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ОглавлениеSie kontaktierten die Schule. Asbjørn Gihle und Reidar Olsby gingen in den Keller hinunter, um zu überprüfen, ob etwas gestohlen worden war. Die Polizeidirektion von Vestoppland war mit einer Einsatztruppe unterwegs. Ebenso die Kripo-Zentrale. Reidar Olsbys Abteilungsleiter hatte sein Handy abgestellt, was ganz natürlich war, da er mit aller Wahrscheinlichkeit in einer Besprechung saß. Moen ging hinaus in den Gang und betrat den Wachraum. Odd Sørli, groß und finster, stand gleich an der Tür. Der Junge saß zusammengesunken auf einem Sofa, die verbundene Hand im Schoß. Er schaute nicht einmal auf, als Moen in der Türöffnung erschien. Der Arzt war dabei, seine Sachen zusammenzupacken. Moen winkte ihn mit dem Finger heraus. Sie begrüßten sich per Handschlag und Moen zog ihn außer Hörweite.
»Haben Sie Erfahrung mit Stichwunden?«
Der Arzt antwortete kurz angebunden: »Durch die Ambulanz in Oslo.«
»Irgendeinen Kommentar?«
»Ein Stich. Direkt in den Bauchbereich. Die Wunde war tief und breit. Muss ein großes Messer gewesen sein. Ein samisches oder irgend so ein verdammtes Ding.« Sein Gesicht war abgewandt, und er schaute Moen nicht an. »Gibt’s noch was? Ich muss weiter.«
Moen schüttelte den Kopf und ging hinein zu dem Festgenommenen, denn als solchen betrachtete er ihn. Ein Sonnenstrahl drang durch einen Schlitz in den Gardinen. Der Raum roch nach einer Mischung aus kaltem Rauch, Körperausdünstungen und billigem Waschmittel. Der Eindruck wurde durch die keineswegs neu erscheinenden Möbel verstärkt. Man hatte sie sicher auch nicht für sonderlich vornehm gehalten, als sie gekauft wurden. Das einzig Moderne war ein Notebook, das Moen ziemlich elegant vorkam. Dann fiel sein Blick auf eine Damenhandtasche, und ihm wurde klar, dass sich die Nachtwache hier aufgehalten hatte. Er scheuchte alle hinaus in die Küche.
»Per Erik Henriksen, nicht wahr?«
Es kam keine Antwort. Der Junge schaute auf und sah Moen unter zusammengewachsenen Augenbrauen einige Sekunden lang an. Er nickte knapp und senkte den Blick. Moen erklärte, dass sie auf seinen Lehrer warteten, und fragte, ob er ihn als stellvertretenden Vormund akzeptiere.
»Du bist nicht mündig. Wir versuchen, deinen Vater zu erreichen, damit er eine Vollmacht geben kann.«
Der Junge antwortete nicht.
»Bist du einverstanden, eine Erklärung darüber abzugeben, was du hier letzte Nacht erlebt hast?«
Der Junge wiegte sich mit dem Oberkörper hin und her und presste schließlich ein Ja hervor.
»Akzeptierst du diesen Lehrer als stellvertretenden Vormund?«, wiederholte Moen. Der Junge rieb sich mit der bandagierten Hand die Wange.
»Ja, in Ordnung.«
Das ist ja schon mal was, dachte Moen. Er bat den Polizeibeamten Sørli, sich nach dem Verbleib des Lehrers zu erkundigen, und fragte ganz unschuldig, warum der Junge nicht mit allen anderen Jugendlichen zusammen in Schweden sei. Der Junge sagte, dass sie ihn aus der Einrichtung werfen wollten und dass er deshalb nicht hatte mitfahren dürfen. Moen fragte, welchen Grund dies habe, wenngleich ihm klar war, dass er sich hier, rechtlich gesehen, auf dünnem Eis bewegte. Der Junge gab zur Antwort, er habe sich mit einer Praktikumskraft geschlagen. Er führte nicht weiter aus, welches Geschlecht die Kraft hatte, und Moen fragte nicht weiter nach.
