Читать книгу Hatz - Jørgen Gunnerud - Страница 10

8

Оглавление

Asbjørn Gihle fuhr, Moen saß auf dem Beifahrersitz und Svein Solvold schweigend auf der Rückbank. Der kommissarische Polizeidirektor des Polizeibezirks Vestoppland hatte ihn gerade eben mit der Bemerkung »Scharf wie ein Rasiermesser, aber nicht unbedingt ein Teamworker« an Moen »ausgeliehen«. Moen hatte sein Augenmerk auf das Rasiermesser gerichtet. Solvold hatte nur stumm genickt, als er den Bescheid bekam. Jetzt wandte sich Moen an Gihle:

»Ich muss deine Mitarbeiterin haben, Asbjørn. Wie hieß sie noch gleich? Elvestuen?«

»Kammerstuen. Jenny. Sie und Sørli sind in Kapp. Ein größerer Diebstahl von Baumaterialien. Wie du weißt, konnten wir uns gestern nicht darum kümmern.«

»Lass sie sofort kommen. Sie soll rausfinden, wo sich der Junge aufhält. Stellt ihn unter Polizeiarrest, mit Foto und Fingerabdruck. Volles Paket.«

»Das wird wohl kaum nötig sein.« Gihle hielt das Steuer mit der linken Hand und zeigte mit der rechten. »Dort steht er«, sagte er, »auf der Schultreppe.«

Ganz richtig. Auf der Schultreppe saß Stein Hovelsrud und rauchte. Reidar Olsby zeigte Per Erik Henriksen gerade etwas, das einem Ringergriff ähnelte.

»Wollen wir ihn nicht gleich mitnehmen?«

»Fahr zum Tatort und mach es so, wie ich sage. Versuch, sie über Funk zu erreichen.«

Mit einem Ruck hielt der Wagen an, und Moen stieg gemeinsam mit Svein Solvold aus, der noch immer kein Wort gesagt hatte. Gihle machte sich am Funkgerät zu schaffen.

An der Tür wurden sie vom Leiter des Teams in Empfang genommen. Er vollführte die uralte Armbewegung »Folgt mir, Jungs« und trottete voran. Wortlos zeigte er auf die Tür zum Wachraum. Moen verstand zunächst nicht, was der Mann ihnen zeigen wollte, daher trat er näher und starrte angestrengt auf die Tür. Es war nicht so einfach, den Riss im Klebeband gleich beim ersten Hinschauen zu erkennen, doch bei näherer Betrachtung war er unverkennbar. Er überprüfte die Versiegelung am Büro des Abteilungsleiters, sie war intakt.

»Was ist mit dem Zimmer des Jungen und all den anderen Türen?«

»Alles in Ordnung. Es ist nur dieser Raum und die Tür unten. Wer immer auch hier war, hat einen Schlüssel benutzt. Der Wachraum und die Tür unten waren abgeschlossen, als wir herkamen. Es muss jemand von den Angestellten sein.«

»Sie haben Handschuhe an. Schließen Sie bitte die Tür auf.«

Der Teamleiter tat, worum er gebeten wurde, und Moen ging hinüber zu dem Tisch, an dem er Per Erik Henriksen erstmals vernommen hatte. Zu seiner Erleichterung stand Anne Sørlis Handtasche an ihrem Platz, doch irgendetwas fehlte. Wie als Antwort auf die unausgesprochene Frage sagte der Teamleiter: »Einer meiner Leute meint, dass ein Notebook fehlt. Ein weißer Mac. Er glaubt aber nicht, dass noch was anderes verschwunden ist.«

»Das können wir leider nicht mit Sicherheit sagen«, antwortete Moen lakonisch, »wir können nur hoffen. Was passiert ist, ist womöglich schon schlimm genug. Es muss ja gar nichts mit dem Mord zu tun haben. Wir wissen ja nicht mal, wem er gehört. Das hier ist eine ernsthafte Sache, und ich mache mir Vorwürfe, dass wir nicht genug aufgepasst haben. Das ist nicht mein erster Fehler. Es sieht so aus, als ob Per Henrik Henriksen in weitaus größerem Maß in den Fall verwickelt ist, als wir gestern Abend dachten. Er muss festgenommen werden.« Moen verließ den Raum, als er das sagte. »Asbjørn!«, rief er in die Küche hinein. »Ist diese Kampestuen endlich da?«

»Nein, Kampestuen ist nicht da, aber Kammerstuen kommt jeden Augenblick. Der Junge ist immer noch draußen auf dem Hof.«

Asbjørn Gihle erhob sich. »Ich habe mit Anne Sørlis Vater gesprochen. Er fragt nach seinem Auto. Anne hatte es in der Mordnacht geliehen, und ohne Auto ist es schwierig, dort, wo sie wohnen. Es soll sich um einen flaschengrünen Hyundai Accent handeln.«

Alle blickten sich fragend an.

