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Mein Traum wird wahr

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Mein Traum wird wahr

Die Küste war von Berlin, wo ich (icke) meine Jugend verbrachte, weit entfernt. Doch von klein an zog es mich zur See. Ich war nie am Meer, habe nie richtige Schiffe gesehen. Fernsehen und Filme über die „Christliche Seefahrt“ gab es damals noch nicht. Aber ein starker innerlicher Drang, zur See fahren zu wollen, war, seit ich denken kann, vorhanden. Es war mein größter Jugendtraum.

Schiffe, Wasser und die weite Ferne, waren für mich immer von großem Interesse. Ich sammelte Schiffsbilder, die ich aus Zeitungen ausschnitt, damals noch überwiegend von Kriegsschiffen, aber auch von Handelsschiffen. Die deutsche Seefahrt war ja nach dem Krieg erst wieder im Aufbau. Werften und Schiffe waren total zerstört oder von den Siegermächten beschlagnahmt. Ich baute auch Schiffe aus diesen Modellbaubögen, die man damals kaufen konnte. Das waren Schiffsmodelle auf Pappe gedruckt, die man ausschneiden musste, faltete und zusammenklebte, bis ein schönes Schiff daraus wurde. Später kamen auch Plastikmodelle dazu. Für Wasser, also für das Meer, konnte ich mich immer begeistern. Im Sommer verbrachte ich auch jede freie Minute am See und badete. Ich lernte auch sehr schnell schwimmen. Ich fing mit „Hundekraulen“ an und kam dann ganz zügig in die normale Schwimmbewegung herein. Ich musste schwimmen können, denn mein großer Bruder nahm mich immer mit zum Baden, wenn er mit seinen Kumpels zum Schwimmen ging. Ich wollte doch auch immer dabei sein, wenn die Großen auf den See hinaus schwammen. So paddelte ich immer wie ein kleiner Hund hinter den Großen hinterher.

Später war ich noch in einem maritimen Verein, der, so erinnere ich mich noch schwach, „Deutscher Seefahrerbund“ hieß. Neben meiner Pfadfindertätigkeit und meinem Sport, Leichtathletik und Boxen, war auch noch an den Wochenenden „Kutter pullen“, also rudern, angesagt. Und abends beim Knoten üben, wurden auch Shantys gesungen und von der weiten Ferne geträumt. Also lange Weile gab es nicht in meiner Kindheit. Immer lockte das Abenteuer.

Für mich war in dieser Zeit die Seefahrt ja leider nur ein Traum, denn ich war der Meinung, nie auf ein Schiff kommen zu können, da ich viel zu klein war und Seemänner ja groß und stark sein müssen. So blieb es dabei, Schiffsfotos aus allen möglichen Zeitungen auszuschneiden, in ein Heft zu kleben und in Gedanken über die Meere zu fahren.

Mein berufliches Ziel war vom Vater vorgegeben. Ich sollte nach Abschluss der 9. Klasse ins Hotelfach. Die Bewerbung im Hilton Hotel Berlin verlief erfolgreich, der Start als Page sollte nach Beendigung meiner Schule ein Jahr später beginnen, und dann sollte ich in die Schweiz, in eine Hotelfachschule. Eigentlich nicht schlecht. So schwächte sich der Seemannswunsch langsam ab, und ich hoffte, die ungeliebte Schule bald beenden zu können. Dann wäre ich 16 Jahre alt und ein flotter Page im weltberühmten Hilton-Konzern und würde so auch in der Welt herum kommen.

Wenn da nicht die Reise nach Hamburg, zu Onkel Herbert, einem Kriegskamerad meines Vaters, gekommen wäre. Der wohnte in Blankenese.

Schon der Besuch an den Hamburger Landungsbrücken ließ mein Herz höher schlagen. Dort waren große Seeschiffe zu sehen. Im Dock der Stülckenwerft, die heute nicht mehr existiert, lag ein riesiger Tanker. Das Krachen der Niethämmer hallte von der Werft zu uns herüber, Frachtschiffe verließen laut tutend den Hafen Richtung See, und ich fuhr in Gedanken mit – nach Rio, New York, nach Asien oder in die Karibik. Ich glaube, ich hatte Fieber.

Ein unglaubliches Gefühl ging durch meinen Körper. Wie ein Suchtkranker, der auf Entzug ist.

War es Sehnsucht, war es Fernweh? Ja, das war es! Ich wollte mitfahren!

Am liebsten wäre ich abgehauen und hätte mich auf ein Schiff geschlichen, so wie ich es in Abenteuerbüchern gelesen hatte. Aber ich war noch zu klein, zu jung und hatte auch „Schiss“. Die brauchen doch auf See richtige Männer und keine Kinder.

Zurück in Blankenese, gingen wir noch ein bisschen am Falkenstein spazieren.

Das ist ein schönes, parkähnliches Gebiet bei Blankenese.

Da kamen wir an einer Seemannschule vorbei. Dort werden, wie uns der sehr junge Wachposten erzählte, Seeleute ausgebildet, d. h. für ihren Einsatz auf Frachtschiffen vorbereitet. Ich war über das scheinbar junge Alter des Wachpostens verwundert und fragte ihn, ab wann man denn zur See fahren kann. Als er mir sagte, ab 16 Jahren und mit dem Einverständnis der Eltern. Man kann sich über das Arbeitsamt bei einer der Seemannsschulen bewerben. Da war für mich klar, dass ich meine Eltern solange nerven werde, bis ich an einer dieser Seemannschulen meine Ausbildung zum Seemann machen kann.

