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4. Der Günstling des Commodus

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Der antike Historiograph Cassius Dio schließt seine Laudatio auf den Kaiser Marcus Aurelius mit dem Urteil ab: „Obwohl er seinen Sohn auf die bestmögliche Weise erzog und ausbildete, erlebte er mit ihm die allergrößte Enttäuschung. Davon müssen wir nun im folgenden sprechen; unser Bericht aber sinkt, wie sich die Verhältnisse für die damaligen Römer und auch für uns gestalteten, von einem goldenen zu einem eisernen und rostigen Kaisertum herab.“53 Der Zeitgenosse Cassius Dio stützt die negative Beurteilung des Commodus auf seine Autopsie und weist gleichzeitig die Herrschaft des Vaters als Abschluss des goldenen Zeitalters des römischen Reiches aus.

Dieses berühmte Diktum bereitet die senatorisch-ritterliche Leserschaft seines historiographischen Werkes auf die Eskapaden und Willkür des Commodus vor. Für Septimius Severus und seine Frau Paccia Marciana deuteten sich die daraus resultierenden politischen Veränderungen im fernen Syrien zuerst nicht an. Auch war die Eingewöhnung für sie als Nordafrikaner in puncto Klima und Landeskultur nicht so gravierend. Der Legat Septimius Severus erfüllte seine militärischen Tagesaufgaben, inspizierte ab und an die Grenzposten und Standquartiere und führte einzelne Manöver mit Teilen oder seiner ganzen Legion durch. Rechenschaft war er vor Ort dem damaligen Statthalter Syriens Publius Helvius Pertinax schuldig, der als Sohn eines Freigelassenen aus Ligurien unter Marcus Aurelius eine steile Karriere bis zum Konsulat absolviert hatte.54 Durch seine militärische Erfahrung, die er als Zenturio von der Pike an erworben hatte, bestach er den Vater des Commodus besonders. Als syrischer Statthalter betrat er bekanntes Terrain: Er war einer der Kommandeure, die mit Marcus Aurelius gegen den Usurpatoren Avidius Cassius marschiert waren.

Ein früher Kontakt zwischen Pertinax und Septimius Severus’ älterem Bruder Geta rührte aus der gemeinsamen Militärzeit in Britannien. Vor der Bedrohung durch die Markomannen im Jahr 169 hielt sich Helvius Pertinax als Senator in Rom auf, so dass er durchaus mit dem designierten Quästoren Septimius Severus bekannt war. Die militärische Expertise seines syrischen Kommandeurs, der einst die Provinzen Raetia und Noricum von den Markomannen gesäubert hatte, bildete für den Legaten Septimius Severus eine gute Voraussetzung, die Aufgaben eines Offiziers zu erledigen. Seine bisherige Magistraturleitung, die von Strenge, Disziplin und Gewissenhaftigkeit geprägt war, fügte sich in die militärische Sphäre positiv ein und lag gänzlich auf der Linie eines Helvius Pertinax.55

Wegen seiner syrischen Legionslegatur hielt sich Septimius Severus zum ersten Mal länger – ungefähr zwei bis drei Jahre – in der östlichen Reichshälfte auf. Mit seinen griechischen Sprachkenntnissen besaß er die grundsätzliche Voraussetzung zur Erledigung der schriftlichen Amtsgeschäfte, vor allem wenn er von Helvius Pertinax beauftragt wurde, in Antiochia am Orontes, der Provinzzentrale, tätig zu sein. Dabei geschah es wohl einmal, dass ihn Einwohner von Antiochia bei der Durchführung eines Amtsgeschäftes auslachten.56 Das verstimmte ihn nachhaltig und nahm ihn gegen die Bevölkerung der Provinzhauptstadt ein.