»Sie hat ihn wohl für gewöhnlich versteckt, sodass man ihr nicht die Luft aus den Reifen lassen konnte«, setzte Gihle fort.

»Das ist anscheinend mehrmals passiert.«

Moen ging zusammen mit Svein Solvold über den Wirtschaftshof von Store Lundby. Asbjørn Gihle war nach Gjøvik gefahren, um die Untersuchungshaft von Tore Hakksveen unter Dach und Fach zu bringen. Das Laub lag kreisförmig um den Hofbaum. Die Sonne schien, doch die Kälte der Nacht war noch zu spüren. Vor der Schule und dem Verwaltungsgebäude war es leer, doch hinter den Fenstern im Erdgeschoss und der ersten Etage brannte Licht.

Genau wie beim ersten Mal war das Büro verschlossen, doch nun war Moen klar, wo er hingehen musste. Er öffnete die Tür zum Konferenzraum, und dieses Mal war der Saal vollgepackt.

Kjell Mannsåker saß ganz hinten am Ende des Tisches und stand auf, als Moen und Solvold den Raum betraten.

»Wir sind mitten in einer wichtigen Besprechung. Könnten Sie vielleicht eine Stunde warten?«

»Was ist das für eine Versammlung?«, fragte Moen.

»Das ist das Personal von Lillebo.«

»Lillebo?«

»Die Abteilung, die Sie geschlossen haben. Sie verstehen sicher, dass wir hier Dinge zu regeln haben.« Mannsåker setzte sich wieder.

Moen betrachtete die Versammlung. Es waren zehn Leute. Ganz vorn saß Reidar Olsby, der kurz nickte und lächelte, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Mannsåker richtete. »Dann möchte ich doch die Gelegenheit nutzen, die Versammelten daran zu erinnern, dass Ihre Kollegin Anne Sørli Freitagnacht im Keller ihrer Arbeitsstelle ermordet wurde, falls Sie es noch nicht getan haben.«

Mannsåker lächelte, oder vielmehr bleckte er die Zähne, ein perfektes Gebiss. An seine Kollegen gerichtet, schüttelte er den Kopf und breitete resigniert die Hände aus.

»Wir sind es, die einen Verlust erlitten haben, nicht Sie. Nichtsdestotrotz haben wir noch vier Jugendliche in der Abteilung. Die sind genauso schockiert wie wir und außerdem mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Sie müssen untergebracht werden und ihre Behandlung bekommen. Ich selbst bin seit gestern Abend kommissarischer Leiter der gesamten Einrichtung, und Lillebo hat eine neue Abteilungsleiterin. Da müssen wir doch wohl nicht um Entschuldigung bitten, wenn wir hier zusammensitzen?«

»Nein, das müssen Sie nicht. Aber der Grund, warum ich hier bin, ist nicht minder ernst. Jemand ist heute Nacht am Tatort eingebrochen und hat die Siegel der Polizei gebrochen. Das Vorgehen weist auf die Angestellten der Abteilung hin.« Moen ließ seine Worte nachklingen, während er die Versammlung betrachtete. »Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass es einen Zusammenhang zwischen der Tat in der vorigen Nacht und diesem Einbruch gibt, aber wir müssen alle Unklarheiten beseitigen. Falls also jemand aus dieser Versammlung sich aus Gründen, die nichts mit dem Mord zu tun haben, heute Nacht Zugang zum Tatort verschafft hat, so würde uns der Betreffende einen großen Gefallen tun, wenn er sich meldet. So wie die Lage jetzt ist, muss ich jeden Einzelnen von Ihnen vernehmen. Möchte jemand von Ihnen bezüglich des Geschehens eine Erklärung abgeben?«

»Sie wissen ja selbst, wo meine Schlüssel sind«, antwortete Mannsåker.

»Man kann sich die Schlüssel von anderen ausleihen«, erwiderte Moen. »Ich fasse die Situation so auf, dass die Versammlung es vorzieht, sich in Vertraulichkeit zu äußern, unter vier Augen mit der Polizei. Ich respektiere das.« Er deutete auf Svein Solvold und stellte ihn der Versammlung vor. »Wir lassen eine Liste herumgehen, auf der Sie Namen, Adresse und Telefonnummer notieren können. Kjell Mannsåker wird hier im Erdgeschoss einen geeigneten Raum für uns finden, und Solvold wird die Erklärung der Anwesenden in alphabetischer Reihenfolge aufnehmen. Auf diese Weise kann die Versammlung ihre gemeinnützige Arbeit fortsetzen. Haben Sie irgendwelche Einwände?«

Die Frage war an Mannsåker gerichtet. Solvold stand über Reidar Olsby gebeugt, der schon damit beschäftigt war, sich auf der Liste einzutragen.

