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Moen ließ die Schultern herabsinken. Es saß in der Internatsküche mit einer Tasse dünnem Kaffee zwischen den Händen und fantasierte von Elchsteaks und Aquavit. Sein Gastgeber an diesem ersten Urlaubstag, Asbjørn Gihle, unterbrach die Stille.

»Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet, Knut, aber bist du ganz sicher, dass wir den Täter haben?«

»Seine Äußerungen im Zusammenhang mit der Festnahme waren genauso gut wie ein Geständnis. Ich habe Schrauben und einen Schraubenzieher in seiner Hosentasche gefunden, außerdem zwei große Messer. Eines davon war blutig.«

Moen massierte seine steifen Kiefergelenke.

»Wenn die Presse fragte, könnte ich das so nicht sagen, aber ich glaube an eine rasche Aufklärung. Wie heißt er noch mal, sagst du?«

Gihle sah auf seinen Zettel.

»Tore Hakksveen. Was meintest du damit, seine Äußerungen seien wie ein Geständnis?«

»Er sagte, es war Selbstverteidigung, aber er war so zugedröhnt, dass es nicht möglich war, etwas Vernünftiges aus ihm herauszubekommen. Er sagte, Anne Sørli habe seinem Kumpel den Kopf eingeschlagen.«

Gihle nickte.

»Dann hat also der Junge nicht zugestochen. Ist ja fast eine Erleichterung. So ein bedauerlicher kleiner Vogel.«

Moen dachte ein wenig an den bedauerlichen kleinen Vogel, bevor er antwortete. Dass jemand so sehr in seinem eigenen Kopf leben konnte, war eine neue Erfahrung für ihn.

»Es sieht am ehesten so aus, dass die Nachtwache sie überrascht hat, als sie gerade das Diebesgut hinaustrugen. Wahrscheinlich hat sie den Kleinen getreten oder geschlagen, sodass er hinfiel und sich den Kopf aufschlug, und der andere Typ hat sie dann während der Rangelei erstochen. Wahrscheinlich war der Kleine noch am Leben, als er zurück ins Haus kam. Solche Kopfverletzungen sind unberechenbar. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass Hakksveen ihn erledigt hat.« Moen breitete die Hände aus. »Ich betone, dass das Spekulationen sind. Die Leute aus Gjøvik werden für Hakksveens Haus Zeit brauchen, und meine Leute werden hier die ganze Abteilung durchkämmen. Das ist doppelt so viel Arbeit wie gedacht. Es gibt Spuren an zwei Tatorten, und es wird Tage und Wochen dauern, bis die analysiert sind. Auf der anderen Seite: Unsere beiden Drogenfreunde haben wenig getan, um ihre Spuren zu verwischen.«

»Was glaubst du, was hat der Junge mit der ganzen Geschichte hier zu tun?«

»Der Junge sagte, er wurde in seinem Zimmer eingeschlossen, als Olsby zusammen mit Anne Sørli hier war, doch dass die Tür wieder aufgeschlossen wurde, als Olsby ging. Es war irgendwas mit den Brandschutzvorschriften. Das Problem ist, irgendwer hat die Tür wieder abgeschlossen.«

»Aber wie ist er dann die Treppe hinuntergekommen, wo Reidar Olsby ihn fand?«

Moen zuckte mit den Schultern.

»Das Fenster im Zimmer war offen. Das Erdgeschoss auf der Eingangsseite ist erhöht. Der Eingang zum Keller liegt auf der anderen Seite.«

Gihles Gesicht legte sich in Sorgenfalten:

»Was machen wir mit dem Jungen? Der arme Lehrer sitzt immer noch mit ihm da drinnen.« Gihle schwieg einen Moment, doch fuhr dann fort: »Müssen wir ihn in Untersuchungshaft nehmen? Der Abteilungsleiter ist vorhin da gewesen, als du weg warst. Er hat mit Olsby gesprochen und ist davon ausgegangen, dass die Polizei für Per Erik Henriksen zuständig ist.«

»Was für ein Typ ist dieser Abteilungsleiter?«

»Er heißt Mannsåker. Kjell Mannsåker. Er war nicht sonderlich kooperationsbereit. Tauchte zur gleichen Zeit auf wie deine Leute aus Oslo. Ihm ging es hauptsächlich darum, in sein Büro zu kommen, und da hat er sich dann mit der Einsatzgruppe gestritten. Mannsåker hat als Einziger Schlüssel für das ganze Haus, und der Einsatzleiter hat sie sofort beschlagnahmt. Ich dachte schon, sie müssten Gewalt anwenden, als er sein Büro nicht betreten durfte. Einer von deinen Leuten musste ihn beinahe bis zum Verwaltungsgebäude eskortieren, und das Gespräch über Per Erik verlief dabei im Sand.«

