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2. Die innen- und außenpolitische Lage des Reiches zu Beginn seiner Karriere

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Als der Kaiser Marcus Aurelius (161–180) dem jungen Septimius Severus einen breiten Purpurstreifen auf der Tunika als senatorisches Standesabzeichen zubilligte, hatte er selbst erst wenige Jahre die Geschicke des römischen Reiches geleitet. Die inneren und äußeren Geschehnisse während seiner Herrschaft begleiteten nicht nur den Karriereweg des aufstrebenden Septimius Severus, sondern bereiteten auch durch ihre langfristigen Auswirkungen den anschließenden historischen Wandel vor. Beide inhaltlichen Ebenen rechtfertigen einen überblicksartigen Abriss, der jedoch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern viel eher auf eine historische Einbettung der biographischen Intentionen und Hintergründe ausgerichtet ist.24

Als der greise Kaiser Nerva im Jahr 97 den Statthalter Obergermaniens, Ulpius Traianus, der stadtrömischen Öffentlichkeit als Adoptivsohn vorstellte, begründete er, ohne es beabsichtigt zu haben, eine neue, goldene Zeit des römischen Reiches, die mit der Ära der „Adoptivkaiser“ in Verbindung gebracht und auch mit dem Etikett „humanitäres Kaisertum“ belegt wird. Es war vornehmlich der bereits genannte Trajan (Abb. 5), der die ideologischen Fundamente in bewusster Absetzung vom letzten Kaiser aus der Dynastie der Flavier legte: Domitian hatte seine Herrschaft durch willkürliche Hinrichtungen und Allüren im Stil eines hellenistischen Monarchen so diskreditiert, dass die vor allen anderen betroffenen Senatoren die Tilgung seines Namens aus allen öffentlichen Monumenten und Schriften, die sogenannte damnatio memoriae, verfügten. Für eine erfolgreiche Regentschaft benötigte Trajan zwar zuallererst die Loyalität des römischen Heeres, aber ebenso auch die administrativen Kompetenzen der senatorischen Führungsschicht. Auf beiden gesellschaftlichen Ebenen musste er sich als zu Recht ernannter Herrscher erweisen, um sich nicht der Usurpation eines Kommandeurs oder der Opposition einer senatorischen Fronde auszusetzen. Der fehlenden dynastischen Herrschaftslegitimation hatte Trajan zu seiner eigenen Sicherheit andere Tugenden entgegenzusetzen; eine ähnliche Situation hatte knapp ein Jahrhundert später auch Septimius Severus zu meistern.


Abb. 5: Kaiser Trajan.

Unter diesen herrschaftlichen Zwängen schufen Trajan und seine Nachfolger das Konzept der Adoption des Besten, der als Kaiser – optimus princeps genannt – zu Recht das Reich lenkte. Zur inhaltlichen Ausgestaltung wählte man im Gegensatz zur Figur des tyrannischen Domitian Leittugenden wie Mäßigung, Bildung und Großmütigkeit aus und verkündete eine neue Herrschaftsära. Für seine Untertanen sollte dieser Kaiser in väterlicher Fürsorge agieren und das Leben mit Wohltaten würzen, so dass sie die wiedergewonnene Freiheit und den Frieden auf ihn zurückführten. Schon Augustus hatte aber in kluger Voraussicht erkannt, dass ein Herrscher auch mit dem Charisma der militärischen Sieghaftigkeit versehen sein musste. Auf seinem früheren Betätigungsfeld errang Trajan in den beiden Kriegen gegen die Daker jenseits der Donau so großen militärischen Ruhm, dass er dem römischen Reich nicht nur ein riesiges Gebiet hinzufügte, sondern sich auch mit dem Siegerbeinamen Dacicus schmücken konnte. Die Eroberung Arabiens, die Reinkorporation Armeniens und Mesopotamiens und die Überwältigung des Partherreiches wurden mit neuen Münzen gefeiert, die er sich auch in Form von Siegestitulaturen quasi als antike Orden zulegte. Bis in die Niedergangsphase des Reiches hinein priesen antike Autoren die militärischen Erfolge Trajans und wirkten auf diese Weise an der Stilisierung des „besten Herrschers“ für seine zukünftigen Thronfolger mit, die zu seiner Imitation regelrecht angehalten wurden. Die kaiserliche Propaganda hat jedoch nicht unerheblich die außenpolitische Realität verklärt und ist großzügig über die negativen Konsequenzen der Feldzüge hinweggegangen: Der Dakerkrieg hatte eine riesige Beute an Edelmetall gebracht, die Trajan zum einen in recht großzügigen Geschenken an Volk und Heer weiter- sowie für Bauten ausgab, zum anderen für die Feldzüge gegen die Araber bis zum Golf von Akaba und das Partherreich aufzehrte. Der militärische Erfolg blieb aber trotz beachtlicher Anfangserfolge aus, da der Aufstand der Juden im Hinterland quasi eine zweite Front gegen die Römer eröffnete. Trajan verauslagte die Reichsressourcen in diesem riskanten Krieg gegen die Parther so sehr, dass er die erreichte innere Konsolidierung wieder aufs Spiel setzte, indem er seinem Nachfolger Hadrian eine geschwächte Militärmaschine und leere Kassen als ein schweres Erbe hinterließ.

