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Pythagoras und Aphrodite

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Arwid versuchte den zerknirschten König abzulenken, und sie sprachen länger über Dinge persönlicher Natur, was Truchthari bewog, die beiden allein zu lassen. Er sah sich nach der Schönheit von der Grünen Insel um und fand sie mit geringer Mühe weiter hinten reitend. Er ließ sich zurückfallen, bis er wie zufällig neben ihr ritt. Sie trug jetzt zusätzlich ihre eigenen Waffen. Ein langes zweischneidiges Schwert, auf dessen Lederscheide ein kunstvolles Schlangenmuster prangte, baumelte am Wehrgehänge bis an ihre Knöchel hinab. Wurfpfeile und teilweise scharf angeschliffene Bronzescheiben steckten in speziell dafür angefertigten Lederhüllen in ihrem Leibgürtel, der die schmale Taille umspannte. Sie war in ein Paar hirschlederne Hosen geschlüpft, die ihre langen Beine wie ein zweite Haut zu umhüllen schienen. Als Oberkleid diente eine knallig violett gefärbte Tunika, die bis auf die Mitte der Oberschenkel reichte. Darüber trug sie, wegen der Hitze nur lose, ihren buntgescheckten Sagum, der die rechte Schulter freiließ, um dem Schwertarm die nötige Bewegungsfreiheit zu gewähren. Lässig bewegten sich die Zipfel des weiten Mantels im Takt der Hufe, wobei sie das lange Schwert umspielten.

„Was hast du da noch alles an Schätzen in deinem Bündel?“, näherte Truchthari sich ihr vorsichtig an.

„Oh, alles Mögliche was man so auf Reisen braucht, ein wenig Stoff für Kleider, einen Lederhelm und verschiedenes andere, vor allem Kräutermixturen und Wundauflagen“, klärte sie ihn auf, „schließlich habe ich auch gelernt, wie man Wunden heilt.“

Sie tätschelte ihrem Pferd den Hals und sah unvermutet zu ihrem Gesprächspartner herüber. Mit dem Kinn wies sie nach vorne, wo sie die beiden Hasdingen, Geiserich und Arwid, reiten sahen. „Euer König ist wohl ein mächtiger Mann?“, meinte sie, was der Krieger an ihrer Seite mit einem nachdrücklichen Nicken quittierte.

„Allein schon sein Name hätte bei uns auf der Grünen Insel einen äußerst machtvollen Klang. ‚Rich‘ bedeutet ‚König‘, was er ja inzwischen geworden ist – und ‚geis‘“, sie sprach das Wort, als wäre das „i“ ein „j“, „bedeutet ‚Bannzauber‘. Euer König ist wohl ein Mann, der durch sein Wesen die anderen in seinen Bann zieht und ihnen befehlen kann.“

Auch Truchthari fühlte sich im Augenblick wie von einem Bannzauber geleitet, während er den Blick nicht von ihr nehmen konnte. „Wäre damals ich bei eurem König gewesen, als er vom Pferd stürzte“, fuhr sie versonnen fort, „könnte er heute normal gehen, jetzt aber ist es viel zu spät, hier noch etwas zu versuchen.“

„Du bist also nicht nur eine Frau, die in der Lage ist Wunden zu schlagen, sondern gleichzeitig auch eine Heilerin? Das nenne ich eine geglückte Kombination“, brachte Truchthari seine Bewunderung für ihre vielseitigen Qualitäten zum Ausdruck. „Das trifft sich ausgezeichnet, ich habe da nämlich ein Problem, mit dem ich eigentlich unseren Heiler, aufsuchen wollte.“ Er zögerte unmerklich. „Darf ich dich kurz damit behelligen?“

„Wenn es denn sein muss“, zierte sich die Druidin, die andererseits gerne zeigen wollte, dass sie sich daheim auch als Heilerin einen Namen gemacht hatte, „um was geht es denn?“

Truchthari grinste zufrieden in sich hinein, wusste er doch, dass es für Heiler nichts Schöneres gab, als sich mit ihrem Wissen und Können zu profilieren. Er hatte den rechten Ton getroffen. „Oh, das ist ziemlich umständlich, wir können das so von Pferd zu Pferd nicht angehen, ich glaube, wir müssen uns etwas von der Marschkolonne entfernen und absitzen, damit du die Sache ins Auge fassen kannst, es handelt sich nämlich um das meinige, genauer gesagt um mein Lieblingsauge, das linke, mit dem ich noch ganz gut sehe. Irgendetwas ist hineingeraten.“

Wie der Leidende vorgeschlagen hatte, begaben sie sich etwas abseits vom aufgewirbelten Staub und dem Getrappel der Hufe. Truchthari lehnte sich an einen Baumstamm, doch stand das Licht ungünstig, so dass die beiden die Position wechseln mussten. Mit geschultem Griff umfasste die Druidin den Kopf ihres Gegenüber, um dem Übel in seinem Auge auf die Spur zu kommen. „Ich kann nichts sehen, was auf Fremdeinwirkung hindeuten könnte“, verkündete sie nach einer kleinen Weile.

„Wirklich nicht, vielleicht musst du nur näher hinsehen?“

Sie kam ihm nun sehr nahe, ihr Atem streifte sein Gesicht und dabei empfand er den Duft, der von ihr ausging, wie eine wohltuende körperliche Berührung, die ihm durch und durch ging. Er versank schier in ihrem weitgeöffneten Auge, fing sich in den weißlichen Netzen die, haarfein, ihre blaue Iris durchwoben und erblickte zuletzt sich selbst im unergründlichen Schwarz ihrer großen Pupille. Ein Schauer überlief ihn. Welch ein Weib, ging ihm noch durch den Kopf. Kommentarlos umarmte er sie und drängte sich gegen ihren Körper.