Und das klappte. Ohne große Probleme stimmte mein Vater diesem Wunsch zu und gab seine schriftliche Einverständniserklärung, die damals erforderlich war. Ich glaube er war auch froh, mich loszuwerden, denn ich machte ihm zu Hause doch sehr viel Kummer. Oft hatte ich Ärger mit der Polizei, und er konnte mich nicht bändigen, da er nur am Wochenende nach Hause kam. Und meine Mutter war gegenüber uns Jungs ziemlich machtlos. Ihre Schläge mit dem Kleiderbügel waren für uns Streicheleinheiten. Und wenn wir laut genug schrieen, hörte sie mit dem Schlagen auf.

Auf dem Arbeitsamt in Berlin wurden alle Formalitäten erledigt und ich bekam sozusagen meinen Einberufungsbefehl Ende 1960.

So hieß es dann: Dienstantritt bei der Seemannsschule in Hamburg-Finkenwerder im August 1961.

Mitzubringen: Bettzeug doppelt, Handtücher, Waschzeug, Schuhputzzeug, Wäsche etc. Und in jedem Kleidungsstück sollte ein Aufnäher mit dem Namen befestigt sein. Muttern ließ kleine Namensschilder sticken und nähte sie dann mühsam auf meinen Unterhosen und Unterhemden, Taschentüchern, Handtüchern, Hemden und sogar auf den Waschlappen an. Arbeitskleidung wird dort gestellt, wurde mir mitgeteilt.

Stolz nahm ich den gekauften grünen Seesack in Empfang und konnte es kaum erwarten, mit dem Ding auf den Schultern, wie ein richtiger Seebär, mein Elternhaus zu verlassen.

Der Abschied von zu Hause fiel mir nicht sehr schwer. Ging doch endlich mein großer Wunsch in Erfüllung. Mein Bruder beneidete mich sehr, denn er musste noch zu Hause wohnen und täglich zu seiner Lehrstelle als Tischler fahren. Außerdem stand er noch unter der sehr strengen Aufsicht unseres Vaters. Er tat mir ein bisschen leid. Er war doch mein großer Bruder, der mich oft beschützt und getröstet hatte. Ihn werde ich sicher vermissen, wie auch meine Oma und den Opa, der noch in Ostberlin wohnte.

Wie schon angedeutet, zu Hause war es kein Zuckerschlecken. Wir wurden mit wenig Liebe, aber dafür mit viel Härte erzogen. Wir wurden wie Rekruten erzogen und nicht wie Söhne.

Stubenarrest, Prügel mit der dicken, ledernen Hundeleine, später auch mit einem selbstgebauten „Siebenstriem“ (eine Peitsche mit 7 Kabelenden) und Reinigungsdienste waren die Folge von natürlichen Jungenstreichen. Die Eintragung ins Schulheft: Jürgen störte den Unterricht, wurde mit harter Strafe geahndet. Da ich ein sogenannter Klassenclown war (ich suchte so meine Anerkennung), bekam ich natürlich viele Eintragungen und somit auch viel Prügel. Oft wollte ich abhauen oder meinen Vater sogar „plattmachen“. Mir fehlte der Mut abzuhauen, und mein Bruder riet mir auch ab und tröstete mich. Obwohl er selber unter diesen Bedingungen litt. Dieses „Kasernenleben“ trug auch enorm dazu bei, von zu Hause „abzuhauen“, frei zu sein, zur See zu fahren, Abenteuer zu erleben. In der Schreibtischschublade lag ja immer das Geld für die Miete, und damit würde ich mindestens bis Hamburg kommen. Und dann ab, auf ein Schiff...!

Aber nun ging das auch offiziell. Von meiner Oma bekam ich zum Abschied noch eine goldene Halskette, an der die Symbole für „Glaube, Liebe, Hoffnung“ hingen. Das waren das Herz, der Anker und das Kreuz. Es war meine erste Halskette, und ich trug sie mit Stolz. Leider wurde sie mir später geklaut. Ich war darüber auch sehr traurig, und ich habe lange darüber nachdachte, ob es mir Pech bringen würde. Ein bisschen abergläubisch war ich schon.

Unsere Großeltern waren die Einzigen, von denen wir Kinder Liebe und Wärme erfuhren. Und das habe ich später sehr vermisst.

Die „Neue Freiheit“ in der Seemannsschule Hamburg-Finkenwerder war aber eigentlich nur die Fortsetzung der elterlichen „Erziehungsanstalt“. Nur gab es dort keine Schläge.

Die dreimonatige, fast militärische Ausbildung war der erste Härtetest für uns Jungspunde.

Wir waren ca. 30 Jungs aus ganz Deutschland, überwiegend aber kamen die meisten aus Süddeutschland. Nur ein Berliner war noch dabei. Aber alle wollten in die weite Ferne, so wie Freddy Quinn es ständig sang. Seine Lieder, die von Fernweh, Sehnsucht und Seemannsromantik handelten, dudelten ständig im Radio und machten uns ungeduldig und auch schwermütig.

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