Mit seinem starken Hang zur Astrologie befand sich Septimius Severus sozusagen in einer ausgedehnten geographischen Hochburg der Sterndeutung und Erstellung von Horoskopen. In seiner punisch geprägten nordafrikanischen Heimat verehrte man den Gott Baal traditionell auch in Leptis Magna. Der Vordere Orient, und damit auch Syrien, war ein polytheistischer Schmelztiegel mit Göttern, die mit dem nordafrikanischen Baal verwandt waren. In Apamea wurde der Zeus gleichgesetzte Gott Belos verehrt, dessen Orakel Septimius Severus befragte.57 Ebenfalls am Fluss Orontes gelegen, befindet sich Apamea auf halber Strecke zwischen Antiochia und Emesa. Es ist wahrscheinlich, dass Septimius Severus die Stadt Emesa als Kultlokalität für den Gott Elagabal kannte, der nominell dem Gott Baal verwandt war, jedoch haftete ihm durch seinen Bezug zur Sonne ein universell göttlicher Charakter an. Ein Besuch oder gar persönlicher Kontakt zu den Priestern und Priesterinnen des Elagabal ist wegen der aufgezeigten religiös-kulturellen Anknüpfungspunkte denkbar.

Die spätere Heirat mit der Priesterin Iulia Domna war für Septimius Severus in diesem Lebensstadium noch gar nicht aktuell. Die verkürzte Quellendarstellung über seinen Entschluss zur zweiten Eheschließung ist ohne Hinweis, vor allem in Bezug auf einen ersten persönlichen Kontakt. Man kann aber annehmen, dass eine erste Kommunikation im Rahmen eines Besuches des Elagabal-Heiligtums in Emesa stattgefunden hat.58 Dabei stellten beide wohl gemeinsame persönliche Interessen auf religiösastrologischem Gebiet fest, die vielleicht bei einer Einladung zum Abendessen im familiären Rahmen vertieft wurden. Die geistige Nähe förderte womöglich eine gegen- oder einseitige körperliche Anziehung, die wohl aber auf Grund seiner Ehe unterdrückt wurde. Beide müssen schon in dieser Phase ihre Sympathie füreinander gespürt haben, zumindest blieb die Erinnerung aneinander bestehen (Abb. 10).

In diesen eher ruhigen und beschaulichen Alltag des syrischen Provinzschauplatzes platzte jedoch recht bald nach der Inthronisation des Commodus die erste Hinrichtungswelle, die im Gefolge der gescheiterten Verschwörung der kaiserlichen Schwester Lucilla durchgeführt wurde. Der Kaiser, vor allem aber der einflussreiche Prätorianerpräfekt Tigidius Perennis forcierten die Hinrichtung; auch Quinctilius Condianus in Syrien sollte exekutiert werden.59 Eine kaiserliche Depesche hatte Helvius Pertinax und seinen Unterfeldherrn dazu aufgefordert. Nach Cassius Dio entkam Quinctilius Condianus seinen Häschern, eine Tatsache, die den Statthalter verdächtig machte, so dass er seines Kommandos enthoben und nach Ligurien relegiert wurde.60 Das Schicksal seines Legaten Septimius Severus ist nicht ganz eindeutig in dieser Karrierephase: Entweder wurde er auch sofort seines Postens entbunden oder diente noch eine gewisse Zeit unter dem neuen Statthalter Domitius Dexter im Jahr 182/83. Auf jeden Fall ging er nicht unbeschadet aus der für den Kaiser unrühmlichen Affäre hervor, dem immer wieder Quinctilius Condianus’ angebliches Haupt zugesandt wurde, ohne letztlich Gewissheit über seinen Tod zu haben.


Abb. 10: Kaiserin Iulia Domna.

An Septimius Severus blieb demzufolge ein gewisser Makel haften. Nach seiner Demission verließ er das syrische Provinzialgebiet in Richtung Athen zusammen mit seiner Frau Paccia Marciana. Der spätantike Biograph Aelius Spartianus begründet diese Reise mit seinem Interesse an Studien, Kulten, Bauten und Altertümern.61 Eine Bildungsreise unternahmen schon Caesar und Cicero in dem Stadium ihrer jeweiligen Karriere, das ihnen die kurzzeitige Entfernung aus der römischen Innenpolitik zur Sicherung ihrer Existenz nahe legte. Die antiken Vorbilder erläutern den Sinn dieser Privatreise des Septimius Severus in ähnlicher Weise: Der abgesetzte Legat kehrte nicht gleich nach Rom in die unmittelbare Nähe zu Commodus zurück, sondern zog es vor, sich aus der unmittelbaren Gefahrenzone herauszuhalten. Natürlich wird er durch seine Freunde und Verwandten erfahren haben, dass der Prätorianerpräfekt Perennis die Entfernung des Pertinax und damit auch seine Amtsniederlegung forciert hatte. Dessen Einfluss auf Commodus konnte ihn weit mehr als nur den Verlust der Legatur kosten, wie er mit eigenen Augen in Syrien erlebt hatte.

