Читать книгу Hatz - Jørgen Gunnerud - Страница 7
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ОглавлениеMoen lief hinter Odd Sørli und der Polizeibeamtin Jenny Kammerstuen her. Er blieb stehen, die Sonne im Rücken, saugte die Wärme in sich ein und ließ den Blick auf der Kirche von Kolbu ruhen, die auf dem nächsten Hügel thronte. Im Augenwinkel sah er, dass Sørli sich hinunterbeugte und auf etwas zeigte. Jenny beugte sich ebenfalls hinunter. Moen steckte die Hände in die Taschen der Feldjacke und schlenderte zum Steinzaun hinüber, der den Garten des Internats vom Besitz dahinter trennte. Die Polizeibeamtin wies auf eine Vertiefung im Boden unterhalb des Zauns. Es war der Abdruck eines Cowboystiefels. Jenny hatte gleich in der Nähe das Untergestell eines Fernsehgeräts gefunden. Moen kletterte über den Zaun und blickte auf den Acker hinaus, atmete die raue Oktoberluft ein und machte ein paar Grimassen, um die Gesichtsmuskeln zu entspannen.
Die Strohrollen warfen lange Schatten in der Morgensonne. Der Boden war nach einem warmen, regenarmen September hart und trocken, und Moen konnte in keiner Richtung Spuren entdecken.
Sørli räusperte sich: »Die Hauptstraße geht da vorne entlang, am Pächterschuppen. Vielleicht haben sie sich in diese Richtung bewegt.«
Moen nahm sich Zeit, den ganzen Horizont abzusuchen, bevor er schließlich nickte.
»Ist das Haus bewohnt?«
»Aus dem Kamin kommt Rauch«, hörte er Jenny sagen.
Moen wandte sich um und belohnte Jenny mit einem keineswegs sparsamen Lächeln.
»Das muss zu Store Lundby gehören. Vielleicht haben die Bewohner ja etwas gehört oder gesehen?«
Sørli blickte fragend zu Moen, der nur einfach losging. Sie liefen eine Weile weiter, mit ein paar Metern Abstand zwischen sich, den Blick auf den Boden geheftet, bis Sørli stehen blieb. Sie waren ungefähr hundert Meter vom Haus entfernt. Die rote Bemalung an den Wänden war fast verblichen, das Blechdach rostig. Der einzige Schmuck bestand aus einer alten Hagebuttenhecke. Sørli schnupperte prüfend in die Luft.
»Merken Sie das? Es riecht nach verbrannter Wolle.«
Moen ging weiter auf das Haus zu und stoppte an der Treppe. Er wandte sich zu Sørli um. »Sie wissen also nicht, wer hier wohnt? Es sieht nicht nach einem Personalgebäude aus.«
»Hab nicht die leiseste Ahnung.« Sørli antwortete zögernd.
»Manchmal vermietet die Kommune ja schlecht verkäufliche Häuser an irgendwelches Gesindel, aber ich weiß nicht.«
Jenny unterbrach ihn. »Vielleicht wohnen ja die Praktikanten hier oder so etwas.«
Moen überließ Sørli den Vortritt. Von seinem Standort aus hatte er einen Ausblick auf den Garten der Einrichtung. Der Polizeibeamte klopfte ein paarmal an die Tür und die Fensterscheibe nebenan, dann drückte er vorsichtig die Türklinke herunter, und die Tür öffnete sich nach innen. Sørli rief ein paarmal Hallo, ohne eine Antwort zu bekommen, dann kam er wieder heraus. Er schüttelte den Kopf. »Verdammter Dreck, da drinnen riecht’s wie im Schweinestall.«
Moen setzte sich auf die Steintreppe und zündete sich eine Zigarette an. Sørli fragte, was sie jetzt tun sollten. Moen wollte gerade sagen: Nichts, doch bat stattdessen um Bedenkzeit. Eine Zeit lang hatte er sich solch einen Ort gewünscht, und er verschwand in einem kleinen Tagtraum, während Sørli vor dem kleinen roten Häuschen hin und her stolzierte und Tatendrang verkörperte. Dieser führte Sørli schließlich zu einer angelehnten Kellertür. Sørli konnte gerade noch mitteilen, dass ein geschlachtetes Reh da drinnen hing, als ein Toyota Pick-up von der Hauptstraße einbog und so scharf bremste, dass sich das Heck des Wagens anhob und die Vorderräder eine tiefe Spur in den Kies gruben. Moen sprang auf und sah flüchtig, wie Sørli sich umdrehte und sich zwei Schritte nach vorn bewegte.