Kaiser Hadrian (117–138), der militärische Erfahrung besaß, beendete sofort den verlustreichen Krieg im Osten, der mit erheblicher Gebietsaufgabe, auch zur Entschädigung des Partherkönigs, einherging. Er setzte in Zukunft auf die defensive Stärkung der Reichsgrenzen, die er in seinen ausgedehnten Reisen durch westliche wie östliche Provinzen mit Truppeninspizierungen, Manövern und einer wohlstrukturierten Grenzsicherung vor Ort verstärkte, wie der Hadrianswall in Britannien belegt. In der Anlage von Repräsentationsbauten und der Durchführung von infrastrukturellen Verbesserungen richtete er im Gegensatz zu seinem Vorgänger sein Augenmerk stärker auf zivile Projekte; das Finanzvolumen dürfte ähnlich hoch wie bei Trajan gewesen sein. Die Konsolidierung der Reichsfinanzen verlief jedoch so günstig, dass er im Jahr 118 allen Bürgern des Reiches die Schulden der letzten 16 Jahre in Höhe von 980 Millionen Sesterzen aussetzte.25 Dass es ihm um den Wohlstand seiner Untertanen ging, sollten alle Reichsbewohner durch die Münzlegende „Bereicherer des Erdkreises“ begreifen.26

Dennoch war seine Person nicht frei von Anfeindungen, wie schon die Hinrichtung bewährter Generäle aus der Ära Trajans zu Beginn gezeigt hatte. Nicht umsonst hatte er direkt nach seiner Proklamation ein Geldgeschenk an die Legionen verteilen lassen, das die doppelte Höhe desjenigen Trajans umfasste. Hadrian lenkte jedoch seine Herrschaftsmaximen von der militärischen Sphäre auf diejenigen Elemente, die mit den Botschaften Frieden, Gerechtigkeit und Milde ihre positive Wirkung auf die Reichsbewohner besaßen. Auch wenn Hadrian sich von Offensivkriegen im Stil seines Vorgängers abwandte, veranlasste ihn der jüdische Bar Kochba-Aufstand von 132 bis 135 zu einer persönlichen Beteiligung an einem von beiden Seiten erbittert geführten Krieg. Bereits von schwerer Krankheit gezeichnet, adoptierte er schließlich nach seiner Rückkehr in Rom den Senator Titus Antoninus und zwang ihn als designierten Nachfolger, seine näheren, aber unmündigen Verwandten Lucius Verus und Marcus Aurelius gleichfalls an Sohnes Stelle anzunehmen.

Diese langfristig angelegte Thronfolge sollte den weiteren Verlauf des 2. Jahrhunderts entscheidend prägen, aber auch auf anderem Gebiet hat die Ära Hadrians markante Eckpunkte gesetzt: Hatte Vespasian die Entwicklung eingeleitet, zentrale Posten der kaiserlichen Administration nicht nur ausschließlich in die Hände von Freigelassenen zu vergeben, sondern auch Angehörige des Ritterstandes heranzuziehen, so erweiterten die Herrscher Domitian und Trajan diese Praxis. Die Finanzverwaltung, das Ressort der Erbschaftssteuer und die Leitung des kaiserlichen Hausvermögens hatte der erste Adoptivkaiser gänzlich in die Hände vertrauenswürdiger Ritter gelegt. Hadrian ließ die sechs zentralen Ressorts der kaiserlichen Verwaltung nur noch durch Ritter führen. Da auch die einflussreichen Prätorianerpräfekten aus diesem Stand rekrutiert wurden, waren die Senatoren in ihrem politischen Einfluss außerhalb der ihnen überantworteten Provinzen völlig von der Zustimmung des Kaisers abhängig, der Senat mithin als Repräsentationsorgan eigentlich bedeutungslos geworden, was die Möglichkeit zur politischen Eigeninitiative betraf. In der Ära der Adoptivkaiser wurde die ritterliche Laufbahn durch neu gestaltete Ämter ständig erweitert, somit auch eine quantitative Überlegenheit im Verhältnis zu den Angehörigen des Senatorenstandes in den provinzialen wie stadtrömischen Hierarchien hergestellt. Für die Regierungszeit des Septimius Severus ist aber Hadrians Verfügung wegweisend, bestimmten Angehörigen der verdienstvollen Berufssoldaten den Weg in die ritterliche Karriere zu öffnen (Abb. 6). Ein Kompaniechef (centurio) konnte nach zehnjähriger Amtszeit, sollte er auch noch zum Befehlshaber der 1. Zenturie der 1. Kohorte einer Legion ernannt worden sein, in die Laufbahn eines ritterlichen Prokuratoren aufsteigen. Mit dieser Entscheidung sollte Hadrian die Bresche schlagen, die den gehobenen Rängen der römischen Berufssoldaten den Weg in die zivile Reichsadministration ebnen und das Machtverhältnis zwischen Heer und Reichsständen auf lange Sicht verschieben sollte.


