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DER WEG ZUM SOZIALISMUS

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Im Verständnis des „wissenschaftlichen“ – im Gegensatz zum „utopischen“ – Sozialismus ist die Überwindung des Kapitalismus eine Folge von dessen inhärenter Entwicklung, die als langfristiger, sich mit unwiderstehlicher Notwendigkeit vollziehender Prozess gesehen wird. Der progressiven Entfaltung der Produktivkräfte entspringen innere Widersprüche im Kapitalismus, die „nach ihrer Erlösung von ihrer Eigenschaft als Kapital, nach tatsächlicher Anerkennung ihres Charakters als Produktivkräfte [drängen]“1. Die gesellschaftlich-politische Kraft, welche diese Transformation vollzieht, ist das Proletariat, welches als Folge der kapitalistischen Entwicklung zur Bevölkerungsmajorität und als organisierte politische Bewegung in die Lage versetzt wird, die Macht im kapitalistischen Staat zu übernehmen. Ob die Machtübernahme durch demokratische Willensbildung oder im Zuge einer finalen „Krise“ vonstatten geht, bleibt dabei offen.

Das Kommunistische Manifest spricht davon, dass „der erste Schritt in der Arbeiter-revolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist.“2 Das weitgehende Scheitern der bürgerlichen 1848er Revolution brachte zunächst einen Rückschlag bei diesem Bestreben. Mit der zunehmenden Verbreitung des allgemeinen Wahlrechts für die männliche Bevölkerung bzw. dessen Ausdehnung auf größere Bevölkerungskreise eröffnete sich für die sozialdemokratischen Parteien eine erfolgversprechende Perspektive, in einem Zeitraum von einigen Generationen die Macht im Staat zu übernehmen, und bereits auf dem Weg dahin Kernforderungen wie die Einführung des Achtstundentages durchzusetzen. Darauf konzentrierten sich die polit-strategischen Überlegungen von Friedrich Engels, auf denen seine Empfehlungen an die sozialdemokratischen Parteien basierten.

Nicht „mit einem Schlag“ können die Sozialisten den Sieg erringen, sondern nur „in hartem, zähem Kampf von Position zu Position langsam vordringen.“3 „Die Zeit der Überrumpelungen, der von kleinen bewussten Minoritäten durchgeführten Revolutionen ist vorbei … Wo es sich um die vollständige Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation handelt, da müssen die Massen selbst mit dabei sein.“4 Als beispielhaft galt Engels die deutsche Sozialdemokratie „als die stärkste, die disziplinierteste, die am raschesten anschwellende sozialistische Partei“, die den Schwesterparteien in andern Ländern zeigte, „wie man das allgemeine Wahlrecht gebraucht.“5 Engels extrapolierte die Zunahme des Stimmen- und Mandatsanteils der SPD bei den Reichstagswahlen, der bis 1894 auf ein Viertel angestiegen war, in die Zukunft und sah die Erlangung der parlamentarischen Mehrheit nicht mehr in weiter Ferne, sondern durchaus in Reichweite gerückt. Die stetige Steigerung des Stimmenanteils ist dabei nicht Selbstzweck, sondern Mittel dazu, das Klassenbewusstsein der Arbeiterschaft zu stärken, damit die Kampfkraft zu steigern, immer gerichtet auf das näher rückende Endziel der sozialistischen Gesellschaftsordnung.

Als kontraproduktiv verfiel daher jede Form des „anarchistischen“ Terrors dem strikten Verdikt von Engels. Attentate, Verschwörungen böten nur der Bourgeoisie einen Anlass für Polizeimaßnahmen oder sogar für putschartiges Vorgehen.6 Engels warnte besonders davor, im Kampf um die Eroberung der Macht auf gewaltsame Rebellion und Straßenkampf zu setzen. Wenn ihm „die Rebellion alten Stils“ schon 1848 veraltet erschien, so waren durch die Weiterentwicklung der Waffentechnik und der Militärlogistik seither „auf Seiten des Insurgenten alle Bedingungen schlechter geworden“. Daher sollte sich das Proletariat nicht von der um seine Herrschaft fürchtenden Bourgeoisie provozieren lassen, sich „auf die Straße begeben, wo wir der Niederlage im Voraus gewiss sind.“7

In den parlamentarischen Auseinandersetzungen über einzelne Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik sollten die Sozialdemokraten im Parlament alle Maßnahmen unterstützen oder nicht behindern, welche die Liquidierung feudaler Strukturen und die Verminderung der selbstständigen kleinbürgerlichen oder bäuerlichen Bevölkerungsschichten beschleunigen, wie z. B. Abschaffung von agrarischen Schutzzöllen. Je schneller sich der Kapitalismus zu seiner reinen Form entwickelt, umso rascher steigt der Bevölkerungsanteil des Proletariats, und damit die politische Machtbasis der Sozialdemokratie. Energisch widersprach Engels allen reformistischen und „staatssozialistischen“ Tendenzen in der SPD.

Als auslösender Faktor für eine Machtübernahme des Proletariats spielt die zunehmende Instabilität der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft eine wichtige Rolle. Marx unterstellte als „geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation“8 periodisch wiederkehrende Wirtschaftskrisen mit einer Tendenz zur Verschärfung. Mit zunehmender Kapitalakkumulation bekommen immer breitere Bevölkerungsschichten und immer mehr Länder ihre Folgen zu spüren, es kommt zu einer wachsenden Polarisierung zwischen Macht und Reichtum auf Seiten des Kapitals und Elend und Unsicherheit auf Seiten der Arbeiter, es „wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse.“ Angetrieben wird dieser Prozess durch den tendenziellen Fall der Profitrate. Große Teile des dritten Bandes des Kapital sind dem Nachweis eines „Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate gewidmet, ohne dass Marx diesen Beweis erbringen konnte.“9

Bei Engels erscheint die These von der Verschärfung der periodisch wiederkehrenden Krisen nur mehr in abgeschwächter Form im Anti-Dühring (erstmals erschienen 1878).10 Im Abstand von etwa zehn Jahren wird immer wieder der Punkt erreicht, an dem „der gesamte Mechanismus der kapitalistischen Produktionsweise versagt unter dem Druck der von ihr selbst erzeugten Produktivkräfte. Sie kann diese Masse von Produktionsmitteln nicht mehr alle in Kapital verwandeln. … Aber der Überfluss wird Quelle der Not und des Mangels.“ Während diese Situation bei Marx als revolutionär dargestellt wird, ohne allerdings dort das Wort Revolution zu verwenden, decken bei Engels „die Krisen die Unfähigkeit der Bourgeoisie zur ferneren Verwaltung der Produktivkräfte auf“. Immer mehr übernimmt die Kapitalgesellschaft die Funktion des privaten Eigentümers, eine Form, die vom Staat geschaffen ist, der immer mehr Funktionen als Organisator der kapitalistischen Wirtschaft übernimmt und dadurch zum „ideellen Gesamtkapitalisten“ wird. Hier ist der Punkt, wo das Proletariat die Staatsgewalt ergreift.

Engels hatte wenig Interesse an analytischtheoretischen Fragen des Akkumulationsprozesses und des Krisenmechanismus, mit denen sich Marx mit großer Intensität in den von Engels nach dessen Tod herausgegebenen Bänden des Kapital auseinandersetzte. Engels ging es mehr um die politisch-strategische Frage der Eroberung der Staatsgewalt durch das Proletariat.

Friedrich Engels

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