Sørli steckte den Kopf zur Tür hinein, er glaubte, der Lehrer sei gekommen.
»Holen Sie ihn her.«
Moen sah Per Erik Henriksen unverwunden an.
»Steht das, was du mir erzählt hast, in irgendeinem Zusammenhang mit den Geschehnissen von heute Nacht?«
»Vielleicht«, gab der Junge zurück.
Sørli musste den Mann mit dem kurz geschnittenen grauen Haar und der Brille beinahe in den Raum hineinschieben. Er sah sich mit seinen betrübten grauen Augen etwas unsicher um. Seine Lippen waren angespannt und die Mundwinkel hingen herab.
»Bitte setzen Sie sich«, sagte Moen. Er deutete mit einer schnellen Geste auf einen Hocker.
Moen fragte, ob der Lehrer über die Situation informiert worden war. Ja, Lensmann Gihle habe ihm eine kurze Übersicht verschafft, und er stehe zur Verfügung, sofern Per Erik dies wünsche. Sein Name sei Stein Hovelsrud.
Moen setzte sich neben den Jungen aufs Bett, der daraufhin etwas zur Seite rutschte.
»Kannst du mir erzählen, was hier heute Nacht passiert ist?«
»Wie jetzt? Wollen Sie mir keine Fragen stellen? Ich kann mich nicht so gut erinnern.«
Moen bat ihn, mit eigenen Worten zu erzählen, woran er sich erinnerte, doch der Junge wollte wissen, wo er anfangen solle. Moen schlug die Ruhezeit vor, und der Junge überlegte eine Weile. Der Sozialtherapeut Reidar Olsby hatte ihn um elf Uhr ins Bett geschickt und die Tür abgeschlossen. Eine Weile später hatte er Anne Sørlis Stimme gehört. Es war oft so, dass das Abendpersonal der Nachtwache einen Bericht erstattete. Irgendjemand – er nahm an, dass es Reidar war – hatte die Tür später wieder aufgeschlossen, da es nicht erlaubt war, die Jugendlichen ohne Grund einzuschließen. Aber niemand hatte die Tür geöffnet, um nach ihm zu sehen. Als er glaubte, dass Reidar gegangen war und Anne schlief, denn das tat sie immer, ging er hinaus in die Abteilung. Er nahm einen Schraubenzieher mit, den er versteckt hatte, und ging durch die Eingangstür nach draußen. Dann war der Junge um das Haus herum bis zum Kellerraum gelaufen. Dort hatte er das große Fenster herausgeschraubt und den neuen Flachbildschirm und einen nicht mehr ganz so neuen DVD-Spieler herausgetragen. Die hatte er dann draußen unter ein paar Büschen versteckt. Als er zurückkam, stand Anne Sørli in der Fensteröffnung, zerrte an ihm herum und zog ihn in den Kelleraum hinein. »Da hab ich sie mit dem Messer erstochen.«
Es wurde still im Raum. Knut Moen sah zu Odd Sørli und Stein Hovelsrud herüber, die ihrerseits Per Erik anstarrten.
Moen fragte, welches Motiv er für die Plünderung der Einrichtung hatte. War es wegen des Geldes? Er bekam zu hören, dass es aus Rache geschehen sei, da sie ihn aus der Einrichtung werfen wollten. Moen nickte mitfühlend angesichts der verbrecherischen Logik der Aussage.
»Können wir noch mal zu dem Punkt zurückgehen, wo die Nachtwache im Fenster steht und du auf sie zugehst? Habt ihr miteinander gesprochen?«
»Sie sagte, dass sie endlich Gelegenheit hätte, mir die Hammelbeine langzuziehen, nach dem, was mit Cathrine passiert war.«
»Wer ist Cathrine?«
»Die Praktikantin, von der ich erzählt habe. Anne sagte, wenn sie mir jetzt kein Benehmen beibringen könnte, würden sie mich rauswerfen.« Er blickte die Männer im Raum hilfesuchend an, bekam aber keine Unterstützung. Er blickte wieder zu Boden, und Moen fragte, ob noch mehr Worte gefallen waren.