Gihle wurde von seinem Handy unterbrochen. Kommentarlos hörte er zu und antwortete kurz: »In Ordnung.« Er legte das Handy auf den Tisch und blickte aus dem Fenster. »Das war Harald, mein Bruder. Die Heimleitung ist oben im Hauptgebäude versammelt. Sie wollen wissen, wie sie sich jetzt in dieser Situation verhalten sollen. Ich glaube, ich muss wohl selbst mit den Angehörigen von Anne Sørli sprechen – oder möchtest du tauschen?«

Die Sonne stand tief im Westen. Ihre kraftlosen Strahlen erhellten gerade noch die schmutzig gelben Holzwände des Dienstgebäudes, das die Verwaltung der Einrichtung beherbergte. Moen warf einen Blick hinauf in die erste Etage. Zwei Fenster waren erhellt. Hinter einem standen Per Erik Henriksen und sein Lehrer. Moen stieg die Treppe hinauf und kam in einen Flur. Geradeaus gab es eine Doppelschwingtür, rechts und links waren Bürotüren. Auf der einen stand Verwaltung, auf der anderen Konferenzraum. Moen nahm die Tür zur Verwaltung, doch war sie verschlossen. Er probierte die andere, sie öffnete sich.

Moen ging hinein und baute sich auf, breitbeinig und mit verschränkten Armen. Am anderen Ende des Raums, über die Seiten eines langen Konferenztisches verteilt, saßen vier Personen. Ein Mann und eine Frau in den Dreißigern links, auf der rechten Seite Reidar Olsby. Moen nickte ihm zu, konzentrierte seine Aufmerksamkeit jedoch auf den Mann, der vor Kopf saß, ein rotgesichtiger Mann in einer Tweedjacke. Seine Augen lagen hinter Falten versteckt, und er betrachtete Moen, als sei er ein Haar in der Suppe.

»Was können wir für Sie tun?«

»Ich habe es eher so verstanden, dass ich etwas für Sie tun kann.«

»Wer sind Sie?«

Moen fühlte Unmut in sich aufsteigen. Sein Blutzucker war niedrig und der Kaffee schwappte durch sein System.

»Ich könnte Sie eigentlich dasselbe fragen.«

Olsby warf ein: »Das ist der Mann von der Kripo.«

Für einen Augenblick wurde es still, und die drei anderen starrten Moen an. Der Mann am Tischende verwandelte seinen Gesichtsausdruck in etwas, was einem jovialen Lächeln ähnelte.

»Tut mir leid. Ich heiße Arve Nerseth und arbeite für den Gesundheitsbezirk Ost. Wir diskutieren die Maßnahmen vor dem Hintergrund der entstandenen Situation. Wir hätten ein paar Fragen an ...?«

»Knut Moen, Einsatzleiter der Kriminalpolizei. Wer sind die anderen?«

»Olsby kennen Sie ja.« Er deutete auf die Frau. »Das ist Marita Mæhlum, Psychologin und fachverantwortlich für die Behandlung, und Kjell Mannsåker, Leiter der Abteilung, in der der Mord geschah.«

Moen registrierte knapp zwei steife weiße Gesichter, die ihn anstarrten, und Nerseth fuhr fort: »Wir sind hier in einer schwierigen Situation. Sie wissen vielleicht nicht, dass die Leiterin der Einrichtung einen Zusammenbruch hatte. In einer Stunde kommen die Jugendlichen von einem Ausflug zurück, in eine Abteilung, die von der Polizei besetzt ist. Zu meiner Verwunderung muss ich auch feststellen, dass der Schüler, der den Mord gestanden hat, ohne Aufsicht der Polizei in der ersten Etage sitzt.«

»Das waren jetzt mindestens drei Probleme, die in Ihrer Verantwortung liegen, nicht in meiner«, sagte Moen.

»Die Polizei hat die halbe Einrichtung geschlossen. Wir können ja wohl eine Antwort erwarten, wie wir damit umgehen sollen und wie lange diese Situation andauern wird.« Es war die Psychologin, die sich äußerte.

Moen erwiderte ruhig:

»Die Abteilung bleibt so lange geschlossen, wie die Untersuchungen der Polizei es erfordern. Die Abteilung wird versiegelt und bewacht. Es wird ein paar Tage dauern, vielleicht eine Woche.« Er versuchte, etwas versöhnlicher aufzutreten, und fügte hinzu: »Wir sind uns der Unannehmlichkeiten bewusst, doch Gesetz und Ermittlung lassen uns keine andere Wahl.« Der Abteilungsleiter hob den Arm als wäre er in einer Schulklasse. Er hatte zurückgekämmtes, lockiges Haar und lächelte sardonisch mit ebenmäßigen, weißen Zähnen. Arve Nerseth nickte.

