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Engels’ Wohlgefallen an der österreichischen Sozialdemokratie

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Zu keiner anderen Partei hatte Engels ein so ungetrübtes Verhältnis wie zur österreichischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Im Briefwechsel findet sich kein Hinweis auf Meinungsdifferenzen in Bezug auf theoretische Grundlagen oder die Strategie in der politischen Alltagsauseinandersetzung. Auffallend ist der Kontrast vor allem zur deutschen Partei, deren Entwicklung Engels die größte Aufmerksamkeit widmete.

Einerseits entsprach die politische Strategie der SPD seit dem Einigungsparteitag von 1875 in ihrer grundlegenden Ausrichtung seinen Vorstellungen über den Weg zum Sozialismus, und in den Erfolgen, welche die Partei danach erzielen konnte, sah er eine Bestätigung für seine Ansichten und ein Modell für die Parteien in den anderen kontinentaleuropäischen Ländern und letztlich auch im nachhinkenden England. Andererseits hatte Engels immer wieder Ärger mit internen Konflikten in der Partei, in denen er seine Gesinnungsfreunde – allen voran August Bebel – im Kampf gegen „kleinbürgerliche“ Haltungen unterstützte.

So etwa übte Engels immer wieder Kritik an Wilhelm Liebknecht (1826–1900), seinem Kampfgefährten aus den Tagen der Emigration, der als Redakteur des „Vorwärts“ seiner Ansicht nach zu nachsichtig über zu kompromissbereite Parteien in Frankreich und England berichtete,44 sowie an dessen Neigung zu „vulgärdemokratischen und vulgärsozialistischen Phrasen.“45 Handelte es sich dabei eher um alte Querelen, so berührte ein anderer Konfliktstoff ein ernstes Problem. Bei verschiedenen Gesetzgebungsmaterien, die im Reichstag verhandelt wurden, z. B. in der Agrarfrage, plädierte der bayrische Abgeordnete Georg von Vollmar dafür, Schutzmaßnahmen für Bauern zu unterstützen. Für Wahlerfolge in den ländlichen Wahlkreisen könne die Partei „unmöglich viele Anhänger gewinnen, wenn sie den Bauern nur predige, dass ihr Untergang unabwendbar sei.“46 Ein Zwiespalt ähnlicher Art zeigte sich in der Frage einer Subventionierung von Schiffswerften (sog. „Dampfersubventionsfrage“).47 Für Bebel wurde es mit der Zeit schwieriger, die Partei auf die von Engels vorgegebene Linie festzulegen.

In Österreich war die Partei erst seit 1897, also nach Engels’ Tod, im Parlament vertreten, bis zur Einführung des allgemeinen Stimmrechts nur mit einer kleinen Zahl von Abgeordneten. Unter der Bedingung der Machtlosigkeit im Vergleich zur deutschen Partei stellten sich solche Fragen vorerst nicht. Eindeutig die oberste Priorität als politische Zielsetzung hatte das allgemeine Stimmrecht.48 Verbesserungen im Bereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitszeit wurden durch Kampfmaßnahmen der Gewerkschaften erreicht, die seit der Gründung der Partei eine starke Entwicklung verzeichnen konnten. Der erste Kongress der österreichischen Gewerkschaften, bei dem 69 Vereine vertreten waren, fand 1893 statt.49

Die späte Gründung der Parteiorganisation hatte auch zur Folge, dass eine intellektuelle Diskussion über theoretische und strategische Fragen sich in Österreich erst spät entwickelte. Zwar boten die Parteizeitungen auch die Möglichkeit, längere Abhandlungen zu veröffentlichen.50 Victor Adler betrachtete sich selbst nicht als Theoretiker, publizierte aber mehrere Aufsätze zu grundsätzlichen Fragen in der von Kautsky herausgegebenen und in Deutschland erscheinenden „Neuen Zeit“. Erst mit der Monatszeitschrift „Der Kampf“ hatte die Partei seit 1907 ein eigenes theoretisches Publikationsorgan. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gab, wie z. B. über die Taktik in der Wahlrechtsauseinandersetzung, so war es nicht zuletzt auch die überragende Autorität Victor Adlers, der mit Kompromissformulierungen Gegensätze zu überbrücken vermochte.

Engels erwartete von großen Erfolgen der österreichischen Partei positive Auswirkungen auf die Entwicklung insbesondere der deutschen Sozialdemokratie. Mit Bezug auf die damals aktuelle politische Auseinandersetzung um die Reform des Wahlrechts schrieb Engels an Karl Kautsky am 3. November 1893: „Österreich ist jetzt das wichtigste Land in Europa, wenigstens für den Moment. Hier liegt die Initiative, die in ein bis zwei Jahren auf Deutschland und andere Länder zurückwirken wird.“51 Von einem baldigen Erfolg der österreichischen Partei erwartete er einen Anstoß für die SPD, den Kampf um das allgemeine Wahlrecht in Preußen, wo immer noch ein Dreiklassen-Wahlrecht galt, aufzunehmen.

Eine Revolution – mit oder ohne Gewalt – musste sich nach Engels’ Auffassung mehr oder weniger gleichzeitig in allen fortgeschrittenen Staaten vollziehen. Der Anstoß dazu konnte aber durchaus von Revolutionen in rückständigen Ländern kommen. „Ein Sturz des zarischen Despotismus, die Revolution in Russland … wird auch der Arbeiterbewegung des Westens einen neuen Anstoß und neue, bessere Kampfbedingungen geben und damit den Sieg des modernen industriellen Proletariats beschleunigen.“52

In Österreich kam der letzte Anstoß für das allgemeine Wahlrecht von der russischen Revolution 1905. Diesmal entschied sich Victor Adler – anders als 1893 – dafür, wenn notwendig den Massenstreik als „letztes Mittel“ einzusetzen. Als 1906 die Reform im Reichsrat zu scheitern drohte, wurden Vorbereitungen zu einem Generalstreik getroffen. Der Druck von der Straße trug wesentlich dazu bei, dass die Reform Ende 1906 beschlossen wurde.


Eduard Bernstein (1850–1932), 1895.

Friedrich Engels

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