»Ich fragte sie, ob sie in Cathrine verliebt sei, wo sie sich doch so schrecklich um sie kümmerte. Da ist Anne völlig ausgeflippt und hat mich angegriffen.«
Moen sah den Jungen ganz ruhig an. »Was hast du dann gemacht?«
Der Junge sprang vom Bett auf. Die Augen leuchteten, als er die Hände über den Kopf hob und aus vollem Halse schrie:
»Come on, bitch!«
Odd Sørli trat einen Schritt vor und hob die Arme, doch Moen winkte ihn zurück. Der Junge blieb auf einem Bein stehen wie ein hilfloses Vögelchen, mit einem idiotischen, steifen Grinsen im Gesicht.
Nun äußerte sich Stein Hovelsrud zum ersten Mal.
»Hör mit diesem Unsinn auf, Per Erik. Das hier ist eine ernste Sache.«
Der Junge setzte sich, doch seine Grimasse saß wie angenagelt. Sie verschwand nicht, und plötzlich verstand Moen auch, dass der Junge ernstlich gestört war.
Hovelsrud fuhr fort: »Ich habe Informationen, die Licht auf das werfen, was er sagt, wenn Sie erlauben?«
Moen wollte ihn am liebsten bitten, die Klappe zu halten, war aber nach dem Ausbruch des Jungen nicht ganz auf Draht.
»Diese Konfrontation, die Per Erik hier beschreibt, geschah in Wirklichkeit in der Nacht zu Freitag letzter Woche. Er hat sich im Dunkeln im Keller herumgetrieben, und Anne, die Nachtwache, hat ihn erwischt. Über diesen Vorfall wurden wir Freitagmorgen in der Schule informiert, er wurde vermerkt, abgesehen von den persönlichen Beleidigungen, aber so hat Per Erik es mir an jenem Freitag erzählt.«
»Ich möchte gerne Per Erik zu Ende anhören, dann können Sie Ihre Einwände später Vorbringen.«
Stein Hovelsrud bekam starke rote Flecken an den Wangenknochen.
»Ich weiß wirklich nicht, ob ich das verantworten kann. Ich kann hier nicht sitzen und zuhören, wie er sich selbst einen Mord andichtet. Die Nachtwache war eine resolute Dame, die Motorrad fuhr und Kampfsport betrieb, auf hohem Niveau. Unter normalen Umständen hätte sie Per Erik mit einer Hand zusammengefaltet.«
Moen unterließ es, die Bemerkung unter normalen Umständen zu kommentieren, und versuchte es erneut: »Das hier ist kein Prozess. Hier fällt kein Urteil. Falls Per Eriks Aussage falsch ist, so ist es die Aufgabe der Polizei, auch das herauszufinden. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass wir das Ganze hier so durchführen, dass es die Rechte des Jungen nicht verletzt. Tut es das etwa?«
Stein Hovelsrud schluckte zweimal und zuckte mit den Schultern. Seine Mundwinkel fielen herab. Moen wandte sich wieder dem Jungen zu. Es wirkte so, als ob er nach seinem Ausbruch in ein Koma gefallen wäre.
»Nun, Karate Kid. Was ist passiert?«
»Anne hat mir den Daumen verdreht, bis ich auf den Knien lag«, erwiderte der Junge tonlos. »Ich dachte, sie wollte ihn mir brechen, da hab ich zugestochen.«
»Womit denn? Mit dem Schraubenzieher?«, fragte Moen mit unschuldigster Miene.
»Mit dem Messer.« Die Augen leuchteten wieder.
»Messer? Welches Messer?«
Der Junge grinste höhnisch und schwieg. Moen sah ihn eine Weile an.
»Kannst du was über das Messer erzählen?«
»Ich hatte ein Messer, das ich in der Küche gestohlen habe. Es war in meinem Zimmer.«
»Kannst du das Messer beschreiben?«
»Ein kleines Küchenmesser mit schwarzem Griff.«
»Wo ist es jetzt?«
»In den Büschen, unten am Gartenzaun.«