»Spielt es überhaupt irgendeine Rolle, welcher Meinung ich bin?«

»Eigentlich nicht, wenn ich ehrlich bin. Von unserer Seite betrachtet, haben wir keine andere Wahl. Es tut mir leid, wenn ich etwas unwirsch bin. Ich verstehe gut, dass Sie in der Klemme sitzen und einen schwierigen Job haben, aber ich möchte auch gerne unterstreichen, dass nicht wir diese Situation geschaffen haben. Ich nehme an, dass Sie, so wie wir, eine schnellstmögliche Aufklärung der Angelegenheit wünschen.«

Alle Augen waren auf Moen gerichtet, als er dies sagte.

Viele murmelten in sich hinein und nickten. Ebenso Mannsåker. Moen griff zur Türklinke.

»Haben Sie vielen Dank.« Er lächelte Solvold zu, der mit ernstem Gesicht zurücknickte, dann schloss er die Tür hinter sich.

»Ich fürchte, dass Ihr Schüler mehr in diese Sache verwickelt ist, als wir angenommen haben. Ich kann nicht sagen, auf welche Weise, aber Sie wissen bestimmt schon, dass wir ihn festnehmen mussten, trotz seines Alters und seiner Situation. Es tut mir wirklich leid.«

Stein Hovelsrud zuckte mit den Schultern.

»Heute war er in erbärmlicher Verfassung, ganz gewalttätig. Da werden Sie Probleme bekommen. In letzter Zeit war er eigentlich viel ruhiger und besonnener, doch heute war er fast so wie bei der Aufnahme. Er wird in der Zelle rotieren wie eine Wespe im Herbst.«

»Wie hat er die Festnahme aufgenommen?«

»Ach wissen Sie, er fand es total klasse mit den Handschellen, als alle Schulkameraden am Fenster standen und zusahen, aber das wird wohl nicht lange andauern. Was wollten Sie eigentlich von mir?«

»Ich hab mit der Direktorin gesprochen. Sie befreit Sie vom Unterricht. Sie sollen Per Erik bei den kommenden Vernehmungen zur Seite stehen, wenn das für Sie in Ordnung ist. Sein Vater hat zugestimmt.«

Hovelsrud studierte seine Schuhspitzen.

»Ich finde, das ist eine ziemlich schwere Verantwortung. Gibt es denn da keine andere Lösung?«

»Dann müssen wir warten, bis die Mutter nach Hause kommt. Sie wohnt übrigens weit weg von hier.«

Hovelsrud ließ ein kleines Lächeln erkennen.

»Ja, schon gut. Dann machen wir es so. Was soll ich tun?«

»Wohnen Sie sehr weit weg von der Dienststelle des Lensmanns?«

»Ich wohne in Starum. Ungefähr eine Viertelstunde.«

»Bleiben Sie zu Hause und halten Sie sich zur Verfügung. Bekomme ich Ihre Handynummer? Schreiben Sie sie hier auf.« Moen gab ihm seinen Notizblock und einen Kugelschreiber. Hovelsrud schrieb die Nummer auf und Moens Blick folgte dem Lehrer, während dieser auf den Parkplatz zuging.

Im Schatten des Hofbaums wurde ihm kalt. Moen trat in die Sonne hinaus, fühlte die warmen Strahlen und wünschte sich, er hätte am Abend zuvor einen Mann auf dem Sofa im Wachraum postiert. Die Schultermuskeln schmerzten ihn, und er hob und senkte die Schultern ein paarmal. Auf dem Weg zurück zur Abteilung sah Moen zwei Männer in weißen Overalls nahe einem kleinen Waldstück zwischen dem Garten von Lillebo und der Auffahrt nach Store Lundby. Er entdeckte das Auto, als er auf sie zulief. Es war grün. Seine Kollegen deuteten über das Dach des Wagens hinweg. Moen ging herum und schaute nach. Die Scheibe der Hecktür war wie pulverisiert, als wenn man einen Nothammer benutzt hätte.

»Ich weiß, dass es eine dumme Frage ist, aber das ist wohl nicht der Wagen von Anne Sørlis Vater?«

»Das ist der Wagen von Anne Sørlis Vater. Ein Hyundai Accent mit dem Kennzeichen JC 23551.«

Hatz

Подняться наверх