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Der Boden der Realität

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Die Drohungen, ihm die Abiturausbildung zu verbieten, erweisen sich als Einschüchterungsver-suche. Die Lehre zum Elektromonteur wird fortgesetzt und läuft parallel zur Abitur – Ausbildung. Die Theorie fällt Jura leicht. Die praktische Lehre in der Produktion allerdings holt ihn immer wieder auf den Boden der Realität zurück. Das ist erzieherisch gut. Er erlebt die Realität der Arbeit in den überalterten Braunkohlewerken und Tagebauen. Enorm ist der Aufwand, um zur fünfzehn Kilometer entfernten Arbeitsstelle zu gelangen. Es fahren keine Busse von seinem Dorf hinüber zur alten Brikettfabrik. Er muss also bei Wind und Wetter über einen provisorisch errichteten Pleißendamm über Schlamm und Geröll hinüber zur Fabrik. Dort arbeiten noch die Kohlepressen der Firma Siemens aus den 1920er Jahren. Schweißgebadet erscheint er in der Waschkaue der alten Zeche. Die Luft ist kohlenstaubhaltig und geprägt durch den spezifischen Geruch.

Während der Reparaturarbeiten in der Kälte erweisen sich die Filzstiefel und die grauen oder dunkelblauen Wattejacken als sehr hilfreich. Todmüde sinkt er jeden Abend schnell in den Schlaf. Es ist eine Schinderei. Und das soll einer sein ganzes Leben durchhalten? Anders die theoretische Ausbildung. Mathe und Physik sind seine Lieblingsfächer und er beginnt an einem Physikzirkel an der Leipziger Karl-Marx-Universität teilzunehmen. Ein Studium der Physik wird immer konkreter.

Aber schließlich wird Jura klar, dass seine Mutter ihn nicht für drei oder vier Jahre Studium alimentieren kann. Er hat mit ihr nie darüber gesprochen. Ist dem Thema immer ausgewichen.

Ein Traum bricht weg. Er sucht nach Ablenkung und Ausgleich in den Ferien. Die ersten jungen Mädchen treten in sein Leben. Zu Fuß geht Jura regelmäßig an den Wochenenden die zehn Kilometer bis zur nächsten größeren Musik- und Tanzveranstaltung. Es ist noch nicht die Zeit der Diskos. Im Leipziger Umland spielen Bands, die in der Stadt selbst Auftrittsverbot haben. Oft wird die Vorgabe, sechzig Prozent Ost- und nur vierzig Prozent Westmusik, nicht eingehalten. So sehr ihn auch die dröhnende Musik beeindruckt – es sind weitere Reiseplanungen, die seine Freizeit dominieren. Zunächst geht es mit dem Rennrad, gemeinsam mit zwei Freunden durch Schlesien bis in die Hohe Tatra.

Große Neugier treibt ihn in die Weiten Südpolens - auf der Suche nach einem weiteren Stück Wahrheit, das ihm und den meisten im Osten vorenthalten wird. In den Dörfern des weitgehend vom Tourismus abgeschnittenen wildromantischen Bieszczady – Gebirges, das zu den Waldkarpaten führt, lernt er Menschen kennen, die nicht nur ungewohnt gastfreundlich sind, sondern auch viel über die Repressalien der Kommunisten und der Warschauer Regierung zu erzählen haben. Hier sind über 20 Jahre nach dem Krieg noch immer die Spuren eines Bürgerkrieges nach dem großen Krieg zu sehen. Die Spannungen zwischen Ukrainern und Polen in dieser Region sind noch lange nicht beigelegt. Davon wird in der DDR nichts berichtet. Jura erlebt die ihm bisher so nicht bekannte herzergreifende Gastfreundschaft der einfachen Leute in den Gebirgsdörfern. Sie haben selbst nicht viel. Aber er und sein Freund bekommen die gute Stube als Gästezimmer angeboten.

Es ist das Leben in den Dörfern, das Jura interessiert und nachhaltig motiviert.

Über Sanok und Przemysl verlässt Jura tief beeindruckt die Region. Die Reise gibt ihm neue Kraft und Inspirationen. Sein Traum von Harmonie relativiert sich. Der steinige Weg zu Harmonie und Eintracht fordert unglaubliche Kraft und Ausdauer. Es bedarf offensichtlich vieler Faktoren und Maßnahmen sowie viel Zeit, um den Hass und die Vorbehalte zwischen den vom Krieg gezeichneten Menschen zu überwinden.

Sein Traum von Harmonie

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