Bis sie sich vom ersten Schreck erholt hatte, war es ihm gelungen, sie gegen den Baum zu drücken. Doch nun, da er sie in der Klemme hatte, kam es ihm in den Sinn, dass er vielleicht nicht besonders überlegt vorgegangen war. Was wollte er nun eigentlich? Sie verführen – mittlerweile zu plump! Sie mit Gewalt nehmen, das ging gegen sein Ehrgefühl. Sie drückte das Kinn auf die Brust und versuchte, sich von ihm loszumachen, indem sie ihn bestimmt, aber ohne brutal zu werden, von sich wegschob. Halbherzig versuchte er noch, ihr einen Kuss zu rauben, was auch prompt misslang. Seine letzte Rettung vermutete er in dem tölpelhaften Satz: „Ceridwen, ich liebe dich, mein Auge ist krank, weil ich es auf dich geworfen habe!“

„Damit solltest du besser keine Späße treiben“, entgegnete sie ernsthaft, doch ohne jeden Zorn, „es tut mir leid, aber ich liebe dich nicht, du bist mir durchaus sympathisch, aber Liebe empfinde ich nicht für dich!“

Der Frauenheld war getroffen, verunsichert stotterte er vor sich hin. „Naja, vielleicht ist es auch bei mir nicht wahre Liebe, vielleicht reicht es bei mir auch nicht so weit, so genau kann ich es auch nicht sagen“, versuchte er seine angeschlagene Ehre zu retten.

Ceridwen vollführte mit ihrer Linken eine trennende Bewegung auf Höhe ihres Nabels. „Reicht es etwa so weit? Oder tiefer?“ Allmählich geriet sie in Rage. „Ihr Männer verwechselt eure Brunstgefühle immer gleich mit Liebe. Also gut, zeig mir, wie sehr du mich ‚liebst‘.“ Mit mechanischen Bewegungen entkleidete sie sich und legte sich, vom Gürtel abwärts nackt, vor dem verstörten Helden ins Gras.

„Na los, was ist?“ Herausfordernd spreizte sie die Beine. „Willst du nun oder willst du nicht?“

Mit hochrotem Kopf wandte sich der „große Liebende“ ab, er fühlte sich von ihr entlarvt, gewogen und für zu leicht befunden. Er flüchtete auf sein Pferd und ritt zurück zu den Kolonnen der Marschierer. Ceridwen, die sich ohne Eile angekleidet hatte, folgte ihm in einigem Abstand. Längere Zeit spürte er die Blicke der Herankommenden schon im Nacken, so dass er reflexartig den Kopf noch mehr einzog, als er spürte, dass sie ihr Pferd neben das seine manövrierte und sich zu ihm herüberbeugte.

„Vielleicht ein anderes Mal“, wirbelte sie dem nun völlig Desolaten mit ihrer kleinen Hand durchs Haar, „denk aber in Zukunft nach, bevor du irgendwelche hehren Gefühle als Auslöser deiner Triebe bemühst. Bei uns in Munster heiratet auch nicht jede Frau jeden Mann, mit dem sie mal schläft, das gäbe nämlich ein arges Durcheinander.“

Ein ebensolches hatte sie aber nun gerade bei ihm angerichtet. Seine staubigen, nach ihrer Aktion wirr nach allen Richtungen wegstehenden Haare legten Zeugnis ab vom Zustand im Inneren seines Kopfes. Truchthari, der nicht wusste, wie ihm geschah, behielt seine Schneckenhaushaltung bei und schielte nur scheu zu der unberechenbaren Frau hinüber. Er hatte sich derart blamiert, dass er sich sicher war, nie wieder im Leben mit dieser Frau …

Ja, sie war wirklich eine Zauberin, eine Hexe, ein Wesen aus einer anderen Welt.

*

„Gut, bei den Stämmen auf ihrer viel gepriesenen grünen Insel geht es anders her, das habe ich auch schon mitbekommen, aber sie deshalb gleich als ein extramundanes Wesen anzusehen … Da könntest du ja gleich sagen: ‚Die Insel liegt jenseits der Säulen des Herakles im atlantischen Ozean, sie ist also der letzte Rest des sagenhaften platonischen Atlantis und die übermächtigen Atlanter greifen per Götterboten in die Geschichte ein‘. Wie gefiele dir diese Theorie? Mal was anderes! Die Atlanter als die Retter der Vandalen!“ Arwid lachte und stocherte in der Glut. Er zog sich den Mantel enger um die Schultern, denn es war allmählich kühl geworden.

Ausnahmsweise war in ihrem Gespräch nun er in die Rolle des Schalks geschlüpft, die sonst immer Truchthari auszufüllen hatte, der nun, als Betroffener, sich den Spott versagte. „Sei mir nicht böse alter Freund, aber um die Aufrichtung deiner Hoffnung zu verhindern, muss man nicht die jenseitige Welt bemühen. Ceridwen hat dir eben deinen Schneid abgekauft, das ist alles! Und jetzt hör auf zu lamentieren, schließlich habe ich gehört, du hättest vor, in absehbarer Zeit ein Eheweib in dein noch zu erwerbendes Heim zu führen, an dem du dann deine Kräfte erproben kannst.“

Truchthari sah sich entlarvt, anscheinend wusste schon das ganze Heer, dass er beabsichtigte, um Gunhild, Nichte und Mündel des Königs, zu freien. Nun, nach der gewonnenen Schlacht, hatte er vielleicht bessere Chancen.