Eine unverfängliche Bildungsreise nach Athen war für ihn deshalb angebracht, verbunden mit der Hoffnung, dass sich bald wieder die Gelegenheit bot, seine Reputation beim Kaiser zu revidieren. Das kulturell, religiös und architektonisch geschichtsträchtige Athen lockte mit einem abwechslungsreichen Ambiente einen Mann in seine Mauern, der in Begleitung seiner Frau seinen geistigen Horizont erweitern wollte. Angeblich haben gewisse Athener ihm während seines Aufenthaltes Unrecht und Beleidigungen zugefügt, die ihn als Kaiser veranlassten, urbane Rechte einzuschränken.62 Die Historizität ist schwer für ein derartiges Verhalten nachweisbar, eine gewollte Parallele drängt sich zur Behandlung durch die Antiochener auf, da er in beiden Fällen später städtische Freiheiten beschnitten hat. Septimius Severus wird als nachtragend vorgeführt, eine dauerhafte, negative Charaktereigenschaft, die in die Gesamtbeurteilung einfließen wird.

Der mehr oder minder freiwillige Aufenthalt in Athen bildete einen Einschnitt in seine bis dahin kontinuierliche politische Karriere, der auch in seiner Dauer von circa 183 bis 186 eine recht lange Abwesenheit von öffentlichen Ämtern umfasste. Die diversen Studien brachten ihn eventuell mit zu seiner Zeit bekannten und in Athen lebenden Rhetoriklehrern wie Iulius Pollux und Aelius Antipater zusammen. Er machte in dieser Phase aus der Not eine Tugend und ging seinen vielseitigen religiös-kulturellen Interessen nach. Auf die Dauer konnte jedoch selbst eine mögliche Einweihung in die eleusinischen Mysterien oder die anregende Kommunikation mit gebildeten Athenern das Gefühl nicht unterdrücken, sich von den Schalthebeln der Reichsbühne zwangsweise verabschiedet zu haben. Es muss für ihn eine Zeit der Ohnmacht und Frustration gewesen sein, dazu die Erfahrung, dass er vor allem gegen den Prätorianerpräfekten Perennis und seinen Einfluss beim Kaiser mit Hilfe der Freunde und Verwandten gar nichts ausrichten konnte. Der mächtige Perennis sorgte in den Jahren 183/84 für die Hinrichtung mancher Senatoren, so dass Septimius Severus’ Abwesenheit eine kluge Vorsichtsmaßnahme war, zumal auch reiche Personen in den Provinzen ihr Leben lassen mussten.63 Allgemeine Verunsicherung breitete sich in Rom und den Reichsregionen aus, die auch ihn erfasste. Sein persönliches Schicksal war in jeder Hinsicht ungewiss, solange Perennis mit Billigung des Commodus schalten und walten konnte.

Je länger sich der Aufenthalt in Athen hinzog, desto mehr steigerte sich die Unzufriedenheit des Septimius Severus mit seiner Situation. Finanznöte traten hingegen nicht auf, sein Vermögenspolster reichte sicherlich für ein angemessenes, wenn auch eher bescheidenes Lebensambiente. Sehnsüchtig wartete er auf einen positiven Umschwung in Rom, der sich im Verlauf des Jahres 185 mit der Ausschaltung des Perennis einstellen sollte. Sichtbares Zeichen war die Rückberufung des Helvius Pertinax durch Commodus, der den seinerzeit geschassten Kommandeur der Provinz Syrien für die Maßregelung meuternder Legionen in Britannien benötigte.64

Es ist gut möglich, dass Helvius Pertinax im Zuge des persönlichen Verhältnisses, das sich zwischen ihm und seinem Legionslegaten Septimius Severus ausgebildet hatte, seinen Einfluss bei Commodus eingesetzt hat, um dessen zukünftige Berücksichtigung in der Administration des Reiches zu erbitten; ein Argument bot vor allem die Tatsache, dass ihn der nun diskreditierte Perennis kaltgestellt hatte. Im Verein mit den übrigen Verwandten und Freunden ließ Commodus sich überzeugen, Septimius Severus bei der Ämtervergabe zu berücksichtigen. Ab 186 fungierte dieser daher als Statthalter der Provinz Gallia Lugdunensis, und zwar unter der Amtsbezeichnung eines kaiserlichen Legaten mit proprätorischer Befugnis (legatus Augusti pro praetore).65