Abb. 6: Kaiser Hadrian.

Sein Nachfolger, Antoninus Pius – der Beiname belegt sein pflichtgemäßes Bemühen, gegen gewisse senatorische Widerstände die Vergöttlichung Hadrians erreicht zu haben –, regierte in den Jahren 138 bis 161; folglich erlebte Septimius Severus seine Kindheit und Jugend in Leptis Magna unter diesem Kaiser. Konsequent hielt sich dieser an die defensive außenpolitische Linie seines Vorgängers, und obwohl sich im Reich kleinere Aufstände ereigneten, blieb den antiken Zeitgenossen seine Ära als äußerst friedfertig und glücklich in Erinnerung. In der Kindheit des Septimius Severus, genauer in dem Zeitraum von 144 bis 152, wurde in den Nachbarprovinzen Numidien und Mauretanien eine größere Aufstandsbewegung durch römische Truppen bekämpft, die aber das Leben des Knaben im fernen Leptis Magna nicht tangierte. Bei aller Freigebigkeit, die Antoninus Pius – mehr noch als Hadrian – gegenüber den 200.000 begünstigten Stadtrömern zeigte und die ihn zu prächtigen Circusspielen und zur Unterstützung für Mädchen anhielt, war seine Finanzpolitik insgesamt von Sparsamkeit und Gewissenhaftigkeit geprägt. Seinen Nachfolgern konnte er deshalb die sagenhafte Summe von 2,7 Milliarden Sesterzen in den staatlichen Kassen hinterlassen, und das, obwohl er bei seiner Inthronisation auf die üblichen Geschenke, das sogenannte aurum coronarium, aus den Städten der italischen Halbinsel gänzlich verzichtet und von den Provinzen nur die Hälfte des bisher gängigen Betrages bezogen hatte.

Nach seinem Ableben (161) übernahm der bereits designierte Marcus Aurelius die Kaiserwürde, der jedoch das hadrianische Testament beachtete und auch seinen Adoptivbruder Lucius Verus zum Mitkaiser erhob. Die friedvolle Ära des Antoninus Pius schlug bereits zu Beginn der Herrschaft dieser beiden Kaiser in eine bedrohliche Kriegslage um, bedingt durch die Invasion des Partherkönigs auf römischen Reichsboden. Über die syrische Grenze stießen die parthischen Truppen bis in die Provinz Kappadokien in Zentral- und Ostanatolien vor, das römische Klientelkönigtum Armenien fiel unter die Oberhoheit des Feindes.

In dieser unruhigen Atmosphäre, die Rom in den ersten Kriegsjahren 161/62 zumindest in der kaiserlichen Zentrale erfüllte, war es dennoch nicht ungewöhnlich, dass sich ein ambitionierter Spross einer ritterbürtigen Familie aus Leptis Magna mittels seiner konsularischen Verwandten um die Aufnahme in den Senatorenstand bemühte. Die bisherigen Leistungen und die an den Tag gelegte Loyalität seiner entfernten Familienangehörigen ließen es Marcus Aurelius geboten erscheinen, nach dem älteren Bruder Geta auch Septimius Severus durch diesen Gunstbeweis enger an sich zu binden. In einer akuten Kriegssituation war es zudem wichtig, ein gewisses personelles Reservoir an jungen potentiellen Offizieren zu besitzen, denn die Dienstaufgaben eines jungen Senators konnten neben den niedrigsten Zivilämtern auch im militärischen Sektor liegen. So hatte sein Bruder Geta zuerst dem Zwanzigmännerkollegium angehört, das sich als Sammelname für mehrere niedere Magistraturen an der Stufe zur eigentlichen senatorischen Laufbahn noch aus der Zeit der Republik erhalten hatte.

Geta wurde in das Kollegium der decemviri stlitibus iudicandis berufen, von denen jeder als Vorsitz eines Hundertmännerkollegiums privatrechtliche Fälle wie Erbschafts- und Eigentumsprozesse zu beurteilen hatte. Wie bereits erwähnt, wurde er dann zum Militärtribun gewählt und übernahm seinen Dienst in Britannien in der legio II Augusta. Durch wiederholte Einfälle war der vorgelagerte Antoninuswall aufgegeben und der immer noch aufrechterhaltene Hadrianswall verstärkt worden; Geta könnte aber auch mit seiner Legion im nördlich vorgelagerten Terrain operiert haben. Über eine zeitliche Fixierung seines Militärtribunats sind wir nicht informiert, es ist jedoch wahrscheinlich, dass er sich in Britannien aufhielt, als sein jüngerer Bruder bereits in Rom weilte. Unter dieser bedrohlichen außenpolitischen Lage des Reiches nahm die Karriere des Septimius Severus ihren Anfang.

Septimius Severus

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