„Wenn du allerdings so weitermachst wie bisher, wird es Probleme geben“, orakelte Arwid. „Ich glaube nicht, dass es meinem Vater gefallen wird, wenn meine Cousine von dir ewig keine Kinder kriegt, weil du ständig …“, er machte eine Kunstpause und bohrte anzüglich mit der Zunge in der Unterlippe, „auswärts beschäftigt bist.“

„Das ist nun aber eine dicke Verleumdung! Ich und ständig … also nein, ich werde Gunhild treu sein wie der Efeu der Eiche. Ich weiß auch nicht, was mich da eben gerade geritten hat!“

Arwid war sichtlich amüsiert über die Entrüstung seines Freundes, der hektische Flecken auf den Wangen bekam. „Getroffener Hund bellt!“ Er grinste jetzt breit und seine Wangengrübchen verliehen seinem Gesicht jenen charakteristischen, doch in letzter Zeit leider viel zu selten zu sehenden schelmischen Ausdruck. „Du bist mir aufs Eis gegangen, alter Junge. Ist denn deine Vorstellung von Gunhild wirklich derart, dass sie dir schon langweilig wird, bevor überhaupt etwas los war?“

„Aber nie im Leben“, redete Truchthari sich in eine, bereits bei sehr oberflächlicher Betrachtung schon als künstlich zu erkennende Rage, „das heute war der reinste Ausrutscher. Diese Druidin wollte mir wahrscheinlich nur vorführen, dass sie tatsächlich hexen kann.“ Leicht verärgert nutzte er die Gunst der Stunde für eine Retourkutsche. „Jetzt spiel hier nicht das große Vorbild. Wenn du dich in allen deinen asketischen Übungen so effizient betätigst wie bei der Einhaltung deiner reinmachenden Diät, dann frage ich mich schon, wie du es in der Zwischenzeit geschafft hast, dir einen derartigen Wanst anzufressen.“

Arwids Miene verfinsterte sich zunehmend. „Das kann ich dir sagen: Alles was süß ist, ist erlaubt, da Speisen dieser Art den Geist beflügeln.“

„Wein beflügelt auch, aber der ist euch doch verboten“, lästerte Truchthari und zog die Nasenwurzel kraus, „obwohl ich dich auch in diesem Punkt als nicht unbedingt askesefest bezeichnen würde!“

In Arwids Wangen schoss das Blut. „Kriegszeiten sind eben anders“, blaffte er, „bevor ich mir eine Vergiftung aus einem verseuchten Brunnen hole, trinke ich lieber mit den Soldaten ihren Essigwein.“

„… und abends den weniger sauren der Offiziere“, ergänzte der Freund seine Philippika.

Arwid zuckte missmutig die Achseln.

„Vermutlich liege ich dann auch nicht ganz falsch, dass allein die außergewöhnliche Situation der Kriegszeit auch deine Abstinenz vom sogenannten schwachen Geschlecht beeinflusst“, säuselte sein Kontrahent, „ich meine dergestalt, dass sich hierbei eben keine Gelegenheit bot und deshalb …“

„Keine Gelegenheit“, fuhr Arwid nun auf, „so ein Quatsch! Du weißt doch genau, was so ein Tross alles mit sich bringt! Nein, in diesem Fall liegt es schlicht an meiner Standhaftigkeit“, meinte er bedeutungsschwer, „Frauen sind der erste Schritt in die Welten der Finsternis, in Richtung des sich ewig drehenden Rades der Wiedergeburt, weg von der Erlösung.“

„Ja, ja“, sinnierte Truchthari grinsend, „die Tugenden der Not.“

„Ach, was weißt du schon“, kam es einsilbig mit einem gewissen resignierten Unterton zurück. Schweigend saßen sie eine Weile nebeneinander. Nachdenklich starrte Arwid ins Feuer, wo er aufmerksam die aufblaffenden, kleinen Flammenzungen beäugte, die aus der letzten Glut der verkohlten Scheite immer wieder hervorzüngelten. Es war zwar nicht wirklich kalt, aber dennoch genossen die Freunde nach dem anstrengenden Tag die besinnliche Stimmung, die ein kleines Feuer mit sich zu bringen pflegte. Truchtharis Gedanken wanderten tatsächlich für einige Augenblicke zu seiner erhofften Braut, die er kaum kannte. Wie aus einer anderen Welt drang Arwids Stimme an sein Ohr.

„Wahrscheinlich hast du recht“, murmelte er, „sie wollte an dir ein Exempel statuieren, damit es kein bloßes Gerücht bleibt, was sie über Hermigar gesagt hat.“

„Du willst es also auch noch ausposaunen und per Herold im Lager ausrufen lassen, dass ich hier kleine Probleme hatte, das ist doch der Gipfel“, ereiferte sich Truchthari.

„Na ihr beiden, störe ich?“

Die Freunde fuhren beim sehr nahen Klang der neu in ihr Leben geratenen, aber doch schon sehr vertrauten Stimme Ceridwens hoch. Wie Schuljungen, die beim Abschreiben ertappt werden, liefen sie synchron rot an und schüttelten verneinend die Mähnen.