»Ja, Kjell.«

»Ist es wirklich wahr, dass ich nicht in mein eigenes Büro gehen kann, um Dinge zu holen, die ich in den nächsten Tagen hier für meine Arbeit brauche? Nicht einmal in Begleitung?«

»Ja. So ist es.«

»Das Büro war abgeschlossen, als ich es zuletzt verlassen habe, und niemand sonst hat Schlüssel. Das hat mit dem Fall doch nichts zu tun.«

»Das wissen weder Sie noch ich, und hier gilt es Regeln zu folgen, nicht dem, was Sie oder ich denken.«

»Das kann ich schlichtweg nicht akzeptieren.« Der Abteilungsleiter appellierte an Arve Nerseth.

Moen hatte sich während dieser Unterhaltung hingesetzt, stand aber wieder auf. »Wir haben wohl alle ein paar Dinge, um die wir uns kümmern müssen. Auf Sie wartet eine Busladung mit Jugendlichen, und ich muss eine umfassende Untersuchung leiten.«

Moen sah Reidar Olsby an. Er starrte verdrießlich auf seine Hände.

Arve Nerseth stand auf, streckte die Arme aus, ließ sie aber wieder herabsinken:

»Bitte setzen Sie sich einen Moment. Ich muss mich für uns alle entschuldigen, wir sind erschüttert und etwas ratlos. Eins müssen Sie uns beantworten. Was sollen wir mit Per Erik Henriksen machen? Reidar sagt, er habe den Mord gestanden. Stimmt das?«

»Was Reidar Olsby sagt oder meint, möchte ich nicht kommentieren. Die Polizei hat eine verdächtige Person, die sich nun in Untersuchungshaft befindet. Mehr kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen.«

Am Tisch wurde es still. Die Überraschung stand ihnen in die Gesichter geschrieben, nicht zuletzt Reidar Olsby.

»Persönlich bin ich ziemlich überzeugt davon, dass Per Erik Henriksen ein verstörter junger Mann ist, und überlasse ihn Ihrer fachkundigen Obhut.«

Draußen auf dem Wirtschaftshof war es feucht und kalt. Unten am Hügel strahlte der Tatort wie ein Weihnachtsbaum in der Oktobernacht. Moen steckte Reidar Olsbys Schlüssel in die Tasche und bereute für einen Moment seine Arroganz. Er musste aufpassen, dass sich die Verbitterung über den abgebrochenen Urlaub nicht auf die Untersuchung auswirkte, aber er war und blieb allergisch gegenüber dem Abschieben von Verantwortung. Ein Volkswagen-Transporter brauste mit eingeschaltetem Fernlicht auf den Hof, und durch die Autofenster starrten ihn weiße Gesichter an. Gleich dahinter folgte ein älterer Ford Transit. Er eilte weiter in Richtung Abteilung, öffnete mit Olsbys Schlüssel und verschloss die Tür hinter sich.

In der Küche saß Asbjørn Gihle, tief versunken über einem Teller Tomatensuppe mit Makkaroni. Er sah auf, als Moen hereinkam. Er deutete auf den Teller. »Kriegsbeute. Bedien dich. Du musst ja völlig ausgehungert sein.«

Moen plumpste auf einen Stuhl und Gihle stand auf, um die Suppe zu servieren. Er stellte sie vor Moen hin.

»Du siehst nicht gut aus«, sagte Gihle. »Iss eine Kleinigkeit.« Moen blickte ihn an:

»Du siehst auch nicht besonders glücklich aus. Hast du mit den Eltern gesprochen?«

»Ja, hab ich.«

»Was für Leute sind Anne Sørlis Eltern?«

»Bauern. Sie haben einen mittelgroßen Hof in Vestre Toten.«

»Wohnte sie zu Hause?«

»Ja, sie bewohnt das Altenteil.«

Moen probierte einen Löffel voll Suppe. Sie schmeckte, und er nahm noch einen.

Als er wieder aufblickte, hatte Gihle das Gesicht in den Händen verborgen.

»Wirklich, gar nicht mal so schlecht.«

»Sie war ihr einziges Kind.«

»Wir müssen wohl bald an die Presse.«

Was Moen den Journalisten zu erzählen hatte, war nicht viel. Es war der erste Tag der Untersuchung, und wenn es nach Moen gegangen wäre, hätte er kein einziges Wort gesagt. Sein Publikum kannte das und war daran gewöhnt. Eine weibliche Nachtwache in einer psychiatrischen Einrichtung für Jugendliche war am Morgen ermordet aufgefunden worden, im Zusammenhang mit einem Einbruch.