Seine Ernennung wird ihm wie eine Erlösung vorgekommen sein, gleichfalls bot sich mit diesem Posten die Gelegenheit, dem Kaiser seine administrativen Fähigkeiten zu beweisen; in militärischer Hinsicht unterstand ihm nur in der Provinzhauptstadt Lyon eine städtische Kohorte an Soldaten. Die Eintreibung der Steuern, Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und die übliche Praxis der Rechtssprechung sollten unter seiner Provinzialleitung reibungslos vonstatten gehen, so die kaiserliche Erwartung. Das Provinzialgebiet reichte von der Rhône bis zur Atlantikküste der Bretagne und Normandie, so dass er bei seinen regelmäßigen Inspektionen weite Reisestrecken zurücklegte. Sonst residierte er in der Kapitale Lyon, wo er überraschend den Tod seiner Frau Paccia Marciana hinnehmen musste.

Die Ehe war, wie die von ihm als Kaiser verfügte Aufstellung ihrer Statuen zeigt, offenkundig harmonisch verlaufen. Der Tod seiner ersten Frau muss im frühen Stadium seiner im Jahr 186 begonnenen Legatur eingetreten sein. Er hat sicherlich eine gewisse Trauerfrist eingehalten, bis er seine zweite Eheschließung noch während seiner Amtszeit einleitete. Der spätantike Biograph Aelius Spartianus führt in Anlehnung an Septimius Severus’ Memoiren an, dass Iulia Domnas Geburtshoroskop auf die Heirat mit einem Herrscher ausgedeutet wurde. Septimius Severus habe nach heiratsfähigen Frauen Ausschau gehalten, und unter dem Eindruck dieser positiven Weissagung warb er durch seine Freunde um ihre Hand. Dabei spielte auch eine gewichtige Rolle, dass aus der Familie seiner zukünftigen Ehefrau Konsuln und Senatsangehörige hervorgegangen waren; demnach heiratete er standesgemäß.

Iulia Domna willigte ein und ehelichte Septimius Severus in Lyon, wahrscheinlich im Sommer 187. Dort gebar sie ihm auch den ersten Sohn Septimius Bassianus am 4. April 188.66 Die halbwegs rekonstruierbaren Fakten dieser Heirat hat die Überlieferung mit astrologischen Hintergründen überlagert, die Septimius Severus aus der ex post-Perspektive seiner kaiserlichen Position herausgestellt hat. In der Retrospektive kam es ihm als Herrscher vor allem darauf an, die günstige astrologische Geburtskonstellation Iulia Domnas als Beweis für die frühzeitige Billigung seines Kaisertums durch die Götter auszugeben. Während der realen Phase um 187/88 war sein Interesse an der Erkundung seines persönlichen Schicksals sicherlich genauso groß wie in den vorherigen Lebensabschnitten, die Aussicht auf die Kaiserwürde aber gänzlich abwegig. Iulia Domna teilte mit ihm die Neigung, den göttlichen Willen für die Zukunft ergründen zu wollen, als Priesterin des Elagabal hatte sie ihr bisheriges Leben einer Gottheit geweiht. Ihr attraktives Wesen, das Septimius Severus schon in Syrien so beeindruckt hatte, war ihm im Gedächtnis haften geblieben. Als kaiserlicher Legat hatte seine Karriere eine vielversprechende Wendung mit der Aussicht auf zukünftige Positionen genommen, sein privates Vermögen war ebenfalls gut situiert. Diese Aspekte unterstützten seine Offerte, aber man darf auch die emotionale Seite nicht außer Acht lassen: Er hatte ihre in jeder Hinsicht beeindruckende Gestalt nicht vergessen, wie auch bei ihr der schneidige römische Offizier und Senator mit seiner astrologischen Wissbegier eine nachhaltige Wirkung hinterlassen hatte. Nur unter diesen Voraussetzungen lässt sich die positive Reaktion Iulia Domnas auf seine von Freunden durchgeführte Heiratswerbung erklären.