„Ich wusste gar nicht, dass wilde Krieger derart klatschsüchtig sein könnten, aber ihr erlaubt doch trotzdem, dass ich mich an euer Feuer setze?“

Als spontan keine erfreute Zusage kam, strich sie sich den Rock glatt und setzte sich mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt dicht neben Arwid. Die Freunde blieben bei ihrem Schweigen. Arwid erhob sich staksig, stocherte mit einem Eichenast in der Glut herum und verbreitete den Anschein, unschlüssig zu sein, ob er nun die Glut zusammenraffen oder lieber verstreuen sollte. Schließlich schob er die glühenden Kohlestückchen auf einen Haufen zusammen und entfachte die Glut aufs Neue, indem er ihr mit seinem weiten Ärmel Luft zufächelte. Arwid beeilte sich, ein paar Stücke trockenen Holzes darum herum aufzuschichten. Zufrieden mit seinem Werk nahm er wieder seinen Platz am neuentfachten Feuer, allerdings etwas abseits der Besucherin, ein.

Die Keltin hatte ihn aufmerksam beobachtet, es war ihr nicht entgangen, dass die Reanimation des im Verlöschen begriffenen Feuers nicht unbedingt Zeugnis eines unmittelbar bevorstehenden Aufbruchs seitens der Vandalen ablegen sollte. Dennoch versuchte sie die beiden aus der Reserve zu locken. „Euer Freudentaumel über die nette Gesellschaft ist ja umwerfend, wie soll ich mich retten aus den Klauen so vieler Verehrer“, lachte sie.

„Mir fällt gerade ein, ich muss noch zum König, wegen des Transports der Pferde etwas besprechen. Ich glaube, ich komme heute Nacht nicht mehr zurück, du weißt schon, meine Zukünftige harrt meiner“, verkündete Truchthari im Aufstehen und weg war er.

„Ah, der charmante Legat ist verlobt? Schau an. Wie ist das eigentlich bei euch Arianern, schwört ihr euch auch ewige Treue zu bei der Ehe?“, forschte sie unbefangen die Gebräuche des Gastlandes aus.

„Warum sollten wir da abweichen vom allgemein christlichen Herkommen?“ Arwid starrte unverwandt ins Feuer und versuchte, ihre Anwesenheit zu ignorieren. Andererseits wünschte er sich in gewissen Winkeln seiner dem Untergang entgegentaumelnden Asketenseele nichts sehnlicher, als dass sie bliebe. Er suchte nach Worten, das angefangene Gespräch in Gang zu halten. „Du meinst wohl, weil unsere Priester heiraten dürfen, muss die Moral der nicht-ganz-so-heiligen Ehen der Laien automatisch lockerer sein? Ich muss dich enttäuschen, wir halten es hier wie die Katholischen. Also schlag dir Truchthari gleich mal aus dem Kopf, der ist so gut wie verheiratet“, log er munter drauf los.

Sie lachte trocken. „Sollte ich das? Mach dir keine Sorgen, er ist an sich nicht die Art Mann, die ich bevorzuge“, dabei blinzelte sie Arwid unverhohlen zu, der sofort wieder den Blick senkte.

„Also, was mich betrifft“, platzte er heraus, „bin ich erstens kein gläubiger Christ, ich hänge nämlich überhaupt keiner Religion an. Und zweitens beabsichtige ich nicht zu heiraten“, nickte er bestimmt und wollte so zum Ausdruck bringen, dass damit das Thema für ihn abgeschlossen sei.

„Wie kannst du das so kategorisch behaupten“, ging die Keltin über diese seine Intention hinweg, „hast du kein Interesse an Frauen, du vandalischer Diomedes, ist Truchthari dein Sthenelos, oder so?“

„Entschuldige, du Botin der Götter! Er ist weder mein Sthenelos noch ‚oder so‘ und ganz generell reden wir hier nicht gerne über Intimitäten. Schon gar nicht mit Hexen, die wir kaum kennen“, fügte er erklärend hinzu.

Hier hatte Ceridwen anscheinend einen wunden Punkt getroffen. „Aber du warst doch sicher schon einmal verliebt?“ Als sich Arwids Miene daraufhin verfinsterte und er säuerlichen Gesichts seiner Betätigung am Feuer erneut nachging, nur mit gesteigerter Intensität, da wusste sie, wo der Hund begraben lag.

„Du hättest deine Angebetete sicher geheiratet, wenn die Möglichkeit dazu bestanden hätte, nicht wahr?“

„Damals schon, da war ich noch jung und dumm.“

Die schwarzgelockte Schöne lachte heiser. „Jetzt, mit deinen zwanzig Jahren, ist natürlich deine persönliche Entwicklung um einiges vorangeschritten, und du kannst jetzt aus der Erfahrung des reifen Alters auf die Fehler von früher zurückblicken, ich verstehe“, nickte sie bedeutungsschwer. Als sich ihre Blicke begegneten, entschlüpfte beiden ein Lächeln, doch Arwid konnte ihr nicht viel länger als einen Lidschlag lang in die Augen sehen.

Innerlich verfluchte er sich für sein Ungeschick und seine Schüchternheit. Oh, sie gefiel ihm wohl, entsprach genau dem inneren Bild von „der Frau“, das er von Anbeginn an mit sich herumtrug. Er hatte nie verstanden, wieso seine Kameraden immerzu den großen Blondinen nachpfiffen und -liefen. Doch als Adept pythagoreischer Askese hatte er den Weg der Reinheit eingeschlagen, vollführte seine gymnastischen Übungen zur Stärkung des Geistes und gab sich den Übungen der Mathematik, allerdings mit weniger ausgeprägter Leidenschaft, hin. Und nun diese Anfechtung!