Aus dem Auto stieg ein Mann mit roten Haaren und Pferdeschwanz. Sein Bart war bis zu den Augen hinaufgewachsen. Er blieb einen Moment stehen, wie um das Gleichgewicht zu finden, und als er hinter dem Auto hervorkam, sah Moen sofort, dass er unter Drogen stand. Moen nahm Blickkontakt zu Sørli auf. Der Polizeibeamte nahm sein Funkgerät und rief Gihle. Er gab durch, dass sich eine Situation ergeben habe, und bat um Unterstützung. Jetzt stolperte der Mann in seinen abgetragenen Cowboystiefeln auf sie zu. Er trug einen orangefarbenen Overall, der mit Firmenabzeichen eines amerikanischen Motorradherstellers dekoriert war.
Dann zeigte sich, dass der Mann auch sprechen konnte. Es klang wie ein Erdrutsch in einer Kiesgrube. Ein merkwürdig grobes Gebrumm, das Moen nicht einordnen konnte. Sørli ging einen Schritt auf die Erscheinung zu und bat ihn, stehen zu bleiben. Moen war überrascht, dass der Mann gehorchte, doch sein derbes Gedröhne verwandelte sich in Gewaltandrohungen für den Fall, dass sie nicht schnurstracks von seinem Eigentum verschwinden würden. Moen warf einen Blick auf das schwere Messerfutteral, das mit einem Lederriemen am Schenkel befestigt war. Es war leer. Moen zeigte seinen Dienstausweis und blickte dem Mann direkt in die Augen. Diese Augen waren schmale, runzelige Öffnungen, und Moen sah einen Funken Überraschung darin. Der Mann hatte geglaubt, sie seien Jäger. Nur Jenny war in Uniform, doch die hatte er noch nicht zur Kenntnis genommen. Er versuchte, in einem Bogen um Moen herumzugehen, der zwischen ihm und der Kellertür stand.
Moen wich zurück und sagte: »Bleiben Sie stehen. Wir haben ein paar Fragen an Sie.«
Der Mann murmelte, dass sie das auch drinnen besprechen könnten, und setzte seine Kreisbewegung in Richtung Kellertür fort. Moen schnitt ihm den Weg ab: »Haben Sie eine Waffe da drinnen?«
In der nächsten Sekunde wusste Moen, dass der Angriff kommen würde. Der Mann beugte sich vor, hob das rechte Bein an und schlug mit der linken Hand zu. Reflexartig sprang Moen zur Seite, und aus dem Augenwinkel sah er, wie Odd Sørli sich nach vorne warf. Der Angreifer hatte kaum den rechten Fuß wieder auf den Boden gesetzt, als der Polizeibeamte ihm von hinten in die Kniekehle trat, sodass er auf den Boden fiel. Als er sich aufzurichten versuchte, packte Sørli ihn mit dem Polizeigriff und hielt ihn am Hals umklammert fest. Plötzlich erschienen zwei uniformierte Polizisten auf dem Acker. Als Sørli sah, dass Handschellen zum Einsatz kommen sollten, verlor er für einen Augenblick die Konzentration. Sein Griff löste sich und der Festgenommene stand in einem Kreis von Polizeibeamten. Er stolperte herum, und in seiner scheinbar nicht zu bremsenden Aggression drehte er sich zu Jenny hin, die Hüften vorgeschoben, und machte mit der Hand eine lang gezogene, obszöne Geste.
»Bist du ’ne Lesbe, oder fickst du mit Ausländern?«
Im nächsten Moment überwältigten ihn die beiden Beamten aus Gjøvik und fesselten seine Arme auf dem Rücken.
Moen stand im Keller des kleinen Häuschens. Das geschlachtete Reh hing von der Decke herab. Die Eingeweide lagen in einem alten Zinkkübel vor der Tür, doch der Tierkörper war noch nicht gehäutet. Auf dem Rand eines Steinbeckens stand eine leere Colaflasche. Moen schnüffelte vorsichtig daran. Der Alkoholgeruch war stechend. Die Flasche war offenbar für Schwarzgebrannten wiederverwendet worden. Im Becken lag ein großes samisches Messer, das ungesäubert war, obwohl Reinigungsmittel auf dem Rand des Waschbeckens standen. Moen hielt nach einer Messerscheide Ausschau, doch die oberflächliche Suche führte zu keinem Ergebnis. In der Ecke fand er einen schmutzigen Lappen mit etwas darauf, das nach Blut aussah. Er schüttelte sich beim Anblick der Pumpgun hinter der Tür, dann trat er wieder ins Licht hinaus. Der Angreifer lag immer noch mit der Nase am Boden und spuckte Gift und Galle. Jenny fragte, ob sie ihn nicht knebeln könnten. Moen tätschelte ihren Unterarm, ging die Stufen hinauf und betrat das Haus.