Das private Glück, das durch die Geburt seines Sohnes für den gut vierzigjährigen Vater noch gesteigert wurde, drängte die erlittene Ungemach während seines Zwangsaufenthaltes in Athen in den Hintergrund. Seine Provinzadministration verlief in einer Weise, die die gallischen Untertanen in guter Erinnerung behielten: Sie schätzten seine eingeforderte Disziplin und persönliche Zurückhaltung.67 Septimius Severus führte seine Statthalterschaft mit den Eigenschaften, die er unter Kaiser Marcus Aurelius angenommen hatte. Er blieb somit seiner charakterlichen Linie treu, daran änderte auch die desinteressierte Einstellung des Commodus nichts.

In Rom vergnügte sich der Kaiser mit Gladiatorenspielen, der Jagd und Frauen, seit dem Sturz des Prätorianerpräftekten Perennis hielt sein Kammerdiener Cleander, ein ehemaliger Sklave, die Zügel in der Hand, auch bei der Vergabe der Reichsposten.68 Der Ämterkauf war das Gebot der Stunde für diejenigen, die mit kaiserlicher Gnade aufsteigen wollten; Commodus ließ sich von Cleander einen Großteil des Bestechungsgeldes aushändigen. Man sieht also, dass die Qualitäten des Septimius Severus, die von den Untertanen der Gallia Lugdunensis gerühmt wurden, gar nicht honoriert wurden, vielmehr benötigte er Geld, um seine Karriere voranzutreiben. Die gepriesene „Zurückhaltung“ (abstinentia) des Statthalters ist dennoch so weit auszudeuten, dass er sich von gewissen Einkünften der Provinz seinen Anteil genommen haben dürfte, nur offenbar in einem bescheideneren Ausmaß als seine Vorgänger, deshalb sein positives Image bei den Provinzialen.

Im Jahr 189 endete seine Statthalterschaft und die Familie zog nach Rom in ein angeblich recht kleines Haus zurück.69 Sicherlich hat Septimius Severus den Kontakt zum kaiserlichen Hof aufgenommen, möglicherweise eine persönliche Audienz beim Herrscher zugebilligt bekommen. Es folgten wieder Einladungen zu den Soireen der Standesgenossen oder am Hof, all das gab ihm das Gefühl, seine alte Position einzunehmen. Das berechenbare Lebensgefühl unter Marcus Aurelius bestand aber schon längst nicht mehr, der willkürlich agierende Commodus blieb eine von Emotionen und Eitelkeit geprägte Gestalt. Es ist davon auszugehen, dass auch Septimius Severus für seine Karriere in die Taschen greifen musste. So bewarb er sich um eine Provinzialmagistratur, die per Los unter der Billigung des Kaisers vergeben wurde. Das Prokonsulat über die Provinz Sizilien ging an Septimius Severus, der es im Frühjahr oder Sommer 189 antrat. Wohl noch vor der Abreise brachte Iulia Domna den zweiten Sohn Publius Septimius Geta in Rom zur Welt (7. 3. 189).

Das kornreiche Sizilien stellte einen Teil der Ressourcen zur Versorgung der stadtrömischen Bevölkerung bereit. Die Aufgabe bildete für Septimius Severus keine große Herausforderung, selbst der sonst kritische Herodian lobte seine auch dort angewandten Kompetenzen auf der Verwaltungsebene.70 Gegen Ende oder bereits nach seinem Prokonsulat wurde er jedoch von einem Denunzianten beim Hof angeschwärzt, Astrologen und Seher mit der Frage nach seiner Kaiserwürde konsultiert zu haben. Der Hochverratsprozess wurde von den beiden Prätorianerpräfekten geleitet, die jedoch die Beschuldigung abwiesen; der Denunziant wurde auf Veranlassung des Commodus gekreuzigt. Hausarrest oder Inhaftierung musste Septimius Severus in dieser gefahrvollen Zeit akzeptieren, bis seine Unschuld bewiesen war. Bei einer Verurteilung zum Tode hätte seine Familie die Konfiskation des Vermögens ereilt. Gerade so ein kaltblütiger Herrscher wie Commodus war für solche Anschuldigungen stets empfänglich, dass er in diesem Fall seine Prätorianerpräfekten die Wahrheit herausfinden ließ, spricht für eine bevorzugte Behandlung des Septimius Severus. Er genoss beim Kaiser ein gewisses Ansehen, so dass jener von einer sofortigen Hinrichtung absah und stattdessen ein gerichtliches Verfahren zuließ.