In ihm kämpften Gefühle gegen die Ideale einer, für einen jungen Mann eines weltzugewandten, kriegerischen Volkes doch sehr untypischen asketischen Morallehre und Ethik. Einer Ethik, die der ältere Truchthari – sicher nicht ganz zu unrecht – wann immer sich dazu Gelegenheit bot, in die Nähe einer gewissen Weltflucht rückte. Da saß nun das Ebenbild der Frau seiner Träume neben ihm, und er konnte sie nicht ansehen, geschweige denn berühren. Und je länger er über dem Feuer seiner Meditation nachhing, desto deutlicher erkannte er, dass es tatsächlich eine gewisse Unsicherheit war, ja eine Vorstufe von Angst, die ihn daran hinderte, der verlockenden Schönen näherzukommen. Schweigend und versonnen blickte er ins Feuer, wobei ihn das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden, beschlich. Ihm war, als lauere im Feuer der hundertäugige Argus, dessen immerwache Augen, als zischend schwelende, kurz aufglühende Pünktchen, die sofort wieder verloschen, um an anderer Stelle erneut aufzuglimmen, auf ihn gerichtet wären. Verlegen stocherte er in der Glut. Zischend fing eine noch unversehrte Ader eines schon weitgehend verkohlten Scheites Feuer, eine kleine Flamme schoss hoch, das Scheit ächzte und knackte unter der Pein Loges, der es, wiewohl lichtlos, doch zur Wärme zwang.

So wie sich diese in Ceridwens Füßen ausbreitete, begann sie zu frösteln und drängte sich, Wärme auch für den Körper suchend, an den schweigsamen Jüngling an ihrer Seite. „Es wird allmählich kühl“, verlieh sie ihrem Empfinden Worte. Arwid sprang, wie vom Skorpion geangelt, auf die Beine. „Soll ich die Glutottern mit dürrem Geäst mästen? Oder brauchst du einen Mantel oder ein Fell?“, versuchte er höflich, ihr behilflich zu sein.

„Nein, danke, so schlimm ist es auch wieder nicht, setz dich lieber wieder zu mir, das würde mir für den Augenblick vollauf genügen“, lächelte sie mit dem unschuldigsten Augenaufschlag, dessen eine Liebesgöttin fähig zu sein mochte, zu ihm hoch.

Arwid kam linkisch ihrer Aufforderung nach, doch schwitzte er mittlerweile Blut und Wasser und schlang, ganz gegen seine inneren Absichten, die Arme fest um die hochgezogenen Knie. Die Frau hingegen legte sich zurück und ließ dabei, wie zufällig ihren Arm hinter seinen Rücken wandern. Da sie ihn über Ehe und Heirat so unvermittelt ausgefragt hatte, beschloss nun Arwid seinerseits, ihr auf den Zahn zu fühlen.

„Du sagtest, du seiest Priesterin“, begann er in unmittelbarer Nähe des Anfangs des Schöpfungsberichtes. „Vermutlich gibt es eine Menge Regeln und Gebote der Reinheit und Askese, die du befolgen musst, um dieses Leben führen zu können, liege ich da richtig?“

Sie rollte kurz mit den Augen, dann warf sie den Kopf in den Nacken, als würde sie von einer inneren Konvulsion geschüttelt. Sie lachte ein lautloses Lachen, wobei sie ihre tadellosen Zähne entblößte. „Es gibt da bestimmte Verrichtungen und Übungen“, begann sie, als sie sich nach einer Weile wieder beruhigt hatte, „vor allem des Gedächtnisses, die mir vorgeschrieben sind …“

„Und dabei verzichtest du sicher auf den Genuss des Fleisches“, assistierte ihr Arwid, der nun in neu entfachtem pythagoreischem Eifer glühte. Erneut warf sie ihm einen vieldeutigen Blick zu und ein raues, kaum verhaltenes Lachen rollte ihre Kehle herauf, das Arwid zutiefst verunsicherte. War es Spott, war es gar Verlangen, was in diesem Lachen zum Ausdruck kam?

„Ich könnte dich jetzt fragen, welchen Genuss du hier meinst“, leckte sie sich über die sanft geschwungene Oberlippe. „Wenn du den Verzicht auf Fleisch in meinem Speisezettel meinst, muss ich dich enttäuschen. Morrigan, die Göttin des Krieges, deren Dienerin ich bin, lechzt nach Blut. Ich sagte schon, dass wir ihr für gewöhnlich Menschen opfern, doch wir greifen auch auf wehrhafte Tiere wie Eber, Auerochsen, Luchse und Wölfe zurück, wenn wir keine Gefangenen zur Verfügung haben. Ich glaube, dass eine Kohlköpfe verdauende Priesterin eines Kultes bei dessen Zelebrierung sie Köpfe rollen lässt, sich schlecht ausnimmt, meinst du nicht auch?“ Sie blickte ihn voll an. „Enttäuscht?“, versetzte sie fragend.

„Ein wenig schon“, musste der offen entsetzte Arwid zugeben, „ich dachte immer, es bedarf einer gewissen Reinheit, um Priester sein zu dürfen, schließlich bist du doch Mittlerin zwischen Göttern und Menschen …“

„… der Göttin“, korrigierte sie ihn, „ich vollzog gelegentlich die Opferriten, doch bin ich über dieses Amt schon hinaus, da die Fähigkeiten, die ich mir aneignen durfte, mit einer gewissen Berufung zu Höherem verbunden sind. Wovon ich aber schweigen muss“, kam sie einer erfahrungsgemäß nun wohl auftauchenden Frage zuvor.