Es gab zwei offene Türen in dem kleinen Vorbau. Geradeaus, in einer kleinen Kammer, stand ein ungemachtes Bett. Links war die Küche. Moen verschaffte sich einen raschen Überblick. In dem kleinen Raum roch es verbrannt, der Geruch kam von einem kleinen Ofen an der Tür. Ohne Umschweife füllte er ein schmutziges Küchenglas mit Wasser aus dem Hahn und öffnete die Ofentür. Er schaute hinein, bevor er das Wasser in den Ofen schüttete. Undeutlich hatte er erkannt, dass es dem Ärmel eines Pullovers zu gleichen schien, was da im Ofen verkohlt war. Als er das Glas zurück auf die Arbeitsplatte stellte, entdeckte er ein schweres amerikanisches Bowiemesser. Es lag blitzrein und glänzend auf einem Holzbrett, das schon lange kein Wasser und keine Seife mehr gesehen hatte.
Die Tür zum letzten Zimmer war angelehnt, und Moen schob sie mit dem Zeigefinger auf. Im Wohnzimmer war für eine Party gedeckt worden. Das dominierende Möbelstück war ein Esstisch, übersät mit leeren Bierdosen und Colaflaschen. Er schnupperte an einer Colaflasche. Sein Blick fiel auf eine Tablettenschachtel. Er schob ein paar Dinge zur Seite und las auf der Schachtel: Rohypnol. Er legte sie auf den Tisch, und als er den Kopf hob, sah er in der Ecke ein Bündel liegen. Er lief hinaus und winkte Sørli herbei.
Auf dem Sofa lag ein junger Typ. Er trug kurze enge Hosen und eine schwarze Bomberjacke, die mindestens vier Nummern zu groß für ihn war. Er hatte eine große blaue Schwellung an der Schläfe. Sørli blickte Moen erschrocken an. Eine Hand hielt das Funkgerät, mit der anderen fuhr er sich über die Kehle. Das internationale Zeichen für plötzlichen Tod. Es knackte im Funkgerät, Sørli drückte auf den Knopf und sagte lakonisch: »Wir haben hier wieder etwas.«
»Wieder« war das richtige Wort, dachte Moen, während er sich davon überzeugte, dass der Mann tot war. Es war nicht nur der Schlag an der Schläfe. Er hatte auch eine Verletzung am Hinterkopf. Das Sofakissen war voller Blut.
»Rettungswagen und Arzt sind unterwegs«, sagte Sørli, »aber das ist wohl nur eine Formalität. Hoffentlich ist es nicht derselbe Arzt, der bei Anne war.« Sørli trat einen Schritt näher. »Ich glaub, ich weiß, wer der Typ ist. Er wohnt in einer Einrichtung außerhalb von Kolbu. Der ist so dumm, dass er nicht strafmündig ist. Wurde unzählige Male bei Einbrüchen in Kindergärten und anderen Einrichtungen erwischt. Er klaut die Kaffeekasse der Betreuer.« Sørli schüttelte resigniert den Kopf und ging zur Tür. Moen, der in seinen existenziellen Betrachtungen unterbrochen worden war, blieb zurück und knirschte mit den Zähnen, und wie immer, wenn er nicht wirklich wusste, was er machen sollte, zündete er sich eine Zigarette an, dann setzte er sich auf die Treppe.
Auf dem Boden vor ihm drehte Sørli den Festgenommenen auf den Rücken. Moen blickte zu seinen Kollegen. Wenn sie an Ort und Stelle eine Abstimmung über ein Todesurteil gefällt hätten, wäre sie einstimmig ausgefallen. Vielleicht begriff der Mann auf dem Boden das, denn er schwieg, als Sørli sich quer auf seine Brust setzte.
»Da liegt ein toter Mann im Haus. Du wirst mindestens eines Mordes verdächtigt.«
»Er lebte, als ich heute Morgen weggefahren bin.«
»Jetzt ist er tot.«
»Ich war es nicht.«
»Wer sollte so jemandem wie dir schon glauben?«
Moen verfolgte den Auftritt wie einen Film.
»Wenn du es nicht warst, wer war es dann?«
»Die Lesbe hat ihn umgebracht.«
»Von welcher Lesbe schwätzt du jetzt?«
»Du kennst sie gut.«
»Redest du von meiner Cousine?« Sørli packte den Mann am Kragen seines Overalls. Der öffnete den Mund und lachte.
Sørlis Kollegen schielten unsicher zu Moen, doch er rauchte einfach weiter.
Der Festgenommene kniff fröhlich die Augen zusammen. »Sie hat ihm den Kopf eingeschlagen. Jetzt ist er tot.« Er lachte wieder, und Sørli gab ihm einen kurzen Kinnhaken mitten ins Gesicht. Der Mann öffnete die Augen. Es kam nicht ein Laut über seine Lippen, obwohl das Blut herabströmte wie ein Bach. Er raunte Sørli etwas zu, was Moen nicht verstand. Sørli hob die Faust, um noch einmal zuzuschlagen. Moen erhob sich von der Treppe und kommandierte: »Es reicht.«