Es ist anzunehmen, dass Helvius Pertinax, seit 189 Stadtpräfekt, einen Prozess beim Kaiser erwirken konnte. Die Dienstphase in Syrien und ihre gemeinsame politische Kaltstellung durch Perennis haben dazu beigetragen, das persönliche Verhältnis und Schicksal enger zu verbinden, vor allem in diesen unkalkulierbaren Zeiten unter Commodus. Außerdem hatte der Kaiser kurz vorher seinen alten Günstling Cleander unter dem Druck der römischen Massen dem Tode zuführen lassen, um nicht selbst Zielscheibe der von einer Getreideknappheit aufgeheizten Menge zu werden.71 In dieser Phase wollte er nicht auch noch den Unmut eines Pertinax auf sich ziehen. Die vollständige Rehabilitation des Septimius Severus erfolgte nach der ermittelten Haltlosigkeit des Hochverratsvorwurfs.

Die Ausschaltung Cleanders blieb jedoch nur eine Episode in den Ränkespielen am kaiserlichen Hof. Das Machtvakuum füllten der nachrückende Kammerdiener Eclectus und Aemilius Laetus, ein neuer Prätorianerpräfekt, aus. Das Jahr 190 erlebte zudem eine noch von Cleander eingefädelte Abfolge von sage und schreibe 25 Konsuln, die für ihre „Amtszeit“ eine große Geldsumme abliefern mussten.72 Ausdrücklich erwähnt Cassius Dio die Beteiligung des Septimius Severus an diesem Ämterkauf, der als sogenannter Suffektkonsul die einstmals höchste Magistratur für eine gewisse Zeitspanne bekleidete. Die nachrückende Position war weniger ehrenvoll als der eponyme Konsul, der mit seinem Kollegen stellvertretend für das Amtsjahr genannt wurde. Dementsprechend höher war die zu entrichtende Zahlung bei Cleander, die Septimius Severus wohl auch hätte aufbringen können.

Es genügte ihm jedoch, sich in Zukunft vor aller Welt mit dem gesellschaftlichen Prestige des Konsulats schmücken zu können, das sich seit Beginn der Kaiserzeit in der protokollarischen Leitung der Senatssitzungen und einigen öffentlichen Auftritten am Hof und in der Stadt erschöpfte. Sein älterer Bruder Geta wurde im Jahr 190 als kaiserlicher Legat mit der Verwaltung der hispanischen Provinz Lusitania betraut und sollte anschließend das Suffektkonsulat verliehen bekommen. Ihre Berücksichtigung führte beide Septimier als Konsulare in die höchste Riege der Senatsangehörigen. Es zeichnet sich der Eindruck ab, dass der nordafrikanische Prätorianerpräfekt Laetus seit seiner Ernennung nur die Speerspitze einer immer stärker sich einbringenden regionalen Einheit bildete, die durch die Septimier aus Leptis Magna abgerundet wurde. Nach der Niederschlagung des Hochverratsvorwurfes erlangte Septimius Severus im Verbund mit der Protektion durch Laetus und Helvius Pertinax eine Position innerhalb der Reichselite, die ihn als einen der Günstlinge des Commodus ausweist.