„Wir Pythagoreer hingegen leben nach sehr strengen Reinheitsvorschriften. Je weiter eine Person innerhalb der Stufenleiter zur Harmonie des Geistes schon vorgedrungen ist, umso schwieriger werden die Prüfungen, die ihr auferlegt werden. Wir essen selbstverständlich kein Fleisch, auch keine Fische, keine Bohnen oder Eier, üben den Körper alltäglich in gymnastischer Betätigung …“

„Du auch?“, deutete sie lachend auf seinen Bauch.

Das war nun das zweite Mal innerhalb sehr kurzer Zeit, dass seine weltliche Figur Anlass zur Skepsis an seinem Asketentum bot. In Gedanken verfluchte er den drahtigen, eher schon als mager zu bezeichnenden Truchthari, in dem jedermann sofort einen Hungerkünstler sah, obwohl der gerne und viel aß, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen. „Nun ja, ähem, nicht täglich, gerade jetzt wegen der bevorstehenden Invasion kommt man nicht zu alledem, was man da eigentlich tun müsste, aber ich versuche stets die Gebote des Meisters einzuhalten“, erklärte er bestimmt.

Ceridwen legte sich zurück und ihr suchender Blick glitt über den sternenübersäten Himmel. „Schau nur, diese Sternenpracht. So etwas haben wir bei uns im Norden nicht, der Süden scheint sich doch näher ans Himmelsgewölbe anzuschmiegen. Wie nah hier das Bild des großen Jägers herankommt, man könnte meinen, sein Bogen und vor allem der Hund wäre mit Händen zu greifen.“

Ihre großen Pupillen unterstrichen die Sehnsucht in ihrem himmelwärts gerichteten Blick. Wie einem inneren Zwang folgend, redend und redend und sich immer mehr dafür verfluchend, zerstörte Arwid die aufkommende Romantik im Keime.

„Du meinst also tatsächlich, dass uns das Bild des Riesen Orion hier näher ist, weil sich das Firmament hier weiter zur Erde herabbeugt? Also nach jenen verschrobenen Theorien, die sich gegenwärtig ‚Philosophie‘ schimpfen, kann das gar nicht sein, da die Welt angeblich ein Gefälle nach Südosten hin haben soll. Aber Weisheitsfreund schimpft sich heute so mancher. Mein Freund Truchthari wird von vielen schon deshalb als Philosoph bezeichnet, weil er der Ironie mächtig ist … Einzig Pythagoras, der Meister, hat recht erkannt, dass die Welt völlig anders aufgebaut ist, als sie sich die Hohlköpfe heutzutage ausdenken. Anstatt den Himmel zu beobachten, stellen sie schlaue Rechenmanöver an, die mit Hilfestellung von 55 Engeln und ebenso vielen Rädern den Antrieb der Planeten auf ihren unregelmäßigen Bahnen ermöglichen sollen. An Wissen dieser Art trägt man schwer heutzutage.“ Er seufzte. „Die wahre Lehre darf ich nicht weitergeben, ich habe Stillschweigen geschworen, verstehst du?“

Sie nickte ernsten Gesichts. „Wie gesagt, auch ich habe ein Gelübde abgelegt, das mir verbietet über gewisse Wahrheiten, die ich von meinem Meister erfahren habe, auch nur ein Sterbenswörtchen nach außen dringen zu lassen. Erzähle nur weiter, was immer du erzählen darfst.“

Wie es Arwid schien, hatte sich die Druidin nun voll auf seine Ebene begeben, war ganz geballte Aufmerksamkeit und Wissbegierde und doch hielt er dem offenen Forschen ihrer großen Pupillen nicht stand. Er sammelte seine verbliebene Konzentration, spürte die Nervosität, die von ihm Besitz nehmen wollte und zwang sich zu innerer Ruhe und Gelassenheit. Er wusste, dass es nun galt, zu brillieren oder verlacht zu werden, und so begann er zaghaft:

„Wie Platon sagte, das ganze All ist Musik! In der äußersten Sphäre des Fixsternhimmels, den arktischen Gefilden also, ist die Harmonie am größten. Dort herrscht Reinheit, und beim Wiederaufstieg in die Harmonie dürfen die Seelen all die Laster, die sie während ihrer Inkarnationen auf Erden von den Planeten aufgenötigt erhalten haben, wieder zurückgeben. Derart geläutert, gelangen sie dann in die ewige Harmonie und lauschen verzückt den Sphärenklängen. Allein unser Meister vermochte lebendigen Leibes die Harmonie der Sphären zu vernehmen. Von der Erde zur lunaren Sphäre ist es ein ganzer Ton, von C zu D, von dort zum Merkur ein halber Ton, zum Es, von dort zur Venus erneut ein halber Ton, zum E, von ihr zur Sonne ist es eine kleine Terz, wir sind beim G. Die Sonne ist wieder einen ganzen Ton vom Mars entfernt, A, welcher wiederum einen Halbton, B, vom Jupiter entfernt liegt, der es ebenso weit, zum H, also zum Saturn hat. Dieser letzte, äußerste und kälteste der Planeten ist wiederum eine kleine Terz, den Weg zur Oktave bis zum nächsthöheren D in der Tonleiter, vom Fixsternhimmel entfernt.“

Ceridwen hörte ihm geduldig zu und versuchte erneut, mit einem Anflug leichter Verzweiflung, seinen Blick einzufangen. Er jedoch mied jetzt bewusst ihren Blick, war ganz theoria, innere Schau, wobei er sich nicht aus dem Konzept bringen lassen durfte.

