntnisweg aber nicht nur monokausal zu den Intentionen und Prägungen des Individuums Septimius Severus führen, sondern es werden parallel die Interdependenzen zwischen bestimmten sozialen Bezugsgruppen und seiner Person herausgearbeitet. Die Vertreter der psychohistorischen Methode sehen sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, die Vorgaben der Psychoanalyse zu blauäugig auf die Beurteilung der historischen Gestalt anzuwenden, während sie selbst der geschichtswissenschaftlichen Gegenseite vorwerfen, mehr oder minder unreflektiert in psychologisierenden Interpretationsuntiefen zu waten.3 Die bis heute existierenden Vorbehalte führen jedoch nicht zu einem befriedigenden, sich gegenseitig befruchtenden Miteinander. Deshalb stellt sich diese Biographie die Aufgabe, das Leben des Septimius Severus von Kindesbeinen an bis zu seinem Ableben immer dann nach psychohistorischen Zusammenhängen zu durchleuchten, wenn sich charakterliche Positionen und Verhaltensmuster als unübersehbare Entscheidungsparameter in historischen Etappen herausschälen lassen.


Abb. 1: Septimius Severus klagt Caracalla des Attentatsversuches an.

Eine derartige Methodik verlangt naturgemäß eine vorherige Sichtung der Quellen, die uns über den Lebensverlauf des Kaisers vorliegen. Ein herber Verlust ergibt sich aus der Tatsache, dass das Geschichtswerk des Zeitgenossen und bithynischen Senators Cassius Dio nur in Fragmenten über die historische Zeit vor und nach Septimius Severus berichtet. Die hohe Wertschätzung, die dieser antike Autor in Fachkreisen genießt, wird dem eine Generation später schreibenden Herodian nicht zuteil: Er gilt als teils unzuverlässiger, teils problematischer Berichterstatter, obwohl er Cassius Dio als Vorlage herangezogen hat. Die Kaiserbiographien, die auch über Septimius Severus in der sogenannten Historia Augusta vorliegen, einer Sammlung, die um 400 erstellt wurde, weisen zumindest in dieser Vita eine bessere, wenngleich auch inkohärente und partiell falsche Kompilation verschiedener antiker Quellen auf.4 Alles in allem steht jeder Biograph des Septimius Severus vor der grundsätzlichen Schwierigkeit, eine inhaltlich heterogene und insgesamt dürftige literarische Quellenlage vorzufinden. Daraus resultieren die Konsequenzen, dass seine Kindheit und Jugend weitgehend im Dunkeln, die Ämterlaufbahn bis zur Usurpation rein punktuell und sogar die Herrschaftsjahre 205–207 auf nur wenige Fakten reduziert vorliegen. Inschriften, Münzen und archäologische Hinterlassenschaften füllen diese Lücken nur unzureichend, obschon sie wertvolle Hinweise und Perspektiven im Einzelfall eröffnen können. Unter diesen Präliminarien auch einen psychohistorischen Ansatz zur Darstellung des Septimius Severus verfolgen zu wollen, erscheint deshalb vordergründig nicht realisierbar zu sein, aber es sei an dieser Stelle vorausgeschickt, dass sich trotz der widrigen Quellenlage stringente charakterliche Eigenschaften des Septimius Severus in seiner Biographie ermitteln lassen, die einen wesentlichen Anteil am historischen Verlauf und an wichtigen Entscheidungsprozessen besitzen.

Theodor Mommsen dozierte, wie die Mitschriften seiner Vorlesung über die Römische Kaisergeschichte dokumentieren, in den chronologischen Abschnitten über das „Kriegstheater“ im Westen, an der Donau und im Osten des Römischen Reiches gelegentlich auch über die Herrschergestalt des Septimius Severus: Über seine kriegerischen Aktivitäten fällte er das Urteil, dass er „vielleicht der tüchtigste aller Kaiser“ und „ein durchaus kluger Staatsmann“ gewesen sei, im Gegensatz zu den Soldatenkaisern habe er als „ein hochgebildeter Mann, Schriftsteller und Jurist“ gewirkt.5 Diese Beurteilungen Mommsens lassen ein positives Bild von einer Kaiserfigur entstehen, das so gar nicht mit dem verzweifelten, alten Mann übereinstimmt, der kurz vor Ende seines Lebens über die Entartung seines Sohnes Caracalla aufschreit, wie im Bild von Jean-Baptiste Greuze dargestellt. Aus dieser divergierenden Perspektive gewinnt die Beschäftigung mit dieser historischen Herrschergestalt ihren besonderen Reiz; umso mehr verwundert es, dass die letzte deutschsprachige Biographie vor 80 Jahren verfasst wurde.6 Aus dem französischen und anglo-amerikanischen Forschungsraum stammen die jüngeren Lebensbeschreibungen über Septimius Severus, die jedoch als gemeinsames Kennzeichen aufweisen, dass sie akribisch historische Abläufe schildern, den Menschen auf dem Thron jedoch farblos, ja teilweise blutleer vorführen.7 Die vorliegende Biographie baut selbstverständlich auf ihren und in sonstigen Spezialuntersuchungen erzielten Einsichten auf. Es sollte jedoch deutlich geworden sein, dass die erweiterte Untersuchungsperspektive dieser Vita der generellen Intention unterliegt, eine historische Persönlichkeit in all ihren Facetten auszudeuten und ein möglichst umfassendes Profil des Menschen und Herrschers Septimius Severus zu entwickeln.

Septimius Severus

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