Ein einunddreißigjähriger Mann, vorbestraft wegen Körperverletzung, Beschaffungskriminalität und Drogenbesitz, war in seinem Haus ungefähr fünfhundert Meter vom Tatort entfernt festgenommen worden. Dort hatte man einen weiteren Toten gefunden, doch die Umstände dieses Todesfalls waren noch ungeklärt.

Natürlich gab es Nachfragen vom Presselager. Die weniger Erfahrenen stellten ihm Fragen, die er selbstverständlich nicht beantworten wollte. Wie sie umgebracht worden war und so weiter. Die Geschickteren wollten, dass er eventuelle »Quellen« preisgab. Wer hatte die Verstorbene gefunden? Wie viele waren im Haus? Moen gelang es auszuweichen, indem er darauf hinwies, dass die Abteilung wegen eines Ausflugs »praktisch« leer gewesen war und dass er beim gegenwärtigen Stand der Ermittlungen nichts hinzuzufügen habe. Die Nachfragen erstarben alsbald, denn die Journalisten wussten, dass es nun an ihnen selbst lag, Leute auszugraben, die reden wollten, wie zum Beispiel das Personal der Einrichtung oder – was Gott verhindern mochte – Moens eigene Kollegen. Als Moen ging, kreisten bereits die Journalisten von den großen Zeitungen um ihre Kollegen von den Lokalblättern, die hier einen Vorsprung hatten: Sie kannten die örtlichen Verhältnisse. Ein paar von ihnen hatten noch weitere Vorteile. Sie waren jung, sie waren Frauen, und sie waren blond.

Draußen wartete Asbjørn Gihle mit dem Wagen. Er hatte die Einquartierung der Mannschaft beordert. Es war dunkel wie in einem Sack und so kalt, dass Moen die Hände in die Taschen seiner Feldjacke stecken musste. Dort fand er etwas zu rauchen und zündete sich eine Zigarette an. Eine Weile zog er gierig daran, bis Gihle sagte:

»Du kannst im Auto rauchen.«

Es war dreiundzwanzig Uhr, als Gihle Knut Moen und seine Truppe in der kleinen Pension an der Landstraße außerhalb von Lena, Østre Toten verließ. Es war die einzig freie Unterbringungsmöglichkeit, abgesehen von den üblichen Rica/Clarion/Quality/Choice-Kästen in Gjøvik, und lag am nächsten. Moen hatte geglaubt, ein Zimmer in der ersten Etage zu bekommen, doch da wohnten die Wirtsleute, und er war etwas verdutzt, als er sah, dass die Zimmer unter dem Dach für eine einfache Unterbringung konzipiert waren. Schließlich wählte er ein Zimmer mit Doppelbett und eigenem Bad.

Seine Laune wurde etwas besser, als er herunterkam. Die Wirtsleute hatten versprochen, die Reste von einer Geburtstagsfeier zum Siebzigsten aufzutischen. Es gab nicht weniger als Elchsteak mit allem, was dazugehört. Die Einsatzgruppe aus Oslo setzte sich an den Tisch und blickte verstohlen zu Moen hinüber, als die Wirtin – vorsichtig – fragte, ob sie zusätzlich noch etwas haben wollten. Auf dem Tisch stand Wasser.

»Ein Bier vielleicht?«, fragte Moen die anderen. Alle nickten und lächelten einer wie der andere.

Dann sagte die Wirtin, ohne eine Miene zu verziehen: »Soll es außerdem noch was sein? Sie sehen aus, als ob Sie etwas Scharfes brauchen könnten.«

Die komplette Gruppe lächelte lautlos in sich hinein. Ja, das stimmte wohl. Sie brauchten einen Schnaps, und der kam auf den Tisch. Einige Minuten genossen sie ihr Glück in aller Stille, bevor die unumgängliche Nachbesprechung kam. Sie fiel kurz aus.

»Habt ihr etwas in seinem Zimmer gefunden?«

»Ein Kollege aus Gjøvik hat das gemacht. Wir haben die Sachen, die er gefunden hat, nur zur Dienststelle des Lensmanns gebracht.«

»Ihr habt nicht nachgehört, was es war?«

»Es ging alles etwas schnell.«

»Alles ist verschlossen und versiegelt?«

»Alles verschlossen und plombiert.«

»Auch bei Hakksveen?«

»Ich glaube, alles, was für die Untersuchung von Bedeutung ist, wurde weggebracht.«

»Und das ist auch alles verschlossen und plombiert?«

»Ay, ay, Boss.«

Die Wirtin trug den Tisch ab.

»Es ist spät, meine Herren, aber ich darf Sie fragen: Soll es noch etwas sein, bevor wir schließen?«

Hatz

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