„Von dort aus, also vom Fixsternhimmel, werden die übrigen Sphären angetrieben“, setzte er seinen Vortrag fort. „Pythagoras benannte sie nach den Griechischen Göttern, zunächst Kronos, dann Zeus, Ares, Helios, Aphrodite, Hermes und Selene. Hätte er nicht die Gnade dieser Gehörleistung gehabt, wir wüssten nicht um die Reihenfolge der Planeten … Stell dir vor, in alter Zeit soll man berechnet haben können, wieweit entfernt von der Erde sie sich bewegen! Wer sollte so etwas heutzutage zuwege bringen? Das ist wahrhaftig ein Jammer, lieber glauben sie an Einflüsse der Sterne auf ihr Schicksal, als die Wahrheit über sie erfahren zu wollen. Sie lassen den Mond alle 28 Tage auskühlen, um sich danach sukzessive wieder zu erwärmen, oder sie lassen ihn von einem himmlischen Untier auffressen, um dann wiedergeboren zu werden …“ Jetzt hatte er sich in Fahrt geredet, konnte vor ihr, all seiner Schüchternheit zum Trotz, glänzen.

„Dies führt uns zu einer der größten Errungenschaften in der Wissenschaft unseres Meisters. Er erhielt Einblick in ein weiteres gravierendes Geheimnis: Der Kosmos hat Kugelgestalt! Alles, unsere gute alte Erde eingeschlossen, dreht sich um das ewig ruhende, nie verlöschende Zentralfeuer, von dem die Sonne aber nur ein Abglanz ist. Andere Schulen setzen die Erde in den Mittelpunkt, an die Stelle des Zentralfeuers und damit im Handumdrehen den Menschen wieder ins Zentrum des Kosmos.“ Er schüttelte den Kopf über so viel Ignoranz. „Dass die Erde edler ist als die übrigen Sterne, mag allerdings sein, denn in ihr gehen die vier Grundelemente segensreiche Verbindungen ein, genauso wie im Fixsternhimmel, wo ebenfalls alle Elemente vertreten sind. Die Planetensphären hingegen sind nur unvollkommene Teilgebilde, lasterhaft und erlösungsbedürftig. So ist doch der Stern des Ares dem erhitzenden Feuer, jener der Aphrodite dem kühlenden Wasser oder der hermetische Planet der wirbelnden Luft zugeordnet ... Hier jedoch, auf der Erde vermischt sich alles zum Ganzen … aber sagte ich das nicht soeben“, begann er zu stottern, „ach nein, das stimmt so nicht …“

Er war so vertieft in die Rückführung der im Entgleisen begriffenen Gedanken seines Vortrags, dass er erst sehr spät bemerkte, dass ihn Ceridwens Arm zunächst wie zufällig berührt hatte, dass ihre Hand zärtlich, aber bestimmt über seinen breiten Rücken, an der Wirbelsäule entlang nach oben gewandert und schließlich in seiner Mähne verschwunden war. Ihre kleinen, aber durchaus kräftigen Finger massierten mit vorsichtigem Druck seine Kopfhaut. Starr behielt er seine gegenwärtige, nicht unbedingt bequeme Haltung bei, stellte sich tot und versuchte, sowohl die Berührung als solche als auch das damit einhergehende aufkommende Wohlgefühl standhaft zu ignorieren.

„Ja also, die Planeten haben Leidenschaften, mehr oder weniger üble, jedoch allesamt Hindernisse auf dem Weg zur ewigen Harmonie“, versuchte er einen letzten intellektuellen Verteidigungswall, um seine bedrohten asketischen Ideale zu errichten, „da wäre der Zorn des Ares und wie wir wissen, auch die“, er schluckte hörbar, „Be-gehr-lich-keit der Aphrodite …“ Er stockte.

Was nun die Zweideutigkeit des Begriffpaares „Genuss des Fleisches“, deren Auflösung noch immer im Sternenraum schwebte, betraf, vertrat Ceridwen offenbar die Ansicht, dass dem Tun vor dem Reden der Vorzug zu geben sei, und so konnte Arwid die Sprache nicht mehr auf seine Ansichten zur pythagoreischen Sexualmoral bringen, der er ebenso bestimmt anzuhängen vorgab wie all seinen anderen Vorschriften.

„… sag mal, hörst du mir überhaupt noch zu?“

Anstelle einer Antwort brachte sie ihr Gesicht unmittelbar vor seines, so dass allein der Glanz ihrer Augen als Lichtrest vor ihm schimmerte, während der müde Schein des späten Feuers eine zartrötliche Gloriole um ihren Lockenkopf zauberte. Sie zog ihn an sich, und mit einem Kuss, der ihn von oben bis unten wie Feuer durchdrang, brachte sie den Verwirrten schließlich zum Schweigen. Von jenem Moment an war es um Arwid geschehen. Sein ganzes Leben lang würde er der Gefangene jenes fremdartig zauberhaften Feenwesens bleiben, nachdem er die erste Nacht seiner Gefangenschaft als die größte Befreiung seines Lebens empfand.

*

Truchthari indes rannte mit seiner Idee, um Gunhild zu werben, offene Türen ein.