Zuvorderst profitierte er von der Verschacherung eines Cleander, dem Geldbedarf des Kaisers und der nordafrikanischen Identität eines Laetus so weit, dass er sich auf die politische Konstellation in Rom ohne Wenn und Aber einließ. Damit verhielt er sich auch nur wie die Majorität seiner Standesgenossen, die bis dato den Exekutionsbefehlen des Commodus entkommen waren. Bis zum Tod des Kaisers Ende des Jahres 192 sollten 15 Senatoren ihr Leben lassen. Außerdem ereilte dieses Schicksal einen Mitbürger aus Emesa, Iulia Domnas Geburtsstadt.73 Die allgegenwärtige Unsicherheit verdunkelte auch in seiner Familie die Freude über seine hohe Position, und Cassius Dio berichtet über die persönlich erfahrene Lebensangst, die Commodus aus einer Laune heraus den Senatoren ohne Skrupel bereitete.74 Der unter chronischem Geldmangel leidende Kaiser ließ sich von den Senatoren pro Kopf zwei Goldstücke pro Jahr auszahlen, Ehefrau und Kinder wurden zusätzlich berechnet.75 Der finanziellen Gängelung konnte man auch in den Provinzen nicht entgehen, allerdings entstand mit dem dortigen Aufenthalt ein Sicherheitsabstand zum Kaiser, der sich in die Pose eines römischen Herkules hineinsteigerte, die Kapitale Rom mit dem Namen Commodiana versah und als eine von ihm neu gegründete Kolonie ausgab (Abb. 11).76 Septimius Severus ist sicherlich hier und dort ein persönlicher Zeuge der kaiserlichen Auftritte gewesen, die sich in das Bild des grassierenden Cäsarenwahnsinns einfügten. Das römische Stadtvolk erlebte zwischenzeitlich das Auftreten einer neuen Epidemie, die in ihrer Hochphase mehr als 2000 Tote pro Tag forderte.77 So blieben die Eindrücke für den gewählten und amtierenden Konsul Septimius Severus in den Jahren 189/90 äußerst zwiespältig.

Der Kammerdiener Eclectus und der Prätorianerpräfekt Laetus sorgten derweil für den vergnügungssüchtigen Commodus, dass das Reich eine funktionierende Verwaltung behielt und die Ressourcen in gewohnter Größenordnung in das kaiserliche Säckel eingingen. Commodus gerierte sich so oft wie möglich als Gladiator, und bei seinen Spielen waren Senatoren wie Ritter verpflichtet, persönlich zugegen zu sein; ihr Leben hing davon ab, dass sie mehr als pflichtschuldig über seine Fechtleistungen Freudenrufe ausstießen.78 Diese Gängelungen gehörten sozusagen zum täglichen Brot eines Mannes aus der Führungselite, der sich in Rom aufhalten musste.


Abb. 11: Marmorbüste des Commodus als Herkules.

Man kann sich gut vorstellen, dass es einige senatorische Gemüter gab, die einen Posten in der Provinz vorzogen. Durch seine guten Beziehungen zu Laetus und Pertinax vermochte der Konsular Septimius Severus beim Kaiser die Zustimmung dafür zu erhalten. Ab dem Jahr 191 sollte er als kaiserlicher Legat mit prokonsularischer Amtsgewalt in der Provinz Pannonia superior fungieren. Der Provinzraum erstreckte sich vom westlichen Ungarn bis in das Gebiet des Wiener Beckens, während die südliche Ausdehnung über das heutige nördliche Kroatien bis nach Slowenien reichte. Die Donau bildete die nördliche Provinzgrenze zu den jenseitigen germanischen Stämmen der Markomannen, Quaden und sarmatischen Jazygen (Abb. 12). Deren Bedrohungspotential sollte der Statthalter Oberpannoniens mit einem Kontingent von drei Legionen gar nicht erst zur Entfaltung kommen lassen.


Abb. 12: Karte von der italischen Halbinsel und dem Balkan.

Der Posten war aus militärischer Sicht der verantwortungsvollste Aufgabenbereich an der gesamten Donaufront, wie die Kämpfe des Marcus Aurelius dokumentiert hatten. Außerdem befehligten die Legaten der übrigen Donauprovinzen nur jeweils eine Legion, so dass Septimius Severus auch die militärisch stärkste Einheit in diesem Reichssprengel kommandierte. In innenpolitischer Hinsicht bedeutsam war die Tatsache, dass seine Provinz an Nordostitalien mit der Stadt Aquileia grenzte, so dass er geostrategisch gesehen in direktem Kontakt zum italischen Reichszentrum stationiert war. Commodus und seine Getreuen gingen demnach davon aus, dass Septimius Severus ein loyaler Kommandeur sei, der sich ganz auf seine Aufgaben konzentrieren und keine Usurpation wagen werde. Sie sollten sich nicht in ihm geirrt haben. Tatsächlich verrichtete er konsequent seine magistratischen Aufgaben. Auf der anderen Seite ist auch zu veranschlagen, dass der kürzlich ernannte Kommandeur nicht gleich zu einem potentiellen Konkurrenten mutieren konnte, sondern erst einmal eine gewisse Zeit zur Eingewöhnung sowie zum Aufbau eines positiven Verhältnisses zu seinen Offizieren und Legionen benötigte. Die geringe Praxis, die er in militärischer Hinsicht aufwies, verlangte von ihm ebenfalls ein gehöriges Maß an Engagement, um die Verteidigung der Provinz effizient zu organisieren und auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten. Die Ausübung der höchsten provinzialen Rechtssprechung, die Oberaufsicht über die Steuereintreibung und nicht zuletzt die Erstellung der Berichte und Bearbeitung der Anfragen aus der kaiserlichen Zentrale ergänzten sein Arbeitsfeld, so dass er bei aller Entlastung durch seine Legaten, Prokuratoren und sonstigen Amtsgehilfen ein gehöriges Maß an verantwortungsvoller Arbeit aufbrachte.

