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Wie Jura zustande kam – ein Zufall auf der Suche nach sozialer Sicherheit nach Kriegsende
ОглавлениеDer westliche Teil des schönen und fleißigen Grenzlandes Sachsen ist in jenen Tagen wenige Jahre nach Ende des furchtbaren letzten Krieges besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Bombardierungen der Städte und Industrieanlagen haben ihre Spuren hinterlassen. Die Menschen sind erschöpft und traumatisiert. Doch auch Aufbruchstimmung, Hoffnung und Zuversicht entstehen. Das sind die Katalysatoren, die das Leben am Laufen halten.
Viele der Männer sind nicht von den Fronten zurück gekehrt. Andere harren und leiden noch immer in den Kriegsgefangenenlagern. Das Überleben ist hart. Die Brikettfabriken beginnen notdürftig ihre Produktion. Frauen müssen die Arbeit der fehlenden Männer übernehmen. Ihnen fällt die harte ungewohnte Schinderei sehr schwer.
In Westsachsen wechseln die Besatzer – die Amis gehen, die Russen kommen und bleiben. Wie lange, weiß keiner.
Noch immer kommen Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten.
Marie – eine vertriebene deutsche Kriegswitwe aus dem Sudetengau verschlägt es mit ihrem kleinen Sohn in den Raum Borna. Da leben ihre Schwiegereltern.
Ihr Ehemann und Vater des Sohnes gehörte zu den ersten Opfern des größenwahnsinnigen Überfalls auf die Sowjetunion. Er hat seinen Sohn nie sehen können. Noch keine 20 Jahre alt fand er im Winter 1941/42 sein Grab in der gefrorenen und blutgetränkten russischen Erde. Zunächst findet Marie mit ihrem Sohn Unterschlupf in Sachsen bei ihren Schwiegereltern. Als aber die Bombardierungen im Raum Leipzig immer massiver werden, kehren sie in das sichere Böhmen zurück. Dort erwartet sie der Hass der Tschechen und die Vertreibung. Als sei sie als Deutsche schuld am Leiden der anderen Völker. Misstrauen und Hass bestimmen das Leben. Schließlich gelingt es ihr, einen Transport nach Deutschland zu ordern. Sie fürchtet, auch hier weiter vertrieben zu werden. Ihre Schwiegereltern, arme Bergarbeiter, nehmen sie und den Enkelsohn erneut auf. Sie versorgen ihr eine Arbeit in der nahen Brikettfabrik. Die Leute essen Brot und Kohlrübensuppe.
Eine unhandliche Holztruhe mit einigen Habseligkeiten ist alles, was Marie besitzt. Besonders in Ehren hält sie die kleine vergoldete Bibel und einige Kruzifixe. Das erinnert an ihre strenge katholische Erziehung. Die katholische Kirche war es, die ihr in ihrem unsagbar schweren Leben immer zur Seite stand. Doch im protestantischen Sachsen gibt es nur wenige katholischen Gemeinden. Marie fühlt sich einsam, verlassen und verraten.
In Deutschland entsteht ein neues politisches Umfeld. Neue Strukturen werden gebildet. Marie interessiert all dies nicht. Das Leben hat sie gelehrt, sowieso keinen Einfluss zu haben.
In Sachsen vollzieht sich der Übergang von der sowjetischen Besatzungszone zur DDR. Zwei neue Staaten auf deutschem Boden entstehen. Ihre Heimat ist nun Ausland und nur schwer erreichbar.
Am Alltag ändert sich nichts. Es fehlt an allem, vor allem an Männern. Viele Frauen brauchen für sich und ihre Kinder zuverlässige Versorger. Zuneigung und Liebe spielen bei der Partnerwahl eine untergeordnete Rolle. Die Hoffnungen steigen und fallen mit jedem der immer wieder angekündigten Transporte aus den Kriegsgefangenenlagern. Dutzende Frauen drängen sich an den Gleisen der Haltepunkte der Deutschen Reichsbahn, wenn Transporte eintreffen. Sie hoffen, ihren oder wenigstens einen Mann zu finden. Die Männer sind erschöpft. Enttäuscht gehen die Frauen nach Hause, wenn sie wieder einmal keinen Mann gefunden haben.
Doch dieses Mal lernt Marie den Heimkehrer Fritz kennen. Fritz ist vom Kriegsgefangenenlager gezeichnet und sichtlich gealtert. Marie hingegen wirkt recht ausgeruht. So verschweigt sie ihrem neuen Partner ihr wahres Alter und macht sich gleich mal zehn Jahre jünger. Dieser Vertrauensbruch soll sich später rächen.
Marie zieht in das Haus ihres neuen Schwiegervaters Paul ein. Da ist Platz genug, denn drei seiner weiteren Söhne sind noch nicht wieder heim gekehrt.
Monate später sollen Marie und Fritz Juras Eltern werden. Vorher wird die evangelisch – katholische Mischehe begründet, damit das mit Jura seine Richtigkeit hat. Schwiegervater Paul ist es egal, ob geheiratet wird. Aber die Leute ...
Jura erblickt im eiskalten Januar mit der Beihilfe einer resoluten Hebamme im ungeheizten Schlafzimmer des verfallenen Hauses des Vaters von Fritz das Licht der Welt. Vater Fritz und Großvater Paul rennen auf Kommando der Hebamme mit Schüsseln kalten und warmen Wassers aufgeregt hin und her. Das neue Leben ist da, schreit die Anwesenden an und wird, wenn auch unbeholfen, so doch sorgsam geschützt und behütet.