Zum einen schien er der hübschen, wohl noch etwas scheuen jungen Dame zu gefallen, zum anderen kam der Antrag auch ihrem Vormund und Oheim Geiserich gelegen. Die blauäugige Gunhild war wie Ceridwen dunkelhaarig, doch hier endeten die Gemeinsamkeiten. Gunhilds Haar war glatt, die Form ihres Gesichts eher länglich schmal als rund. Trotz ihres angenehmen Äußeren konnte sie nicht als Schönheit im herkömmlichen Sinn gelten, verkörperte sie doch mit ihrer hochgewachsenen Gestalt die Walküre, die Wotan sich als Tisch- und Bettgenossin gewählt hätte.

Ihre durchaus sinnliche Ausstrahlung machte sie durch ihr anerzogenes, höfisches Verhalten, das sie auf Zurückhaltung und Mäßigung in allen Lebenslagen getrimmt hatte, mehr als wett. Hätte der König ihr nicht mit immer deutlicher werdenden Worten „gut zugeredet“, dem Werben des trotz seiner Jugend schon bewährten Truchthari nachzugeben, hätte sie den Bewerber nicht erhört, entsprach er doch nicht den standesgemäßen Vorgaben. Indem sie jedoch Erziehung und Standesdünkel hinter sich lassen durfte, sah sie dem Kommenden mit freudiger Erwartung entgegen.

So auch Truchthari, der die um zwei Jahre Jüngere schon immer verehrt hatte. Doch wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, richtig verliebt war er in sie nicht. Allerdings, so redete er sich jedenfalls ein, diese Sache mit der Liebe werde sich schon noch entwickeln, wenn man erst einmal zusammenlebte.

Truchthari wäre jedoch nicht Truchthari gewesen, hätte er nicht wie sein großes Vorbild versucht, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

All seinen militärischen Verdiensten zu Trotz konnte es dem geblütsmäßig betrachteten Niemand nur aufgrund einer Verbindung dieser Art gelingen, seinen Platz im Beraterstab des Königs zu behaupten. Er hatte dem König bei seiner Werbung vor allem deshalb imponiert, weil er kein einziges Wort über Gefühle verloren hatte. Nein, er hatte ihm seine uneingeschränkte Treue und Loyalität versichert, und darauf hingewiesen, dass er diese am besten als Mitglied des Kronrates zum Ausdruck würde bringen können. Er hatte sich auch schon Gedanken darüber gemacht, wie er dorthin gelangen könne: Es gäbe doch die traditionellen germanischen Hofämter, Seneschall, Kämmerer, Mundschenk und, extra für Heldica neu geschaffen, das Amt des praepositus regni: des Kanzlers. Bis dato sei der Posten des Truchsessen vakant, in dieses Amt könne er, Truchthari, doch vordringen, indem er ein Mitglied der Königsfamilie ehelichte. Und, nebenbei, hätte er auch schon eine geeignete Kandidatin, um seinen Ehrgeiz und den Wunsch nach Familiengründung gleichermaßen zu befriedigen. So einfach sei das alles.

Geiserich, dem diese Idee nicht nur zupasskam – hätte sein Kandidat für das Truchsessenamt nicht um die Hand des Mädchens angehalten, er hätte sie ihm mit dem Ziel, ihn enger an sich zu binden, förmlich aufgedrängt – willigte sofort ein. Er vertröstete den durchaus nervösen Werber auf ein paar Tage, da er sich schließlich mit dem Objekt des Begehrens noch einmal persönlich besprechen müsse, vergaß aber auch nicht, auf gewisse Charaktermängel seiner Nichte hinzuweisen. Sie sei, was man auf den ersten Blick nicht gleich erkennen möge, ein wenig herrisch und sehr von sich und ihrer Bedeutung eingenommen. Dies hätte Truchthari, als künftiger Ehemann, so er wenigstens daheim ein friedliches Leben zu führen gedenke, abzustellen beziehungsweise zu tolerieren. Ansonsten könne er „die Kleine“, ja, Geiserich bedachte seine Nichte, die ihm, ohne sich auf die Zehenspitzen stellen zu müssen, glatt über den Kopf sehen konnte, mit diesem Titel, durchaus als gutes Mädchen empfehlen. Wie die meisten jungen Dinger sei sie vernarrt in Kinder und wäre, sobald sie erst einmal selbst Mutterfreuden empfände, sicher leichter zu handhaben, so der Truchsess in spe verstünde, was er meine.

Geiserich kratzte sich das Kinn und blickte dem sich entfernenden Truchthari belustigt hinterher. Letzten Endes hatte dieser mühsam mit rauer Stimme vorgebrachte Heiratsantrag ihm selbst gegolten! Offenbar suchte die junge Waise in ihm auch einen Vaterersatz, was dem König, nachdem sich Arwid der Adoption verweigert hatte und seine legitimen Söhne, Hunerich und Gento, noch zu jung für weittragendere Pläne waren, mehr als gelegen kam. Da man nicht wusste, was die nächsten Monate bringen würden, beschloss der König, ein Zeichen zu setzen und ließ gleich am folgenden Tag, kurz bevor sie daran gingen, nach Africa überzusetzen, die Verlobung seiner Nichte mit Truchthari bekanntmachen. Doch bereits mit dem Kuss verabschiedete sich Truchthari von Gunhild, da er einer kämpfenden Abteilung zugeteilt wurde. Wann sich die Beiden wiedersehen würden, stand in den Sternen.

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Habichte über Karthago

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