Nach Ablauf des Jahres 191 stellte sich eine gewisse Routine in der Erledigung seiner Amtsgeschäfte ein. Während seiner Karriere hatte er sich kontinuierlich an bestimmte Verhaltensmaßstäbe gehalten, so dass die Schlussfolgerung zulässig ist, dass er auch bei der Verwaltung der Provinz Oberpannonien einen von Disziplin und Lauterkeit geprägten Führungsstil favorisierte. Für seine zivilen und militärischen Untergebenen aller Chargen war seine eingeforderte Zucht und Ordnung ein deutliches Element der Orientierung, in welcher Weise sie ihre jeweiligen Aufgaben zu erledigen hatten und welche Strafen sie bei Zuwiderhandlung erwarteten. Bei aller offenkundigen Strenge vermittelte dieser Führungsstil den untergebenen Adressaten, dass ihnen ein berechenbarer Vorgesetzter mit klaren Handlungsanweisungen voranstand, die er auch selbst einhielt. Eine derartige Einstellung entspricht den generellen Grundkonstellationen eines funktionierenden militärischen Apparates, so dass es gut vorstellbar ist, dass Septimius Severus sowohl bei seinen Offizieren als auch bei den einfachen Legionären als strikter und konsequenter Kommandeur geachtet wurde.

Auf diesem Posten konnte es auch nur förderlich sein, sozusagen den Stallgeruch des Helvius Pertinax an sich zu haben. Natürlich wussten seine Offiziere, dass er unter Helvius Pertinax in Syrien sein erstes militärisches Kommando innehatte. Und jener war beileibe kein Unbekannter an der Donaufront, nämlich der ehemalige Kommandeur der legio I Adiutrix, die nun auch Septimius Severus unterstand. Seine umsichtige Abwehrorganisation, die er unter Marcus Aurelius gegen die einbrechenden Stämme geleistet hatte, hatten ihm weitere Posten an der Donaufront in Mösien und Dakien eingebracht.79 Die bereits erwähnte Aufgabe, die britannischen Legionen zu disziplinieren, dokumentiert seinen üblichen Führungsstil, der auch für Septimius Severus veranschlagt werden kann.

Mit diesen wenigen Anhaltspunkten entsteht der Eindruck, dass die Statthalterschaft über Oberpannonien in ihrer zeitlichen Ausdehnung von 191 bis 193 für Septimius Severus geradezu wegweisend war: Sein persönlicher Führungsstil eröffnete ihm ein positives Ansehen beim zivilen wie militärischen Personal. Die mehrjährige Magistratur förderte den Vertrauensvorschuss der Legionäre in die Kompetenzen und Charaktereigenschaften ihres Kommandeurs. Gleichfalls lernte er die Bedürfnisse und Vorstellungen seiner Offiziere und der hochrangigen Legionäre besser kennen. Dieser Kommandoposten über die drei Legionen Oberpannoniens bildete ihn auch zu einem in militärischer Hinsicht versierten Heerführer aus, auch wenn er während seiner Dienstzeit wohl nur lokale Überfälle und keine regelrechte Invasion abzuwehren hatte. Die unvorhergesehenen Ereignisse, die sich gegen Ende des Jahres 192 im nicht allzu fernen Rom abspielten, sollten den Identifikationsprozess zwischen dem oberpannonischen Kommandeur und seinen Legionen noch verstärken. Das entscheidende Fundament für die weitere politische Karriere des Septimius Severus war vor der bahnbrechenden Wende des Jahres 193 gelegt worden.

Septimius Severus

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